Berufskrankheit Nr. 1317 BKV
Langjährige Arbeit mit toxischen Stoffen
Haftungsausfüllende Kausalität
Störung der Gehirnfunktion
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1317 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) vorliegt.
Die 1957 geborene Klägerin ist gelernte Industriekauffrau und war ab dem 25. September 2000 als Sekretärin der Geschäftsführung
bei der Firma D. Aluminium GmbH in A-Stadt - einem im Bereich der Automobilzulieferung tätigen Unternehmen - in Vollzeit beschäftigt.
Ab dem 5. Januar 2005 war sie dauerhaft arbeitsunfähig, das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 18. April
2006 beendet.
Unter dem 15. März 2005 zeigte der Nervenarzt Dr. E. der Berufsgenossenschaft Metall Süd, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten
(im Folgenden: Beklagte), das Vorliegen einer BK wegen langjähriger Arbeit mit toxischen Stoffen an. An Diagnosen wies er
auf eine Neuropathie, Myopathie, eine deutliche Leistungsminderung in der Psychometrie, eine chemische Überempfindlichkeit
sowie den dringenden Verdacht auf ein Sickbuilding-Syndrom hin. Beigefügt waren der Anzeige diverse medizinische Unterlagen
(Arztbrief Dr. E. vom 10. März 2005, Bericht des Instituts für Medizinische Diagnostik Berlin vom 27. Januar 2005 über die
Ergebnisse eines Lymphozytentransformationstest Typ IV-Umweltfaktoren, testpsychologischer Untersuchungsbericht Dr. E. vom
27. Januar 2005).
Nachdem die Klägerin unter dem 8. Juni 2005 ergänzende Angaben, u.a. zu ihrer Erkrankung und ihren Arbeitgebern gemacht hatte
und darüber hinaus eine Aufstellung der von ihr konsultierten Ärzte vorgelegt hatte, zog die Beklagte im Rahmen der Sachermittlungen
von Amts wegen den Aktenvorgang eines von der Klägerin bei ihr parallel geführten Feststellungsverfahrens auf Anerkennung
der BK Nr. 4302 u. a. mit einem Rehabilitationsentlassungsbericht der Reha-Klinik Borkum Riff über den stationären Aufenthalt
der Klägerin dort zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Oktober 2004 bis 9. November 2004 (6. Januar 2005),
den Bericht des Zentrums für Innere Medizin, Medizinische Klinik II des Universitätsklinikums Gießen vom 8. Juni 2004 über
den stationären Aufenthalt der Klägerin dort vom 16. Mai 2004 bis 27. Mai 2004, einem Arztbrief von Dr. F. (Internist, Arzt
für Lungen- und Bronchialheilkunde) vom 29. November 2004, das Vorerkrankungsverzeichnis der DAK A-Stadt Nord vom 18. Juli
2005 mit Zeiten ab 1997 und den Bericht des Präventionsdienstes Stuttgart vom 9. März 2006 zur BK Nr. 4302 bei. Im Auftrag
der Beklagten führte der Präventionsdienst sodann am 19. Oktober 2005 eine Besichtigung des Arbeitsplatzes im Beisein der
Klägerin und dem Geschäftsführer der Firma D. Aluminium GmbH durch. Am 31. Oktober 2005 erfolgten am Arbeitsplatz der Klägerin
Luftschadstoffmessungen. In einem weiteren Termin am 17. Dezember 2005 wurden Materialproben von der Decke, des Wandschrankes
aus Holz und der Sockelleiste aus Teppichmaterial entnommen und dem Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitsschutz
(BGIA) zur Analyse übersandt.
Auf Grundlage der Ergebnisse von dort erstellte der Präventionsdienst unter dem 16. Dezember 2005 einen Bericht über die Messung
von Gefahrstoffen in der Luft in Arbeitsbereichen sowie unter dem 22. März 2006 Berichte über die Messung von Gefahrstoffen
in Materialproben in Arbeitsbereichen.
Gestützt auf diese Ermittlungsergebnisse lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK Nr. 4302 mit Bescheid vom 28. August 2006
ab.
