Tatbestand
Die Kläger begehren im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Anerkennung einer Krebserkrankung des verstorbenen M. A. (im Folgenden: V.) als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach §
551 Abs. 2
RVO (
Reichsversicherungsordnung) sowie Hinterbliebenenleistungen.
Der 1959 geborene V. war von 1974 bis 1979 und wieder ab 1985 bis 1993 als Dreher und Schleifer bei der Firma K. B. AG beschäftigt
und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten versichert. Mit Schreiben vom 05.12.1993 (Eingang bei der Beklagten am 08.12.1993)
beantragte der Kläger die bei ihm ca. acht Wochen zuvor festgestellte schwere Krebserkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen.
Im Rahmen eines stationären Aufenthalts im Kreiskrankenhaus L-Stadt im Oktober und November 1993 war ein metastasierendes
Adenokarzinom des Colon ascendens mit Sigmaummauerung, Lebermetastasen, Dünndarmmetastasen und Peritonealkarzinose diagnostiziert
worden. Am 20.12.1993 verstarb V. an den Folgen der Krankheit. Die Klägerin zu 1. ist die Witwe des V., die Kläger zu 2. (geb.
1983) und 3. (geb. 1988) sind die Söhne des V.
Am 14.02.1994 und am 22.03.1994 erfolgten Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD, jetzt: Präventionsdienst)
nach durchgeführter Arbeitsplatzanalyse. Es wurde u.a. festgestellt, dass V. während seiner Beschäftigung als Dreher an der
Rundschleifmaschine eingesetzt war, bei der im Zeitraum 01.02.1987 bis 31.12.1987 der Kühlschmierstoff Frigilux 23 zur Verwendung
kam. Dieser enthielt als für die Bildung von Nitrosamin relevante Inhaltsstoffe circa 18 % Natriumnitrit sowie ca. 1 % Diethanolamin
als Verunreinigung. Es wurden eine Gewebeuntersuchung durch Dr. E. veranlasst, ein wissenschaftlich begründetes Zusammenhangsgutachten
von Prof. Dr. R. vom 23.01.1995, ein wissenschaftlich-toxikologisches Gutachten von Dr. S. vom 15.05.1996 und ein arbeitsmedizinisches
Fachgutachten von Professor Dr. N. vom 30.01.1997. Ferner wurde eine gewerbeärztliche Stellungnahme eingeholt.
Mit Bescheid vom 25.03.1997 (Widerspruchsbescheid vom 23.07.1997) stellte die Beklagte gegenüber den Klägern fest, dass bei
V. zu Lebzeiten ein Dickdarmkarzinom bestanden habe, allerdings ein Anspruch auf Entschädigung wegen dieser Erkrankung nicht
bestehe. Diese sei weder eine Berufskrankheit noch wie eine Berufskrankheit zu entschädigen. Es bestünde weder ein Anspruch
der Klägerin zu 1. als Sonderrechtsnachfolgerin des V. auf die Gewährung einer Rente als Lebzeitanspruch noch der Kläger auf
Hinterbliebenenleistungen.
Hiergegen erhoben die Kläger am 05.08.1997 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) (Verfahren S 5 U 259/97). In dem Verfahren wurde ein toxikologisches Gutachten des Professors Dr. Dr. B. vom 19.10.1999 eingeholt sowie eine Auskunft
des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum Erkenntnisstand des Verordnungsgebers der
Berufskrankheiten-Verordnung über einen Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und einer beruflichen Exposition gegenüber Nitrosaminen. Des Weiteren
wurde auf Antrag der Kläger ein wissenschaftlich-toxikologisches Gutachten des Prof. Dr. E. vom 25.10.2001 eingeholt. Mit
Urteil vom 27.06.2002 wies das SG die Klage ab, da die Vorraussetzungen für die Anerkennung der Erkrankung des V. als Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2
RVO nicht vorlägen. Es sei nicht mit der entsprechenden vollen Überzeugung nachzuweisen gewesen, dass bei der Berufsgruppe des
V., die mit nitrosaminhaltigen Kühlmitteln in Berührung kommen, in erheblich höherem Grade als bei der übrigen Bevölkerung
Krebserkrankungen im Sinne von Darmkarzinomen aufträten bzw. dass die Einwirkungen von Kühlschmiermitteln und/oder Nitrosaminen
insbesondere des Nitrosamins N-Nitrosodie-thanolamin (NDELA) generell geeignet seien, Darmkrebs zu verursachen (Gruppentypik
und Überhäufigkeit).
Hiergegen legten die Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) ein (Verfahren L 17 U 275/02). Das Gericht holte ein ärztliches Fachgutachten nach Aktenlage des Dr. S. vom 09.09.2003 mit ergänzender Stellungnahme vom
27.01.2004 ein. Auf Hinweis des damaligen Senatsvorsitzenden nahmen die Kläger in der öffentlichen Sitzung vom 25.07.2006
die Berufung zurück.
