Versorgung mit Dronabinol
Schwerwiegende Erkrankung
Nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
Kein Wirksamkeitsnachweis nach den Maßstäben evidenzbasierter Medizin
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Versorgung mit Dronabinol.
Der 1974 geborene Antragsteller, der seit längerem im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende steht, leidet
unter einem hereditären Angioödem bei C 1 Esterase Mangel (HAE), einer vererbten Erkrankung mit der Neigung zur Ausbildung
von akut auftretenden Schleimhautschwellungen an verschiedenen Organen. Am 1. März 2017 und nochmals am 10. März 2017 beantragte
der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit Dronabinol. Er legte ein Attest der behandelnden Schwerpunktpraxis
Dres. D./E. vom 23. Februar 2017 vor, welche ausführten, bei dem Antragsteller bestehe ein schwerer chronischer Verlauf der
HAE mit systemischer Beteiligung des Gastrointerialtraktes und des Kreislaufs mit sehr schmerzhaften, kolikartigen Magen-Darm-Schwellungen
mit häufigem Erbrechen und Durchfall. In einem weiteren Attest vom 1. März 2017 des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main
befürwortete der Facharzt für Anästhesiologie/Schmerztherapie F. einen Therapieversuch mit Cannabinoiden (Dronabinol) im Hinblick
auf therapierefraktäre Übelkeit und Erbrechen mit begleitendem abdominellen Schmerzsyndrom.
Die Antragsgegnerin legte die Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vor. Mit sozialmedizinischer
Stellungnahme vom 21. März 2017 teilte der begutachtende Arzt und Apotheker Dr. G. mit, das HAE sei eine schwerwiegende Erkrankung,
bei der es zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen könne. Als kausale Therapie erhalte der Antragsteller Berinert® (C
1 Esterase Inhibitor). Aufgrund der Beteiligung des Gastrointerialtraktes seien die üblichen Schmerzmittel problematisch;
NSAR könne zu gastrointerialen Blutungen und Opioide zur Obstipation bis zum Ileus führen. Die vorgelegten Unterlagen reichten
für eine Kostenübernahme von Dronabinol aber nicht aus. Die Studienlage zu Dronabinol beim HAE sei mangelhaft, nicht einmal
publizierte Einzelfälle, Fallserien seien zu finden.
Mit Bescheid vom 21. März 2017 lehnte die Antragsgegnerin - gestützt auf die Stellungnahme des MDK - die Kostenübernahme für
Dronabinol ab. Der Antragsteller legte daraufhin am 7. April 2017 eine weitere unterstützende ärztliche Stellungnahme des
Schmerz- und Palliativzentrums Rhein-Main vor. Der hierzu nochmals gehörte Dr. G. blieb in einer Stellungnahme vom 12. April
2017 bei seiner Auffassung, die er mit weiteren Ausführungen zu Wirksamkeitsstudien bei HAE untermauerte. Hierauf lehnte die
Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. April 2017 die Genehmigung der beantragten Therapie mit Dronabinol erneut ab und wies
den Widerspruch des Antragstellers nach Einholung einer weiteren MDK-Stellungnahme vom 28. Juni 2017 mit Widerspruchsbescheid
vom 7. Juli 2017 zurück.
Der Antragsteller hat dagegen Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben und zudem am 20. Juli 2017 beim Sozialgericht den
Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Nach
Auskunft des Facharztes für Anästhesiologie/Schmerztherapie F. vom 28. August 2017 ist dem Antragsteller am 30. März 2017
und nochmals am 5. Juli 2017 eine Verordnung für Dronabinol ausgestellt worden; eine weitere Finanzierung aus eigenen Mitteln
sei dem Antragsteller aber nicht möglich. Daneben hat Herr F. das Opioid Buprenorphin in aufsteigender Dosis verordnet. Zur
Behandlung mit Dronabinol hat Herr F. ausgeführt, Dronabinol solle zur symptomatischen Behandlung der Begleitsymptome des
HAE in Form abdomineller Schmerzen und begleitender Übelkeit bei Erbrechen eingesetzt werden. Es fehlten Studien zu diesem
Thema, im Rahmen seiner langjährigen palliativmedizinischen Erfahrung wisse er aber sehr wohl um den positiven Effekt von
Dronabinol bei abdominellen Schmerzen und Übelkeit und Erbrechen. Eine Ausweitung der Opioidmedikation sei aufgrund der zu
befürchtenden Obstipation problematisch.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 6. Oktober 2017 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die
Notwendigkeit des Einsatzes von Dronabinol sei angesichts der unterschiedlichen medizinischen Stellungnahmen fraglich. Ein
Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sei nicht unzumutbar, zumal der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, dass
es ihm nicht möglich sei, sich das Medikament zunächst selbst zu beschaffen.