Nach Anhörung des Landesgewerbearztes (dortige Stellungnahme vom 19. Dezember 2006), auch zur "Wie-BK" nach §
9 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) lehnte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 25. Januar 2007 die Anerkennung der BK Nr. 1317 ab. Sie führte aus, die gesundheitlichen
Beschwerden stellten keine BK dar, sie seien auch nicht wie eine BK anzuerkennen. Die bei der Klägerin bestehende Erkrankung
gehöre nicht zu den in der BK-Liste genannten Erkrankungen. Eine Anerkennung sei daher nicht möglich. Nach den intensiven
Ermittlungen ihres Präventionsdienstes hätten sich keine Anhaltspunkte für eine berufliche Verursachung der gesundheitlichen
Beschwerden ergeben. Es seien entsprechende Luftschadstoffmessungen vorgenommen worden; alle Messwerte hätten im Normalbereich
gelegen. Zusätzlich seien Materialproben aus Wänden, Teppichböden, Decken und Schränken durch den messtechnischen Dienst entnommen
und durch das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitsschutz in Sankt Augustin analysiert worden. Nach Auswertung der
Analysen durch den Präventionsdienst sei festgestellt worden, dass auch hier die Gefahrstoffkonzentration der Materialproben
in unkritischem Bereich läge und somit keine Schadstoffbelastung der Raumluft abgeleitet werden könne. Im Vergleich zur Raumluftmessung
hätten keine relevanten Konzentrationen von gesundheitsschädigenden Stoffen nachgewiesen werden können. Ein Kontakt zu organischen
Lösungsmitteln habe nicht bestanden, so dass eine BK nach der Nr. 1317 nicht in Betracht komme. Auch lägen die Voraussetzungen
für die Entschädigung einer Krankheit wie eine BK nicht vor. Nach dem Ergebnis ihrer Feststellungen lägen keine neuen medizinischen
Erkenntnisse seit der letzten Ergänzung der BK-Liste vor. Eine Rückfrage beim Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften
habe ergeben, dass keine neuen, gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, dass eine bestimmte Personengruppe
aufgrund der besonderen Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an
einem sog. "Sick-building-Syndrom" erkrankt sei. Der staatliche Gewerbearzt habe dieser Beurteilung zugestimmt. Der nicht
näher begründete Widerspruch der Klägerin hiergegen war erfolglos und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom
7. März 2007 zurückgewiesen.
Ihren Anspruch hat die Klägerin mit Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main vom 12. März 2007 weiterverfolgt. Zur Begründung
hat die Klägerin zum einen die nicht vollständige Untersuchung durch den Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten gerügt,
zum anderen darauf hingewiesen, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit in erheblichem Maße Belastungen durch Passivrauchen ausgesetzt
gewesen sei. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen vor und hätten bei ihr zu einer toxisch verursachten Enzephalopathie
geführt.
Die Beklagte hat ihre Ermittlungen im Verwaltungsverfahren ergänzend einen weiteren Bericht ihres Präventionsdienstes vom
17. Januar 2008 zu dem Vorbringen der Klägerin in der Klagebegründung vorgelegt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. Februar 2010
abgewiesen. Eine vom Verordnungsgeber in der Anlage zur
BKV aufgenommene BK läge bei der Klägerin nicht vor. Es seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen
einer BK nach der Nr. 1317 nicht erfüllt. Dies folge aus der Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 17. Januar 2008. Danach
habe die gemessene Benzolkonzentration auf jeden Fall unter den Arbeitsplatzgrenzwerten gelegen; dies auch unter Zugrundelegung
des vom Bundesgesundheitsamt dargestellten Innenraum-Grenzwertes. Ebenso sei die VOC-Belastung korrekt festgestellt worden.
Mit erfasst worden seien die Bodenbelastung mit organischen Lösemitteln, soweit sie Einfluss auf die Raumluft im Sekretariat
habe, in dem die Klägerin gearbeitet habe. Fehle es an für die Verursachung der hier streitbefangenen BK geeigneten schädigenden
Einwirkungen, könne die Klage keinen Erfolg haben.
Gegen die ihr am 12. März 2010 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 8. April 2010 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht
angebracht. Das Verfahren wurde zunächst mit dem Aktenzeichen L 3 U 82/10 geführt.
