Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung weiterer Folgen des Unfalls vom 7. November 1974 und die Gewährung einer Rente nach einer MdE
von 10 v.H. ab 1. Januar 2002 sowie nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. ab 1. Dezember 2005.
Dem 1949 geborenen Kläger fiel am 7. November 1974 eine Eisenstange auf die Wirbelsäule. Die Röntgenaufnahmen vom Unfalltag
zeigten eine Einbuchtung der Deckplatte des 3. Lendenwirbelkörpers sowie eine Konturunterbrechung an der vorderen Kante. Im
Gutachten vom 21. April 1975 führte der Chirurg Dr. S. aus, durch den Unfall sei es zu einem Stauchungsbruch des dritten Lendenwirbelkörpers
unter ganz geringer Höhenminderung gekommen, der knöchern fest verheilt sei. Die MdE schätzte er auf 20 v.H. ein. Im Gutachten
vom 10. November 1975 erklärte Dr. S., die endgradige Einschränkung der Seitwärtsneigung und die Beschwerden bedingten ab
1. November 1975 eine MdE um 10 v.H ...
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 12. Dezember 1975 als Folgen des Arbeitsunfalls endgradige Bewegungseinschränkung der
Lendenwirbelsäule sowie glaubhafte Beschwerden nach knöchern fest verheiltem Bruch des 3. Lendenwirbelkörpers an. Die MdE
wurde vom 13. Januar 1975 bis 31. Oktober 1975 mit 20 v.H. bewertet.
In den Gutachten vom 19. Juni 1980 und 10. April 1981 schätzte Dr. S. die MdE mit unter 10 v.H. ein. Die Beklagte lehnte daraufhin
den Antrag des Klägers auf Wiedergewährung der Rente mit Bescheid vom 29. Mai 1981 ab.
Wegen der Folgen eines Unfalls vom 28. April 1979 erhält der Kläger Rente, zuletzt nach einer MdE um 40.H ...
Gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. L. machte der Kläger am 18. Mai 1998 zunehmende Kreuzschmerzen geltend. Der Neurologe Dr.
D. bestätigte am 22. Oktober 1998 ein lumbales und cervikales Wurzelreizsyndrom.
Der Chirurg Prof. Dr. B. erklärte nach Untersuchung des Klägers am 29. August 2005, die der Klärung von Folgen sowohl des
Unfalls vom 28. April 1979 als auch des streitgegenständlichen Unfalls diente, eine Trennung der unfallbedingten und der schicksalhaften
Erkrankungen an der Wirbelsäule sei nicht ohne weiteres möglich.
Im Gutachten vom 17. Februar 2006 führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. aus, gegenüber dem Befund von Dr.
D. ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte. Eine fassbare radikuläre Symptomatik liege nicht vor. Die Sensibilitätstörungen
seien nicht eindeutig zuordbar. Auf neurologischem Fachgebiet lägen keine Folgen der LWK-3-Fraktur vor.
Der Chirurg Dr. G. führte im Gutachten vom 8. März 2006 aus, die LWK-3-Fraktur sei stabil verheilt. Auch die anfängliche leichte
Skoliose habe sich nicht wesentlich geändert. Auffällig sei die schnelle Zunahme degenerativer Veränderungen, für die aber
die 30 Jahre zurückliegende stabile Fraktur nicht ursächlich verantwortlich gemacht werden könne. Der überwiegende Teil der
Beschwerden resultiere aus der Degeneration und könne nicht den Unfallfolgen angelastet werden. Die MdE sei mit 10 v.H. einzuschätzen.
Der beratende Arzt der Beklagten, der Chirurg Dr. B., erklärte in der Stellungnahme vom 15. Mai 2006, die unkomplizierte Schädigung
im Deckplattenbereich des 3. Lendenwirbelkörpers, die mit keinen weitergehenden begleitenden Verletzungen einhergegangen sei
und über Jahrzehnte keine Reaktion verursacht habe, habe keinen Zusammenhang mit der allgemeinen Degenerationsentwicklung
der ganzen Wirbelsäule. Die MdE liege deutlich unter 10 v.H ...
