Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Krankenbehandlungskosten für eine stationäre Behandlung.
Die Klägerin betreibt in H. ein Plankrankenhaus, die Beklagte ist die Krankenkasse eines am … 2015 geborenen Patienten, der
sich in der Zeit vom 12.06.2015 bis 17.06.2015 in stationärer Behandlung im Haus der Klägerin befand.
Die Aufnahme erfolgte zur Übernahme aus einem anderen Krankenhaus mit Fieber und erhöhten Inflammationsparametern. Es wurde
eine antibiotische Therapie über 5 Tage durchgeführt, welche zu einer Besserung führte.
Die Klägerin berechnete unter Kodierung der Hauptdiagnose P37.9 (Angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit, nicht näher bezeichnet) nach Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision German Modification
Version 2015 (ICD-10) die Fallpauschale (Diagnosis Related Group 2015 <DRG>) P67B (Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 2499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Std., mit schwerem Problem, ohne
Hypothermiebehandlung oder mit anderem Problem, mehr als ein Belegungstag oder mit nicht signifikanter OR-Proz., mit kompliz.
Diagn.).Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Überprüfung des Behandlungsfalles. Der
Rechnungsbetrag wurde durch die Beklagte zunächst bezahlt. Mit Gutachten vom 21.09.2015 führte der MDK aus, dass die Hauptdiagnose
durch die Klägerin falsch kodiert worden sei. Die Kodierung von P37.9 sei nicht nachvollziehbar, weil die Infektion erst im
Verlauf aufgetreten sei, es sei nicht nachvollziehbar ob die Erkrankung bereits bei Geburt vorgelegen habe. Stattdessen sei
als Hauptdiagnose P39.9 Infektion, die für die Perinatalperiode spezifisch ist, nicht näher bezeichnet zu kodieren. Dies führe in die DRG P67D (Neugeborenes, Aufnahmegewicht > 1999 g ohne OR-Prozedur, ohne Beatmung > 95 Stunden, ohne schweres Problem, ohne anderes
Problem oder ein Belegungstag, mit bestimmter Prozedur oder best. Diagnose beim Neugeborenen oder neugeborener Mehrling) .
Die Klägerin legte gegen dieses Gutachten Widerspruch ein. Eine Infektion, die sich innerhalb von 72 Stunden nach der Entbindung
durch erhöhte Infektionsparameter im Blut durch Fieber, Keimnachweis oder andere Symptome offenbare, stelle definitionsgemäß
eine angeborene Infektion dar. Bei einer so kurzen Frist sei von einer Keimübertragung vor oder während der Geburt auszugehen.
Mit Widerspruchsgutachten vom 10.06.2015 bestätigte der MDK seine ursprüngliche Einschätzung. Es handele sich nicht um eine
angeborene Infektion, sondern es sei anzunehmen, dass es sich um eine im Rahmen der Geburt oder danach erworbene Infektion
handele. Diese Differenzierung solle im ICD 10 abgebildet werden, so dass die P39.9 zu kodieren sei.
Am 04.02.2016 verrechnete die Beklagte einen Betrag von 2943,69 € mit unstreitig bestehenden Forderungen der Klägerin. Hierbei
handelt es sich um die Differenz der Vergütung für die DRG P67D zu der Vergütung für die DRG P67B.
Die Klägerin hat am 10.12.2018 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben, mit der sie den aufgerechneten Betrag nebst Zinsen
geltend gemacht hat.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 20.04.2021 stattgegeben und dabei eine Auslegung der streitigen Kodes dergestalt
vorgenommen, dass die P39-Kodes Infektionen mit lokalisiertem Charakter und die P37-Kodes systemische Infektionen erfassten.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 03.06.2021 zugestellte Urteil am 08.06.2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie
aus, das Sozialgericht habe zu Unrecht eine Auslegung nach systematischen Gesichtspunkten vorgenommen. Maßgeblich sei in erster
Linie der Wortlaut und hier die Formulierung „angeboren“ im P37-Kode. Da im vorliegenden Fall die Infektion sich erst am 2.
Tag nach der Geburt gezeigt habe, könne nicht von einer angeborenen Infektion i.S.d. P37 ausgegangen werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auf das Urteil des SG Hamburg sowie
auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben.