Am 09.11.2006 haben die Kläger bei der Beklagten Antrag auf Einzelfallentscheidung kombiniert mit einem Antrag nach § 44 SGB X gestellt. Mit Bescheid vom 21.12.2006 (Widerspruchsbescheid vom 18.04.2007) hat es die Beklagte abgelehnt, den Bescheid vom
25.03.1997 zurückzunehmen. Es bestünden keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die eine andere Entscheidung rechtfertigen
könnten. Insbesondere seien am 18.12.1992, am 31.10.1997 und am 05.09.2002 unter Berücksichtigung der jeweils neuesten medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnisse Änderungen und Ergänzungen der Berufskrankheiten-Liste vorgenommen worden, ohne dass (Darmkrebs-)Erkrankungen
durch Nitrosamine aufgenommen worden wären. Soweit in der Vergangenheit in zwei Fällen Darmkrebserkrankungen nach vermuteter
Exposition gegenüber Nitrosaminen durch eine andere Berufsgenossenschaft als Berufskrankheit anerkannt worden seien, seien
diese Anerkennungen Einzelfallentscheidungen geblieben.
Hiergegen haben die Kläger Klage zum SG erhoben. Auf Antrag der Kläger hat das Gericht Professor Dr. H. gutachtlich gehört. Mit Urteil vom 08.07.2009 hat das SG die Klage gegen den Bescheid vom 21.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2007 abgewiesen. Im Wesentlichen
hat es sein Urteil darauf gestützt, dass bis zum heutigen Tage keine neuen medizinischen Erkenntnisse für eine gruppentypische
Risikoerhöhung hinsichtlich Magenkarzinoms (gemeint ist: Darmkarzinom) bei Drehern und Schleifern vorlägen. Das Gutachten
von Prof. Dr. F. sei wenig hilfreich, auch dieses könne das gruppentypische Risiko nicht belegen.
Dagegen haben die Kläger Berufung zum LSG eingelegt.
Am 25.10.2010 hat eine nichtöffentliche Sitzung mit den Beteiligten stattgefunden. Seitens des Senats wurden danach (u.a.)
Auskünfte vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu den Beratungen des Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten"
eingeholt und die dazu existierenden Unterlagen beigezogen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.07.2009 sowie den Bescheid vom 21.12.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 18.04.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 25.03.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 23.07.1997 zurückzunehmen, eine Wie-BK anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen für die Kläger zu gewähren,
hilfsweise,
den mitgebrachten Zeugen H. B. als Zeugen zu vernehmen zu der Tatsache, dass das Kühlschmiermittel Frigilux 23 über den bisher
angenommenen Beendigungszeitpunkt hinaus (wie vom Betrieb mitgeteilt) weiter Verwendung gefunden hat,
ferner den medizinischen Sachverständigen Dr. S. zu den im Zusammenhang mit der Frigiluxverwendung durchgeführten innerbetrieblichen
Ermittlungen zur Frage zu hören, dass die betrieblichen Gegebenheiten eine extreme Risikoerhöhung mit sich brachten u.a. deshalb
weil eine Abluftanlage nicht vorhanden war,
ferner weitere Ermittlungen nach §
106 SGG in die Wege zu leiten zur Thematik, dass nach dem entsprechenden Gutachten Dr. H. davon auszugehen sei, dass eine Primärlokalität
der Krebserkrankung im Dickdarm aufgrund der Gesamtbeurteilung nicht angenommen werden kann, sondern andere Primärlokalitäten
der Krebsentstehung infrage kommen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Verfahrensakten S 5 U 259/97 des SG sowie L 17 U 275/02 des LSG sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 21.12.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.04.2007, mit dem es
die Beklagte abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 25.03.1997 zurückzunehmen. Mit dem Bescheid vom 25.03.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.07.1997 hatte die Beklagte u.a. den Antrag, das Dickdarmkarzinom des V. als Berufskrankheit oder als Wie-Berufskrankheit
anzuerkennen und den Klägern Hinterbliebenenleistungen zu gewähren, abgewiesen.
Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 25.03.1997, soweit die
von der Beklagten getroffenen Regelungen (noch) streitgegenständlich sind.
Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituationen zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit
zugunsten letzterer aufzulösen (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes
(BSGE 51, 139, 141 = SozR 3900 § 40 Nr. 15; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29).
Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 25.03.1997 weder Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen. Vielmehr hat sie es zu Recht abgelehnt, eine Wie-BK anzuerkennen und Hinterbliebenenleistungen an
die Kläger zu erbringen.
1. Da ein möglicher Anspruch der Kläger auf Hinterbliebenenleistungen mit dem Tod des V. am 20.12.1993 entstanden wäre und
damit den Eintritt des Versicherungsfalls bis zu diesem Zeitpunkt voraussetzt, sind im vorliegenden Fall die Bestimmungen
der
RVO anzuwenden (Art. 36 Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - UVEG i.V.m. §§
212,
214 Abs.
3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB VII; siehe dazu BSG, Urteil vom 13.02.2013, B 2 U 33/11 R).
