Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe II aus der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Die am xxxxx 2010 geborene Klägerin war bis zum 31. Dezember 2014 bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert, anschließend
wechselte die Klägerin zur AOK R ...
Am 14. Mai 2013 wurde von den Eltern der Klägerin ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Der von der Beklagte
beauftragte medizinische Dienst der Krankenversicherung N. (MDK) kam in seinem Gutachten vom 10. Juni 2013 zu dem Ergebnis,
dass ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 66 Minuten besteht, wobei nur der Mehrbedarf gegenüber gleichaltrigen
gesunden Kindern berücksichtigt wurde. Daraufhin gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2013 Leistungen gemäß Pflegestufe
I für die Zeit ab 1. Mai 2013. Darüber hinaus wurden zusätzliche Betreuungsleistungen i.H.v. 200 EUR monatlich bewilligt.
Die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, erhob am 24. Juni 2013 Widerspruch. Das vom MDK eingeholte Gutachten sei in einigen
Punkten unzutreffend. Es bestünde kein Verständnis für einen bei der Klägerin notwendigen geregelten Tagesablauf. Eine Schlafphase
dauere maximal 6 Stunden. Die Klägerin wache jede Nacht auf und bedürfe dann auch der Pflege und Aufsicht. Es sei von einem
Hilfebedarf i.H.v. 182 Minuten im Bereich der Grundpflege auszugehen.
In einem weiteren Gutachten nach Aktenlage nahm der MDK zu den Ausführungen der Eltern der Klägerin wir folgt Stellung: Der
dokumentierte Pflegeaufwand in der Grundpflege resultiere aus den beschriebenen Einschränkungen der Körperfunktionen nach
Abzug des altersnormalen Aufwands für ein Kind im Alter zwischen drei und vier Jahren. Vor diesem Hintergrund sei der festgestellte
Hilfebedarf plausibel. Der geschilderte Beaufsichtigungsbedarf der Versicherten sei zwar nachvollziehbar, könne aber nach
den gesetzlichen Vorgaben nicht als Hilfebedarf in der Grundpflege angerechnet werden. Bei den ermittelten Zeiten müsse der
Hilfebedarf für ein gesundes Kind in diesem Alter abgezogen werden, was die Eltern der Klägerin bei ihrer Zeitermittlung nicht
getan hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Die Eltern der Klägerin haben am 23. Oktober 2013 Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Der Facharzt für Allgemeinmedizin
und Pflegesachverständige W. ist in seinem Gutachten vom 4. November 2014 zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Hilfebedarf im
Bereich der Grundpflege von 174 Minuten bestehe. Nach Abzug des Hilfebedarfs bei altersnormalen, vierjährigen Kindern von
88 Minuten ergebe sich ein Hilfebedarf von 86 Minuten, der der Pflegestufe I entspreche. Die Voraussetzungen für Pflegestufe
II würden somit nicht erreicht. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten dargelegt, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs
die Richtlinien grundsätzlich zu beachten sein und erläutert, dass ein Abzug für den Hilfebedarf eines gesunden Kindes gleichen
Alters vorzunehmen sei. Bei der Klägerin bestünde ein erhöhter Förder- und Betreuungsbedarf. Der Hilfebedarf im Bereich der
Grundpflege resultiere aus der Entwicklungsverzögerung mit autistischen Zügen und damit einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten
und Sprachentwicklungsverzögerungen. Vom körperlichen und orthopädischen Untersuchungsbefund her sei die Klägerin grundsätzlich
wie jedes andere viereinhalb jährige Kind auch in der Lage, die grundpflegerischen Verrichtungen mit altersentsprechender
Anleitung durchzuführen.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 hat die Mutter der Klägerin Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben und die
Anwendung der Pflegerichtlinien kritisiert. Weiterhin sei vom Sachverständigen der Hilfebedarf für das Aufstehen und Zubettgehen
zu niedrig bemessen worden. Hierfür sei ein zeitlicher Ansatz von entweder 20 oder 40 Minuten anzusetzen. Auch beim Verlassen
und Wiederaufsuchen der Wohnung sei ein Hilfebedarf zu berücksichtigen, weil ihre Tochter ständig begleitet werden müsse.