Mit Bescheid vom 23. Juni 2006 lehnte die Beklagte eine Neufeststellung der Rente und Übernahme weiterer Heilbehandlungskosten
ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2006 zurück.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Prof. Dr. R. führte im Gutachten vom 6. Februar 2007
aus, die ausgedehnten Veränderungen der Lendenwirbelsäule stünden nicht in Zusammenhang mit dem Unfall, bestimmten aber ausschließlich
oder ganz überwiegend die Beschwerden. Eine unfallbedingte MdE sei nicht mehr feststellbar.
Der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. B. erklärte im Gutachten vom 13. Juli 2007, ohne die Formänderung
des Lendenwirbelkörpers wären mit Wahrscheinlichkeit die Abnutzungsveränderungen geringer ausgefallen. Unter Berücksichtigung
der Tatsache, dass unfallfremde Faktoren ebenfalls wesentlich mitgewirkt hätten und alleinige Ursache im Bereich der unteren
Lenden- und der unteren Brustwirbelsäule seien, werde die MdE ab Dezember 2005 auf 20 v.H. geschätzt.
Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Prof. Dr. B. vom 9. August 2007, in der ausgeführt wird,
es erscheine unwahrscheinlich, dass die stabil verheilte Fraktur eine ganze Kaskade von Bandscheibenveränderungen und Degenerationen
ausgelöst haben solle. Dagegen spreche auch, dass sieben Jahre nach dem Unfall eine Verbiegung der Wirbelsäule nur ganz angedeutet
zu sehen gewesen sei. Wäre eine unfallbedingte Instabilität wesentliche Ursache des Verbiegungsprozesses gewesen, so hätte
es zu diesem Zeitpunkt schon zu deutlicheren Formveränderungen führen müssen. Dem Krankheitsbild der degenerativen Lumbalskoliose
komme der wesentliche Anteil am Gesamtgeschehen zu. Die MdE sei mit unter 10 v.H. einzuschätzen.
Mit Urteil vom 7. November 2007 verurteilte das Sozialgericht Augsburg die Beklagte, beim Kläger eine unfallbedingte Bewegungseinschränkung
und Belastungsminderung der Lendenwirbelsäule als Unfallfolge anzuerkennen und mit einer MdE von 10 v.H. ab 1. Januar 2002
und ab 1. Dezember 2005 nach einer MdE von 20 v.H. zu entschädigen. Das Gericht stützte sich dabei auf die Ausführungen von
Dr. B ...
Die Beklagte verwies zur Begründung ihrer Berufung auf die Stellungnahmen von Dr. B. und Prof. Dr. B. sowie auf das Gutachten
von Prof. Dr. R ...
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. F. führte im Gutachten nach Aktenlage vom 8. April 2008
aus, der Unfall habe nach verletzungsbedingter Konturunterbrechung der oberen Vorderkante eine diskrete Keilform des 3. Lendenwirbelkörpers,
aber keine messbare Achsabweichung verursacht. Die multisegmentale Bandscheibenschädigung der Lendenwirbelsäule sei dagegen
schicksalhaft entstanden, nämlich als Folge einer Scheuermanschen Erkrankung. Die MdE liege unter 10 v.H ... Wegen der Unfallfolgen
seien Rehabilitationsmaßnahmen nicht erforderlich. In der ergänzenden Stellungnahme vom 30. Juni 2008 bekräftigte Dr. F. auf
Anfrage des Senats nochmals, dass die verletzungsbedingte Konturunterbrechung der Vorderkante des 3. Lendenwirbelkörpers weder
Funktionseinschränkungen noch subjektive Beschwerden zur Folge habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. November 2007 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23. Juni 2006
in Gestalt des Widerspruchbescheides und 12. September 2006 abzuweisen.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und sachlich begründet.
Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich nach den bis 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), da der geltend gemachte Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch
vor dem 1. Januar 1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§
212,
214 Abs.
3 Siebtes Sozialgesetzbuch -
SGB VII - i.V.m. § 580
RVO)
Der Kläger hat unstreitig am 7. November 1974 einen Arbeitsunfall erlitten. Eine MdE um wenigstens 10 v.H., die Voraussetzung
für die Gewährung einer Stützrente wäre, liegt ab 2002 nicht mehr vor. Im Vergleich zu den Befunden, die dem Bescheid vom
12. Dezember 1975 zu Grunde gelegen haben, ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass dieses Bescheides bestanden
haben, keine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 des 10. Sozialgesetzbuchs - SGB X - eingetreten. Insbesondere ist keine Verschlimmerung der Unfallfolgen eingetreten, die zu einer Erhöhung der MdE führen
könnte.
