Wirksamkeit eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im sozialgerichtlichen Verfahren
Antragstellung durch Bevollmächtigten
Gründe
I.
Der 1964 geborene Antragsteller bezieht zusammen mit seiner 1978 geborenen Ehefrau und den gemeinsamen 2005 und 2007 geborenen
Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Die Ehefrau des Antragstellers ist versicherungspflichtig beschäftigt. Der Antragsteller ist selbstständig tätig, erzielt
hieraus aber kein anrechenbares Einkommen.
Für die Zeit ab dem 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Familie mit vorläufigem
Bescheid vom 13.08.2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 19.09.2013 Leistungen in Höhe von insgesamt 722,46 EUR monatlich
bzw. ab 01.12.2013 bis 31.01.2014 in Höhe von monatlich 725,46 EUR.
Sowohl gegen den Bewilligungsbescheid vom 13.08.2013 als auch gegen den Änderungsbescheid vom 19.09.2013 legte der Antragsteller
Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 12.09.2013 beantragte eine C.-RA in A., als "Prozessbevollmächtigte" im Auftrag des Antragstellers und seiner
Ehefrau beim Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten,
vom Einkommen der Ehefrau unter Berücksichtigung verschiedener Schuldverpflichtungen weitere Abzüge vorzunehmen, ab 15.12.2013
den dann höheren Preis für die Monatskarte der Ehefrau zu berücksichtigen und das Einkommen des Antragstellers auf Null zu
setzen. Der Antrag wurde von der C.-RA mit "gez." und einem unleserlichen Unterschriftenkürzel abgezeichnet. Ein Name ist
nicht angegeben.
Der Antragsgegner nahm mit Schreiben vom 19.09.2013 Stellung. Für den Abzug der Schuldverpflichtungen sehe das SGB II keine Rechtsgrundlage vor. Die höheren Fahrtkosten und das versehentlich in der Berechnung (ohne Auswirkung) noch aufgeführte
Einkommen des Antragstellers seien im Änderungsbescheid vom 19.09.2013 antragsgemäß berücksichtigt bzw. aus der Berechnung
herausgenommen worden. Der vom Antragsteller angegebene Rechtsanwalt sei vermutlich der Antragsteller selbst C. - Rechtsanwalt).
Die an die "Prozessbevollmächtigten" gerichtete gerichtliche Aufforderung vom 13.09.2013 zur Vorlage einer Erklärung über
die Schweigepflichtentbindung wurde von der Post als unzustellbar zurückgesandt; die Empfänger seien unter der angegebenen
Anschrift nicht zu ermitteln. Mit gerichtlichen Schreiben vom 20.09.2013, 23.09.2013 und 07.10.2013 wurden die Antragsteller
hierüber informiert und aufgefordert, sich zum Schreiben des Antragsgegners zu äußern. Am 25.09.2013 wurden kommentarlos vom
Antragsteller und seiner Ehefrau unterschriebene Entbindungserklärungen vorgelegt; eine Äußerung zur Frage der Bevollmächtigung
erfolgte nicht.
Mit Beschluss vom 23.10.2013 lehnte das Sozialgericht München den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig
ab. Die offenkundig nicht existente Rechtsanwaltskanzlei "C-RA" könne nicht wirksam für die Antragsteller Prozesshandlungen
vornehmen. Soweit die Antragsteller unter Vortäuschung des Vertretungsverhältnisses im eigenen Namen handeln wollten, sei
fraglich, ob hierfür das Formerfordernis des §
90 SGG erfüllt sei. Denn danach sei die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz schriftlich oder zur Niederschrift
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben bzw. zu stellen. "Schriftlich" bedeute hier grundsätzlich auch die eigenhändige
Unterschrift in und mit eigenem Namen, was offenkundig nicht vorliege. Der Antragsteller möge zur Vermeidung strafrechtlicher
Konsequenzen beachten, dass er seine juristischen Fähigkeiten erst durch akademische Nachweise bescheinigen lassen müsse,
bevor er sich als Rechtsanwalt bezeichne oder als solcher auftrete. Vor allem hätten die Antragsteller durch ihr Verhalten
ihr offenkundiges Desinteresse am Fortgang des Verfahrens zum Ausdruck gebracht, indem sie - trotz angeblicher Dringlichkeit
ihres Begehrens - auf die gerichtlichen Schreiben vom 20.09.2013 und 07.10.2013 nicht reagiert hätten.
Gegen den dem Antragsteller am 25.10.2013 zugestellten Beschluss hat dieser - in eigenem Namen - noch am selben Tag mit einem
am 25.10.2013 beim Landessozialgericht eingegangenen Schreiben Beschwerde eingelegt und eine weitere Begründung angekündigt.
Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 31.10.2013 zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Senat hat den Antragsteller mit Schreiben vom 12.11.2013 aufgefordert, seine Beschwerde zu begründen und sich zur Frage
der Bevollmächtigung zu äußern. Eine weitere Stellungnahme des Antragstellers ist darauf nicht erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider
Rechtszüge verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht erhoben worden und auch statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstand übersteigt bezogen auf die für
den Leistungszeitraum vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 geltend gemachten höhere Leistungen auch die Beschwerdesumme von 750
EUR (§
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG i.V.m. §
144 Abs.
1 SGG).
Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht München hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der beim Sozialgericht München am 16.08.2013 gestellte Antrag ist bereits unzulässig, da er
nicht wirksam gestellt worden ist.
