Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Der am xxxxx 1972 geborene Kläger teilte der Beklagten mit Unfallanzeige vom 28. November 2016 mit, dass er sich im Juli 2016
in seinem Schneider-Atelier mit einer Nadel in den Daumen gestochen habe und diese zunächst hängen geblieben sei. Nunmehr
könne er den Daumen nicht mehr beim Arbeiten nutzen. Die Ärzte für Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Phlebologie
Dres. H. und O. diagnostizierten eine Nageldystrophie. Der Daumennagel sei verdickt, riffelig und weißlich verfärbt. Der Kläger
habe mitgeteilt, dass er Schneider sei und sich beim Arbeiten rezidivierend eine Nadel seitlich in die Haut gestochen habe.
In einem Telefongespräch mit einem Mitarbeiter der Beklagten erklärte der Kläger, dass er die Arbeit nicht eingestellt habe.
Er habe sich zunächst an die Orthopäden unter der Adresse seines Schneiderateliers gewandt, die ihn an einen Dermatologen
weiter verwiesen hätten. Dort habe er erst drei Monate später einen Termin erhalten. Das genaue Unfalldatum sei ihm nicht
erinnerlich. Er habe nunmehr aber seinen Betrieb verkauft und sich beim Arbeitsamt gemeldet.
Die Orthopädin Dr. S. teilte mit Befundbericht vom 30. März 2017 mit, dass sich der Kläger erstmals am 8. Dezember 2016 vorgestellte
habe. Der Kläger habe angegeben, dass er sich mehrfach Stichverletzungen bei der Arbeit an der Nähmaschine zugezogen habe.
Der Nagel sei häufig entzündet gewesen und danach seien Nagelveränderungen aufgetreten. Er könne aufgrund des defizitären
Nagels die Unterfadenspule an der Nähmaschine nicht mehr richtig bedienen. Wegen der häufigen Nadelstichverletzungen habe
er nie einen Dermatologen oder einen Durchgangsarzt aufgesucht. Der Dermatologe habe die Behandlung mit einem speziellen Nagellack
empfohlen. Es liege ein deutlich verändertes Nagelwachstum am Daumen links vor, aber keine frischen Verletzungs- oder Entzündungszeichen.
Bedenken gegen die Richtigkeit der Angaben des Klägers bestünden nicht. Eine spontane Entstehung sei auch nicht wahrscheinlich.
Mit Bescheid vom 29. Mai 2017 stellte die Beklagte fest, dass kein Arbeitsunfall vorliege, da ein Unfallereignis nicht bewiesen
werden könne. Ein Unfalldatum sei nicht bekannt. Auch die Ermittlungen bei den behandelnden Ärzten hätten keinen Unfall belegen
können.
Der Kläger legte gegen den Bescheid Widerspruch ein und legte ein ärztliches Attest von Dr. S. vom 7. Juli 2017 vor. Hierin
erklärte sie, dass der Kläger im Dezember 2016 mit dem Wunsch zu ihr gekommen sei, das Ganze als Arbeitsunfall bzw. Berufsunfähigkeit
laufen zu lassen. Bislang habe er Verletzungen am Daumen nie als Arbeitsunfall gemeldet bzw. als solche behandeln lassen,
weil es ihm so oft passiere.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2017 zurück. Ein Unfallereignis sei nicht im Vollbeweis
gesichert. Es blieben erhebliche Zweifel, ob und wann ein Unfallereignis vorgelegen habe.