2. Nach § 589 Abs. 1
RVO (in der zum 20.12.1993 gültigen Fassung) sind bei Tod durch Arbeitsunfall zu gewähren:
1.als Sterbegeld der zwölfte Teil des Jahresarbeitsverdienstes, mindestens der Betrag von 400 Deutsche Mark; vom Sterbegeld
sind die Kosten der Bestattung zu bestreiten; es ist an denjenigen auszuzahlen, der die Bestattungskosten trägt; ein etwaiger
Überschuss verbleibt beim Versicherungsträger,
2.die Kosten für die Überführung des Verstorbenen an den Ort der Bestattung,
3.vom Todestag an den Hinterbliebenen eine Rente nach den §§ 590 bis 599 (
RVO)
Gemäß § 551 Abs. 1
RVO galt auch eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall. Dabei waren Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543
bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet (S. 2). Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten
zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen
bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie konnte
dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen
verursacht worden sind (S.3). Dabei sollten die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie
nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet wurde oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorlagen, wie eine Berufskrankheit
entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt waren (§ 551 Abs. 2
RVO). Für die Berufskrankheiten galten die für Arbeitsunfälle maßgebenden Vorschriften entsprechend (§ 551 Abs. 3 S. 1
RVO).
Die Tatbestandsmerkmale einer Wie-BK ("versicherte Tätigkeit (Arbeit)", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit") müssen
im Vollbeweis vorliegen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende
Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad
von Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27.03.1958, 8 RV 387/55 [...] Rn. 16; Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B m.w.N.; Urteile vom 29.03.1963, 2 RU 75/61, vom 22.09.1977, 10 RV 15/77, vom 01.08.1978, 7 RAr 37/77 und vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d.h. eine Wahrscheinlichkeit
besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse
klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG, Urteil vom 27.04.1972, 2 RU 147/71 [...] Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
128 Rn. 3b m.w.N.).
Ein Anspruch der Kläger auf die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen besteht nach den genannten Vorschriften der
RVO nicht. Die Erkrankung des V. stellte keine Wie-BK im Sinne von § 551 Abs. 2
RVO und somit keinen Arbeitsunfall i.S.v. § 589 Abs. 1
RVO dar.
a. Zur Überzeugung des Senats steht nach Würdigung der Aktenlage, insbesondere der in den Akten enthaltenen Gutachten und
Stellungnahmen, auch der Stellungnahmen des TAD fest, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit jedenfalls im Zeitraum
vom 01.02.1987 bis 31.12.1987 der Einwirkung des Kühlschmierstoffes Frigilux 23 ausgesetzt war. Der Schmierstoff enthielt
als Inhaltsstoffe u.a. ca. 18 % Natriumnitrit, ca. 20 % Triethanolamin sowie ca. 1 % Diethanomalin. Diese Stoffe sind relevant
für die Bildung von NDELA. Bei V. wurde bei medizinischen Untersuchungen im Zeitraum Oktober 1987 bis Mai 1988 NDELA im Urin
festgestellt. Bei einer weiteren Untersuchung des V. am 05.10.1988 konnte im Urin kein NDELA mehr nachgewiesen werden.
Der Senat konnte sich dagegen nicht davon überzeugen, dass V. während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit einer Einwirkung
anderer potenziell krebsverursachender Stoffe ausgesetzt gewesen war. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die mögliche
Einwirkung von Polychlorierten Biphenylen (PCB). Zwar hat Dr. E. in seinem Gutachten vom 16.08.1994 nach der Untersuchung
von Gewebe des V. ausgeführt, dass die Ergebnisse darauf hinweisen würden, dass V. hohen Belastungen durch PCB ausgesetzt
gewesen sei. Allerdings hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit mit PCB in Kontakt
gekommen ist. Aus den in den Akten vorhanden Dokumenten und Datenblättern zu den von V. eingesetzten Arbeitsstoffen bzw. Betriebsmitteln
ergeben sich keine Hinweise, dass in diesen PCB enthalten gewesen wären. Auch der TAD der Beklagten hat auf Nachfrage des
Senats in seinen Auskunftsschreiben vom 22.08.2013 und 27.09.2013 mitgeteilt, dass keinerlei Kenntnisse über eine berufliche
PCB-Exposition des V. vorlägen (siehe dazu auch die Mitteilungen der LBG Unterfranken vom 08.03.1995 und des TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen vom 20.03.1995). Insbesondere ergibt
