LSG Hamburg, Urteil vom 01.02.2018 - 1 KR 114/16
Beitragspflicht zur Sozialversicherung
Künstlersozialversicherung
Sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Kinderanimation
Zuordnung einer Darbietung zur Unterhaltungskunst oder sonstigen Arten der Unterhaltung
1. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten", auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat er bewusst
verzichtet; dieser Begriff ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen.
2. Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen
soll, mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe
(Künstlerbericht)" aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks. 7/3071) beschäftigt.
3. Maßgebend für die Zuordnung einer Darbietung zur Unterhaltungskunst oder zu sonstigen - nicht künstlerischen - Arten der
Unterhaltung ist, da die individuelle Kunstauffassung sehr unterschiedlich sein kann, im Zweifel die allgemeine Verkehrsauffassung.
4. Eine allgemeine Verkehrsanschauung, die etwa Varietévorführungen zur Unterhaltungskunst zählt, lässt sich indes für den
Bereich der Animation einschließlich der Kinderanimation nicht feststellen.
Normenkette: KSVG § 1 ,
KSVG § 2 S. 1
Vorinstanzen: SG Hamburg 18.11.2016 S 48 KR 699/15
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18.11.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung
sowie der sozialen Pflegeversicherung nach Maßgabe der Vorschriften des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) unterliegt.
Die 1978 geborene Klägerin betreibt seit März 2014 in H. die Firma "D.", mit der sie Animationsprogramme für Kinder insbesondere
für Kindergeburtstage und andere Veranstaltungen anbietet.
Am 26. August 2014 beantragte sie die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG bei der Beklagten. Im Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht gab sie an, als Einzelunternehmerin eine künstlerische
Tätigkeit im Bereich der Musik als Unterhaltungskünstlerin (Tätigkeitsschlüssel M13) sowie im Bereich darstellende Kunst als
Unterhaltungskünstlerin (Kinderanimation; D006 und D19) sowie im Bereich der bildenden Kunst als Performance-/Aktionskünstlerin
(B05) auszuüben. Im laufenden Jahr erziele sie voraussichtlich Einkünfte in Höhe von 2.000,- EUR. Auf Nachfrage der Beklagten
teilte sie mit, dass von ihrer Tätigkeit ca. 90 v.H. auf die Tätigkeit als Unterhaltungskünstlerin und 10 v.H. auf die als
Geschäftsführerin entfielen. Des Weiteren legte die Klägerin einen Flyer vor, in dem es u.a. heißt: "Wir bieten Ihnen tolle
Prinzessinnen-, Superhelden- und Piraten-Charaktere für Kindergeburtstage und Veranstaltungen an. Wählen Sie selbst: Charakter
+ Animationsprogramm = Eine perfekte Mottoparty- Geburtstagspakete ab 99.- EUR". Beigefügt waren u.a. Kopien aus der Webseite
der Klägerin (http://www. D ...de). Hieraus ergibt sich, dass die von der Klägerin angebotenen Party-Pakete je nach Umfang
des Paketes u.a. die Begrüßung des Geburtstagskindes und der Gäste, die Übergabe eines kleinen Geburtstagsgeschenkes, Mottospiele,
Autogrammkarten, Kinderschminken und eine Fotozeit, sowie das Erzählen von Märchen und das Einüben kleiner Tänze und Musikstücke
mit den Kindern enthalten. Auf der Website heißt es unter anderem auch: "Bitte beachten Sie: Bei unseren Märchenfiguren handelt
es sich um Entertainer. Wir bieten Ihnen keine Theateraufführungen, sondern ein spezielles Kinder-Unterhaltungs- bzw. Animationsprogramm
an. Unsere Charaktere basieren auf alten Volksmärchen, wie z.B. der Gebrüder Grimm und Hans-Christian Andersen. Bei den Kostümen,
die unsere Darsteller tragen, handelt es sich um speziell zu diesem Zweck angefertigte Kleidung und nicht um lizenzierte Kostüme
bekannter nationaler und internationaler Unternehmen. Wir bieten Ihnen keine lizenzierten Charaktere an und akzeptieren lediglich
Buchungen von Kunden, die sich dessen bewusst sind." Weiter heißt es: "Ein herzliches und liebevolles Wesen sowie Erfahrung
in der Arbeit mit Kindern, dies sind unsere Grundvoraussetzungen für unsere Mitarbeiterinnen. Da beide Geschäftsführerinnen
selber Mamas sind, wissen wir genau, wieviel Fingerspitzengefühl und Empathie z.B. gerade bei schüchternen Kindern nötig ist.
