Erinnerungsverfahren
Erinnerungsrecht der Staatskasse
Verwirkung des Erinnerungsrechts
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht.
Streitig ist die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, ob das Erinnerungsrecht der Staatskasse verwirkt
war und ob eine fiktive Terminsgebühr entstanden ist.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg, Az.: S 17 KR 83/14, ging es um den Krankengeldanspruch des Klägers vom 09. bis 15.11.2013. Am 18.03.2014 erhob der Kläger über seinen Bevollmächtigten,
den Beschwerdeführer, Klage und beantragte PKH. Diesem Antrag wurde mit gerichtlichem Beschluss vom 22.10.2014 entsprochen;
der Beschwerdeführer wurde beigeordnet.
Das Klageverfahren endete durch die beiderseitige Annahme eines vom SG mit gerichtlichem Schreiben vom 19.01.2015 unterbreiteten Vergleichsvorschlags, den die Beklagte mit Schriftsatz vom 21.01.2015
und der Beschwerdeführer für den Kläger mit Schriftsatz vom 27.01.2015 annahmen. Durch Ziff. 3 des Vergleichs erklärten sich
die Beteiligten darüber einig, dass der Rechtsstreit mit der übereinstimmenden Annahme des Vergleichs vollständig erledigt
sei.
Am 30.01.2015 beantragte der Beschwerdeführer, seine Vergütung für das Klageverfahren in Höhe von 1.071,00 Euro, im Einzelnen
wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV
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300,00 EUR
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV
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280,00 EUR
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Einigungsgebühr Nr. 1006 VV
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300,00 EUR
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Auslagenpauschale Nr. 7002 VV
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20,00 EUR
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Summe
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900,00 EUR
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19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV
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171,00 EUR
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Insgesamt
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1.071,00 EUR
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Mit Beschluss vom 16.02.2015 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG die dem Beschwerdeführer zu erstattenden Gebühren und Auslagen in der beantragten Höhe fest.
Zugleich wurde die Beklagte entsprechend der im Vergleich getroffenen Kostenregelung (gemäß § 59 RVG) zur Zahlung des hälftigen Betrags an die Staatskasse aufgefordert; der Betrag wurde am 10.03.2015 gutgeschrieben. Am 24.06.2015
hat der Beschwerdegegner gegen die Festsetzung der PKH beim SG Erinnerung eingelegt. Nach Auffassung der Staatskasse sei die Terminsgebühr nicht angefallen; sie hat auf den Beschluss des
Kostensenats des Bayer. Landessozialgerichts (BayLSG) vom 22.05.2015 (Az.: L 15 SF 115/14 E) verwiesen. Der Vergleich müsse entweder auf einem Beschlussvorschlag gemäß §
101 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) oder auf einer schriftlichen Initiative gemäß §
202 SGG in Verbindung mit §
278 Abs.
6 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) mit nachfolgendem deklaratorischen Beschluss (im Sinne von §
278 Abs.
6 Satz 2
ZPO) beruhen. Nur ein solcher schriftlicher Vergleich löse die fiktive Terminsgebühr aus. Die Staatskasse hat weiter vorgetragen,
es sei zu prüfen, ob die Beklagte dem Beschwerdeführer Kosten im Widerspruchsverfahren erstattet habe; in diesem Fall sei
eine Anrechnung gemäß § 15a RVG vorzunehmen.
Der Beschwerdeführer hat hiergegen eingewandt, dass die Erinnerung der Staatskasse verfristet sei. Zudem sei die Terminsgebühr
von der Beklagten nicht beanstandet worden. Es sei unerheblich, ob das Gericht seinen Vergleichsvorschlag in Form eines Beschlusses
unterbreitet habe. Auf Nachfrage hat der Beschwerdeführer angegeben, am 09.02.2015 von der Beklagten für das Widerspruchsverfahren
190,40 Euro erhalten zu haben. Wieso diese von der Beklagten erstatteten Gebühren auf die Vergütung für die gerichtliche Vertretung
anzurechnen seien, bleibe unerfindlich. Hierzu hat die Staatskasse mitgeteilt, dass angesichts des gezahlten Betrags von 190,40
Euro und der vergleichsweise vereinbarten hälftigen Kostentragung davon auszugehen sei, dass die Beklagte die nicht um den
Anrechnungsbetrag verminderte Schwellengebühr nach Nr. 2302 VV RVG von 300,00 Euro zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer für das Vorverfahren zur Hälfte erstattet habe. Deshalb berufe
sich die Staatskasse im Sinne von § 15a RVG auf die Anrechnung von 150,00 Euro auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG.