Der ärztliche Sachverständige, der Orthopäde Dr. F., hat im Gutachten vom 8. April 2008 zu sowie der ergänzenden Stellungnahme
vom 30. Juni 2008 überzeugend erläutert, dass nur eine MdE von unter 10 v.H. gegeben ist. Durch den Unfall ist es zu einer
geringgradigen Keilwirbelbildung nach verletzungsbedingter Konturunterbrechung der vorderen Oberkante des 3. Lendenwirbelkörpers
gekommen. Wie Dr. F. erklärt, stellt die Bandscheibenerniedrigung zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbelkörper dagegen keine
Unfallfolge dar. Ursache der Bandscheibenerniedrigung ist vielmehr die Verlagerung des Bandscheibengewebes in die Deckplatte
des Wirbelkörpers aufgrund des Schmorlschen Knötchens, einer Folge der im Jugendalter abgelaufenen Scheuermann-Erkrankung.
Durch diese Erkrankung ist es auch zu Keilformbildungen am 1. Lendenwirbelkörper und einer Abflachung der Unterkante des 2.
Lendenwirbelkörpers gekommen. Während die Deck- und Grundplatten des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers völlig glatt sind und keine
wachstumsbedingte Eindellung aufweisen, sind sämtliche anderen Segmente der Lendenwirbelsäule durch Bandscheibeneinengungen
gekennzeichnet - Folgen der Scheuermann-Erkrankung mit Schmorl-Knötchen beziehungsweise im letzten Segment mit Gleitwirbelbildung.
Dr. F. betont, dass abgesehen von der diskreten Vorderkantenabflachung des 3. Lendenwirbelkörpers, die aber zu keiner messbaren
Achsabweichung geführt hat, keinerlei Verletzungsfolgen an der Lendenwirbelsäule festzustellen sind. Dies gilt insbesondere
für die seitliche Abweichung, die sich durch die Erniedrigungen an den benachbarten Wirbelkörpern erklärt, also keine Unfallfolge
ist.
Mit dieser Beurteilung befindet sich Dr. F. in Übereinstimmung mit Dr. B. und Prof. Dr. B ...
Nicht gefolgt werden kann den Überlegungen von Dr. B ... Auch er bestreitet nicht, dass eine unfallunabhängige Erkrankung
der Lendenwirbelsäule besteht. Bezüglich der Verletzungsfolgen räumt er ein, dass die Veränderungen des 3. Lendenwirbelkörpers
12 Jahre nach dem Unfall etwa so dargestellt seien wie 1975. Eine Begründung dafür, dass die Formveränderung des 3. Lendenwirbelkörpers
an der Entstehung des danach einsetzenden hochgradigen Abnutzungsschadens der Lendenwirbelsäule einen wesentlichen Anteil
hat, bleibt Dr. B. schuldig. Wenn Dr. B. erklärt, die Annahme sei nahe liegend, dass die ehemalige Verletzung an der Entstehung
der Abnützungsveränderungen und deren Fortschreiten im Bereich LWK 3 beteiligt sein könnte, so deutet er damit auf eine Möglichkeit
des Zusammenhangs, nicht aber auf einen wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang hin. Dies kann umso weniger überzeugen, als
auch Dr. B. die Abnützungsveränderungen der unteren Brustwirbelsäule und im Bewegungssegment L5/S 1 als mit Sicherheit unfallunabhängig
bezeichnet. Es fehlt eine exakte Analyse der Ursächlichkeit der Verformungen der oberen Lendenwirbelsäule, wie sie Dr. F.
vorgenommen hat. Dabei hat Dr. F. darauf hingewiesen, dass im 4. Segment eine intakte Bandscheibe zu sehen ist und die beiden
angrenzenden Deck- und Grundplatten des 4. und 5. Lendenwirbelkörpers völlig glatt sind, während sämtliche anderen Segmente
der Lendenwirbelsäule Folgen der Scheuermann-Erkrankung beziehungsweise im letzten Segment einen Gleitwirbel aufweisen, Veränderungen,
die die seitliche Verbiegung der Wirbelsäule verursacht haben, nämlich aufgrund der Erniedrigungen der Bandscheiben und der
Gefügestörungen, die sich aus den Bandscheibenerniedrigungen ergeben haben.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.