Anspruchsberechtigter bei Gewährung eines Mehrbedarfs für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts
Tatbestand
Der am … 2005 geborene Kläger begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs für Fahrtkosten.
Die Eltern des minderjährigen Klägers leben getrennt. Der Kläger lebt in der Regel bei seiner Mutter in der Straße ... in
.... Dort ging er bis zum 31. Juli 2021 zur Schule. Nach eigenen Angaben wohnt der Kläger alle zwei Wochen am Wochenende von
Freitag 12 Uhr bis Samstag 18 Uhr bei seinem Vater im ... in ....
Der in H. lebende Vater des Klägers fährt für die Aufenthalte des Sohnes bei ihm in H. jeweils mit seinem PKW nach L., um
den Kläger dort abzuholen, fährt ihn nach H. und im Anschluss an den Aufenthalt wieder von H. nach L., um von dort mit dem
PKW selbst wieder zurück nach H. zu fahren. Dabei entstehen regelmäßig Fahrtkosten für die Strecke von jeweils ca. 60 km von
H. nach L. und wieder zurück, sowie von H. wieder nach L. und zurück.
Der Vater des Klägers bezieht ergänzend zu seiner Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer laufend Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der Beklagte lehnte mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 29. Januar 2021 für den Zeitraum 1. September 2020 bis 28. Februar
2021 die Übernahme von Fahrtkosten als Mehrbedarf des Klägers gegenüber diesem ab, da es sich um Kosten handele, die sich
aus der Ausübung des Umgangsrechts ergäben, aber ein Bedarf des Vaters des Klägers seien und nicht des Klägers. Der Vater
des Klägers müsse den Bedarf beim zuständigen Grundsicherungsträger geltend machen.
Hiergegen legte der Kläger am 10. Februar 2021 durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und erklärte, dass der
Vater lediglich Erfüllungsgehilfe zur Wahrnehmung des Umgangsrechts sei, zu dem der Kläger selbst einen Rechtsanspruch habe.
Zudem sei die Abholung erforderlich, da der Kläger Verhaltens- und Alltagsschwierigkeiten habe. Auf Anforderung des Beklagten
legte der Kläger keinen Nachweis für eine notwendige Begleitung vor.
Der Beklagte erließ am 5. Mai 2021 den Widerspruchsbescheid und hat darauf hingewiesen, dass nach den fachlichen Weisungen
der Bundesagentur für Arbeit für § 21 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ein Mehrbedarf gegeben sei, wenn einem geschiedenen oder getrennt lebenden Elternteil regelmäßig Fahrt und/oder Übernachtungskosten
aufgrund der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seinen Kindern entstünden und diese Kosten nicht aus eventuell vorhandenem
Einkommen, dem Regelbedarf oder Leistungen Dritter bestritten werden könnten. Dies gelte für die Kinder entsprechend, soweit
den Kindern anstelle ihrer Eltern Kosten entstünden. Ein Anspruch des Vaters des Klägers komme vorliegend nicht in Betracht,
da dieser keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Der Vater des Klägers beziehe Leistungen nach dem SGB XII und könne bei dem Träger für Leistungen nach dem SGB XII einen Antrag im Sinne des § 27 a Abs. 4 Satz 1 SGB XII auf Übernahme der Fahrtkosten für das Umgangsrecht mit seinem Sohn stellen. Auch bestehe kein Nachweis darüber, dass die
Begründung für den Mehrbedarf im Sinne des § 21 SGB II in der Person des Klägers liege. Dem Kläger selber entstünden keine Kosten.
Die am 1. Juni 2021 Klage erhobene Klage wies das Sozialgericht Hamburg mit Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 2021 zurück.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe in seinem Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2021 zur Recht darauf hingewiesen,
dass gemäß § 21 SGB II ein Mehrbedarf nur demjenigen zustehe, dem die Kosten entstünden. Dies sei vorliegend nicht der Kläger, sondern der Vater
des Klägers. Wie auch der Kläger in seiner Klagebegründung bereits richtig angeführt habe, sei von einem Mehrbedarf für den
Vater des Klägers auszugehen. Dieser habe aufgrund der Nutzung seines eigenen Pkw und der Fahrt von L. nach H. und gegebenenfalls
zurück auch die entsprechenden Kosten zu tragen. Diese tatsächlich anfallenden Kosten für den Gebrauch des Pkw könnten definitiv
nicht dem minderjährigen Kläger auferlegt werden. Darüber hinaus werde darauf hingewiesen, dass – wie der Beklagte bereits
mitgeteilt habe – es dem Vater des Klägers als Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII freistehe, seine Aufwendungen für sein eigenes Recht am Umgang mit seinem Sohn (dem Kläger) bei dem entsprechenden Sozialhilfeträger
zu beantragen. Die Ausübung des Umgangsrechts mit seinem Sohn sei ein Recht des Vaters als Elternteil im Sinne des §
1684 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Das Recht des Klägers am Umgang mit dem Vater lasse sich aus dem Umgangsrecht des Vaters lediglich ableiten.
