Tatbestand:
Der 1949 geborene Kläger war seit 1973 als Warenprüfer und Verzinner, zuletzt als Abteilungsleiter in der Verzinnerei, beschäftigt.
Der technische Aufsichtsdienst der Beklagten erklärte in der Stellungnahme vom 1. April 2004 unter Berücksichtigung der Geräuschmessberichte
von 1998, der Kläger sei 1973 bis 1976 Lärmbelastungen von 90 dB, von 1976 bis 1980 von 85 dB, von 1981 bis 1984 von 90 dB
und seit 1985 von 86 dB ausgesetzt gewesen.
Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. S. berichtete, es zeige sich das Bild einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit beiderseits.
1992 habe noch eine geringgradige Hochtonschwerhörigkeit bestanden. 2001 habe der Kläger eine seit drei Jahren langsam zunehmende
Schwerhörigkeit angegeben. Der Arbeitsmediziner Dr. B. übersandte Audiogramme aus den Jahren 1981 bis 2002. Der Kläger habe
nur zeitweilig im Lärmbereich zu tun gehabt.
Der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. S. führte im Gutachten vom 8. Juni 2004 und der ergänzenden Stellungnahme vom 21.07.2004 aus,
erstmals bei der Untersuchung 1992 erkenne man eine deutliche Schädigung im Hochtonbereich, mit weiterer Zunahme 1995 und
1996. 1997 sei es dann zu einem Abfall in den unteren und mittleren Frequenzen gekommen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) sei mit 20 v.H. zu bewerten.
Die Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. S. erklärte in der Stellungnahme vom 5. Oktober 2004, eine entschädigungspflichtige Lärmschwerhörigkeit
lasse sich nicht völlig ausschließen. Die beidseitige Hochtonsenke sei als Lärmschaden anzuerkennen. Lärmuntypisch seien die
Schwellenanhebungen im Tief- und Mitteltonbereich. Eine Schädigung in diesem Bereich durch die Arbeitsplatzbedingungen sei
nicht wahrscheinlich. Die MdE bezüglich der Folgen der Lärmbelastung sei mit unter 10 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 25. Januar 2005 das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung an. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht.
Im Widerspruchsverfahren führte der Hals-Nasen-Ohrenarzt Prof. Dr. M. im Gutachten vom 6. Februar 2006 aus, die Schwerhörigkeit
könne nicht in vollem Umfang als Lärmschwerhörigkeit angesehen werden, denn der audiometrische Kurvenverlauf sei atypisch.
Außerdem sei eine C5-Senke allenfalls rechts angedeutet nachweisbar. Vestibuläre Zeichen gehörten nicht zum Bild der Lärmschwerhörigkeit
und seien ein Hinweis für eine andere Erkrankung. Der Hörschaden sei durch die Lärmeinwirkung nicht wesentlich verursacht.
Ohne Berücksichtigung der Genese sei die MdE mit 20 v.H. zu bewerten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2006 zurück.
Zur Begründung der Klage machte der Kläger geltend, er sei über 33 Jahre hindurch starker Lärmeinwirkung ausgesetzt gewesen.
Dr. S. habe den Gesundheitszustand zutreffend beurteilt.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. Februar 2007 ab und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die
Ausführungen von Prof. Dr. M ...
Zur Begründung der Berufung wandte der Kläger ein, die langjährige Lärmeinwirkung sei die alleinige Ursache für die Lärmschwerhörigkeit.
Andere Ursachen seien nicht ersichtlich. Vor der Tätigkeit sei er nicht schwerhörig gewesen, auch leide er unter keiner erblichen
Vorbelastung. Lärmmessungen für die Zeit vor 1998 fehlten.
Der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Prof. Dr. S. führte im Gutachten vom 1. April 2008 aus, beim Kläger liege beidseits
eine mittelgradige Schwerhörigkeit vor. Ohne Zweifel sei er einer Lärmbelastung ausgesetzt gewesen, die eine Lärmschwerhörigkeit
verursachen könne. Die Entwicklung der Schwerhörigkeit sei aber für eine Lärmschwerhörigkeit ganz untypisch. 1988 habe sich
eine geringe Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beidseits gezeigt, dagegen eine stärker ausgebildete Tieftonschwerhörigkeit.