Allerdings ist der Beklagten insoweit zuzustimmen, dass die Begründung des Sozialgerichts nicht zu überzeugen vermag. Denn
tatsächlich hat das Sozialgericht unzulässiger Weise die Wortlautauslegung der systematischen Auslegung hintangestellt.
Der Wortlaut der Kodes lässt eine eindeutige Abgrenzung zu, indem man die Begriffe „angeboren“ in P37 und „Perinatalperiode“ in P39 zueinander in Bezug setzt. „Angeboren“ oder “early onset" liegt bei einer Infektion vor, wenn sie sich innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt offenbart. Bei einer
so kurzen Frist ist von einer Keimübertragung vor oder während der Geburt auszugehen (vgl. Fachliche Äußerung des RKI zum
Epidemiologisches Bulletin 42/2013, Seite 13, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Neo_Monographie.pdf?__blob=publicationFile).Die
Perinatalperiode hingegen beginnt mit Vollendung der 22. Schwangerschaftswoche (154 Tage; die Zeit, in der das Geburtsgewicht
normalerweise 500 g beträgt) und endet mit der Vollendung des 7. Tages nach der Geburt.
Das bedeutet, dass der Begriff der Perinatalperiode insofern weitergehend ist als der des Angeborenensein, als er auch die
Zeit bis zum 8. Tag nach der Geburt umfasst. Das bedeutet, dass die Erkrankungen, die in den ersten 72 Stunden nach der Geburt
festgestellt werden und auch ansonsten unter einen der Kodes in P37 subsumiert werden können, dorthin gehören. Erkrankungen
aus dem zeitlichen Bereich danach bis zum 8. Tag nach der Geburt müssen hingegen P39 zugeordnet werden. So erhält man ein
einfach anwendbares System, dass auch mit dem Wortlaut im Einklang steht. Diese Sicht entspricht einer Empfehlung von „medcontroller“
(abrufbar unter: https://www.medcontroller.de/2014/08/27/was-ist-eine-angeborene-infektion/) wo dies wie folgt zusammengefasst
ist:
>1. Wenn eine Infektion vorliegt, die sich innerhalb von 72 Stunden nach der Entbindung durch erhöhte Infektionsparameter
im Blut, durch Fieber, Keimnachweis oder anderen Symptome offenbart hat, dann handelt es sich definitionsgemäß um eine angeborene Infektion.Diese wird verschlüsselt durch P37.- Sonstige angeborene infektiöse und parasitäre Krankheiten.Wenn ein genauer Infektionsherd nicht festgestellt wird (was häufig der Fall ist), wird P37.9 Angeborene infektiöse oder parasitäre Krankheit, nicht näher bezeichnet kodiert. 2. Zeigen sich Zeichen einer Infektion später als 72 Stunden aber vor dem 8. Tag nach der Geburt, dann handelt
es sich um eine perinatale Infektion, die nicht angeboren ist. Kodiert wird dann P39.- Sonstige Infektionen, die für die Perinatalperiode spezifisch sind. 3. Noch später auftretende Infektionen werden nicht mit einem Kode aus dem Kapitel XVI ICD-10 (“P-Kodes") verschlüsselt.
Dem kann auch nicht eine mögliche Missbrauchsgefahr entgegengehalten werden. Denn das Krankenhaus wird ein Interesse haben,
eine Infektion innerhalb von 72 Stunden nach der Geburt festzustellen, da die P37 erlöserhöhender ist als die P39. Das Krankenhaus
ist somit gehalten, die Infektion in den ersten 72 Lebensstunden zu diagnostizieren. Werden dabei Anzeichen einer Infektion
festgestellt, kann es zu Recht P37 kodieren. Werden keine Anzeichen festgestellt, so war die Diagnostik umsonst.
Vorliegend wurde das am 10.06.2015 geborene Kind wegen Anzeichen einer Infektion am 12.06.2015 stationär bei der Klägerin
aufgenommen. Es hatten sich also innerhalb des 72-Stunden-Zeitraums Anzeichen einer Infektion ergeben. Damit lag die Berechtigung
zur Kodierung aus dem Bereich P37 vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO. Die Zulassung der Revision ist nicht geboten.