Hiergegen hat der Kläger am 24. Januar 2022 Berufung eingelegt.
Diese begründet er dahingehend, dass es in der Sache um einen dem Grunde nach völlig unstreitigen Anspruch gehe, der dem Kläger
als Mitglied einer jedenfalls temporären Bedarfsgemeinschaft zusammen mit seinem Vater auch zumindest neben seinem Vater zustehe.
Der Vater des Klägers habe in der Vergangenheit, als dieser noch Leistungen nach dem SGB II erhalten habe, regelmäßig im Hinblick auf Fahrtkosten einen Zuschuss für Mehrbedarf erhalten, um das Umgangsrecht wahrzunehmen.
Dem Vater des Klägers seien derartige Mehrbedarfsansprüche nach dem SGB XII jedoch mehrfach endgültig bestandskräftig versagt worden und man habe ihn von dort auf das Sozialamt verwiesen, wobei er
selbst von dort keine Leistungen beziehe, da er Grundsicherung erhalte, der Kläger aber als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft
nicht über das Amt für Grundsicherung Leistungen beziehen könne. Vor diesem Hintergrund sei der Antrag auf Gewährung von Fahrkostenzuschuss
letztendlich im Namen des Klägers gestellt worden und, wie der Kläger nunmehr weiterhin meine, völlig zu Unrecht abgelehnt
worden. Zwar entstünden die Fahrtkosten faktisch dem Vater, wenn dieser mit einem ihm zur Verfügung stehenden Fahrzeug die
Besuchskontakte realisiere. Für die Zeit der Besuchskontakte bildeten aber der Kläger und sein Vater eine Bedarfsgemeinschaft,
sodass das Amt für Grundsicherung zutreffender Weise nicht zuständig sei, sondern der Beklagte dieses Verfahrens. Dieser könne
sich nun nicht darauf berufen, dass die Kosten der Vater des Klägers trage, denn die Frage einer temporären Bedarfsgemeinschaft
hätten die Beklagte und das Sozialgericht völlig außen vor gelassen. Zusätzlich sei hierbei zu berücksichtigen, dass diese
Kosten zugunsten des Klägers anfielen und dem Wohle des Klägers dienten. Hinzuweisen sei im Übrigen darauf, dass die Ausübung
des Umgangsrechts auch ein Recht des Kindes gegenüber seinem Vater sei. Dieses müsse dem Kläger ermöglicht werden. In diesem
Verfahren gehe es insoweit nicht um das Recht des Vaters am Umgang mit seinem Sohn, sondern um das Recht des Klägers am Umgang
mit dem Vater. Dieses Recht des Klägers werde aber letztendlich ausgehöhlt und faktisch untergraben, wenn der Vater keine
Fahrtkosten erhalte, die dieser dringend benötige, um das Umgangsrecht zugunsten des Klägers aufrecht zu erhalten. Für den
Umgang fahre der Vater des Klägers mit dem Pkw nach L. und hole seinen Sohn ab, nach dem Umgang bringe er ihn zurück. Eine
Strecke H. L. betrage ca. 60 km, sodass für das Abholen 120 km gefahren würden und für das Zurückbringen weitere 120 km. Bei
einem Kilometersatz von 0,42 Euro ergebe sich pro Umgangstermin ein Betrag von 100,80 Euro. Im Monat fänden mindestens zwei
Umgänge statt, sodass sich ein Betrag in Höhe von 201,60 Euro pro Monat ergebe. Auf das Jahr gerechnet ergebe sich somit ein
Betrag von 2.419,20 Euro. Der Kläger selbst sei durch diesen Betrag ebenfalls beschwert, weil er jedenfalls in der Phase,
in der er sich beim Vater aufhalte und Umgang ausgeübt werde, mit diesem in einer Bedarfsgemeinschaft befinde.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hamburg vom 28. Dezember 2021 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten vom 29. Januar
2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2021 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger gemäß
§ 21 SGB II Leistungen für einen Mehrbedarf für Fahrtkosten zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und zu entscheiden, dass die Kosten gemäß §
193 SGG nicht zu erstatten sind.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid. Soweit vorgetragen werde,
der SGB XII-Leistungsträger sei für die Kosten des Umgangsrechts nicht zuständig, da in den Zeiten des Umgangs der Vater des Klägers
mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft bilde, verfange dies nicht. Die Ansicht sei unvereinbar mit dem Individualprinzip. Im
vorliegenden Berufungsverfahren stünden allein individuelle Ansprüche des Klägers selbst – und nicht diejenigen Ansprüche
seines Vaters – in Rede. Ein Anspruch könne aber nur bei der Person entstehen, die durch den Umgang einen Aufwand habe. Das
sei in der Person des Klägers unstreitig nicht der Fall. Der Aufwand sei allein auf Seiten des Vaters des Klägers zu sehen.