Sie sei mit einer Lärmschwerhörigkeit schwer vereinbar und mit Wahrscheinlichkeit nicht lärmbedingt, sondern durch andere
Ursachen wie eine Degeneration von Haarzellen verursacht. Dagegen sei die Hochton-Innenohrschwerhörigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit
lärmbedingt. Die lärmbedingte MdE sei auf etwa 10 v.H. einzuschätzen.
Mit Schreiben vom 16. Juli 2008 übersandte die Beklagte eine Stellungnahme des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. T. vom 14. Juli
2008. Darin wird ausgeführt, Dr. T. stimme der Einschätzung von Prof. Dr. S. bezüglich der Beurteilung des lärmbedingten/nichtlärm-bedingten
Anteils der Schwerhörigkeit vorbehaltlos zu. Denn allenfalls der Hochtonverlust sei auf die Lärmeinwirkung zurückführbar,
die Mittel- und Tieffrequenzabsenkung sei dagegen eindeutig lärmunabhängig entstanden. Der nicht auf Lärm zurückführbare Schwerhörigkeitsanteil
überwiege absolut; demnach sei ihm bei der MdE-Bewertung der gesamte Hörverlust anzulasten.
Der Kläger wiederholt seine Anträge
zur Hauptsache aus dem Schriftsatz vom 14. März 2007 mit der Maßgabe, dass in Ziffer 2 Stützrente nach einer MdE um 10 v.H.
zu gewähren ist. Hilfsweise stellt er seinen Antrag auf dem Schreiben vom 4. August 2008 auf S. 2, letzter Absatz.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Unstreitig liegt beim Kläger eine Lärmschwerhörigkeit im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung vor. Eine MdE von mindestens 10 v.H., die zusammen mit der wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 31. August 1992 gegebenen
MdE um 10 v.H. zur Gewährung einer Stützrente gemäß §
56 Abs.
1 S. 2 des Siebten Sozialgesetzbuches (
SGB VII) führen würde, ist aber nicht zu begründen.
Prof. Dr. S. hat überzeugend darauf hingewiesen, dass die Entwicklung der Schwerhörigkeit für eine Lärmschwerhörigkeit ganz
untypisch ist. Schon 1988 zeigte sich eine geringe Hochton-Innenohrschwerhörigkeit beidseits, dagegen eine stärker ausgebildete
wannenförmige Tieftonschwerhörigkeit, die zumindest auf dem rechten Ohr auch 1989, auf dem linken Ohr 1992 und in den weiteren
Jahren beidseits dokumentiert ist. Sie ist, so Prof. Dr. S., mit einer Lärmschwerhörigkeit schwer vereinbar. Die Schwerhörigkeit
im Tiefton- und Mitteltonbereich ist daher mit Wahrscheinlichkeit nicht lärmbedingt, sondern hat andere Ursachen, wie z.B.
eine Degeneration der Haarzellen. Wie auch Prof. Dr. M. erläutert hat, ist daher die jetzt bestehende Schwerhörigkeit nicht
in vollem Umfang als Lärmschwerhörigkeit anzusehen, denn abgesehen von dem atypischen audiometrischen Kurvenverlauf war eine
C5-Senke allenfalls rechts angedeutet nachweisbar. Die C5-Senke gilt als typisch für eine Lärmschwerhörigkeit (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 422). Auch sind die vestibulären Zeichen Hinweis für eine andere Erkrankung,
so Prof. Dr. M ...