Auch der Zeitaufwand für die Nahrungsaufnahme sei deutlich höher, als vom Sachverständigen ermittelt. Die Klägerin toleriere
nur bestimmte Lebensmittel mit einem bestimmten Geschmack und Aussehen. Sie müsse oft gefüttert werden, da sie dazu neige,
mit dem Essen zu spielen und zu kleckern. Hieraus ergebe sich auch ein höherer Bedarf für die Kleidungsreinigung und das Umziehen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 9. Februar 2015 ist der Sachverständige den Vorwürfen der Mutter der Klägerin entgegengetreten
und hat darauf verwiesen, dass er als Gutachter gezwungen sei, sowohl die gesetzlichen Vorschriften als auch die Richtlinien
der Spitzenverbände der Pflegekasse zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit anzuwenden. Ansonsten verweise er auf sein ausführliches
Sachverständigengutachten, ein noch höherer Hilfebedarf könne nicht angenommen werden.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2015 abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht mit den angefochtenen
Bescheiden lediglich Pflegeleistungen gemäß Pflegestufe I für die Zeit ab 1. Mai 2013 gewährt. Ein Anspruch auf Pflegestufe
II bestehe hingegen nicht, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen würden.
Gemäß §
14 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) seien Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die
gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs
Monate, in erheblichem Maße der Hilfe bedürften. Pflegebedürftige der Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftigkeit) seien Personen,
die bei der Körperpflege, der Erziehung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe
bedürften und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigten. Der Zeitaufwand,
den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen
der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötige, müsse im wöchentlichen Tagesdurchschnitt mindestens 180 Minuten
(3 Stunden) betragen. Hierbei müssten auf die Grundpflege mindestens 120 Minuten (2 Stunden) entfallen (§
15 Abs.
3 Nr.
2 SGB XI).
Es sei gegenwärtig von einem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 86 Minuten auszugehen. Das Gericht folge insoweit
den nachvollziehbaren und plausiblen Ausführungen des Sachverständigen W. in seinem Sachverständigengutachten vom 4. November
2014. Dieser habe einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 174 Minuten ermittelt. Nach Abzug des Hilfebedarfs für
ein altersgleiches gesundes Kind von 88 Minuten ergebe sich der berücksichtigungsfähige Hilfebedarf von 86 Minuten, der die
erforderlichen 120 Minuten nicht erreiche. Die Einwände der Eltern der Klägerin würden zu keiner anderen Einschätzung führen.
Bereits der MDK habe darauf hingewiesen, dass bei der Ermittlung des Hilfebedarfs durch die Eltern der Abzug für ein altersgleiches
gesundes Kind nicht vorgenommen bzw. ignoriert worden sei. Der Sachverständige habe die Verfahrensweise noch einmal erläutert.
Sie ergebe sich aus den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nach dem
XI. Buch des Sozialgesetzbuchs in der Fassung vom 16. April 2013 (Pflegerichtlinien - D 4.0/III./9). Nach der Konzeption des
SGB XI sei bei Säuglingen oder Kleinkindern niemals der altersbedingte, also normale Pflegeaufwand, sondern nur der behinderungs-
oder krankheitsbedingte Mehraufwand zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sei für jede Verrichtung der Grundpflege ein Abzug
für den Bedarf eines Kindes gleichen Alters ohne Einschränkungen vorzunehmen bzw. nur der Mehrbedarf zu berücksichtigen. Dabei
habe der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass die Einschätzung der Mutter der Klägerin, dass sich ihre Tochter
auf dem Niveau eines zweieinhalbjährigen Kindes befinde, mit seinen eigenen Feststellungen übereinstimme. Denn ein zweieinhalbjähriges
Kind habe einen altersbedingten Pflegebedarf für die einzelnen Verrichtungen der Grundpflege von 159 Minuten, was in etwa
dem Hilfebedarf entspreche, den der Sachverständige mit 174 Minuten ermittelt habe. Nach Abzug der Differenz für ein viereinhalbjähriges
Kind ergebe sich der ermittelte Hilfebedarf, der mit 86 Minuten nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe II erreiche. Weiterhin
habe der Sachverständige zu Recht darauf hingewiesen, dass der Hilfebedarf nach der Konzeption des
SGB XI im Bereich der Grundpflege nur verrichtungsbezogen zu beurteilen sei. Nur der in §
14 Abs.
4 SGB XI genannte Bedarf sei für die Beurteilung der Pflegestufe von Bedeutung. Ein allgemeiner - von den Verrichtungen losgelöster
- Aufsichts- und Betreuungsbedarf werde bislang von der Pflegeversicherung nicht erfasst. Denn die Pflegeversicherung sei
nicht als Vollversicherung ausgestaltet und decke das Risiko, pflegebedürftig zu werden, aus Kostengründen nur zum Teil ab.
