Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 4. November 2008 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §
2 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) zu gewähren sind.
Der im März 1989 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von S. und M. und gehört der Volksgruppe der R. an. Er reiste gemeinsam
mit seiner Mutter und seinen Geschwistern erstmals im August 1998 mit einem Touristenvisum nach Deutschland ein. Nachdem ein
Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt worden war, erhielt der Kläger im Oktober 1998 eine Duldung, die
in der Folgezeit mehrfach verlängert wurde. Ihm und seiner Familie wurden von der Beklagten Leistungen nach §
3 AsylbLG gewährt.
Im September 2001 wurde die dem Kläger erteilte Duldung zum 17. Oktober 2001 widerrufen und die Abschiebung angekündigt. Die
Mutter des Klägers stellte am 28. November 2001 u.a. für diesen einen Asylantrag, woraufhin dem Kläger eine Aufenthaltsgestattung
zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt wurde. Mit Bescheid vom 22. Januar 2001 wurde der Asylantrag abgelehnt. In der
Folgezeit wurde mehrfach die Abschiebung angekündigt, diese Ankündigungen aber nicht umgesetzt. Zuletzt konnte eine für den
19. Mai 2004 geplante Abschiebung nicht durchgeführt werden, weil die Familie des Klägers unter der den Behörden bekannten
Anschrift nicht erreichbar war. Am 31. August 2004 wurde der Mutter des Klägers wegen der bevorstehenden Entbindung eines
Kindes, dessen Vaterschaft von einem deutschen Staatsangehörigen anerkannt worden war, erneut eine Duldung erteilt. Auch der
Kläger erhielt daraufhin eine erneute Duldung, die wiederum mehrfach verlängert wurde. Am 27. November 2006 erhielt die Mutter
des Klägers eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Der Kläger, der weiterhin bei seiner Mutter lebte, beantragte im Dezember
2006 ebenfalls eine Aufenthaltsgenehmigung. Hierüber wurde soweit ersichtlich jedoch zunächst nicht entschieden, der Kläger
erhielt weiter Verlängerungen seiner Duldung. Am 31. Juli 2008 beantragte der Kläger erneut eine Aufenthaltsgenehmigung, da
er Vater eines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit geworden sei. Daraufhin wurde ihm am 16. Oktober 2008 eine Aufenthaltsgenehmigung
erteilt. Ab dem 5. November 2008 erhielt er in Bedarfsgemeinschaft mit seiner damaligen Lebensgefährtin und dem gemeinsamen
Kind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Am 24. Juni 2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Er habe länger als drei Jahre und damit länger als nach dem Gesetz vorgesehen Leistungen nach §
3 AsylbLG erhalten. Tatsächlich habe er Anspruch auf höhere Leistungen gehabt. Mit Bescheid vom 14. April 2010 lehnte die Beklagte
den Antrag ab, da eine rückwirkende Leistungsgewährung nicht in Betracht komme. Dagegen erhob der Kläger am 14. Mai 2010 Widerspruch,
den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2010 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus, es sei nicht dargelegt
worden, warum der Bedarf aus zurückliegenden Jahren noch immer aktuell sei. Daher könne rückwirkend kein Anspruch anerkannt
werden.
Hiergegen hat der Kläger am 19. Juli 2010 Klage zum Sozialgericht erhoben. Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt und
ferner vorgetragen, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei es nicht erforderlich, im Rahmen eines Überprüfungsantrags
in Bezug auf pauschalierte Leistungen das Fortbestehen des Bedarfs nachzuweisen.
Zu einem vom Sozialgericht angesetzten Verhandlungstermin am 30. September 2013 ist der Kläger trotz Anordnung des persönlichen
Erscheinens nicht erschienen. Der Vorsitzende der zuständigen Kammer des Sozialgerichts hat in diesem Termin darauf hingewiesen,
es komme für die Entscheidung des Rechtsstreits entscheidend darauf an, ob der Kläger weiterhin hilfebedürftige sei. Der im
Termin anwesende Bevollmächtigte des Klägers konnte hierzu keine Auskunft geben, woraufhin das Sozialgericht den Rechtsstreit
vertagt hat. Auch zu dem weiteren Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht am 16. Juni 2014 ist der Kläger trotz Anordnung
des persönlichen Erscheinens nicht erschienen. Der Bevollmächtigte des Klägers ist wiederum nicht in der Lage gewesen, Auskunft
zur Frage der andauernden Bedürftigkeit des Klägers zu geben. Nach Aufhebung der Anordnung des persönlichen Erscheinens des
Klägers hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 16. Juni 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch
auf rückwirkende Gewährung von Leistungen nach dem
AsylbLG im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X setze voraus, dass der Kläger weiterhin bedürftig sei. Dies sei nicht nachgewiesen worden.