Somit errechne sich der von der Staatskasse insgesamt zu erstattende Betrag wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RV
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300,00 EUR
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./. Anrechnung § 15a RVG
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150,00 EUR
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Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG
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300,00 EUR
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Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG
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20,00 EUR
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Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG
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89,30 EUR
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Summe
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559,30 EUR
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Mit angefochtenem Beschluss vom 15.01.2016 hat das SG auf die Erinnerung der Staatskasse hin die Kostenfestsetzung vom 16.02.2015 dahingehend abgehändert, dass dem Beschwerdeführer
für das Klageverfahren insgesamt nur eine Kostenerstattung in Höhe von 559,30 Euro zustehe.
Das Erinnerungsrecht der Staatskasse, so das SG, sei vorliegend nicht verwirkt. Analog § 20 Gerichtskostengesetz (GKG) trete nach der Rechtsprechung eine Verwirkung erst dann ein, wenn seit der letzten, in dem konkreten Festsetzungsverfahren
getroffenen Entscheidung oder verfahrensbeendenden Handlung das folgende Jahr abgelaufen sei, was vorliegend nicht der Fall
sei, da die hier zugrunde liegende Entscheidung der Urkundsbeamtin vom 16.02.2015 stamme, die Erinnerung vom 24.06.2015. Die
Staatskasse sei durch die Kostenfestsetzung zu einer zu hohen Erstattung verpflichtet worden. So sei eine fiktive Terminsgebühr
nach Nr. 3106 VV RVG nicht angefallen. Es liege nämlich kein schriftlicher Prozessvergleich im Sinne von §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG oder von §
202 SGG in Verbindung mit §
278 Abs.
6 ZPO vor. Der Vergleich beruhe nämlich weder auf einem Beschlussvorschlag noch auf einer schriftlichen Initiative mit nachfolgendem
deklaratorischem Beschluss des SG. Das SG hat auf die Gründe des zitierten Beschlusses des Kostensenats (s. oben) ausdrücklich Bezug genommen.
Zudem sei, so das SG, eine Gebührenanrechnung nach § 15a Abs. 1 RVG, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorzunehmen. Zur Begründung hat sich das SG auf den Beschluss des Kostensenats vom 02.12.2015 (Az.: L 15 SF 133/15) bezogen. Wie das BayLSG entschieden habe, sei die Staatskasse im Falle der Bewilligung von PKH nicht Dritter im Sinne von
§ 15a Abs. 2 RVG, sondern vielmehr Kostenschuldner des Rechtsanwalts. Andererseits habe es entschieden, dass Zahlungen auf die Geschäftsgebühr
für die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren anzurechnen seien, wenn sie tatsächlich erfolgt seien. Vorliegend sei davon auszugehen,
dass der Beschwerdeführer die Verfahrensgebühr in voller Höhe gefordert und die Beklagte diesen Anspruch gemäß der Vergleichsvereinbarung
zur Hälfte erstattet habe. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bei Geltendmachung der Geschäfts- und der Verfahrensgebühr
nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren in Rechnung gestellt habe.
Am 27.01.2016 hat der Beschwerdeführer hiergegen Beschwerde zum BayLSG erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die
Terminsgebühr sehr wohl angefallen sei, da eine Einigung, wenn auch im schriftlichen Verfahren, ohne Verhandlung nicht möglich
sei. Der Vergleich sei unstreitig unter Mitwirkung des Gerichts erfolgt. Er, der Beschwerdeführer, habe nach Rücksprache mit
dem Kläger den gerichtlichen Vergleichsvorschlag angenommen. Damit sei ein schriftlicher Prozessvergleich erfolgt, der auch
die Gebühr Nr. 3106 VV RVG auslöse. Der Staatskasse ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens und des erstinstanzlichen
Klageverfahrens des SG verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zuständig für die Entscheidung ist der Einzelrichter gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG.
Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in ab 01.08.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz
- 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.). Denn der unbedingte Auftrag i.S.v. § 60 Abs. 1 RVG ist dem Beschwerdeführer nach dem 31.07.2013 erteilt worden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
a) Wie das SG zu Recht angenommen hat, war die Erinnerung der Staatskasse zulässig. Es ist keine Verwirkung des Erinnerungsrechts eingetreten.
