Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungsausschluss für Auszubildende; Vorliegen eines Härtefalls
Gründe:
I. Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) während eines Studiums an einer Universität.
Der 1963 geborene Antragsteller - mittlerweile deutscher Staatsangehöriger - studierte von 1982 bis 1990 Maschinenbau in Syrien.
Er reiste 1998 nach Deutschland ein und übte verschiedene Erwerbstätigkeiten aus. Im Wintersemester 2002/2003 begann er ein
Studium in Maschinenwesen.
Das Studentenwerk lehnte den Antrag auf Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz (
BAföG) mit Bescheid vom 05.09.2008 ab, weil die Altersgrenze (30. Lebensjahr bei Beginn der Ausbildung noch nicht vollendet) überschritten
war.
Im Juni 2008 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin erstmals Arbeitslosengeld II. Dies lehnte die Antragsgegnerin
ab. Da das Studium des Antragstellers an sich nach dem
BAföG förderungsfähig sei, könne er gemäß §
7 Abs.
5 SGB II keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten. Dass der Antragsteller die persönlichen
Förderungsvoraussetzungen nicht erfülle, ändere daran nichts. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Antragsteller Klage und
stellte einen ersten erfolglosen Eilantrag. Den Eilantrag begründete er unter anderem damit, dass das Studium voraussichtlich
im Jahr 2010 abgeschlossen werde. Im Klageverfahren (S 48 AS 2222/08) erklärte der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung im September 2009, er gehe davon aus, dass er ein Härtefall sei.
Wegen einer Verletzung aus dem Jahr 2004 bestünden erhebliche Beeinträchtigungen am linken Bein. Das Studium verlaufe gut.
Wenn es erwartungsgemäß so weitergehe, werde er sein Studium einschließlich Diplomarbeit in drei Semestern [d.h. bis Ende
Wintersemester 2010/2011] abgeschlossen haben. Er arbeite weiterhin als studentische Hilfskraft und verdiene monatlich meistens
300,- Euro. Daraufhin wurde folgender Vergleich geschlossen:
"I. Die Beklagte ist bereit, dem Kläger für die Zeit vom 01.10.2009 bis 31.07.2010 Leistungen für den Lebensunterhalt in Höhe
von 300,- Euro monatlich in Wege eines Darlehens zu gewähren.
II. Nach Ablauf dieser Zeit wird die Beklagte auf entsprechenden Antrag des Klägers über die Weitergewährung dieser Leistungen
entscheiden. Der Kläger wird der Beklagten in seinem Antrag insbesondere auch über die bis dahin erzielten Fortschritte seines
Studiums Nachweis führen."
Mit zwei Bescheiden bewilligte die Antragsgegnerin die im Vergleich vereinbarten Leistungen. In dieser Zeit verdiente der
Antragsteller als Hilfskraft teilweise monatlich über 700,- Euro, teilweise verdiente er nach seinen Angaben wegen Stundenrückständen
nichts.
Den Weiterbewilligungsantrag, dem keinerlei Nachweise für das Studium beigefügt waren, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid
vom 22.06.2010 ab. Studienfortschritte seien entgegen dem Vergleich nicht nachgewiesen worden.
Im Widerspruch führte der Antragsteller aus, dass er dieses Semester drei Klausuren und eine Semesterarbeit schreiben müsse
und nächstes Semester weitere drei Klausuren und die Diplomarbeit. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2010 wurde der Widerspruch
zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 03.09.2010 Klage vor dem Sozialgericht München und stellte zugleich einen Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz. Er benötige das Geld, da sein Vertrag als studentische Hilfskraft immer wieder unterbrochen würde,
weil er ca. 200 Stunden nacharbeiten müsse, aber kein Gehalt bekomme. Er habe bereits erhebliche Schulden machen müssen. Im
Vergleich habe er auch nicht versprochen, dass er das Studium bis Ende 2010 absolviere, sondern er habe nur gemeint, er könne
bis Ende 2010 fertig werden, wenn er voll finanziert würde. Das Studium sei sehr wichtig, da er wegen seines Arbeitsunfalls
im Jahr 2004 nicht mehr körperlich arbeiten könne.
Mit Beschluss vom 01.10.2010 lehnte das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Nach Ende des Vergleichszeitraums
fehle es an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller sei gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes ausgeschlossen, da das Studium des Maschinenwesens an der Universität dem Grunde nach förderungsfähig gemäß
BAföG sei. Individuelle Versagungsgründe blieben außer Betracht. Soweit ein Student trotz fehlender Förderungsvoraussetzungen ein
Studium betreiben wolle, handle es sich um eine eigenverantwortliche Entscheidung.