Die Notwendigkeit der Begleitung beim Treppensteigen und Laufen außerhalb der Wohnung werde nicht bezweifelt, dies sei jedoch
nur dann relevant für die Ermittlung der Pflegestufe, wenn regelmäßig, das heißt einmal wöchentlich, Arzt- und Therapiebesuche
stattfänden. Da sämtliche Therapiemaßnahmen in der Kindertagesstätte vorgenommen würden, würden keine zusätzlichen Wegezeiten
anfallen.
Die Vertreterin der Klägerin hat gegen den Gerichtsbescheid am 13. August 2015 Berufung eingelegt. Sie begehrt die Berücksichtigung
des nächtlichen Betreuungsaufwandes sowie des Aufwandes für die seit Anfang 2015 wahrgenommene Therapie beim H ...
Die Vertreterin der Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 13. Juli 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2013 abzuändern und der Klägerin ab 1. Mai 2013 Leistungen gemäß Pflegestufe
II gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach der Durchführung eines Erörterungstermins am 4. Februar 2016 hat das Gericht in damals noch bestehender Unkenntnis des
Umstandes, dass die Klägerin seit dem 31. Dezember 2014 nicht mehr bei der Beklagten versichert ist, ein neues Gutachten in
Auftrag gegeben. Die Gutachterin Frau B. kommt in ihrem Gutachten vom 11. Juli 2016 zu dem Ergebnis, dass der Bedarf für die
Zeit ab Beginn der Autismus-Therapie in 2015 in der Grundpflege 86 Minuten und in der hauswirtschaftlichen Versorgung 72 Minuten
täglich betrage. Für den Zeitpunkt der Begutachtung durch den MDK habe nach Aktenlage ein Bedarf in der Grundpflege von 61
Minuten bestanden. Die Werte der Pflegestufe II würden nicht erreicht werden. Sie stimme mit den Feststellungen des Gutachters
Herrn W. vollständig überein. Seine Ausführungen seien präzise und ausführlich dargelegt.
Die Mutter der Klägerin ist dem Gutachten entgegengetreten. Die Gutachterin habe die Fähigkeiten der Klägerin überschätzt.
Es sei nicht akzeptabel, dass die Gutachterin gestellte Diagnosen in Zweifel ziehe. Gerade im Bereich der Grundpflege bestehe
ein deutlich höherer Bedarf, als ihn die Gutachterin anerkannt habe. Die Mutter der Klägerin hat dies mit detailreichen Darstellungen
auch in tabellarischer Form begründet. Des Weiteren hat sie ihrem Schreiben eine Stellungnahme der KITA (=Kindertagesstätte)
K. vom 23. August 2016 sowie weitere medizinische Unterlagen beigefügt.
Die Gutachterin Frau B. ist in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juli 2016 auf die Kritik der Mutter der Klägerin eingegangen,
hat jedoch letztlich ihre Beurteilung nicht geändert.
Erst mit Schreiben vom 1. März 2017 hat die Beklagte das Gericht darüber informiert, dass die Klägerin nur bis zum 31. Dezember
2014 bei ihr versichert gewesen sei.
Der Senat hat den Beteiligten daraufhin mit Verfügung vom 26. April 2017 hingewiesen, dass Gegenstand dieses Verfahrens nur
der Zeitraum bis Ende 2014 sei, da die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten gemäß §
35 SGB XI zu diesem Zeitpunkt geendet habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie
den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die zulässige Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2013
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2013 ist rechtmäßig. Die Klägerin hatte zumindest bis zu dem in
diesem Verfahren relevanten Zeitraum bis 31. Dezember 2014 keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe
II, da die hierfür mindestens erforderliche durchschnittliche Pflegezeit in der Grundpflege von 120 Minuten nicht erreicht
wurde.
Da die Therapie im Autismus-Institut erst im Jahr 2015 begonnen wurde, können die damit in Zusammenhang stehenden Zeiten der
Grundpflege, die ein maßgeblicher Grund für den Entschluss des Senates waren, im Berufungsverfahren ein neues Gutachten einzuholen,
keine Berücksichtigung finden.
Für den Pflegedarf in der damit streitgegenständlichen Zeit liegen mit den Gutachten von Herrn W. und Frau B. zwei qualitativ
überzeugende und im Ergebnis übereinstimmende sachverständige Einschätzungen vor. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit
derer Feststellungen zu zweifeln.