Rücknahme der Berufung
Beendigung der Prozessvollmacht
Beendigung einer Vollmacht gegenüber dem Bevollmächtigten
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Berufungsverfahren L 3 U 22/13 durch Berufungsrücknahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 beendet worden ist.
Zwischen den Beteiligten war in der Sache streitig, ob der Kläger in der Nacht vom 08.11.1999 auf 09.11.1999 bei seiner Arbeit
bei der Firma E. Automobiltechnik GmbH (Firma. E.) einen Arbeitsunfall erlitten hatte. Mit Bescheid vom 06.04.2011 wurde eine
Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 09.11.1999 abgelehnt. Nach Auffassung der Beklagten habe ein Arbeitsunfall nicht
vorgelegen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 02.08.2011 zurückgewiesen. Die Klage zum Sozialgericht
Landshut wurde mit Urteil des Sozialgerichts vom 29.11.2012 abgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger am 17.01.2013 Berufung.
In der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 nahm der Klägerbevollmächtigte im Namen und Auftrag des Klägers die Berufung
zurück. Die Rücknahmeerklärung wurde vorgelesen und genehmigt.
Mit Schreiben vom 09.12.2015 hat der Kläger "Widerspruch gegen den Beschluss (Urteil) vom 24.11.2015" erhoben. Er könne diesen
Beschluss nicht anerkennen, da er auf einer Lüge beruhe. Der Kläger führt weiter aus, sein Bevollmächtigter habe keine Vollmacht
für die Rücknahme der Berufung gehabt. Im Einzelnen wird auf das Schreiben des Klägers vom 23.01.2016 sowie auf seine Ausführungen
mit Schreiben vom 25.10.2016 verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 3 U 22/13 durch die Berufungsrücknahme vom 24.11.2015 erledigt ist.
Der Senat hat die Beklagten-Akten, die Verfahrensakten des Sozialgerichts Landshut sowie die Verfahrensakten des Senats im
Verfahren L 3 U 22/13 beigezogen. Deren wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 U 22/13 ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsverfahren ist durch die Berufungsrücknahme des Bevollmächtigten des Klägers
in der öffentlichen Sitzung des Gerichts vom 24.11.2015 wirksam beendet worden.
Da die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 vom Kläger in Zweifel gezogen worden
ist, wurde das Verfahren fortgeführt und der Senat hat durch Urteil zu entscheiden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller
/ Leitherer,
SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, §
156 Rn. 6). Vorliegend ist die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme festzustellen; eine Entscheidung in der Sache kann daher nicht
ergehen.
Die Berufungsrücknahme wurde vom Klägerbevollmächtigten wirksam abgegeben. Die Erklärung der Rücknahme der Berufung gemäß
§
156 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist eine Prozesshandlung (Keller, a.a.O., §
156 Rn. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a.,
Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., 2014, §§
102 Rn 7c). Diese wurde vom Klägerbevollmächtigten unmissverständlich erklärt und so in die Niederschrift (Protokoll) der mündlichen
Verhandlung vom 24.11.2015 aufgenommen. Die für die Niederschrift geltenden Formvorschriften (§
122 SGG i.V.m. §§
159 bis
165 Zivilprozessordnung -
ZPO -) wurden vorliegend eingehalten. Die Rücknahme der Berufung durch den Klägerbevollmächtigten wurde im Protokoll festgestellt
(§
160 Abs.
3 Nr.
8 ZPO) und dem Klägerbevollmächtigten nochmals vorgelesen und von diesem genehmigt (§
162 Abs.
1 Sätze 1 und 3
ZPO). Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§
122 SGG i.V.m. §§
159 Abs.
1,
163 Abs.
1 Satz 1
ZPO). Eine Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich. Die Beachtung dieser für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten
wird durch das Protokoll bewiesen (§
165 ZPO). Als öffentliche Urkunde erbringt die Niederschrift nach §
118 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
415 ZPO den vollen Beweis über die Abgabe der Erklärungen. Der zulässige Beweis der Unrichtigkeit ist nicht geführt worden (vgl.
LSG Hamburg, Urteil vom 07.09.2011 - L 2 AL 82/08 -, [...] Rn. 23). Der Kläger macht auch eine Unrichtigkeit des Protokolls nicht geltend. Er macht vielmehr geltend, dass
der Klägerbevollmächtigte zur Berufungsrücknahme keine Vollmacht gehabt habe. Der Klägerbevollmächtigte hat jedoch bei Erhebung
der Berufung eine Vollmacht für die Rechtsanwälte G. G. und A. W. vorgelegt (Blatt 7 LSG-Akte). Darin wird ausdrücklich erklärt,
dass der Kläger die vorgenannten Rechtsanwälte unter anderem bevollmächtigt "Widerspruch und Klage zu erheben, Rechtsmittel
einzulegen und alle Prozesshandlungen vorzunehmen ...". Diese Vollmacht wurde durch den Kläger am 11.01.2013 eigenhändig unterschrieben.