Es bestehe auch kein Anspruch auf ein Darlehen in einem Härtefall gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Ein besonderer Härtefall
könne vorliegen, wenn die belegbare Aussicht bestehe, dass die Ausbildung mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
in absehbarer Zeit zum Abschluss gebracht werden könne und die Ausbildung ursprünglich durch Umstände gesichert war, die nur
kurz vor Abschluss entfallen seien (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R). Der Antragsteller befinde sich bei einer Regelstudienzeit von 10 Semestern inzwischen im 18. Semester. Es sei nicht absehbar,
ob und wann das Studium erfolgreich abgeschlossen werde. Zum anderen sei die Ausbildung von Anfang an nicht gefördert worden.
Dem Antragsteller sei ab Beginn des Studiums zuzumuten, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Aus dem
Vergleich ergebe sich kein Vertrauensschutz für weitere Leistungen.
Am 08.10.2010 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Die Entscheidung sei hart
und ungerecht, es mangele an Moral und Menschenwürde. Die tatsächliche Situation sei nicht in Betracht gezogen worden. Seit
einigen Monaten gebe es keine Einkünfte aus der Hilfstätigkeit.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 01.10.2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form eines Darlehens zu erbringen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht
abgelehnt hat.
Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Insbesondere
hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass Studenten, deren Ausbildung der Art nach grundsätzlich nach
BAföG gefördert werden könnte, vom Bezug von Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts nach §
7 Abs. 5 Satz 1 SGB II ausgeschlossen sind und ein Darlehensanspruch mangels eines besonderen Härtefalls nach § 7 Abs. 5 Satz
2 SGB II nicht besteht.
Die Voraussetzungen, in einem besonderen Härtefall Leistungen als Darlehen zu bekommen, sind sehr streng. Dies liegt daran,
dass das SGB II gerade keine Ausbildung fördern, sondern die Betroffenen unmittelbar in Arbeit vermitteln will (vgl. § 2 Abs.
2 und § 3 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Dabei ist nach § 10 SGB II grundsätzlich jede Art von Arbeit zumutbar. Die Voraussetzungen
eines Härtefalls sind im vom Sozialgericht genannten Urteil des BSG vom 06.09.2007, B 14/7b AS 36/06 R, im Einzelnen dargelegt. Der Antragsteller erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es ist nicht die dauerhafte finanzielle
Grundlage des Studiums kurz vor dem nachweisbar absehbaren Abschluss entfallen. Es ist schon kein konkreter Zeitpunkt für
den Ausbildungsabschluss (z.B. durch Anmeldung zur Prüfung) nachgewiesen. Auch eine gesundheitsbedingte Unterbrechung einer
bisher zielstrebig betriebenen Ausbildung liegt nicht vor. Das Studium wurde bei einer Gesamtdauer von 16 Jahren für die verwandten
Fächer Maschinenbau und Maschinenwesen nicht zielstrebig betrieben und der Unfall aus dem Jahr 2004 ist nicht die Ursache
der aktuellen finanziellen Probleme. Das Studium ist auch nicht die einzige Chance für einen Zugang zum Erwerbsleben. Der
Antragsteller hat sein Studium bis Sommer 2008 ausschließlich und danach teilweise durch Erwerbstätigkeit finanziert. Tätigkeiten
ohne besondere Belastungen des linken Fußes sind ihm wohl möglich.
Diese Entscheidung ist aus Sicht des Antragstellers eine harte Entscheidung. Es handelt sich aber nicht - wie er vorträgt
- um eine unmoralische oder ungerechte Entscheidung. Sie entspricht dem Gesetz. Der Antragsteller muss sich vorhalten lassen,
dass nach acht Jahren Studium Maschinenbau in Syrien und weiteren acht Jahren Studium Maschinenwesen in Deutschland ein Termin
für den Abschluss des Studiums noch immer nicht konkret absehbar ist. Ferner musste sich der Antragsteller, da er von Anfang
an kein
BAföG erhalten hat (im Übrigen wäre selbst eine
BAföG-Förderung vor Jahren ausgelaufen), darauf einrichten, sich seinen Lebensunterhalt neben dem Studium zu verdienen. Dazu hätte
auch gehört, dass er Stundenrückstände bei seiner studentischen Hilfstätigkeit vermeidet, besser noch für die Prüfungszeiten
Stundenguthaben ansammelt.
Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass der Antragsteller auch keinen Zuschuss zu den Kosten für Unterkunft und Heizung nach
§ 22 Abs. 7 SGB II erhalten kann, weil dieser Anspruch als reine Ergänzungsleistung unter anderem voraussetzt, das der Betreffende
Leistungen nach
BAföG erhält. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.