Die Erinnerung ist an keine Frist gebunden (vgl. z.B. Hartmann, Kostengesetze, 46. Aufl., § 56, Rn. 6, m.w.N.). Eine Verwirkung
dieses unbefristeten Rechts ist für beide Seiten grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn die Kostenberechnung längst abgewickelt
ist und sich alle Beteiligten darauf eingestellt haben, dass sich die Kostenfrage erledigt hat (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt,
RVG, 22. Aufl., § 55, Rn. 43). Wie der Senat in seinem Grundsatzbeschluss vom 04.10.2012 (Az.: L 15 SF 131/11 B E) im Einzelnen dargelegt hat, gebietet das verfassungsrechtliche Vertrauensschutzprinzip, dass das Erinnerungsrecht der
Staatskasse trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Befristung nicht "bis in alle Ewigkeit" besteht. Diesem Gebot wird durch
das Rechtsinstitut der Verwirkung Rechnung getragen. Spätestens nach einem Jahr nach dem Wirksamwerden der Kostenfestsetzungsentscheidung
ist das Erinnerungsrecht der Staatskasse regelmäßig verwirkt, sofern nicht besonders missbilligenswerte Umstände in der Sphäre
des Anwalts vorliegen.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Damit ist vorliegend Verwirkung hinsichtlich des in Rede stehenden Zeitablaufs
nicht eingetreten; dafür, dass ausnahmsweise eine kürzere Verwirkungsfrist gelten würde, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
b) Auch die von der Staatskasse angeregte und vom SG vorgenommene Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG in Höhe von 150,00 Euro ist rechtmäßig.
Der Senat ist an der Überprüfung der Anrechnung nicht etwa deshalb gehindert, weil dieser Aspekt vom Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren
nicht aufgegriffen worden ist. Zwar hat der Senat in dem Grundsatzbeschluss vom 08.01.2013 (Az.: L 15 SF 232/12 B E) im Einzelnen dargelegt, dass eine Erinnerung nach § 56 RVG anders als in den Fällen des § 4 JVEG nicht zu einer vollumfänglichen Neuentscheidung durch den Kostenrichter führt. Es erfolgt lediglich eine - bei nur teilweiser
Anfechtung partielle - Überprüfung der vorangegangenen Entscheidung des Urkundsbeamten (vgl. auch den Beschluss des Senats
vom 04.10.2012, Az.: L 15 SF 131/11 B E). Eine vollumfängliche Prüfung im Rahmen der Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG und damit auch bei der Beschwerde nach § 56 Abs. 2 RVG kommt nicht in Betracht; Gegenstand ist nur die vorgetragene Beschwer (a.A. z.B. LSG Thüringen, Beschluss vom 09.12.2015,
Az.: L 6 SF 1286/15 B).
Vorliegend ist jedoch die Überprüfung der Anrechnung nach den genannten Vorschriften im Hinblick auf die Erinnerungsbegründung
der Staatskasse zu Recht Gegenstand der kostenrichterlichen Entscheidung gewesen. Das Beschwerdegericht als neue Tatsacheninstanz
hat im Rahmen der Beschwerdeentscheidung in vollem Umfang anstelle des Erstgerichts zu entscheiden (vgl. den Beschluss des
Senats vom 15.06.2016, Az.: L 15 SF 92/14 E, ferner den Beschluss vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B - allerdings zum JVEG). Maßgebend ist das Gesamtergebnis der einzelnen Kostenpositionen (vgl. den Beschluss des Senats vom 15.06.23016, a.a.O.).
In diesem Zusammenhang ist freilich das Verbot der reformatio in peius zu beachten: Ist der Rechtsanwalt wie vorliegend alleiniger
Beschwerdeführer, hat die Staatskasse also keine Beschwerde eingelegt, kann die Kostenfestsetzung nicht zu Lasten des Beschwerdeführers
abgeändert werden (vgl. z.B. Müller-Rabe, a.a.O., § 56, Rdnr. 29; vgl. auch den Beschluss des Senats vom 21.03.2011, Az.:
L 15 SF 204/09 B E). Im umgekehrten Fall ist nur zu prüfen, ob der festgesetzte Betrag die berechtigte Forderung des Rechtsanwalts übersteigt;
ob die Vergütung zu niedrig festgesetzt worden ist, darf dann nicht geprüft werden (vgl. z.B. Müller-Rabe, a.a.O.).
Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG ist die tatsächlich gezahlte Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des sozialgerichtlichen Klageverfahrens in der genannten
Höhe anzurechnen. Insoweit kann der Senat in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Erinnerungsbeschluss verweisen und sich diese zu eigen machen; er sieht insoweit von einer weiteren Begründung
ab, §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG.
c) Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte fiktive Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG (n. F.) steht diesem nicht zu.
Wie Staatskasse und SG zu Recht annehmen, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben. Im sozialgerichtlichen Verfahren in
der Hauptsache ist kein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG geschlossen worden. Denn es liegt kein schriftlicher Prozessvergleich im Sinne von §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG vor.