Aus Sicht der Klägerin kann die erstinstanzliche Entscheidung weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen Bestand
haben. Die nichtssagende, oberflächliche und gerade einmal zehn Zeilen umfassende Begründung in den Entscheidungsgründen sei
auch nicht ansatzweise geeignet, in nachvollziehbarer Weise darzulegen, weshalb die BK der Klägerin gemäß der Listen-Nummer
1317 nicht anerkannt werden könne. Ihr Vorbringen stützend hat die Klägerin ein Gutachten von Prof. Dr. G. vom 24. Januar
2010 auf neurologischem und neuropsychologischem Fachgebiet vorgelegt, das dieser im Auftrag des Sozialgerichts Frankfurt
am Main in dem dort geführten Verfahren S 8 U 23/07 wegen Anerkennung der BK Nr. 4302 vorgelegt hat. In seiner Expertise hatte sich der Sachverständige auch kritisch mit den
Messergebnissen des Präventionsdienstes der Beklagten und der aus diesen gezogenen Schlussfolgerungen sowie - mit Blick auf
die bei der Klägerin seit 2005 bestehende Enzephalopathie - den Voraussetzungen der BK Nr. 1317 auseinandergesetzt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Februar 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar
2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2007 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihr eine Berufskrankheit
nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hält daran fest, dass ein für die Verursachung der
hier streitbefangenen BK geeigneter beruflicher Kontakt der Klägerin zu organischen Lösungsmitteln nicht festgestellt werden
könne.
Nach einem Erörterungstermin mit dem Berichterstatter am 18. Februar 2011 sind die Beteiligten übereingekommen, das Verfahren
wegen noch zu tätigender Ermittlungen der Beklagten in medizinischer Hinsicht ruhend zu stellen. Nachdem die Beklagte sodann
ein Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie Dr. H. vom 20. Mai 2012 vorgelegt hatte, wurde das Verfahren
wieder aufgenommen.
In ihrem Gutachten hat die Sachverständige bei der Klägerin eine toxische Enzephalopathie und eine toxische Polyneuropathie
diagnostiziert. Es läge das medizinische Bild einer BK nach Nr. 1317 vor. Die beruflich bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) von 100 v. H. bestehe seit Jahresbeginn 2005 bei ausgeprägter Hirnleistungsschwäche mit psychomotorischer Verlangsamung
sowie Einschränkung von Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit. Was den Schadenseintritt anbelangt, hat die Sachverständige diesen
mit Aufnahme der Tätigkeit bei der Firma D. GmbH als gegeben gesehen. Beim Betreten der Bürogebäude sei es wiederholt zu Heiserkeit,
Halsentzündungen, Bronchitiden und zu einem Räusperzwang gekommen, der außerhalb des Firmengebäudes jeweils verschwunden sei.
Die bei der Indoormessung sich ergebenden Schadstoffe u. a. mit Lösungsmitteln und die von den angrenzenden Produkträumen
eingeleiteten Emissionen seien durchaus in der Lage, die von der Klägerin erlittenen gesundheitlichen Störungen auszulösen.
Diese bestünden nach otologischer und internistischer Sicht als chronische Entzündungen des Respirationstraktes aufgrund des
Inhalts neurotoxisch wirkender Stoffe in der TVOC, die ein erhöhtes Risiko für neurologische Erkrankungen bedingten. Aus epidemiologischer
Sicht ergäbe sich, dass für die Schadstoffschädigung die Überschreitung der Grenzwerte nicht erforderlich sei. Diese Voraussetzungen
seien auch im Report für die BK Nr. 1317 ohne Einschränkungen übernommen worden.
Der Expertise ist die Beklagte entgegengetreten. Sie hat zum einen darauf hingewiesen, dass eine organische Hirnschädigung,
etwa in Form eines Hirnsubstanzdefektes, der durch bildgebende Verfahren diagnostisch hätte gesichert werden können, nicht
nachgewiesen worden sei. Zudem habe Dr. H. festgestellt, dass die Klägerin einer für die Verursachung der hier streitgegenständlichen
BK geeigneten, schädigenden Arbeitsstoffeinwirkung ausgesetzt gewesen sei, was jedoch in einem unvereinbaren Widerspruch zu
den Feststellungen des Präventionsdienstes und den des Sozialgerichts stünde. Die Annahme der Sachverständigen beruhe auf
der unzutreffenden Annahme, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Zudem sei auch ihre arbeitsmedizinische
Beurteilung nicht nachvollziehbar. Folgte man dieser, so hätten gerade die hirnorganischen Beeinträchtigungen seit dem Wegfall
der schädigenden Einwirkung eine geradezu fulminante Zunahme erfahren. Ein derartiger, progredienter Krankheitsverlauf nach
Expositionsende entspreche nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft jedoch gerade nicht dem bei einer toxischen
Enzephalopathie zu erwartenden Krankheitsverlauf. Unabhängig davon sei festzustellen, dass selbst wenn man das Vorliegen der
BK Nr. 1317 bejahen wollte, die Annahme einer BK bedingten MdE von 100 v. H. nicht in Betracht komme.