Der Kläger hat am 9. November 2017 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und vorgetragen, dass er im November 2016 seine
Berufstätigkeit als selbständiger Schneider aufgegeben habe, da er im Juli 2016 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Es sei
mehrfach zu Stichverletzungen am linken Daumen gekommen. Er habe dies zunächst nicht weiterverfolgt, da er in der Vergangenheit
Unfälle dieser Art häufiger erlebt habe. Im Verlaufe der Tage sei es zu Schwellungen am linken Daumen gekommen, der sich zudem
verfärbt habe. Er habe nach dem Unfall Anfang Juni (den genauen Tag habe er nicht mehr in Erinnerung) seinen Hausarzt aufgesucht
und habe sich dann später in fachärztliche Behandlung begeben. Dies sei ca. drei Monate nach dem Unfall gewesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung weiterer Befundberichte. Die Praxis Dr. H. und Dr. O. hat mit Befundbericht
vom 5. Januar 2018 mitgeteilt, dass eine Nageldystrophie vorliege. Bei seinem Hausarzt Dr. K. hatte sich der Kläger im Jahr
2016 nicht vorgestellt. Die Orthopädin Dr. S. hat u. a. eine Arthralgie der Hände beidseits, eine Nagelmykose am Daumen links
sowie einen posttraumatischen Morbus-Dupuytren am 4. Finger der linken Hand diagnostiziert. Der Kläger habe seinerseits angegeben,
er habe sich diverse Male bei der Arbeit mit einer Nadel in den linken Daumen gestochen. Eine Behandlung der geschilderten
Traumata sei nicht erfolgt. Aus ärztlicher Sicht könne ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger habe sich
am 15. Juni, 28. Juni und 27. Juli 2016 bei ihr mit Beschwerden in der Lendenwirbelsäule vorgestellt. Bei dem Besuch am 15.
Juni 2016 habe er angegeben, Nagelpilz am linken Daumen zu haben.
Das Sozialgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil vom 28. März 2019 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Der Kläger habe
keinen Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls. Es sei zwar vorstellbar, dass der Kläger sich im Rahmen seiner Tätigkeit
als selbständiger Schneider auch mit der Nadel in den Finger bzw. Daumen gestochen habe. Die Möglichkeit bzw. Vorstellbarkeit
eines solchen Vorgangs entbinde den Kläger jedoch nicht, ein solches Unfallereignis medizinisch auch tatsächlich feststellen
zu lassen, gerade vor dem Hintergrund, einen möglichen Ursachenzusammenhang mit ggf. weiteren Gesundheitsschädigungen überprüfbar
zu machen. Eine solche medizinische Feststellung eines Unfallereignisses zu einem bestimmten Zeitpunkt, mit einem definierbaren
Gesundheitserstschaden sei jedoch nicht getroffen worden. Auch der Kläger selber sei offensichtlich nicht in der Lage, einen
genauen Tag für das Unfallereignis zu benennen. Dies sei aber für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls Voraussetzung, denn
das schädigende Ereignis müsse voll bewiesen werden.
Gegen das ihm am 2. April 2019 zugestellte Urteil hat der Bevollmächtigte des Klägers am 26. April 2019 Berufung eingelegt.
Die Berufung ist trotz mehrfacher Aufforderung nicht begründet worden.
Der Senat hat ein Gutachten von dem Facharzt für Hautkrankheiten Dr. K1 vom 9. April 2020 eingeholt. Nach Angaben des Klägers
sei es im Laufe der Jahre bei seiner Tätigkeit als Schneider immer wieder zu Nadelstichverletzungen gekommen, wobei diese
weniger bei der eigentlichen Nähtätigkeit, sondern vielmehr beim "Abstecken" von zu ändernden Kleidungsstücken aufgetreten
seien. Schützende Fingerkuppen habe er nicht getragen, weil diese die erforderliche Fingerfertigkeit bei der Berufsausübung
zu stark einschränkten. Im Jahre 2014 habe er sich beim Abtrennen eines Reißverschlusses mit einem Cutter oberhalb des heute
veränderten Nagels in den linken Daumen geschnitten. Im Juli 2016 sei es erneut zu mehrfachen Stichverletzungen des linken
Daumens gekommen, wobei eine Stichverletzung etwas tiefer und schmerzhafter gewesen sei als andere. Es bestehe seit Juni/Juli
2016 eine mykotisch und/oder traumatisch bedingte Dystrophie des linken Daumennagels. Auch eine Nagelmykose als alleinige
Ursache der Erkrankung erscheine durchaus möglich, zumal bei dem Kläger mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon seit vielen