Der Antragsteller hat am 18. Oktober 2017 Beschwerde erhoben. Der Beschluss des Sozialgerichts sei fehlerhaft. Seine Erkrankung
zeige schwerwiegende Symptome, die mit Dronabinol wirkungsvoll behandelt werden könnten. Er leide unter immer wiederkehrenden
Schwellungen insbesondere des Darmtrakts zwei- bis dreimal die Woche. Berinert® führe zu einer Rückbildung der Schwellungen,
allerdings erst innerhalb eines Zeitraums von ca. 24 Stunden. Für diesen Zeitraum, in dem neben den kolikartigen Schmerzen
Übelkeit und Erbrechen aufträten, benötige er nach der begründeten Einschätzung seines behandelnden Schmerztherapeuten Dronabinol,
welches eine schmerzstillende und entspannende Wirkung habe. Seine Mutter habe ihm darlehensweise Geldmittel zur Verfügung
gestellt, damit er sich Dronabinol beschaffen konnte, weitere Mittel stünden jedoch nicht mehr zur Verfügung und als Bezieher
von Leistungen nach dem SGB II könne er Dronabinol nicht selbst finanzieren.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 6. Oktober 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen
Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm vorläufig eine Versorgung mit Dronabinol als Sachleistung zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin erwidert, der Antragsteller stelle seine Erkrankung in einer Weise dar, die den tatsächlichen Verhältnissen
nicht entspreche. Nach den Behandlungsdaten und den vorliegenden Medikamenten-Verordnungen sei eine Anfallsfrequenz von 2-3mal
pro Woche unglaubhaft; es müsse von einer wesentlich niedrigeren Frequenz ausgegangen werden. Insoweit müsse die Darstellung
des Krankheitsbilds in Zusammenhang mit dem Bemühen des Antragstellers gesehen werden, einen anstehenden Haftantritt zu vermeiden.
Soweit Dronabinol nach den Angaben des Beschwerdeführers im akuten Schub der HAE eingesetzt werde, sei festzuhalten, dass
seitens des behandelnden Schmerztherapeuten bis heute bei dem Antragsteller keine antiemetische Therapie gegen die Übelkeit
und das Erbrechen durchgeführt werde und es keine Studien gebe, die eine Wirksamkeit von Dronabinol auf akute, kolikartige
Schmerzen belege.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist in der Sache nicht begründet.
Wegen der rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gem. §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), insbesondere dem Erfordernis des Vorliegens und der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes,
wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Beschluss Bezug genommen, die von den Beteiligten
auch nicht infrage gestellt worden sind.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch im Beschwerdeverfahren
nicht gegeben. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Gem. §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten
oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon,
wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht.
Gem. §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V bedarf die Leistung bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen
abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder
der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach §
37b SGB V, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von §
13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden (§
31 Abs.
6 Satz 3
SGB V).
Vorliegend ist nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzungen zugunsten des Antragstellers erfüllt sind.
Voraussetzung für einen Anspruch nach §
31 Abs.
6 SGB V ist zunächst das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. "off-label-use" ist von einer schwerwiegenden Erkrankung dann auszugehen, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn
sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt
(vgl. etwa BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 24/10 R -, juris Rn. 24). In diesem Sinne ist die bei dem Antragsteller vorliegende Erkrankung HAE grundsätzlich schwerwiegend. Unstreitig
besteht ein chronischer Verlauf der HAE mit systemischer Beteiligung des Gastrointerialtraktes und des Kreislaufs mit schmerzhaften,
kolikartigen Magen-Darm-Schwellungen.