Wir lieben das, was wir tun, und das spiegelt sich in dem durchweg positiven Feedback unserer Kunden wider."
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 und Widerspruchsbescheid vom 22. April 2015 lehnte die Beklagte die Feststellung der Versicherungspflicht
nach dem KSVG mit der Begründung ab, die Tätigkeit der Klägerin könne nicht als künstlerisch im Sinne des Gesetzes angesehen werden.
Auf die hiergegen erhobene Klage hin hat das Sozialgericht mit Urteil vom 18. November 2016 die angefochtenen Bescheide aufgehoben
und festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Kinderunterhaltungskünstlerin bei der Beklagten seit dem 26. August
2014 gemäß den Vorschriften der Künstlersozialversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung
sowie in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert ist. Zur Begründung ist ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Feststellung
der Versicherungspflicht sei § 1 KSVG. Nach § 2 S. 1 KSVG sei Künstler im Sinne des Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schaffe, ausübe oder lehre. Der Begriff der
künstlerischen Tätigkeit sei aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen. Aus den Materialien
zum KSVG ergebe sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfasse,
mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)"
aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks 7/3071) beschäftige. Im Künstlerbericht der Bundesregierung sei der Beruf der Kinderanimateurin
nicht verzeichnet. Im Bereich "Darstellende Kunst" finde sich allerdings der Katalogberuf der Schauspielerin. Das Bundessozialgericht
habe in seiner Entscheidung zur japanischen Teezeremonie (Urt. v. 12.05.2005 - B 3 KR 13/04 R -, SozR 4 5425 § 2 Nr. 3) unter Heranziehung der Begriffserklärung im Brockhaus insoweit ausgeführt, dass die Ausübung der
Schauspielkunst im Sinne des modernen westlichen Theaters einen individualisierten Spielstil mit einer durch die Persönlichkeit
des Schauspielers geformten Rollengestaltung voraussetze. Im zu entscheidenden Fall werde die Klägerin zwar nicht als Darstellerin
im Rahmen eines Theaterstücks tätig, verkörpere aber die Rolle einer Märchenfigur mit schauspielerischen Mitteln. In der mündlichen
Verhandlung habe die Klägerin ihre Tätigkeit nämlich folgendermaßen skizziert: Sie und ihre für sie freiberuflich tätigen
weiteren Mitarbeiter, bei denen es sich um Musicaldarsteller, Schauspieler und Schauspielschüler handele, charakterisierten
die Rolle der jeweiligen Märchenfigur durch Gestik und Mimik und verstellten dabei ihre Stimmen, um bei den Kindern eine Illusion
zu erschaffen. Dabei gehe man ähnlich einem Improvisationstheater auf die Wünsche und Fragen der Kinder ein. Während des Kinderschminkens,
der Fotozeit und der Ratespiele verlasse sie die Rolle der Märchenfigur nicht, sondern integriere die vorgenannten Tätigkeiten
in das Rollengeschehen. Die Tätigkeit gleiche damit dem Katalogberuf der Schauspielerin.
Des Weiteren enthalte die Tätigkeit der Klägerin auch Elemente des Katalogberufs der Sprecherin aus dem Bereich "Darstellende
Kunst". Dazu gehörten dem Schauspieler vergleichbare Akteure wie z.B. Märchenerzähler oder Vorleser, die stimmlich und sprachlich
auf die zu sprechenden Werke einwirken und diese nicht unerheblich künstlerisch gestalteten (BSG, Urteil vom 23. März 2006 a.a.O.). Zu der von der Klägerin durchgeführten Kinderanimation gehöre auch das Vorlesen eines
Märchens; darauf, dass das Vorlesens eines Märchens vor Kindern keine besondere Gestaltungshöhe voraussetze, komme es gerade
nicht an, denn das KSVG lasse eine Niveaukontrolle nicht zu (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1995 - 3 RK 24/94 -, SozR 3-5425 § 24 Nr. 12).