Wie der Kostensenat in seinem Beschluss vom 22.05.2015 (Az.: L 15 SF 115/14 E) im Einzelnen dargelegt hat, besteht zwar aus seiner Sicht ein praktisches Bedürfnis dafür, dass auch Vergleiche, die in
schriftlicher Form abgeschlossen werden, jedoch nicht den Vorgaben der genannten Vorschrift des
SGG entsprechen, unter den Gebührentatbestand Nr. 3106 VV RVG fallen. Gleichwohl sieht sich der Senat außerstande, die Voraussetzungen des genannten Gebührentatbestands auch in den Fällen
anzunehmen, in denen kein Vergleich im Sinne von §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG abgeschlossen worden ist. Dies ergibt sich aus Sicht des Senats zwingend aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und
Zweck der Regelung; dies hat er in dem o.g. Grundsatzbeschluss im Einzelnen ausgeführt. Vor allem hat er darauf hingewiesen,
dass Sinn und Zweck von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 VV RVG nicht darin besteht, einen Anreiz dafür zu schaffen, dass der Rechtsanwalt auf eine gütliche Einigung hinwirkt, denn diesen
Zweck verfolgen allein die Nrn. 1000 ff. VV RVG. Die fiktive Terminsgebühr dient vielmehr dazu, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins
in den Fällen zu nehmen, in denen das Gericht von den im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen will, den
Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu beenden (vgl. den Beschluss vom 22.05.2015, a.a.O., m.w.N.). Zugleich soll der
Anwalt keinen Nachteil in gebührenrechtlicher Hinsicht dadurch erleiden, dass durch eine in der Hand des Gerichts liegende
andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird. Dementsprechend setzen sowohl die Nr. 3104 Abs.
1 Nr. 1 1. und 2. Alternative und Nr. 2 VV RVG als auch Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 1. Alternative und Nr. 2 VV RVG ein Handeln des Gerichts voraus, dass auf die Vermeidung einer mündlichen Verhandlung gerichtet ist, nämlich die erklärte
Absicht, eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren oder durch Gerichtsbescheid zu treffen. Daher ist es folgerichtig, die
Regelungen der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative VV RVG und 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG auf die in §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG geregelten Fälle des schriftlichen Prozessvergleichs zu beschränken. Nur in diesen Fällen ist die Wirkung des Gerichts für
die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits und damit für die Entbehrlichkeit der mündlichen Verhandlung konstitutiv.
Dies wird an §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG deutlich, da hier ein Vergleichsvorschlag in Form eines Beschlusses, der vom SG selbst unterbreitet wird, vorausgesetzt wird.
Für die Zulässigkeit und Wirksamkeit eines Vergleichs gemäß §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG mag es nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. Müller, in: Roos/Wahrendorf,
SGG, 1. Aufl., §
101, Rn. 20) unbeachtlich sein, ob - trotz des Wortlauts der Vorschrift - die Initiative vom Gericht ausgeht oder nicht. Im gebührenrechtlichen
Sinn ist jedoch wegen des eben dargelegten Sinn und Zwecks des hier streitgegenständlichen Gebührentatbestands unabdingbar,
dass die Mitwirkung des Gerichts für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits konstitutiv ist, dass das Zustandekommen
eines Vergleichs aufgrund des Tätigwerdens des Gerichts erfolgt. Dies gilt auch in inhaltlicher Hinsicht. So erfolgt der Abschluss
eines Vergleichs dann nicht auf Initiative des Gerichts, wenn sich die Beteiligten zuvor bereits vollumfänglich über seinen
Inhalt geeinigt haben und der Beschluss nur noch "ergänzend" - ggf. gar mit Blick auf Gebührenaspekte - erfolgt. Unschädlich
ist es aber, wenn (auch wesentliche) Teile des später gemäß §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG abgeschlossenen Vergleichs von den Beteiligten in den Raum gestellt werden, bevor dann der Vergleich als Ganzes vom Gericht
(in Beschlussform) verbindlich vorgeschlagen wird.
Auch die grundsätzliche Frage der Anwendbarkeit von §
278 Abs.
6 Satz 1
ZPO spielt in gebührenrechtlicher Hinsicht keine Rolle. Mit anderen Worten: Selbst wenn man das Verfahren gemäß §
278 Abs.
6 ZPO auch nach Einfügung von §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG noch für zulässig halten mag, wird nur ein Beschlussvorschlag im Sinne dieser neuen Regelung des
SGG die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alternative VV RVG auslösen können. Dies begründet sich bereits aus Rechtssicherheitsgründen und einer verminderten Prüfpflicht der Kostenbeamten
bzgl. der Frage, ob tatsächlich eine schriftliche Initiative des Gerichts vorliegt, sowie der engen Bindung an die geschilderte
Voraussetzung konstitutiven Handelns des Gerichts.
Vorliegend sind auch die Voraussetzungen des §
278 Abs.
6 ZPO unzweifelhaft nicht gegeben. Sie könnten also aber auch nicht durch einen noch zu treffenden (deklaratorischen) Beschluss
des SG nachgeholt werden. Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen. Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet
(§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).