Anspruch auf Kostenübernahme für nicht verschreibungspflichtige Medikamente
Geltung eines Arzneimittels als Therapiestandard
Verfassungskonformität eines Ausschlusses aus dem Leistungskatalog
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für verschiedene nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu
übernehmen hat.
Die 1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Bezieherin von Arbeitslosengeld II pflichtversichert. Im Mai 2013 beantragte
sie die Kostenerstattung sowie die künftige Kostenübernahme für folgende nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die
ihr von den Ärzten Dr. N., Dr. M. und Dr. H. verordnet wurden: Nasensalbe C.Ol.Pini Tub, Nasenspray Cromo-CT, Linola Fettcreme,
Thymiverian-Lösung, Aspirin, Iberogast, Buscopan, Sinupret forte, Bepanthen Augensalbe, Salbe Unguentum emulsificans aquosum
sowie Indische Flohsamenschalen.
Die Beklagte lehnte dies mit Bescheiden vom 22. Mai 2013 und 7. August 2013 ab und führte aus, dass eine Leistungspflicht
der Gesetzlichen Krankenversicherung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel grundsätzlich ausscheide. Den Widerspruch
der Klägerin wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 26. September 2013 zurück.
Ihre dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 2014 - der Klägerin zugestellt am
20. Dezember 2014 - abgewiesen.
Mit ihrer am 19. Januar 2015 eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, die Ablehnung der Kostenübernahme verletze ihre
Grundrechte, denn ihre medizinische Versorgung sei nicht hinreichend gewährleistet. Sie habe gegen ihre Krankenkasse einen
Anspruch auf Krankenbehandlung und dazu gehörten auch die Kosten für die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente, da diese
notwendig seien. Das Arbeitslosengeld II decke nicht ihren notwendigen Bedarf für die Gesundheitspflege.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. Dezember 2014 sowie die Bescheide der Beklagten vom 22. Mai 2013 und
7. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der
Klägerin die Kosten für die von Dr. N., Dr. M. und Dr. H. verordneten nicht verschreibungspflichtigen Medikamente zu erstatten,
sowie künftige Kosten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig
sind. Die Klägerin kann die Kostenerstattung sowie die künftige Kostenübernahme für die ihr verordneten, aber nicht verschreibungspflichtigen
Arzneimittel nicht verlangen.
Gemäß §
27 Abs.
1 S.1 Nr.
3, §
31 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) haben Versicherte grundsätzlich Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln. Nach §
31 Abs.
1 S. 1
SGB V in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung sind aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen.
Eine Ausnahme von diesem Ausschluss ist in §
34 Abs.
1 S. 2
SGB V geregelt. Hiernach legt der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach §
92 Abs.
1 S. 2 Nr.
6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard
gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Gemäß
§ 12 Abs. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen
Versorgung (AM-RL) in der Fassung vom 18.12.2008/22.01.2009 (BAnz 2009 Nr. 49a) ist die Verordnung von nicht verschreibungspflichtigen
Arzneimitteln ausnahmsweise zulässig, wenn diese bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten.
Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten
Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (§ 12 Abs. 3 AM-RL). Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard,
wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entspricht (§ 12 Abs. 4 AM-RL). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind
in der Anlage I zur AM-RL (OTC-Übersicht) aufgeführt, wobei diese Auflistung als abschließend bezeichnet wird.
Von den hier streitgegenständlichen Arzneimitteln sind in der OTC-Übersicht lediglich Aspirin (Acetylsalicylsäure) sowie die
Flohsamenschalen aufgeführt. Acetylsalicylsäure ist nach Ziffer 2 und 3 der OTC-Liste lediglich als Thrombozyten-Aggregationshemmer
bei gesicherter koronarer Herzkrankheit und in der Nachsorge von Herzinfarkt, Schlagfall und arteriellen Eingriffen sowie
zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen in Co-Medikation mit Opioiden verordnungsfähig. Eine derartige Indikation
besteht bei der Klägerin nach den vorliegenden Unterlagen nicht und wird auch nicht behauptet. Flohsamenschalen sind nach
Ziffer 18 der OTC-Liste nur zur unterstützenden Quellmittel-Behandlung bei Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom und HIV-assoziierter
Diarrhoen verordnungsfähig. Auch derartige Erkrankungen sind bei der Klägerin weder dargelegt noch nachgewiesen.
Die übrigen streitgegenständlichen Arzneimittel sind in der OTC-Übersicht gar nicht aufgeführt. Sie stellen auch keine Standardtherapeutika
zur Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen dar. Vielmehr handelt es sich im Wesentlichen um Arzneimittel zur Behandlung
von Erkältungskrankheiten, leichteren Magen-/Darmbeschwerden und Salben bei Hautproblemen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen nicht. Zwar werden insoweit Versicherte, die zur Behandlung einer Krankheit
nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel bedürfen, gegenüber Versicherten, die verschreibungspflichtige Medikamente benötigen,
ungleich behandelt. Ein Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) liegt jedoch nicht vor, da die Unterscheidung auf sachlichen Gründen beruht. So soll die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln
sicherstellen, dass Arzneimittel, die gesundheitliche Risiken in sich bergen, nur über fachkundige Heilpersonen zur Anwendung
kommen. Von nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten geht diese Gefahr nicht aus. Auch ein Verstoß gegen Art.
2 Abs.
1 GG liegt nicht vor, denn die Krankenkassen sind verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, alles zu leisten, was an Mitteln zur
Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Zumutbare Eigenleistungen können verlangt werden. Nicht verschreibungspflichtige
Arzneimittel sind in aller Regel zu einem geringeren Preis verfügbar, sodass es den Versicherten grundsätzlich zumutbar ist,
diese als Eigenleistung zu tragen (hierzu ausführlich: (BSG 6.11.2008 - B 1 KR 6/08 R; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12.12.2012 - 1 BvR 69/98; beide Juris). Sofern der Betroffene im Einzelfall wirtschaftlich nicht in der Lage sein sollte, die Kosten der von ihm benötigten
nicht verschreibungspflichtigen Medikamente zu tragen, begründet dies keine Ansprüche gegen die Krankenkasse, sondern allenfalls
gegen die Träger der Sozialhilfe oder Grundsicherung für Arbeitsuchende, zu deren Aufgaben die Existenzsicherung des Einzelnen
im Falle der Bedürftigkeit zählt (BSG, Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 24/10 R - Juris).
Als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Kostenerstattung für die Vergangenheit kommt ausschließlich §
13 Abs.
3, 2. Alt.
SGB V in Betracht. Hiernach sind die Kosten einer notwendigen, selbst beschafften Leistung zu erstatten, soweit die die Krankenkasse
diese zu Unrecht abgelehnt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da die Beklagte die Leistungen - wie ausgeführt
- nicht zu Unrecht abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision gegen das Urteil war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.