Die Einwendung des Klägers, andere Ursachen für das Entstehen der Schwerhörigkeit seien nicht ersichtlich, ist nicht überzeugend,
da Schwerhörigkeit auch bei Menschen, die keinerlei Lärm ausgesetzt waren, auftritt. Insofern erübrigt sich die Beiziehung
der medizinischen Unterlagen der Bundeswehr. Die von den Betriebsärzten in den Jahren von 1981 bis 2002 erhobenen audiometrischen
Untersuchungsbefunde und Messergebnisse liegen bereits vor.
Wie Prof. Dr. S. im Gutachten erläutert hat, ist die Differenzierung des lärmbedingten Anteils der Schwerhörigkeit im Hochtonbereich
schwierig zu beziffern. Er verweist darauf, dass der gesamte Körperschaden einheitlich zu beurteilen ist, schätzt die lärmbedingte
MdE dagegen auf etwa 10 v.H ...
Nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre ist der gesamte Körperschaden einheitlich zu beurteilen,
wenn sich Einwirkungen untrennbar gegenseitig beeinflussen und so das Hörorgan gleichlaufend befallen wird. Es sind dann beide
Einwirkungen in ihrer Beziehung zur Schwerhörigkeit zu werten mit der Folge, dass die gesamte Schwerhörigkeit entweder durch
die Lärmeinwirkung wesentlich verursacht ist oder eine solche rechtlich bedeutsame Kausalität verneint werden muss. Die Lärmeinwirkung
muss bei vernünftiger und lebensnaher Betrachtung zu der Schwerhörigkeit in einer besonders engen Beziehung stehen und so
zu ihrem Entstehen wesentlich beigetragen haben. Dies trifft nicht zu, wenn die schädigungsunabhängigen Faktoren die Lärmeinwirkung
an Bedeutung völlig zurückdrängen (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, aaO., S. 446).
Zu unterscheiden ist also zwischen der lärmbedingten Hochtonschwerhörigkeit und der nach übereinstimmender Auffassung der
gehörten ärztlichen Sachverständigen eindeutig nicht lärmbedingten Tieftonschwerhörigkeit. Lärmunabhängig sind, worauf schon
Dr. S. überzeugend hingewiesen hat, die massiven Schwellenanhebungen im Tief- und Mitteltonbereich. Dagegen ist die beidseitige
Hochtonsenke als Lärmschaden anzusehen. Die sich später, insbesondere ab 1997, bei gleich bleibendem Hochtonverlust entwickelnde
und zunehmende Schwerhörigkeit im Tieftonbereich stellt einen abgrenzbaren Nachschaden dar. Der lärmbedingte Anteil der Schwerhörigkeit
- im Hochtonbereich - ist mit keiner höheren MdE als unter 10 v.H. einzuschätzen. Denn bei einem prozentualen Hörverlust von
50 % sowohl auf dem rechten als auch auf dem linken Ohr wäre ohne Unterscheidung zwischen lärmbedingter und nicht lärmbedingter
Schwerhörigkeit eine MdE um 30 v.H. anzusetzen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO. S. 440). Dr. S. hat den Anteil der
lärmbedingten MdE auf unter 10 v.H. eingeschätzt, Prof. Dr. S. auf etwa 10 v.H ... Damit tritt der schädigungsunabhängige
Faktor, nämlich die Schwerhörigkeit im Tief- und Mitteltonbereich, so in den Vordergrund, dass die Lärmeinwirkung in ihren
Auswirkungen auf das Hörvermögen demgegenüber nur eine geringe Bedeutung hat. Die Schwerhörigkeit ist damit durch die Lärmeinwirkung
nicht wesentlich verursacht.
Der Senat sah keine Veranlassung, dem Hilfsantrag zu folgen: eine erneute Stellungnahme des ärztlichen Sachverständigen Prof.
Dr. S. war nicht veranlasst. Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß §
128 Abs.
1 S. 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber,
inwieweit gesundheitliche Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche
Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE. Die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen
Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze bilden dabei die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE. Neben
diesen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind aus der gesetzlichen Definition sowie den
Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten. Eine weitere Stellungnahme von
Prof. Dr. S. ist nicht erforderlich, da seine Ausführungen nicht erläuterungsbedürftig sind.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.