Am 15. Juli 2014 hat der Kläger Berufung erhoben. Er führt aus, er sei durchgehend im Bezug von Leistungen gewesen und hat
eine Bescheinigung des Jobcenters team.arbeit.hamburg vorgelegt, aus der hervorgeht, dass ihm von November 2008 bis August
2015 Leistungen nach dem SGB II gewährt worden waren. Der Kläger trägt ferner vor, er lebe seit November 2016 nicht mehr mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin
und dem gemeinsamen Kind zusammen, sondern wohne mietfrei bei einem Freund. Er arbeite nicht und werde von diesem Freund,
seiner ehemaligen Lebensgefährtin und seiner Mutter unterstützt. Sozialleistungen habe er seither nicht mehr beantragt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung
ihres Bescheids vom 14. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010 zu verpflichten, ihm für den
Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 4. November 2008 sogenannte Analogleistungen nach §
2 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften und unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat zunächst eingewandt, der Kläger sei mit seinem Vortrag der durchgehenden Bedürftigkeit präkludiert. Nach einem Hinweis
des Senats, dass eine Präklusion hier mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht in Betracht komme, hat sie sich darauf berufen,
es greife die Vorschrift des § 116a SGB XII ein, sodass es lediglich um die Überprüfung eines Zeitraums von einem Jahr gehe. Schließlich bestehe auch der Sache nach
kein Anspruch auf höhere Leistungen. Zu Recht seien die Leistungen gekürzt worden, da der Kläger bzw. dessen Mutter die Dauer
des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst hätte. Der Kläger und seine Mutter hätten im Mai 2004 abgeschoben werden
sollen, dies aber verhindert, indem sie "untergetaucht" seien.
Der Senat hat die Leistungsakte der Beklagten und die Ausländerakte des Klägers beigezogen. Mit Schreiben vom 14. bzw. 15.
April 2016 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin
erklärt.
Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2017 hat der Senat den Kläger aufgefordert, darzulegen und nachzuweisen, dass er auch im Zeitraum
vom 1. September 2015 bis aktuell hilfebedürftig war bzw. ist. Darauf hat der Kläger nicht geantwortet. In der mündlichen
Verhandlung am 20. November 2017, zu der der Kläger nicht erschienen war, obwohl er laut Auskunft seines Bevollmächtigten
Kenntnis von dem Termin hatte, hat der Bevollmächtigte des Klägers erklärt, er gehe davon aus, dass der Kläger weniger als
409,- Euro monatlich zur Verfügung habe. Die ehemalige Lebensgefährtin des Klägers habe ihm mitgeteilt, der Kläger erhalte
von ihr 100,- Euro monatlich. Von seiner Mutter würde der Kläger ebenfalls 100,- Euro monatlich erhalten, der Freund, bei
dem der Kläger wohne, würde ihn mit Lebensmitteln versorgen. Nachweise hierüber hat er nicht vorgelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der
beigezogene Akten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§
155 Abs.
3 und
4 SGG).
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Abänderung der den
Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 4. November 2008 betreffenden Bewilligungsentscheidungen und auf Gewährung höherer Leistungen
nach dem
AsylbLG.