Demgegenüber hat sich die Klägerin die Feststellungen der Sachverständigen zu Eigen gemacht.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat der Senat ein neurologisches Gutachten bei Dr. C. eingeholt. In seiner Expertise
vom 6. August 2016 hat der Sachverständige eine Enzephalopathie mit den hierfür charakteristischen psycho-organischen Beeinträchtigungen
befundet, ohne jedoch aufgrund der psychologischen Untersuchung und auch des neurologischen Befundes Hinweise für die Ursache
dieser Erkrankung zu finden. Unter Aufarbeitung des in der Krankengeschichte der Klägerin dokumentierten Verlaufs und der
Kenntnis wissenschaftlicher Zusammenhänge führt Dr. C. aus, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 aufgrund der Krankengeschichte
unwahrscheinlicher als eine Enzephalopathie in Folge einer Mykoplasmen-Infektion, die sich im Frühjahr 2004 ereignet gehabt
habe, oder anderer Ursache, sei. Zu nennen sei in diesem Zusammenhang auch die allergische Reaktion auf Makrolid-Antibiotika.
Um zu den möglichen Auswirkungen einer spezifischen Substanzgruppe auf die Hirnfunktion Stellung zu nehmen, müsse diese Substanz
von einem Toxikologen konkretisiert werden, da ihm als neurologischen Sachverständigen die Kompetenz fehle, Qualität und Ergebnisse
der durchgeführten toxikologischen Untersuchungen am Arbeitsplatz zu beurteilen. Eine Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen
Zusammenhang der Erkrankung mit der beruflichen Tätigkeit im Sinne der Entstehung der Erkrankung durch eine berufliche Einwirkung
bzw. im Sinne der Verschlimmerung einer anlagenbedingten (Grund-) Erkrankung, lasse sich von neurologischer Seite her nicht
herausarbeiten. Da sich die Beeinträchtigungen auf neurologischem Fachgebiet wahrscheinlich im Gefolge einer Lungenerkrankung
entwickelt hätten, wäre ein Zusammenhang der neurologischen Krankheitsfolgen mit der Exposition am Arbeitsplatz möglicherweise
über die Lungenerkrankung der Klägerin herstellbar. Wenn sich mit Wahrscheinlichkeit nachweisen ließe, dass eine jahrelange
Exposition am Arbeitsplatz gegenüber Zigarettenrauch und anderen Substanzen zur Entwicklung der Mykoplasmen-Pneumonie beigetragen
habe, wäre indirekt auch ein Zusammenhang der neurologischen Folgen der Lungenerkrankung gegeben. Aufgrund der Tatsache, dass
die Klägerin Ex-Raucherin sei und da sie seit 1988 schon einmal eine ähnliche Lungenerkrankung durchgemacht gehabt habe, könnte
eine Disposition auf lungenfachärztlichem Gebiet vorliegen. Insofern könne nach den Folgen der Berufskrankheit nur dann mit
Relevanz gefragt werden, wenn es sich auf lungenfachärztlichem Gebiet um eine Berufskrankheit handele. In diesem Fall wäre
dann auch eine neurologische Beeinträchtigung anzuerkennen. Wenn diese Frage auf lungenfachärztlichem Gebiet verneint werde,
nicht. Aber auch hier gelte, dass eine Mykoplasmen-Pneumonie zunächst durch eine Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz zu sichern
wäre.
