Begutachtung im sozialgerichtlichen Verfahren, Kostenübernahme durch die Staatskasse; Beweiserheblichkeit des Gutachtens
Gründe:
Die Klägerin beantragte 2005 Rente wegen Erwerbsminderung. Dies lehnte die Beklagte ab. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
lägen nicht vor. Zuletzt seien Kinderberücksichtigungszeiten bis 30.01.1987 gegeben gewesen. Vor Februar 1989 aber hätte keine
qualitative Leistungsminderung bestanden.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Gemäß §
106 SGG hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie K. ein Gutachten zur Erwerbsminderung der Klägerin im Januar 1989 erstattet.
Die Klägerin habe damals noch eine vollständige Tätigkeit (8 Stunden täglich) ausüben können. Zu einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit
sei es erst ab Juni 1989 gekommen. Auf Antrag der Klägerin hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie
Dr.D. ein Gutachten nach §
109 SGG zur Frage der Erwerbminderung erstattet. Dabei ist sie entgegen der richterlichen Verfügung weder nach dem Zeitpunkt Januar
1989 noch nach der damals erforderlichen Fähigkeit zur vollschichtigen Tätigkeit (8 Stunden täglich) befragt worden. Die Sachverständige
sieht im Zeitpunkt ihrer Gutachtenserstellung keine quantitative Leistungseinschränkung bei der Klägerin. Das SG hat mit Urteil vom 19.02.2008 die Klage abgewiesen. Der Versicherungsfall hätte spätestens im Januar 1989 eintreten müssen.
Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, wie dem Gutachten des Arztes K. als auch dem Gutachten von Dr.D., die auch jetzt noch
die Klägerin für leichte ganztägige Tätigkeiten einsatzfähig halte, entnommen werden könne.
Den an das SG gerichteten Antrag auf Übernahme der Kosten für die Begutachtung durch Dr.D. auf die Staatskasse hat das SG mit Beschluss vom 25.06.2008 abgelehnt. Dr.D. habe ebenso wie der Sachverständige K. im maßgeblichen Zeitraum vor Februar
1989 keine zeitlich geminderte Erwerbsfähigkeit erkennen können. Das Gutachten von Dr.D. habe somit keine neuen entscheidungserheblichen,
bis dahin nicht berücksichtigten medizinischen Gesichtspunkte aufgezeigt und nicht zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes
beigetragen. Dass Dr.D. darüber hinaus auch im Begutachtungszeitpunkt keine geminderte Erwerbsfähigkeit gesehen habe, sei
für die gerichtliche Entscheidung ohne Bedeutung gewesen.
Dagegen hat die Klägerin Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Dr.D. sei nie zu dem Leistungsvermögen im Januar
1989 befragt worden.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§
172,
173 SGG) ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des SG ist aufzuheben. Die Kosten der Begutachtung durch Dr.D. sind auf die Staatskasse zu übernehmen.
Die Übernahme der für ein Gutachten nach §
109 SGG verauslagten Kosten auf die Staatskasse im Wege einer "anderen Entscheidung" iS des §
109 Abs
1 Satz 2 Halbsatz 2
SGG ist in der Regel dann gerechtfertigt, wenn das Gutachten in beträchtlichem Umfang beweiserheblich ist. Dies ist insbesondere
dann der Fall, wenn es durch Aufzeigen bis dahin nicht berücksichtigter medizinischer Gesichtspunkte zur Aufklärung des Sachverhaltes
wesentlich beigetragen oder die Erledigung des Rechtsstreites in sonstiger Weise wesentlich gefördert hat. Über die endgültige
Kostentragung entscheidet das Gericht nach Ermessen durch Beschluss (Beschluss des Senates vom 24.04.2007 - L 20 B 82/07 R - mwN).
Die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme liegen vor. Das SG hat Dr.D. nicht mit der Erstattung eines Gutachtens zu den für den Rechtsstreit wesentlichen Beweisfragen beauftragt. Dies
ist der Beweisanordnung vom 10.05.2007 zu entnehmen, die vom Vorsitzenden entgegen seiner entsprechenden Verfügung unterschrieben
worden ist, obwohl hierin - nicht wie in der Beweisanordnung vom 09.10.2006 an den gerichtlichen Sachverständigen K. erfolgt
- nach Gesundheitsstörungen im Januar 1989 und nach einer vollschichtigen Tätigkeit von 8 Stunden täglich bzw. einer halb-
bis untervollschichtigen Tätigkeit (4 bis unter 8 Stunden täglich) bzw. nach einer weniger als halbschichtigen Tätigkeit (2
bis unter 4 Stunden täglich) oder nach einer geringfügigen Tätigkeit (weniger als 2 Stunden täglich) gefragt worden ist. Dr.D.
hat sich somit auch nicht zu einer Leistungsminderung im Januar 1989 geäußert, denn sie ist hiernach nicht gefragt worden.
Es liegt somit eine unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht vor, denn an die auf Antrag der Klägerin beauftragte Sachverständige
sind keine zutreffenden Beweisfragen gestellt worden. Diese verfahrensrechtlich unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht
rechtfertigt eine Übernahme der Kosten für das Gutachten auf die Staatskasse (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 13.07.2005 - L 9 B 146/03 KR - mwN).
Im Übrigen hat sich das SG in seinem Urteil auf die Ausführungen von Dr.D. gestützt, obwohl diese keine Einschätzung der Erwerbsfähigkeit im Januar
1989 vorgenommen hat.
Nach alledem war auf die Beschwerde der Klägerin hin der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben. Die Kosten des Gutachtens
von Dr.D. vom 29.05.2007 sind auf die Staatskasse zu übernehmen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§
177 SGG).