Als Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Rücknahme bzw. Abänderung der Leistungsbescheide für die streitgegenständlichen Zeiträume
kommt allein § 44 Abs. 1 SGB X in Betracht, der auch auf Leistungsbescheide nach dem
AsylbLG Anwendung findet (§
9 Abs.
3 AsylbLG in der Fassung vom 27.12.2003, seit dem 1.3.2015 geregelt in §
9 Abs.
4 Nr.
1 AsylbLG). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen,
soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt (vgl. dazu bereits das Urteil des
Senats vom 1.9.2016 - L 4 AY 1/15), scheidet eine Nachzahlung von Leistungen nach dem
AsylbLG aus, wenn die Bedürftigkeit inzwischen vorübergehend oder auf Dauer entfallen ist (vgl. BSG, Urteil vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R unter Berufung auf das Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R; Urteil vom 20.12.2012
- B 7 AY 4/11 R und Urteil vom 26.6.2013 - B 7 AY 3/12 R). Denn unter Berücksichtigung des § 44 Abs. 4 SGB X ("nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs", hier des
AsylbLG) muss den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts Rechnung getragen und berücksichtigt werden, dass die Leistungen
nach dem
AsylbLG ebenso wie die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen. Infolgedessen sind sie für zurückliegende
Zeiten nur dann zu erbringen, wenn die Leistungen ihren Zweck noch erfüllen könnten, was nur der Fall ist, wenn die Bedürftigkeit
ununterbrochen fortbesteht. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der ununterbrochen fortbestehenden Bedürftigkeit ist derjenige
der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. BSG, Urteil vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R und Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R). Die Frage, ob die Bedürftigkeit des Kläger
durchgehend vorgelegen hat, ist - abhängig vom Aufenthaltsstatus der Klägers - nach dem SGB II, SGB XII oder
AsylbLG zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 7 AY 4/11 R).
Die Bedürftigkeit des Klägers, die sich seit November 2008 nach dem SGB II bemisst, lässt sich nicht durchgängig bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 20. November 2017 feststellen. Voraussetzung
für die Hilfebedürftigkeit ist, dass die betroffene Person ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht auseichend aus eigenen Mitteln,
insbesondere aus ihrem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezieht seit November 2016 keine Sozialleistungen mehr, seit seinem Auszug aus der Bedarfsgemeinschaft mit seiner
ehemaligen Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind hat er seinen eigenen Angaben zufolge keinen Leistungsantrag gestellt.
Die nahe liegende Erklärung hierfür ist, dass er offensichtlich keine Leistungen mehr benötigt. Dem entsprechen seine Angaben,
dass er seinen Lebensunterhalt durch Unterstützungsleistungen Dritter - seines Freundes, seiner Mutter und seiner ehemaligen
Lebensgefährtin - gedeckt hat und deckt. Der Vortrag seines Bevollmächtigten, dem Kläger stünden durch die Unterstützungsleistungen
monatlich weniger als der nach dem SGB II vorgesehene Regelbedarf von 409,- Euro zur Verfügung, ist als Behauptung ins Blaue hinein zu werten. Der Bevollmächtigte
des Klägers hatte erkennbar keine konkreten Informationen diesbezüglich, ja noch nicht einmal Auskunft vom Kläger selbst erhalten,
sondern lediglich mit dessen ehemaliger Lebensgefährtin gesprochen. Der Senat sah sich nicht veranlasst, weitere Ermittlungen
zur Höhe des Bedarfs und des Einkommens durchzuführen, zumal der Kläger trotz entsprechender schriftlicher Aufforderung Erklärungen
und Nachweise diesbezüglich nicht vorgelegt hat und auch zur mündlichen Verhandlung ohne Angabe von Gründen nicht erschienen
ist. Dem Kläger und seinem Bevollmächtigten muss, insbesondere auch aufgrund der Erfahrungen aus den erstinstanzlichen Verhandlungsterminen
die Bedeutung der Angaben und Unterlagen zur durchgängigen Hilfebedürftigkeit bewusst gewesen sein. Dass hier dennoch trotz
erneutem Hinweis und ausreichend zeitlichem Vorlauf (der entsprechende Schriftsatz des Senats ist am 5. Oktober 2017, also
gut sechs Wochen vor der mündlichen Verhandlung, abgesandt worden) weder vorab noch in der mündlichen Verhandlung Nachweise
vorgelegt worden sind, kann nur dahin gehend gedeutet werden, dass eine durchgehende Hilfebedürftigkeit nicht bestand bzw.
besteht.
Sind mangels durchgehender Bedürftigkeit des Klägers von der Beklagten Leistungen rückwirkend nicht zu erbringen, so besteht
unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Bewilligungsentscheidungen für den streitgegenständlichen
Zeitraum kein Anspruch auf Rücknahme dieser Bewilligungsentscheidungen nach § 44 Abs. 1 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG nicht vorliegen.