sich aus den Auskünften des TAD vom 09.01.1995 und vom 09.02.1995, dass in Kühlschmierstoffen keine PCB enthalten gewesen
sind, diese vielmehr eine unerwünschte Verunreinigung dargestellt hätten. Soweit Prof. Dr. N. in seinem arbeitsmedizinischen
Gutachten vom 30.01.1997 von einer nachgewiesenen inneren Belastung des V. mit PCB spricht, die in Verbindung mit der Belastung
des V. mit NDELA tumorpromovierend gewirkt habe, findet sich in seinem Gutachten kein Beleg dafür, dass V. während seiner
beruflichen Tätigkeit zu irgendeinem Zeitpunkt einer Einwirkung durch PCB ausgesetzt gewesen ist. So stellt auch Dr. S. in
seinem Gutachten vom 15.05.1996 fest, dass spezifische Hinweise für eine Arbeitsplatzbelastung des V. durch PCB nicht vorlägen,
ebenso Professor Dr. Dr. B. in seinem Gutachten vom 19.10.1999 und Dr. S. in seinem Gutachten vom 09.09.2003. Ferner weist
der Senat darauf hin, dass nach Auffassung der Sachverständigen Prof. Dr. N. und Dr. S. den PCB allenfalls eine tumorpromovierende
Wirkung zukäme, wobei diese jedoch laut toxikologischem Gutachten des Professor Dr. Dr. B. vom 19.10.1999 insbesondere im
Zusammenwirken mit NDELA bislang nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist. Soweit Professor Dr. H. in seinem Gutachten vom
08.04.2009 schreibt, "PCB waren im Bereich der Firma K. B. täglich und weitgehend, sowie zum Teil ungerechtfertigt länger
als erlaubt an dem Arbeitsplatz des V., aber auch im Arbeitsumfeld aller Kollegen existent", handelt es sich um eine unsubstantiierte
Behauptung. Eine Begründung, geschweige denn einen Nachweis darüber, welchen PCB-haltigen Stoffen, in welchem Umfang und zu
welchen Zeitpunkten V. an seinem Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen sein soll, liefert Professor Dr. F. nicht.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass V. während seiner beruflichen Tätigkeit der Einwirkung von Nitrosaminen ausgesetzt
war.
b. Des Weiteren steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass V. an einem Dickdarmkarzinom erkrankt war. Die Überzeugung
des Senats gründet sich insbesondere auf dem Gutachten des Professor Dr. R. vom 23.01.1995, der im Auftrag der Beklagten die
Obduktion der Leiche des V. durchgeführt und als Grundleiden ein metastasierendes Kolonkarzinom festgestellt hat, sowie die
nachfolgenden Gutachten des Professors Dr. N. vom 30.01.1997, des Professors Dr. B. vom 19.10.1999 und des Dr. S. vom 09.09.2003,
die ebenfalls vom Vorliegen eines Kolonkarzinoms ausgehen. Bestätigt wird diese Einschätzung des Weiteren durch den Entlassungsbericht
der Chirurgischen Universitätsklinik und -Poliklinik B-Stadt vom 03.12.1993 und den Operationsbericht vom 04.11.1993, der
als Diagnose ein metastasiertes Adeno-Carzinom (mit Lebermetastasen, Dünndarmmetastasen, Peritonealkarzinose, Colon-ascendens-Tumor
und Sigmarummauerung) stellt. Soweit demgegenüber Professor Dr. F. als einziger aller bislang gehörten Sachverständigen nebulös
davon spricht, dass bei V. eine Karzinose des gesamten Bauchraums vorgelegen habe, überzeugt das den Senat nicht. Prof. Dr.
H. begründet seine Auffassung damit, dass aus der Operationsbeschreibung nicht hervorgehe, dass sich der Tumor nur im Dickdarm
entwickelt und von dort ausgebreitet habe. Außerdem stehe die Ummauerung des Darmabschnitts (Colon-ascendens-Tumor und Sigmaummauerung)
im Operationsbericht erst an 4. Stelle. Hierbei ignoriert er die vom Operateur eindeutig getroffene Diagnose eines Colon-ascendens-Tumors
(mit Haupttumormasse im rechten Oberbauch) sowie die inhaltliche Bedeutung des Begriffs "Metastasen" als Absiedlung eines
bösartigen Tumors in entferntem Gewebe, und der Diagnose "Peritonealkarzinose", die üblicherweise Metastasen anderer im Bauchraum
gelegener Tumore bezeichnet. Zudem setzt er sich noch nicht einmal ansatzweise mit den Ausführungen des Professor Dr. R. -
er hat die Obduktion der Leiche des V. durchgeführt - im Gutachten vom 23.01.1995 zur Lokalisation und Ausbreitung des Tumors
auseinander, ebenso wenig mit dem Gutachten des Dr. S. vom 09.09.2003, der unter Auswertung der medizinischen Befunde und
insbesondere des Operationsberichts zu der Feststellung gelangt, dass bei V. ein fortschreitendes metastasierendes Karzinom
des aufsteigenden Dickdarms bestanden hat, das letztlich zum Tod des V. geführt hat. Letztlich kommt es aber - wie sich aus
den nachfolgenden Ausführungen ergibt - für die Beantwortung der Frage, ob bei V. eine Leistungsansprüche auslösende Wie-BK
vorgelegen hat, nicht darauf an, in welchem Körperbereich der Krebstumor bei V. zu verorten war.
c. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 13.02.2013, B 2 U 33/11 R m.w.N) setzt die Annahme einer Wie-BK das Vorliegen folgender Tatbestandsmerkmale voraus: (1.) Das Nicht-Vorliegen der Voraussetzungen
für eine in der
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV, vormals BKVO) bezeichnete Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit
als BK nach § 551 Abs. 1 S. 2
RVO bzw. §
9 Abs.
1 S. 2
SGB VII, (3.) nach neuen Erkenntnissen (§ 551 Abs. 2
RVO) bzw. nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen (§
9 Abs.
2 SGB VII) sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-BK im Einzelfall bei dem Versicherten.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.; BSG, Urteil vom 23.06.1977, 2 RU 53/76, BSGE 44, 90 = SozR 2200 § 551 Nr. 9; BSG, Urteil vom 14.11.1996; 2 RU 9/96 - BSGE 79,250) enthält diese Vorschrift keine allgemeine Härteklausel bzw. keinen Auffangtatbestand, nach der jede durch
eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als "Wie-BK" anzuerkennen wäre. Für die Feststellung einer Wie-BK genügt
es daher nicht, dass im Einzelfall berufsbedingte Einwirkungen die rechtlich wesentliche Ursache einer nicht in der BK-Liste
bezeichneten Krankheit sind. Vielmehr darf die Anerkennung einer Wie-BK nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Aufnahme
der betreffenden Einwirkungs-Krankheits-Kombination in die Liste der BKen erfüllt sind, der Verordnungsgeber sie also als
neue Listen-BK in die
BKV einfügen dürfte, aber noch nicht tätig geworden ist (BSG, Urteil vom 20.07.2010, B 2 U 19/09 R; siehe auch BT-Drucks. 13/2204, 77 f). Es sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in
die Liste der BKen aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung
bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage (1) zur
BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen
sich im Zeitpunkt der Erkrankung des Versicherten noch nicht zur sog. BK-Reife verdichtet haben. Es reicht grundsätzlich aus,
wenn dies im Zeitpunkt der Entscheidung über den Anspruch geschehen ist (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 16/01 R). Hieraus folgt aber noch nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Wie-BK (u.a. der Zeitpunkt
des Vorliegens neuer Erkenntnisse) gleichsam rückwirkend für den Zeitpunkt des Eintritts der Krankheit fingiert werden könnten.
Vielmehr ist eine Wie-BK erst zu dem Zeitpunkt eingetreten, an dem erstmals neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Vorliegen
der generellen Voraussetzungen der Aufnahme einer Berufskrankheit in die Anlage 1 der
BKV - die arbeitsbedingte Verursachung einer bestimmten Erkrankung - vorgelegen und sich zur sog. BK-Reife verdichtet haben (BSG, Urteil vom 13.02.2013, B 2 U 33/11 R m.w.N.). Grundsätzlich sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dabei "neu" i.S.v. § 551 Abs. 2
RVO, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch - dies ist im Zweifel der Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung - feststeht, dass sie bei der letzten Änderung der
BKV - für den vorliegenden Fall ist auf die Änderung der BKVO durch die Zweite Verordnung zur Änderung der
Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992 (BGBl. I 1992, 2343) mit Wirkung zum 01.01.1993 abzustellen - noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist stets der Fall, wenn die Erkenntnisse
erst nach Erlass der letzten
BKV bzw. etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind. Nicht berücksichtigt vom Verordnungsgeber und somit "neu" sind
aber auch diejenigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, die trotz Vorhandenseins bei Erlass der letzten
BKV oder einer Änderungsverordnung vom Verordnungsgeber entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erkennbar geprüft worden
sind. Als neu in diesem Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer
Prüfung vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden Krankheit in
die BK-Liste scheitert. Allerdings erweisen sich dann solche bereits überprüften Erkenntnisse wiederum als neu, wenn sie sich
nach diesem Zeitpunkt zusammen mit weiteren, später hinzukommenden Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben. Eine derartige
Verdichtung ist anzunehmen, wenn dem Verordnungsgeber ausreichende, regelmäßig von einer herrschenden Meinung getragene medizinisch-wissen-schaftliche
Erkenntnisse vorliegen, die geeignet wären, die Einführung einer neuen BK i.S.v. § 551 Abs. 1 S. 2