Fraglich und letztlich ungeklärt ist allerdings die weitere Voraussetzung des §
31 Abs.
6 Nr.
1 SGB V, dass zur Behandlung dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder
nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden
Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder
des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann. Zwar hat der behandelnde Facharzt für Anästhesiologie/Schmerztherapie F.
dies dem Antragsteller attestiert und die Verordnung von Dronabinol im Hinblick auf "anderweitig therapierefraktäre Übelkeit
und Erbrechen mit begleitendem chronischem abdominellen Schmerzsyndrom" gerechtfertigt. Allerdings unterliegen die Schilderungen
des Antragstellers zu Anzahl, Schwere und Dauer der durch die Grunderkrankung verursachten Koliken und der daran anknüpfende
Bedarf an Medikamenten zur Schmerzlinderung Zweifeln. Nach den Darlegungen der Antragsgegnerin ist bei dem Antragsteller das
Medikament Berinert® (als kausale Therapie der HAE durch Zuführung eines Enzym-Inhibitors, der den genetisch bedingten Mangel
ausgleicht) im Jahr 2016 überhaupt nicht verordnet worden. Seitens der Praxisgemeinschaft am HZRM (Dres. D./E.) erfolgte im
Oktober 2015 eine Verordnung entsprechend einer Menge, die lediglich für ca. 8 Anfälle ausreicht. Danach wurde Berinert® durch
die Praxisgemeinschaft am HZRM erstmals wieder am 18. Januar 2017 verschrieben, seit diesem Zeitpunkt allerdings laufend und
in größerem Umfang. Der Antragsteller hat dazu auf Befragen des Senats im Erörterungstermin angegeben, es sei ab Februar 2017
zu einer massiven Zunahme der Anfälle gekommen. Allerdings bestehen an dieser Darstellung Zweifel angesichts der Dokumentation
des Krankheitsverlaufs in den vorliegenden ärztlichen Unterlagen. Nach dem Bericht des Hausarztes Dr. H. vom 3. September
2017 erfolgte die letzte Behandlung des Antragstellers dort am 4. Januar 2017; hier ist von ca. drei Schüben im Monat mit
schweren stechenden abdominellen Schmerzen, die jeweils 24-48 Stunden anhalten, die Rede. Eine spezielle Schmerzmedikation
war bis dahin nicht erforderlich, Dr. H. verordnete im Jahr 2016 lediglich Ibuprofen. In dem Befundbericht der Praxisgemeinschaft
am HZRM (Dres. D./E.) wird unter dem 1. Februar 2017 berichtet, aktuell bestünden bei dem Antragsteller Schwellungen ca. 1-4x/Monat
meistens im abdominellen Bereich oder Ellenbogen. Im Bericht dieser Praxis an den Hausarzt vom 22. Februar 2017 wird ausgeführt,
im Vergleich zu den Vorbefunden sei es zu keiner richtungsweisenden Änderung der Werte gekommen. Nach der Vorstellung in der
Fachpraxis am 18. Januar 2017 erfolgte im gesamten Februar 2017 trotz einer angeblich dramatischen Befundverschlechterung
keine Behandlung durch die betreuenden Ärzte und keine Änderung der kausalen Medikation mehr. Der Antragsteller stellte sich
lediglich am 25. Februar 2017 in der Praxis des Facharztes für Anästhesiologie/Schmerztherapie F. vor. Hier schilderte der
Antragsteller die langjährigen Abdominalschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen. Eine dramatische Zunahme der Anfälle in den
vergangenen Tagen wird in dem Befund allerdings nicht erwähnt. Auch nach diesem Termin erfolgte keine zeitnahe Vorstellung
des Antragstellers bei Dres. D./E. Vor diesem Hintergrund ist der Verdacht der Antragsgegnerin nicht von der Hand zu weisen,
dass der Antragsteller das tatsächliche Ausmaß seiner Erkrankung und der durch die Anfälle verursachten Schmerzen und Beschwerden
dramatisiert, weil durch die Justizbehörden gegenüber dem Antragsteller die Vollstreckung einer Haftstrafe angekündigt ist
und der Antragsteller, wie sich aus dem Attest der Praxisgemeinschaft Dres. D./E. vom 8. Juni 2017 ergibt, insoweit Haftunfähigkeit
wegen der Auswirkungen der HAE geltend macht.
Der Senat brauchte dieser Frage, die letztlich nur durch weitere medizinische Ermittlungen zu klären wäre, im Rahmen des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens nicht weiter nachzugehen, weil sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch aus einem
anderen Grund als nicht begründet erweist.