Eine Rücknahme der Vollmacht oder ein Widerruf ist beim Senat bis zur mündlichen Verhandlung am 24.11.2015 nicht eingegangen.
Eine Prozessvollmacht ermächtigt zur Prozessführung im Namen des vertretenen Beteiligten. Die Erteilung wird selbst als Prozesshandlung
angesehen (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a.,
Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., 2014, §
73, Rn. 61). Bezüglich der Vollmacht muss das Innen- und Außenverhältnis unterschieden werden. Im Außenverhältnis ergeben sich
aus der vorgelegten Vollmacht keine Zweifel bezüglich deren Wirksamkeit. Insbesondere wurde sie schriftlich verfasst und vom
Kläger eigenhändig unterschrieben. Es gelten nach §
73 Abs.
6 SGG die §§
81,
83 bis
86 ZPO entsprechend. Eine Beschränkung der Vollmacht ergibt sich nicht aus der vorgelegten Urkunde. Eine solche Beschränkung hätte
gegenüber dem Gericht und insbesondere dem Beklagten unzweideutig mitgeteilt werden müssen (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a.,
Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., 2014, §
73, Rn. 71). Eine ausnahmsweise Beschränkung wegen Interessenkollision ist hier nicht erkennbar. Soweit im Innenverhältnis eine
Beschränkung der Vollmacht vorgelegen haben sollte, ist dies jedoch für den Prozessverlauf nicht von Bedeutung. Nach §
85 Abs.
1 Satz 2
ZPO ist nur ganz ausnahmsweise der Widerruf einer tatsächlichen Erklärung möglich, wenn die miterschienene Partei diese sofort
widerruft oder berichtigt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend
war. Darüber hinaus endet eine Vollmacht durch die Beendigung des Prozesses oder bis zum Widerruf gegenüber dem Gericht. Soweit
eine Beendigung gegenüber dem Bevollmächtigten erfolgt, endet eine dem Gericht vorgelegte schriftliche Vollmacht für einen
Rechtsanwalt erst dann, wenn dieser dem Gericht die Beendigung des Mandats anzeigt. Dies ist im vorliegenden Fall ebenfalls
nicht erfolgt. Danach lag eine wirksame Bevollmächtigung im Zeitpunkt der Rücknahme der Berufung vor. Die Rücknahmeerklärung
des Rechtsanwalts wirkt daher unmittelbar für und gegen den Kläger.
Der Kläger kann die Zurücknahme der Berufung als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums, weil er die Verfahrensbeendigung nicht
gewollt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 24.04.2003 - B 11 AL 33/03 B -, [...]; Beschluss vom 19.03.2002 - B 9 V 75/01 B -, [...]; BayLSG, Urteil vom 11.07.2012 - L 10 AL 197/11 -, [...]), oder wegen Drohung anfechten oder sie widerrufen (vgl. Keller, a.a.O., § 156 Rn. 2a; vgl. insgesamt auch: Keller,
a.a.O., vor § 60 Rn. 12 und 12a; BayLSG, Urteil vom 16.10.2001 - L 15 V 37/01 -, [...] m.w.N.). Schließlich kann der Kläger nicht geltend machen, ein Festhalten an der Rücknahmeerklärung würde gegen
Treu und Glauben verstoßen (vgl. Keller, a.a.O., § 156 Rn. 2a). Denn der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter ist in der mündlichen
Verhandlung nicht zu der Berufungsrücknahme "gedrängt" worden. Die Einlassungen des Vorsitzenden sowie seine Erläuterungen
zu den Erfolgsaussichten des Verfahrens waren zutreffend und haben sich im Rahmen der üblichen Verhandlungsführung bewegt.
Etwas anderes wird vom Kläger überdies auch nicht geltend gemacht. Der Senat konnte schließlich davon ausgehen, dass der Klägerbevollmächtigte
die Erläuterungen verstanden hatte und sich daraufhin zur Rücknahme der ohnehin aussichtslosen Berufung bereit erklärt hatte.
Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§§
179,
180 SGG, §§
578 ff.
ZPO) sind nicht gegeben.
Die wirksame Zurücknahme bewirkt somit den Verlust des Rechtsmittels (§
156 Abs.
2 Satz 1
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG).