Festsetzung einer Entschädigung für die Wahrnehmung eines Termins im sozialgerichtlichen Verfahren; Kostenminimierungspflicht
bei Fahrtkosten
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen der Wahrnehmung eines Gerichtstermins, zu dem sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist.
In dem am Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) unter dem Aktenzeichen geführten Rechtsstreit des Antragstellers fand
am 06.02.2013 ein Gerichtstermin statt; das persönliche Erscheinen des Antragstellers war angeordnet. Die mündliche Verhandlung
dauerte von 10.29 Uhr bis 10.54 Uhr.
Mit Entschädigungsantrag vom 06.02.2013 beantragte der Antragsteller die Entschädigung für das Erscheinen beim Gerichtstermin
am selben Tag. Er machte neben Fahrtkosten für 74 km einen Verdienstausfall bei Selbständigen geltend. Ihm sei für die Abwesenheitszeit
von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr ein Verdienstausfall von insgesamt 133,- EUR (Stundensatz 44,50 EUR) entstanden.
Da sich aus den Akten ergab, dass der Antragsteller einer nichtselbständigen Arbeit nachging, der Antragsteller aber einen
Verdienstausfall aus selbständiger Tätigkeit geltend machte, bat die Kostenbeamtin den Antragsteller mit Schreiben vom 25.02.2013
um weitere Auskünfte.
Der Antragsteller trug dazu vor, hauptberuflich bei einer Firma im Schichtbetrieb zu arbeiten. In der Woche vom 04. bis zum
08.02.2013 habe er eine Freischicht gehabt und sei daher seinem selbständigen Nebenberuf als Handwerker nachgegangen. Als
Beleg legte er den Einkommenssteuerbescheid für 2011 vor, woraus sich neben einem Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit
in Höhe von 34.485,- EUR negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.228,- EUR ergeben. Weiter übersandte er eine
Gewerbeanmeldung von 2006 für einen Heizungs- und Sanitärbetrieb.
Mit Schreiben vom 06.03.2013 lehnte die Kostenbeamtin des Bayer. LSG eine Entschädigung von Verdienstausfall ab. Stattdessen
wurde eine Entschädigung für Nachteilsausgleich gewährt. Die Entschädigung betrug insgesamt 27,50 EUR.
Dagegen hat sich der Antragsteller telefonisch am 13.03.2013 und dann schriftlich am 08.04.2013 gewandt, da er über die Ungerechtigkeit
der Entscheidung der Kostenbeamtin nicht hinwegsehen könne.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 16.05.2013 sind dem Antragsteller die rechtlichen Vorgaben für die Entschädigung von Verdienstausfall
und die Problematik im konkreten Fall wie folgt erläutert worden.
"Ich bin mit bewusst, dass einem selbständig Tätigen einer derartige Nachweisführung manchmal schwer sein wird. Deshalb werden
keine überzogenen Anforderungen an den Nachweis gestellt. In Ihrem Fall problematisch ist jedoch, dass das Einkommen aus selbständiger
Tätigkeit ausweislich des vorgelegten Steuerbescheids für 2011 negativ war. Dies lässt, auch wenn der Steuerbescheid aus einem
Vorjahr datiert, den Rückschluss zu, dass die Intensität Ihrer selbständigen Tätigkeit, die Sie schon seit 2006 ausüben, von
eher geringem Ausmaß war - oder möglicherweise sogar überwiegend steuerliche Gründe hatte.
Um Ihnen eine Entschädigung von Verdienstausfall gewähren zu können, müssten Sie also weitergehende Nachweise vorlegen, die
die Zweifel des Gerichts zerstreuen könnten. Dies wäre beispielsweise die von Ihnen gestellte Rechnung für die behaupteten
Arbeiten auf der Baustelle, ggf. ergänzt durch einen Nachweis, in welchem Zeitraum Sie dort gearbeitet haben. Dies müsste
der Auftraggeber der Arbeiten bestätigen können."
Erst auf wiederholte gerichtliche Nachfrage hat der Antragsteller mit Schreiben vom 17.11.2013 zwei Handwerkerrechnungen vom
Februar und März 2013 vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller in seiner Eigenschaft als selbständiger Handwerker
im Februar 2013 insgesamt 43,5 Stunden Arbeitsleistungen zu je 45,80 EUR für eine bestimmte Baustelle abgerechnet hat.
II.
Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte die richterliche Festsetzung beantragt.
Die Entschädigung für die Wahrnehmung des Termins vom 06.02.2013 ist auf 86,50 EUR festzusetzen.
Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige
Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die
durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.:
RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungswege sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis
gegenstandslos (ständige Rechtsprechung, vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 4.12 - m.w.N.). Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen,
ohne auf Einwände gegen die Kostenfestsetzung im Verwaltungsweg beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung
kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten vorgenommen worden ist; das Verbot der reformatio in
peius gilt nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 17.07.2012, Az.: L 15 SF 29/12; vgl. auch Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 4.12 - m.w.N).
Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß §
191 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich - wie hier - um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinne des §
183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.
1. Anzuwendendes Recht
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz
-
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn der Antragsteller als Berechtigter ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.
2. Fahrtkosten
Für Fahrtkosten gemäß § 5 JVEG ist eine Entschädigung in Höhe von 18,50 EUR zu leisten.
Der Gesetzgeber hat mit § 5 JVEG dem Zeugen bzw. Beteiligten ein Wahlrecht eröffnet, ob er mit öffentlichen Verkehrsmitteln (§ 5 Abs. 1 JVEG) oder mit dem Kraftfahrzeug (§ 5 Abs. 2 JVEG) zum gerichtlich festgesetzten Termin anreist. Der Fahrtkostenersatz folgt der getroffenen Wahl des Beförderungsmittels.
Wählt der Beteiligte wie hier die Anreise mit dem Kraftfahrzeug, werden ihm gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG für jeden gefahrenen Kilometer 0,25 EUR ersetzt.
Zu entschädigen sind die objektiv erforderlichen Fahrtkosten. Was objektiv erforderlich ist, ist unter Berücksichtigung der
im gesamten Kostenrecht geltenden Kostenminimierungspflicht zu ermitteln. Dabei geht der Senat in großzügigerer Auslegung,
als sie teilweise von anderen Gerichten zugrunde gelegt wird, davon aus, dass nicht nur die Kosten für die kürzeste Strecke
(vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 27.09.2005, Az.: L 6 SF 408/05), sondern grundsätzlich auch die Kosten für die schnellste, obgleich längere Strecke zu ersetzen sind, wobei weitere Ausnahmen
dann zu akzeptieren sind, wenn die höheren Kosten durch besondere Umstände gerechtfertigt sind (z.B. Unzumutbarkeit der kürzesten
bzw. schnellsten Strecke oder Umwege durch Straßensperrungen) (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12).
Die Ermittlungen zur Streckenlänge können unter Zuhilfenahme der im Internet jedermann zugänglichen Routenplaner vorgenommen
werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 20.07.2009, Az.: L 15 SF 152/09, und vom 02.07.2012, Az.: L 15 SF 12/12).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller eine Fahrtstrecke von 74 km angegeben. Diese Streckenangabe entspricht weitgehend
der Strecke, wie sie sich bei der Zuhilfenahme von im Internet jedermann zugänglichen Routenplanern (z.B. von Falk) für die
Fahrt vom Wohnort des Antragstellers zum Gerichtsort und zurück ergibt.
Bei gefahrenen 74 km und einer Entschädigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG in Höhe von 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer errechnet sich ein Fahrtkostenersatz in Höhe von 18,50 EUR.
3. Verdienstausfall
Dem Antragsteller steht eine Entschädigung für Verdienstaufall in Höhe von 68,- EUR zu.
Gemäß § 22 JVEG ist eine Entschädigung für Verdienstausfall zu gewähren, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst richtet und nach
Stunden zu berechnen ist. Der Höchstsatz der Entschädigung beträgt 17,- EUR pro Stunde.
Mit der Frage, wie hoch die an den Nachweis von Verdienstausfall bei Selbständigen zu stellenden Anforderungen sind, hat sich
der Senat im vorliegenden Fall nicht näher befassen müssen. Denn der Antragsteller hat - wenn auch erst auf wiederholte Nachfrage
- mit Schreiben vom 17.11.2013 mit der Vorlage von zwei Rechnungen seine selbständige Tätigkeit im Monat Februar 2013, in
dem der zu entschädigende Gerichtstermin stattgefunden hat, und den entstandenen Verdienstausfall nachgewiesen.
Bei der zu entschädigende Zeit sind die plausiblen Angaben des Antragstellers zur Abwesenheit zugrunde zu legen.
Für die Entschädigung ist entsprechend dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Höchstsatz ein Stundensatz von 17,- EUR zugrunde zu
legen. Aufgrund der beigebrachten Rechnungen des Antragstellers und den allgemeinen Erfahrungswerten zu Handwerkerleistungen
ist ein über dem Höchststundensatz des § 22 JVEG liegender Stundensatz für die Arbeitsleistungen des Antragstellers nachvollziehbar. Einer Entschädigung des tatsächlich entstandenen
Verdienstausfalls steht die vom Gesetzgeber auf 17,- EUR pro Stunde festgelegte Begrenzung entgegen.
Der Antragsteller ist daher für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 06.02.2013 mit insgesamt 86,50 EUR zu entschädigen
Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).