Gemäß §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
2 SGB V muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf
schwerwiegende Symptome bestehen. Diese gesetzliche Formulierung ist weit gefasst und verlangt keinen Wirksamkeitsnachweis
nach den Maßstäben evidenzbasierter Medizin. Vielmehr genügen schon (Wirksamkeits-)Indizien, die sich auch außerhalb von Studien
oder vergleichbaren Erkenntnisquellen oder von Leitlinien der ärztlichen Fachgesellschaften finden können (vgl. etwa BSG, Urteil vom 2. September 2014 B 1 KR 4/13 R -, juris Rn. 17 f). Für die Fallgestaltungen des §
2 Abs.
1a SGB V, also bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden bzw. wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankungen, hat die
Rechtsprechung dabei Differenzierungen im Sinne der Geltung abgestufter Evidenzgrade nach dem Grundsatz "je schwerwiegender
die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen an die ernsthaften Hinweise" aufgestellt. Andererseits
genügen das subjektive Empfinden des Versicherten, ggf. gestützt durch die entsprechende Einschätzung oder Empfehlung behandelnder
Ärzte oder deren Erfahrungen bei Behandlungen der in Rede stehenden Art im Einzelfall, für sich allein genommen nicht (vgl.
dazu auch BSG, Urteil vom 7. November 2006, - B 1 KR 24/06 R -, juris Rn. 22 ff.). Vielmehr ist die entsprechende ärztliche Prognose, auf Indizien gestützt, zu begründen (BVerfGE 115,
25 ff, juris Rn. 66; eingehend BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010 - B 6 KA 48/09, juris Rn. 23 ff).
Der Antragsteller setzt das Dronabinol nach seinen eigenen Angaben im Erörterungstermin in der Phase eines akuten Krankheitsschubs
als Mittel gegen die Schmerzen, die Übelkeit und das Erbrechen ein. Für die symptomatische Behandlung von Abdominalschmerzen
bei HAE fehlt es aber nach derzeitigem Ermittlungsstand an in dem dargelegten Sinne ausreichenden Indizien, dass durch den
Einsatz von Dronabinol ein therapeutischer Erfolg zumindest möglich erscheint. Als Beurteilungsgrundlage kommen insoweit -
wenn höherwertige Studien fehlen - auch Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen,
Einzelfallberichte, nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen
in Betracht (BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R -, juris Rn. 40). Der Arzt/Apotheker im MDK Dr G. legt in seinem Gutachten vom 12. April 2017 aber dar, dass es zur Anwendung
von Dronabinol bei HAE bisher nicht einmal publizierte Einzelfälle oder Fallserien gibt. Zugunsten des Antragstellers streitet
daher allein das befürwortende Votum des behandelnden Schmerztherapeuten F. Dieser äußert sich indes sehr allgemein, wenn
er ausführt, "generell" lasse sich sagen, dass Dronabinol im palliativmedizinischen Einsatz bei "verschiedensten Erkrankungen
mit daraus resultierenden abdominellen Schmerzsymptomen und Übelkeit und Erbrechen" eine Reduktion dieser Symptome bewirken
könne, was er auch aus persönlicher Erfahrung in diesem Bereich bestätigen könne. Eine konkrete, auf eigene Erfahrungen zurückgreifende
Aussage zum Einsatz von Dronabinol bei HAE und speziell als Medikament, welches bei einem akuten Schmerzgeschehen, nämlich
bei durch die Grunderkrankung ausgelösten Schüben wirken soll, ist dem nicht zu entnehmen. Speziell für die geklagten Symptome
Übelkeit und Erbrechen stehen nach den Darlegungen von Dr. G. auch andere Medikamente zur Verfügung, die bisher aber nicht
eingesetzt worden sind. Zudem verweist Dr. G. in seinem Gutachten vom 28. Juni 2017 auf teilweise negative Erfahrungen beim
Einsatz von Cannabinoiden bei gastroenterologischen Erkrankungen und eine Entscheidung des Bundesamtes für Arzneimittelsicherheit,
welches bei Übelkeit/Erbrechen die Zulassung eines Cannabismedikaments (Kachexol) abgelehnt hat.
Der Senat hat keine Bedenken, seiner Entscheidung die Ausführungen von Dr. G. zugrunde zu legen. Die Gutachter des MDK sind
wie alle Ärzte bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen und nicht an Weisungen
gebunden (§
275 Abs.
5 Satz 1
SGB V); ihre Gutachten sind grundsätzlich gerichtsverwertbar (BSG, Beschluss vom 23. Dezember 2004 - B 1 KR 84/04 B -, juris). Anhaltspunkte für eine mangelnde Objektivität oder gar Parteilichkeit von Dr. G. zugunsten der Antragsgegnerin
ergeben sich aus seinen Ausführungen nicht. Im zentralen Punkt - dem Fehlen wissenschaftlicher Nachweise zu einem möglichen
Behandlungserfolg von Dronabinol bei HAE - wird er zudem durch die Ausführungen des behandelnden Schmerztherapeuten bestätigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.