Die Tätigkeit der Klägerin lasse sich innerhalb des Bereichs "Darstellende Kunst" auch dem Katalogberuf der Unterhaltungskünstlerin
zuordnen. Ob eine allgemeine Verkehrsanschauung existiere, wonach Kinderanimation, wie sie die Klägerin durchführe, der Unterhaltungskunst
zuzurechnen sei, lasse sich zwar nicht ohne weiteres feststellen. Der Begriff der Unterhaltungskunst unterliege aber beständigem
Wandel. Daran, dass die Kinder durch die Tätigkeit der Klägerin unterhalten werden, zweifele das Gericht nicht. Bei der von
der Klägerin angebotenen Animation habe sie ein auf die Zielgruppe "Kinder im Vorschulalter" zugeschnittenes Programm entwickelt,
welches unmittelbar zur Unterhaltung des Geburtstagskindes und deren Gäste beitrage. Dieses Programm beinhalte auch eine schöpferische
Eigenleistung, die sich aus schauspielerischen, gesanglichen und sprecherischen Elementen zusammensetze.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 6. Dezember 2016 zugestellte Urteil am 20. Dezember 2016 Berufung eingelegt, mit welcher
sie vorträgt, es sei bereits zweifelhaft, ob die Klägerin wirklich 90% der Einkünfte aus ihrer Tätigkeit aus derjenigen als
Kinderanimateurin erziele. Denn sie sei darüber hinaus in der Geschäftsführung des Unternehmens zuständig für Administration,
Performance, Training sowie das Marketing. Aus dem Internetauftritt ergebe sich, dass als Darsteller ausschließlich andere
Personen genannt würden. Selbst wenn die Klägerin aber nicht zu einem ganz überwiegenden Teil durch Organisation und Vermittlung
der Mitarbeiter gebunden sei, ergebe sich aus den angebotenen Tätigkeiten, dass die Leistungen zum ganz überwiegenden Teil
mit künstlerischen oder publizistischen Tätigkeiten im weitesten Sinne nichts zu tun hätten. Mit einer Schauspielerin oder
Synchronsprecherin sei die Tätigkeit der Klägerin nicht vergleichbar. Das Vorlesen von Märchen in Verkleidung erfülle den
Tätigkeitsbereich von Schauspielern, wie er unter berufenet.de zu finden sei, noch nicht. Das gelte auch für kleinere Kunststücke,
Zauberei und Clown-Darbietungen. Aus den Ausführungen auf der Website werde hinreichend deutlich klar, dass die Klägerin Kinderunterhaltung
anbiete und keine Theateraufführungen mit Schauspielerinnen und Schauspielern. Das ergebe sich auch aus dem Video, das auf
der Internetseite eingestellt sei. Dort sei zu entnehmen, dass die als Eisprinzessin verkleidete Frau das Geburtstagskind
begrüße, es in den Arm nehme, mit ihm spreche, ein Geschenk aushändige, einen einfachen Kreistanz vollführe und dabei zusehe,
wie das Geburtstagskind Kerzen ausblase, mit den Geburtstagskindern eine Krone bastele und male. Weder werde im weitesten
Sinne ein Schauspiel aufgeführt noch künstlerische Tänze oder Ähnliches gelehrt oder dargeboten.
Die Beklagte beantragt,
dass Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18.11.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt vor, sie verschaffe im Rahmen der von ihr verkörperten
Charaktere durch Gestik, Mimik und Stimme den Kindern die Illusion, die Märchenfigur besuche sie zu Hause. Das Programm beinhalte
eine schöpferische Eigenleistung, die sich aus schauspielerischen, gesanglichen und sprecherischen Elementen zusammensetze.