RVO bzw. jetzt §
9 Abs.
1 S. 2
SGB VII zu tragen. Ob und gegebenenfalls inwieweit sich der Verordnungsgeber mit der betreffenden Krankheit und der zu ihr bestehenden
wissenschaftlichen Erforschung befasst hat, welche Erkenntnisse er überhaupt berücksichtigen konnte und welche Entscheidungen
eventuell diesbezüglich bereits getroffen wurden (entweder eine Ablehnung der Aufnahme in die BK-Liste wegen unzureichender
Erkenntnisse oder die beabsichtigte Aufnahme in die BK-Liste oder praktisch keine Entscheidung trotz Befassung des Sachverständigenbeirates
bei dem BMA mit den vorliegenden Erkenntnissen), kann - sofern vorhanden - an der Veröffentlichung von Empfehlungen des Beirates
im Bundesarbeitsblatt abgelesen werden. Ist jedoch zu dem betreffenden Krankheitsbild noch keine Empfehlung des Sachverständigenbeirats
veröffentlicht worden, kann Art und Umfang der Befassung des Verordnungsgebers in erster Linie durch Einholung einer aussagekräftigen
und detaillierten sachverständigen Auskunft festgestellt werden. In gleicher Weise bieten sich zu diesem Zweck die Beiziehung
der Protokolle von Ausschusssitzungen und - falls dies noch nicht zu genügender Klarheit führt - schließlich auch die Vernehmung
von Mitgliedern des Sachverständigenbeirates als Zeugen an. Ergibt sich bei diesen Feststellungen, dass sich der Verordnungsgeber
erkennbar mit den betreffenden Erkenntnissen befasst und diese als unzureichend für die Einführung einer BK abgelehnt hat,
ist die Anerkennung und Entschädigung einer Krankheit wie eine BK durch Verwaltung und Gerichte ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R m.w.N.).
Die Voraussetzungen für eine in der
BKV bereits bezeichnete Krankheit lagen im Falle des V. nicht vor.
Allerdings gelangt der Senat nach Maßgabe der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung und unter Auswertung der eingeholten
Auskünfte zu der Überzeugung, dass zum letztmöglichen Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls - Tod des V. am 20.12.1993
- keine wissenschaftliche Erkenntnisse vorlagen, die die Annahme einer Wie-BK "Krebserkrankungen durch Nitrosamine" zugelassen
hätten. Hierbei stützt sich der Senat auf die eingeholten Auskünfte beim I. - Referat IV a 4 und die in diesem Zusammenhang
beigezogenen Niederschriften über die Beratungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung -.
Aus den genannten Auskünften und Beratungsprotokollen ergibt sich, dass im Jahr 1993 erstmals vom Beirat beschlossen wurde,
die Thematik "Krebserkrankungen in der Gummiindustrie (Nitrosamine)" zu beraten. Hierbei kam der Sachverständigenbeirat in
der 36. Sitzung vom 26.05.1998 zu dem Ergebnis, dass für Krebserkrankungen der Lokalisationen Lunge, Kehlkopf und Magen (u.a.
- z.B. Colon, Rectum, Leber, Pankreas -) auf epidemiologischem Wege kein Nachweis der Überhäufigkeit nach einer hohen Nitrosaminexposition
erbracht werden konnte. Für Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes und mit Abstufungen auch von ZNS/Gehirn und Prostata
gebe es zwar Hinweise auf ein erhöhtes Risiko nach einer hochgradigen Exposition, die sich aber noch nicht zur BK-Reife verdichtet
hätten. Eine Anerkennung als Berufskrankheit (nach §
9 Abs.
1 SGB VII bzw. §
9 Abs.
2 SGB VII) wurde daher nicht empfohlen. Es wurde beschlossen, die wissenschaftlichen Studien fortzusetzen bzw. zu erweitern und bis
zum Vorliegen neuer Erkenntnisse das Thema in der Sektion nicht mehr zu beraten. In der 52. Sitzung der am 21.11.2001 wurde
der Beschluss gefasst, die Beratungen ohne Begrenzung auf die Gummiindustrie wieder aufzunehmen. Am 10. und 11.05.2004 wurde
deshalb eine mögliche Berufskrankheit "Krebserkrankungen durch Nitrosamine" inhaltlich beraten. Hierbei wurde abschließend
zusammenfassend festgestellt, dass weder bezüglich einer bestimmten Organlokalisation noch bezüglich des kausalen Agens derzeit
Erkenntnisse mit BK-Reife vorliegen würden. Vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnislage stelle sich dieselbe
Situation wie 1998 dar. Der Sachverständigenbeirat beschloss, das Thema erneut auszusetzen.
Vor dem Hintergrund, dass der Verordnungsgeber anlässlich der verschiedentlichen Neufassungen bzw. Änderungsverordnungen zur
BKV nach Erlass der Zweiten Verordnung zur Änderung der
Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992 eine Berufskrankheit "Krebserkrankungen durch Nitrosamine" nicht in die
BKV aufgenommen hat und der Sachverständigenbeirat noch im Jahr 2004, also ca. 11 Jahre nach dem Tod des V., auf Grundlage der
vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse eine BK-Reife nicht feststellen konnte, sieht der Senat keine Möglichkeit, zum
20.12.1993 das Vorliegen einer Wie-BK "Krebserkrankungen durch Nitrosamine" anzunehmen.