Gemäß §
90 SGG ist die Klage bei dem zuständigen Gericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben.
Das Erfordernis der Schriftform gilt über die Klageerhebung hinaus entsprechend auch für Anträge in selbstständigen Beschlussverfahren,
wie hier dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und andere außerhalb der mündlichen Verhandlung vorgenommene
bestimmende Prozesshandlungen (Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, §
90 SGG, Rn. 1f.). Zwar bedeutet schriftlich nicht, dass ein Antrag auch zwingend unterschrieben sein muss. Unverzichtbar ist aber,
dass erkennbar mit Willen und auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort (bei Gericht) eine körperliche Urkunde eingeht
oder erstellt wird und aus dem bei Gericht eingereichten Dokument der Wille, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen
zu wollen, erkennbar ist.
Diesen Anforderungen genügt die Antragstellung durch die "C-RA" nicht.
Der Antragsteller hat den Antrag nicht selbst, sondern vertreten durch die "C-RA" gestellt. Die spätere Abgabe der Erklärung
über die Entbindung von der Schweigepflicht stellt keine wirksame Antragstellung, sondern lediglich eine unselbstständige
Verfahrenshandlung dar.
Grundsätzlich können gemäß §
73 SGG Beteiligte in einem Sozialgerichtsverfahren den Rechtsstreit entweder selbst führen oder sich durch einen Bevollmächtigten
vertreten lassen. Allerdings enthält §
73 Abs.
2 SGG eine abschließende Aufzählung, welche Personen oder Vereinigungen vertretungsbefugt sind. Neben Rechtsanwälten, Rechtslehrern,
Rentenberatern und Steuerberatern sind dies im Wesentlichen volljährige Familienangehörige oder bestimmte Vereinigungen und
Personengruppen, wie Gewerkschaften oder gemeinnützige Interessenvertretungen. Bevollmächtigte, die danach nicht vertretungsbefugt
sind, werden vom Gericht zurückgewiesen (§
73 Abs.
3 S. 1
SGG). Die zu Grunde liegende Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht
von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt (§
73 Abs.
6 S. 1 und 4
SGG).
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag nicht bereits aufgrund des formalen Mangels des Fehlens einer Vollmacht als unzulässig
zurückzuweisen war. Denn in jedem Fall muss bei der Abgabe einer Prozesserklärung für deren Wirksamkeit feststehen, wer für
den Beteiligten den Prozess führt. Auch eine Vollmacht muss eindeutig erkennen lassen, wer und in welchem Umfang bevollmächtigt
wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2011 - L 19 AS 1313/11). Andernfalls kann bereits nicht überprüft werden, ob der Bevollmächtigte überhaupt zur Vertretung berechtigt ist. Schließlich
sind mit der Erteilung einer Prozessvollmacht umfangreiche Rechtspositionen verbunden, die es nicht erlauben, die Person des
Bevollmächtigten offen zu lassen. So ermächtigt eine wirksame Prozessvollmacht zu allen, den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen
und Zustellungen. Mitteilungen des Gerichts sind bei der Bestellung eines Bevollmächtigten an diesen zu richten (§
73 Abs.
6 S. 6 und 7
SGG in Verbindung mit §
81 Zivilprozessordnung -
ZPO).
Aus der Antragschrift geht vorliegend nicht hervor, wen der Antragsteller (möglicherweise) mit der Antragstellung bei Gericht
bevollmächtigt hat. Es ist nach wie vor völlig unklar, wer für den Antragsteller und seine Ehefrau als Bevollmächtigter den
Prozess führen sollte. Die Firma "C-RA" existiert offensichtlich nicht, was bereits das Sozialgericht festgestellt hat. Dies
ergibt sich zum einen aus der handschriftlichen Ergänzung "RA" in dem im Briefkopf verwendeten Stempel, zum anderen daraus,
dass diese Firma für das Sozialgericht München postalisch nicht erreichbar war, da nach Angabe des Postzustellers der Empfänger
unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei. Auch in zugänglichen Nachschlagewerken (Internet) existieren
unter diesem Namen zwar mehrere Einträge, davon offensichtlich auch einer den Antragsteller betreffend, allerdings jeweils
ohne den Zusatz "RA". Auf die Frage des Senats, um welche Firma es sich bei der "C-RA" handeln soll und wer den Antrag an
das Sozialgericht unterschrieben hat, hat sich der Antragsteller nicht geäußert.
Das Sozialgericht hat den Antrag daher zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil bereits eine wirksame Antragstellung nicht
vorliegt.
Der Mangel der Vollmacht konnte auch nicht dadurch geheilt werden, dass der Antragsteller die Beschwerde selbst unterzeichnet
hat. Das Beschwerdegericht entscheidet über denjenigen Streitgegenstand, der dem Sozialgericht bei seiner Entscheidung zu
Grunde lag. Das bedeutet, dass zunächst geprüft wird, ob das Sozialgericht den Antrag zu Recht als unzulässig abgewiesen hat,
was vorliegend der Fall war. Auch die Heilung des Mangels durch spätere Genehmigung eines zugelassenen Bevollmächtigten (die
vorliegend nicht erfolgt ist und wohl auch nicht möglich wäre), würde keine Rückwirkung entfalten. Die Prozesshandlung kann
nur wiederholt werden (BSG, Beschluss vom 28.11.2002 - B 9 V 53/02 B m.w.N.).
Die Kostenfolge beruht auf entsprechende Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.