Sie lese auch keine Märchen vor, sondern erzähle aus dem Leben einer Prinzessin und beantworte den Kindern Fragen. Die Tätigkeit
sei mit einem Improvisationstheater vergleichbar. Die Charaktere seien sehr genau umrissen und einstudiert. Das Einstudieren
einer neuen Rolle erfordere die Komponenten Märchen lernen, Einholen von Hintergrundinformationen, Einstudieren der Eigenschaften
des Charakters, Lieder lernen, Make Up kreieren, Choreografie einstudieren. Zweifelsfrei sei damit von einer schauspielerischen
Tätigkeit auszugehen. Der administrative Teil der Tätigkeit machten demgegenüber nur einen Bruchteil der Arbeitszeit aus,
hierfür wende sie lediglich 3 Stunden pro Monat auf, die übrigen administrativen Aufgaben nehme ihre Schwester H. L. wahr.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 2018 persönlich angehört zu einem beispielhaften Ablauf
einer gebuchten Veranstaltung. Die Klägerin hat hierzu ausgeführt:
"Die Veranstaltung, zum Beispiel das "Party Paket Gold", läuft so ab, wie im Internet aufgeführt. Die interaktive Märchenzeit
gestaltet sich so, dass wir uns den Kindern in der von uns verkörperten Märchenfigur vorstellen und in dieser Rolle mit den
Kindern in Kommunikation eintreten. Die Kinder fragen uns oft sehr viel zu der Rolle, denn sie glauben ja wirklich, dass wir
der Charakter sind. So werde ich als Schneewittchen zum Beispiel auch gefragt, wie meine Mutter heißt. Die Kinder sind sehr
unterschiedlich. Bei manchen Feiern sind sie so schüchtern, dass keiner etwas sagt. Dann müssen wir sehr viel mehr improvisieren
und auf die Kinder zugehen, um sie in das Geschehen einzubeziehen. Es gibt aber auch Kinder, die schon gleich zu Beginn ganz
offen und voller Begeisterung sind. Dann kommen sehr viele Fragen und ich muss mich darauf konzentrieren, diese Fragen im
Sinne der Rolle zu beantworten. Ich werde zum Beispiel gefragt, ob ich ein Handy habe. Dann antworte ich natürlich, dass ich
nicht weiß, was ein Handy ist. Die Kinder sind im Alter zwischen 3 und 8 Jahren. Ganz selten auch bis zu 10 Jahren. Es gelingt
mir oft auch bei den schon älteren Kindern, die beispielsweise nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben, die Illusion eines
leibhaftigen Schneewittchens zu vermitteln."
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 1. Februar 2018 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz ( SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie erweist sich auch als begründet. Die Klägerin ist keine selbständige Künstlerin im Sinne des KSVG. Gemäß § 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der Rentenversicherung der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung
und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig
und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. In § 2 Satz 1 KSVG werden drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den Spielarten des Schaffens, Ausübens und Lehrens umschrieben,
nämlich die Musik, die bildende Kunst und die darstellende Kunst. Eine weitergehende Festlegung, was darunter im Einzelnen
zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder
nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von "Künstlern" und "künstlerischen Tätigkeiten", auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen
bewusst verzichtet (BT-Drucks 8/3172, S 21). Dieser Begriff ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (vgl BSG SozR 4-5425 § 24 Nr 6 RdNr 13 und BSGE 83, 160, 161 = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 33 - jeweils mwN; zum Kunstbegriff des Art 5 Grundgesetz ( GG) vgl BVerfGE 30, 173, 188 ff und 81, 108, 116; zur Zielrichtung des KSVG vgl BT-Drucks 9/26, S 18 und BT-Drucks 8/3172, S 19 ff). Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen
soll, mit denen sich der "Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe
(Künstlerbericht)" aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks 7/3071) beschäftigt (BSGE 83, 160, 165 f = SozR 3-5425 § 2 Nr 9 S 37 f; BSGE 83, 246, 250 = SozR 3-5425 § 1 Nr 5 S 23; vgl auch Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 3. Aufl 2004, § 2 RdNr 3 und 9; Schriever "Der Begriff der Kunst im Künstlersozialversicherungsrecht" in: von Wulffen/Krasney (Hrsg), Festschrift
50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S 709, 714 f). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten
Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines
bestimmten Kunsttyps entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf
die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird (BSG aaO.). Im Künstlerbericht wird der Kinderanimateur nicht aufgeführt. Im Bereich der darstellenden Kunst - die Bereiche Musik
und bildende Kunst sind im vorliegenden Fall ersichtlich nicht betroffen - finden sich als Einordnungshilfe allenfalls die
Katalogberufe "Unterhaltungskünstler/Artist" und "Schauspieler"; entgegen der Ansicht der Vorinstanz lässt sich die Ausübung
der Tätigkeit als Kinderanimateurin jedoch in keines dieser beiden künstlerischen Berufsfelder einordnen. Nach dem Regelungszweck
des KSVG unterfallen Tätigkeiten aus dem Bereich der Unterhaltungskunst grundsätzlich der Künstlersozialversicherung. Es muss sich
dabei aber um eine Form der Unterhaltung handeln, bei der eine freie schöpferische Gestaltung der Darbietung zumindest in
Ansätzen erkennbar ist, wobei allerdings die Anforderungen an die schöpferische Gestaltung niedrig zu bemessen sind. Dies
bedeutet aber nicht, dass alle Darbietungen mit Unterhaltungszweck oder Unterhaltungswert ohne weiteres der Unterhaltungskunst
i.S. des KSVG zugerechnet werden können. Maßgebend für die Zuordnung einer Darbietung zur Unterhaltungskunst oder zu sonstigen - nicht
künstlerischen - Arten der Unterhaltung ist, da die individuelle Kunstauffassung sehr unterschiedlich sein kann, im Zweifel
die allgemeine Verkehrsauffassung. Eine allgemeine Verkehrsanschauung, die etwa Varietevorführungen zur Unterhaltungskunst
zählt, lässt sich indes für den Bereich der Animation einschließlich der Kinderanimation nicht feststellen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Mai 2005 - B 3 KR 13/04 R -, SozR 4-5425 § 2 Nr 3, Rn. 19). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Verkehrsauffassung ist ein Animateur jemand,
der durchaus für die Unterhaltung eines bestimmten Publikums zuständig ist, allerdings nicht im künstlerischen Sinne, wie
beispielsweise ein Conferencier oder ein Entertainer, sondern im Sinne der Anleitung und Betreuung von Freizeitaktivitäten
bei Berücksichtigung von Wünschen und Anliegen der Gäste. Eine Kinderanimateurin tut dies eben speziell mit Kindern, wobei
sie - wie beispielsweise auch eine Erzieherin, eine Museumsführerin oder ein Mitarbeiter in einem Freizeitpark - sicherlich
Kreativität und Phantasie benötigt, aber eben auch Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und pädagogische Fähigkeiten.
Dies sind Eigenschaften, die für die Darbietung von Unterhaltungskunst keine oder nur eine sehr geringe Bedeutung haben. Animateure
bieten aber auch nichts dar, sie interagieren vielmehr mit den Gästen im Sinne normaler zwischenmenschlicher Kommunikation
mit dem Ziel einer aktiven wunschentsprechenden Freizeitgestaltung des Gastes. Die Klägerin ist aber bei ihrer Berufsausübung
nicht im prägenden Sinne Schauspielerin und zwar auch nicht im Sinne des Schauspiels in einem Improvisationstheater. Der Beruf
der Schauspielerin wird zwar im Künstlerbericht der Bundesregierung ausdrücklich genannt, doch setzt die Ausübung der Schauspielkunst
entweder eine ritualisierte Spielweise mit festem Kanon von Zeichen und Ausdrucksmitteln (fernöstliches Theater) oder einen
individualisierten Spielstil mit durch die Persönlichkeit des Schauspielers geformter Rollengestaltung (modernes westliches
Theater) voraus. Entscheidend kommt es auf die Rolleninterpretation des Schauspielers an (BSG, Urteil vom 12. Mai 2005 - B 3 KR 13/04 R - juris). Zwar unterhält die Klägerin die Kinder in einem Kostüm und schlüpft dabei gewissermaßen in eine andere Identität,