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch keiner der im gesamten Verlauf des Verfahrens gehörten Sachverständigen
die - den Feststellungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - entgegengesetzte
- Auffassung vertreten hat, dass epidemiologische Studien vorliegen würden, die einen Zusammenhang zwischen der Einwirkung
von Nitrosaminen und Krebserkrankungen (insbesondere Darmkrebserkrankungen) belegen könnten, bzw. dass eine entsprechende
gruppenspezifische Risikoerhöhung nachgewiesen wäre. So führt Professor Dr. R. in seinem Zusammenhangsgutachten vom 23.01.1995
aus, dass "die krebserzeugende Wirkung der Nitrosamine beim Menschen im strengen Sinne nicht bewiesen ist und naheliegenderweise
auch experimentell nicht bewiesen werden kann" und "letztlich nur durch langwierige epidemiologische Untersuchungen an großen
Kollektiven zu untermauern wäre". Dr. S. führt in seinem wissenschaftlich-toxikologischen Gutachten vom 15.05.1996 aus, dass
die krebserzeugende Wirkung von Nitrosaminen in zahlreichen Tierversuchen nachgewiesen sei. Allerdings sei ein direkter Beweis
für die krebserzeugende Wirkung beim Menschen bisher nicht möglich. Epidemiologische Daten über einen Zusammenhang zwischen
Nitrosaminenexposition und Krebshäufigkeit würden fehlen. Es gebe keinen Beweis dafür, dass Nitrosamine Darmkrebs hervorrufen
würden. Prof. Dr. N. schreibt in seinem arbeitsmedizinischen Fachgutachten vom 30.01.1997, dass die Verursachung von Darmkrebs
durch NDELA nur aus allgemeinen Überlegungen zur Wirkung einer Gruppe krebserzeugender Nitrosamine abgeleitet werden könne,
nicht aber aus tierexperimentellen und epidemiologischen Befunden. Epidemiologisch erscheine eine Häufung von Krankheit bei
Exponierten gegenüber Kühlschmierstoffen nicht als zweifelsfrei gesichert. Dies gelte auch für andere Bereiche beruflicher
Nitrosamin-Belastung. Es bestünde ein allgemeiner wissenschaftlicher Konsens bezüglich des Ursachenzusammenhangs zwischen
beruflicher Exposition gegenüber Kühlschmierstoffen und dem Entstehen von Hautkrebs, nicht aber im Hinblick auf andere Krebserkrankungen.
Da es jedoch aus seiner Sicht bedauerlich wäre, wenn dem beruflich verursachten Krebsleiden des V. aus formaljuristischen
Gründen die Anerkennung verweigert würde, möchte er eine Anerkennung nach § 551 Abs. 2
RVO empfehlen. Professor Dr. Dr. B. weist in einem weiteren toxikologischen Gutachten vom 19.10.1999 darauf hin, das aus den
Resultaten bislang durchgeführter Tierexperimente lediglich geschlossen werden könne, dass sich keine Hinweise ergeben hätten,
dass NDELA geeignet sein könnte, Dickdarmkrebs auszulösen. Unter Abarbeitung sämtlicher bis zum Gutachtenszeitpunkt vorliegenden
Studien und bekannten Einzelfälle, in denen das Vorliegen einer Wie-BK Krebserkrankung nach Umgang mit Kühlschmierstoffen
und Nitrit anerkannt oder abgelehnt wurde, kommt Prof. Dr. Dr. B. zu dem Ergebnis, dass beim aktuellen Stand medizinischer
Erkenntnisse die Behauptung, dass eine hohe NDELA-Konzentration an der Darmschleimhaut kanzerogen wirken könnte, rein spekulativ
sei. Untersuchungen bei Arbeitern in der deutschen Gummiindustrie würden sogar dagegen sprechen, dass durch die berufliche
Schadstoffbelastung eine Krebserkrankung im Bereich des Colons ausgelöst werden könne. Dabei weist der ärztliche Sachverständige
darauf hin, dass die Nitrosamin-Exposition in der Gummiindustrie beträchtlich höher ist als in der Metallverarbeitung, in
der V. beschäftigt war. Zusammenfassend könne nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen allenfalls davon gesprochen werden,
dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Kühlschmierstoffexposition und Erkrankung an Dickdarmkrebs möglich sei. Prof. Dr.