Jahren eine Onychomykose der Zehennägel bestehe. Differentialdiagnostisch käme unter Mitberücksichtigung der Anamnese auch
eine Acrodermatitis continua suppurative in Betracht. Aufgrund einer fehlenden Dokumentation sei nicht mehr mit Sicherheit
festzustellen, ob sich der Kläger im Juni/Juli 2016 oder zu einem anderen Zeitpunkt durch den Stich mit einer Nadel verletzt
habe. Im Beruf eines Änderungsschneiders sei eine Stichverletzung durchaus wahrscheinlich, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht alleinig für die festgestellte Nageldystrophie ursächlich. Ein einziger Stich mit einer Nadel in die Nagelwachstumszone
des Daumens wäre allenfalls als schwere Traumatisierung mit Komplikationen als alleinige Ursache für die Ausbildung einer
Nageldystrophie denkbar. Eine Nageldystrophie sei in der Regel vielmehr eine Folge fortgesetzter Mikrotraumatisierungen, wie
sie durchaus bei wiederholten Stichen in die Nagelwachstumszone über längere Zeiträume zu finden sein könnte. Es sei nicht
bekannt, ob vor Juni/Juli 2016 bereits ein Vorschaden am linken Daumen des Klägers vorgelegen habe. Ein einmaliges Unfallereignis
sei nicht ausreichend dokumentiert und auch wiederholte Nadelstiche ließen sich lediglich nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit
annehmen. Eine Nageldystrophie entstehe jedoch nicht ohne Vorschaden, so dass bei angenommenen wiederholten Stichen im Sinne
einer fortgesetzten Mikrotraumatisierung die Entwicklung einer Nageldystrophie wahrscheinlich erscheine. Allerdings hätte
sich diese natürlich auch ohne beruflich bedingte Nadelstiche entwickeln können. So fänden sich Nageldystrophien z. B. häufiger
im Rahmen von Infektionen, hier insbesondere einer Nagelpilzerkrankung und nach Makrotraumatisierung, wie z. B. Einklemmung,
insbesondere dann, wenn es zu Komplikationen wie Hämatomen und/oder Entzündungen gekommen sei. Der übliche Verlauf einer Nadelstichverletzung
und die Tatsache, dass der Kläger nach dem angenommenen Unfall keinen Arzt aufgesucht und weitergearbeitet habe, spreche gegen
das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit. Auch im weiteren Verlauf sei zu keinem Zeitpunkt ein über eine Nageldystrophie hinausgehender
krankhafter Prozess dokumentiert, so dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit auch im weiteren Verlauf sehr unwahrscheinlich
sei. In Einzelfällen könne eine Nageldystrophie Schmerzen, Druckdolenz, Kältegefühl und Missempfindungen hervorrufen. Eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wäre mit weniger als 10 v. H. anzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die beigezogenen Akten sowie die
Sitzungsniederschrift vom 28. Oktober 2020 verwiesen.
Ein konkreter Arbeitsunfall mit einem Stich in den Daumen konnte nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden. Der Kläger hat sich
unmittelbar nach den von ihm angegebenen Stichverletzungen nicht in ärztliche Behandlung begeben. Stichverletzungen sind im
ehemaligen Beruf des Klägers sicher möglich, aber nachgewiesen sind sie damit nicht. Der Beweis kann auch nicht dadurch geführt
werden, dass aus der beim Kläger vom Sachverständigen diagnostizierten Nageldystrophie auf berufsbedingte Stichverletzungen
mit einer Nadel zurückgeschlossen werden kann. Der Sachverständige Dr. K1 führt schlüssig und überzeugend aus, dass auch eine
Nagelmykose als alleinige Ursache der Nageldystrophie als durchaus möglich erscheine, da bei dem Kläger auch mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit schon seit vielen Jahren eine Onychomykose der Zehennägel bestehe. Es käme unter Mitberücksichtigung der
Anamnese auch eine Acrodermatitis continua suppurative in Betracht. Eine Nageldystrophie entstehe zwar nicht ohne Vorschaden,
so dass bei angenommenen wiederholten Stichen im Sinne einer fortgesetzten Mikrotraumatisierung die Entwicklung einer Nageldystrophie
wahrscheinlich erscheine. Allerdings hätte sich diese natürlich auch ohne beruflich bedingte Nadelstiche entwickeln können.
So fänden sich Nageldystrophien z. B. häufiger im Rahmen von Infektionen, hier insbesondere einer Nagelpilzerkrankung und
nach Makrotraumatisierung, wie z. B. einer Einklemmung, insbesondere dann, wenn es zu Komplikationen wie Hämatomen und/oder
Entzündungen gekommen sei.