Dieser sei jedoch weder SGB II-leistungsberechtigt noch Partei des vorliegenden Rechtsstreits.Die Berufung sei unzulässig. Aus Sicht des Beklagten stünden
nicht die Leistungen des Klägers in Streit. Das Begehren sei gerichtet auf Ansprüche des Vaters des Klägers gegen den SGB XII-Leistungsträger. Dieses könne im vorliegenden Verfahren indes nicht geklärt werden. Der Kläger selbst sei nicht beschwert,
d.h. die Beschwer sei mit 0 Euro zu beziffern.
Mit Beschluss vom 30. März 2022 hat der Senat die Berufung nach §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens
der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf das Verhandlungsprotokoll und den übrigen Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakten
des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Nach §
153 Abs.
5 SGG kann der Senat durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Eine Berufung ist unstatthaft, wenn ihr Wert bei einer Klage, die eine Geldleistung oder -
wie hier - einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG). Der maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750 Euro. Dieser Wert ist danach zu bestimmen, was das Sozialgericht
dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit den Berufungsanträgen weiterverfolgt wird. Der Kläger macht Fahrtkosten
zumindest für den Zeitraum 1. September 2020 bis 28. Februar 2021 in Höhe von monatlich mindestens 201,60 Euro für sich geltend.
Dies sind für sechs Monate 1.209,60 Euro. Damit bestehen keine Zweifel daran, dass der Berufungswert erreicht ist. Der Kläger
macht zudem geltend, dass es sich dabei um seinen eigenen Anspruch handelt und nicht um einen Anspruch seines Vaters und ist
daher auch beschwert.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide
sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht haben der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid
vom 5. Mai 2021 und das Sozialgericht in seinem Gerichtsbescheid darauf hingewiesen, dass gemäß § 21 Abs. 6 SGB II ein Mehrbedarf nur demjenigen zusteht, dem die Kosten entstehen und dies vorliegend nicht der Kläger, sondern der Vaters
des Klägers ist.
Der Senat nimmt zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides
des Sozialgerichts (§
153 Abs.
2 SGG) sowie die Ausführungen des Beklagten in seinen angefochtenen Bescheiden (§§
153 Abs.
2,
136 Abs.
3 SGG), denen sich der Senat nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage vollumfänglich anschließt.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin. Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger
besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie
unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem
durchschnittlichen Bedarf abweicht. Anspruchsinhaber des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II ist zwar nicht generell der Unterhaltsverpflichtete bzw. derjenige, dem die Kosten der Ausübung des Umgangsrechts unterhaltsrechtlich
zuzuordnen sind (vgl. §
1684 BGB), sondern der jeweils Bedürftige für die bei ihm entstehenden Kosten. Es ist daher zwischen den Aufwendungen des Kindes und
solchen zu unterscheiden, die bei dem umgangsberechtigten Elternteil auftreten (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 (Stand: 25.11.2021), Rn. 108). Vorliegend ist es jedoch der Vater des Klägers, der den PKW organisiert und auch die zum Abholen
und Bringen des Klägers erforderlichen Benzinkosten trägt. Bei ihm fallen die Kosten an und entstehen auch bei ihm. Damit
ist nicht der Kläger der Anspruchsinhaber.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, da hierfür keine Gründe im Sinne des §
160 Abs.
2 SGG vorliegen.