rer. nat. E. schreibt in seinem toxikologischen Gutachten vom 21.03.2003, dass Nitrosamine Tumore in unterschiedlichsten Organen
bei Versuchstieren ausgelöst hätten. Die Lokalisation des Tumors wäre dabei von Art, Höhe und Dauer der Exposition sowie von
der Tierspezies abhängig gewesen (so auch Dr. S. in seinem Gutachten vom 09.09.2003, wobei dieser darauf hinweist, dass die
Tumorlokalisation auch von der Art des Nitrosamins abhängig gewesen sei; bei NDELA seien als Zielorgane die Leber, die Niere
und der Respirationstrakt beschrieben, der Dickdarm sei dagegen für keine der an Arbeitsplätzen möglicherweise vorkommenden
Nitrosamine als Zielorgan einer Tumorentstehung beschrieben). Bis heute sei allerdings nicht klar, welche Organe des Menschen
auf die Exposition durch Nitrosamine mit der Entstehung von Tumoren reagieren würden. Eine Vorhersage von Tumorlokalisation
für den Menschen sei derzeit nicht zuverlässig möglich. Aus diesen Gründen sei die Forderung nach epidemiologischer Feststellung
von Zusammenhängen zwischen Exposition am Arbeitsplatz und Tumorhäufigkeit im Fall der Nitrosamine zwar gerechtfertigt, aber
mit der geforderten Aussagekraft angesichts meist kleiner exponierter Populationen mit den Methoden der beobachtenden Epidemiologie
nur schwer zu realisieren. Die Tatsache, dass bisher für NDELA noch keine Daten aus Tierversuchen vorliegen würden, die eine
Induktion von Tumoren im Kolon belegen würden, könne aber nicht als Begründung für die Ansicht dienen, dies mache eine NDELA-bedingte
Tumorlokalisation im Kolon des Menschen unwahrscheinlich. Vielmehr sei eine solche keineswegs unerwartet. Dr. S. führt in
seinem Gutachten vom 09.09.2003 und der ergänzenden Stellungnahme vom 27.01.2004 schließlich aus, dass weder eine signifikante
Erhöhung noch eine signifikante Erniedrigung des Dickdarmkarzinoms bei Umgang mit Kühlschmiermitteln aus den vorhandenen wissenschaftlichen
Studien abgeleitet werden könnte. Allenfalls lägen einzelne Hinweise vor, die möglicherweise auf ein leicht erhöhtes Risiko
des Dickdarmkarzinoms bei Umgang mit Kühlschmiermitteln hinweisen würden. Es sei letztendlich nicht zu belegen, dass bei einer
Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen (mit Nitrosaminen)
ausgesetzt sei, in erheblich höherem Grade als bei der übrigen Bevölkerung Tumorerkrankungen im Sinne von Dickdarmkarzinomen
auftreten würden. Das Gutachten vom Professor Dr. F. vom 08.04.2009 liefert dagegen für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen
der Einwirkung von Nitrosaminen und Krebserkrankungen (insbesondere Darmkrebserkrankungen) bzw. nach einer gruppenspezifischen
Risikoerhöhung keine verwertbaren Antworten. Die entsprechenden Beweisfragen des Gerichts beantwortet der ärztliche Sachverständige
vielmehr ausschließlich unter dem Aspekt des vorliegenden Einzelfalls und damit bezogen auf den Kausalzusammenhang zwischen
der Exposition des V. und seiner Krebserkrankung. Hierbei führt er u.a. aus, dass der Mangel an Information nicht dem betroffenen
Versicherten und besonders nicht den Angehörigen von verstorbenen Betroffenen zum Nachteil gereichen dürfe. Auch ohne epidemiologische
und aufwändige Studien müsse die Zusammenhangfrage als geklärt gelten. Dabei legt der Sachverständige zu Grunde, dass V. lange
Zeit verseuchten Kühlschmiermitteln, PCB und Dioxinkontamination ausgesetzt gewesen sei, ohne diese Einwirkungen konkret zu
belegen und zu quantifizieren. Genauso wenig hat der Senat Anhaltspunkte dafür, dass V. entsprechend den Behauptungen des
Prof. Dr. H. jahrelang gegenüber Sprühnebeln auf der Haut und in der Atemluft exponiert gewesen wäre, ohne dass überhaupt
klar wird, welche Zusammensetzung diese gehabt haben sollen. Genauso legt der Sachverständige - wie bereits ausgeführt (s.o.)
- in irriger Weise seiner Bewertung zugrunde, dass V. nicht an einem Dickdarmkarzinom erkrankt gewesen sei. Letztlich kommt
Prof. Dr. H. zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung der im Arbeitsumfeld erworbenen Berufskrankheit des V., die wegen toxischer
Belastungen durch multiple Substanzen keine Substanzkrankheit mehr sein könne, nicht länger auf die Berufskrankheitenreife
hin verschoben werden dürfe. Dass eine Anerkennung der Wie-BK auf Grundlage einer solchen Äußerung eines Gutachters nicht
möglich ist, bedarf aus Sicht des Senats keiner weiteren Erörterung.
Ergänzend verweist der Senat auf die Ausführungen des SG im Urteil vom 27.06.2002 im Verfahren S 5 U 259/97 und auf den Hinweis des LSG in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2006 im Verfahren L 17 U 275/02, der zur Berufungsrücknahme im ersten Gerichtsverfahren geführt hat.
Nach alledem stellt der Senat fest, dass die Erkrankung des V. an einem Dickdarmkarzinom nicht als Wie-BK anzuerkennen ist
und damit auch die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche nicht gegeben sind.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG war daher zurückzuweisen.
Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich ohne weiteres, dass der Senat den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise
gestellten Anträgen der Kläger wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit nicht entsprechen musste.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 u. 2
SGG), sind nicht ersichtlich.