welche durch das jeweils verwendete Kostüm vorgegeben wird und die sie auch die gebuchte Zeit über beibehält. Es handelt sich
dabei aber in erster Linie um eine Form der spielerischen Unterhaltung und nicht um eine Form von Theater. Diese enthält durchaus
schauspielerische Elemente neben sängerischen, handwerklichen und anderen Tätigkeiten; damit handelt es sich jedoch um ein
gemischtes Berufsbild. In einem solchen Fall kann von einer künstlerischen Tätigkeit nur ausgegangen werden, wenn die künstlerischen
Elemente das Gesamtbild der Beschäftigung prägen, die Kunst also den Schwerpunkt der Berufsausübung bildet (BSG, Urteil vom 23. März 2006 - B 3 KR 9/05 R - Juris). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Im Vordergrund der Tätigkeit der Klägerin steht nicht die Darbietung eines
Schauspiels im Sinne einer Handlung mit Höhen und Tiefen, bei welcher es Darsteller und Publikum gibt, auch nicht im Sinne
eines Improvisationstheaters, bei welcher sich die Handlung der Darsteller spontan formt und aus Stichworten aus dem Publikum
ergeben kann. Im Vordergrund steht vielmehr die Unterhaltung der Kinder unter anderem durch Aufrechterhaltung der durch eine
Verkleidung vorgegebenen Illusion, eine Person aus einer anderen Zeit oder Welt zu sein, allerdings verbunden mit einer Vielzahl
weiterer Unterhaltungselemente wie die Begrüßung der Kinder, basteln, singen, tanzen, schminken, Autogrammkarten vergeben,
sich gemeinsam mit den Kindern fotografieren lassen und mit ihnen spielen. Dabei sind die zu unterhaltenden Kinder auch kein
Publikum, auch nicht im Sinne eines Improvisationstheaters. Die Kinder "verbringen einen Tag mit ihrer Märchenfigur", stellen
Fragen zu deren Leben, auf die die Klägerin ihrer Kostümierung entsprechend reagiert und antwortet, aber sie geben nicht als
Publikum ein Stichwort, um zu sehen, welchen Handlungsbogen der Schauspieler daraus formt, wie dies beim Improvisationstheater
der Fall ist. Die Kinder wollen - soweit es den schauspielerischen Anteil der Berufsausübung der Klägerin angeht - vielmehr
etwas aus dem vermeintlichen Leben der Person, die sie besucht, erfahren. Selbst wenn die Klägerin in diesen Momenten Darstellerin
einer Rolle ist indem sie aus ihrer Phantasie und ihrer Vorstellungskraft das Leben der betreffenden Person schildert und
dies auch schauspielerische Elemente enthalten mag, so ist hier jedoch vorrangig Einfühlungsvermögen, Empathie, Sensibilität,
Herzlichkeit und Erfahrung im Umgang mit Kindern notwendig, um zu den Kindern eine persönliche Beziehung aufzubauen, auf das
einzelne Kind angemessen einzugehen und die persönliche Beziehung und das erworbene Vertrauen - für den Zeitraum, in dem das
Unternehmen der Klägerin gebucht wurde - aufrechtzuerhalten. Das ist schauspielerischen Berufen, die ihren Schwerpunkt in
der Aufführung eines Stücks vor einem Publikum mit keiner oder nur geringer Interaktion mit den Zuschauern haben, fremd. Bei
den von der Klägerin angebotenen Motto-Feiern steht der zwischenmenschliche Umgang und die kindgerechte Ansprache im Vordergrund;
die schöpferische Eigenleistung, die die Klägerin zu einem gewissen Teil, durch die Rolle, in die sie schlüpft, erbringt,
ist jedoch nicht prägend für das Gesamtbild dieser Form der Gestaltung von Kinderunterhaltung. Damit prägen im Ergebnis nicht
die künstlerischen Elemente das Gesamtbild der Berufsausübung der Klägerin, sondern die Elemente der Kinderanimation und -unterhaltung.
Der künstlerische Anteil der Tätigkeit bildet folglich nicht den Schwerpunkt der Berufsausübung der Klägerin (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2006 - B 3 KR 9/05 R), sondern vielmehr die Unterhaltung durch Kinderanimation, welche vom KSVG jedoch nicht erfasst wird. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
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