Das weitere Verfahren der Klägerin auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur
BKV war auch im weiteren Verfahren erfolglos (Widerspruchsbescheides vom 7. März 2007; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt
am Main vom 22. Februar 2011 - Az. S 8 U 63/07; Urteil des 3. Senats vom 2. September 2013 - L 3 U 79/11).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte
der Beklagten und der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG statthafte sowie gemäß §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Februar 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2007 sind rechtmäßig, so dass die Klägerin nicht beschwert ist
(§
54 Abs.
2 Satz 1
SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 1317
der Anlage 1 zur
BKV.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§
7 Abs.
1 SGB VII). Berufskrankheiten sind nach §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift wird die Bundesregierung ermächtigt, in einer Rechtsverordnung
solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere
Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die
übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (sog. Listenprinzip). Von der Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der
BKV vom 31. Oktober 1997 - BGBl. I 2623 in der Fassung der
BKV-ÄndV vom 5. September 2002 - BGBl. I 3541) Gebrauch gemacht. Sie hat in der Anlage zur
BKV unter Nr. 1317 die Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische als Berufskrankheit
bezeichnet.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden
Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen
sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an
Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale
zweifelt (BSGE 6, 144; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
128 Rn. 3b m. w. N.). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche
Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128). Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden.
Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog.
haftungsbegründende Kausalität) und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht
haben (sog. haftungsausfüllende Kausalität - dazu: Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung,
SGB VII, Kommentar, Anm. 54 zu §
8 SGB VII). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheit gilt dabei, wie auch sonst
in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der
Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio
sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche
Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich"
ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern
rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen
Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die
Wahrscheinlichkeit, d. h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für
den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung
und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542
RVO). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist
(BSGE 60, 58, 59).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr. 1317 der Anlage 1 zur
BKV nicht vor. Es fehlt an der haftungsausfüllenden Kausalität.
Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund des im Berufungsverfahren bei Dr. C. eingeholten Sachverständigengutachtens vom
6. August 2016 fest, dass bei der Klägerin eine Enzephalopathie vorliegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind
auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben. Unter dem Begriff der arbeitstechnischen Voraussetzungen wird zunächst
nur das Vorhandensein von Einwirkungen verstanden, die tatbestandliche Voraussetzung für die Anerkennung der geltend gemachten
BK sind. Dies sind im Rahmen der BK Nr. 1317 das Vorhandensein organischer Lösungsmittel oder deren Gemische.
Nach dem Bericht des TAD über die am 31. Oktober 2005 erfolgte Messung von Gefahrstoffen in der Raumluft des früheren Büros
der Klägerin vom 16. Dezember 2005 wurden Acetaldehyd (Konzentration 0,02 mg/m3), Formaldehyd (0,05 mg/m3) und Lindan (< 0,001 mg/m3) in jeweils unter den Richtwerten liegenden Konzentrationen nachgewiesen. Für Chlorphenole, DDT und Kohlenwasserstoffe wurden
die Bestimmungsgrenzen, d.h. die kleinsten quantitativ bestimmbaren Messwerte, nicht erreicht. Die Konzentration für flüchtige
organische Komponenten VOC (volatile organic compound als Sammelbezeichnung für organische, also kohlenstoffhaltige Stoffe,
die leicht verdampfen, in diesem Sinne flüchtig sind bzw. schon bei niedrigen Temperaturen - z. B. Raumtemperatur - als Gas
vorliegen) wurde mit 1,13 mg/m3, damit im unteren Bereich des Richtwertes von 1 - 3 mg/m3 liegend, gemessen. Nach dem Bericht des TAD über Messung von Gefahrstoffen aus dem Büro am 7. Februar 2006 entnommener Materialproben
aus Teppich, Raumdecke und Tapete vom 22. März 2006 wurde in der Wandtäfelung 6 - 12 µg/g Formaldehyd festgestellt. Aldehyde
konnten nicht nachgewiesen werden, aromatische und aliphatische Kohlenwasserstoffe wurden in geringen Spuren gefunden. Nach
dem Bericht des TAD über die Messung von Gefahrstoffen aus dem Büro am 17. Januar 2006 entnommener Materialproben aus Teppich,
Rigipsplatten und Holz vom 22. März 2006 wurden im Teppichboden Spuren von Xylol, Styrol sowie C9-substituierte Aromaten,
im Holz aliphatische Kohlenwasserstoffe oberhalb C16, Dibutylphthalat, Fettsäurereste, in geringen Mengen höhere Aldehyde
(Nonanal, Decanal) und im Rigips aliphatische Kohlenwasserstoffe im Bereich C19-C24, in Spuren höhere Aldehyde (Nonanal, Decanal),
nachgewiesen.
Im Ergebnis war die Klägerin damit zwar gegenüber organischen Lösungsmitteln bzw. gegenüber deren Gemischen in ihrem Büro
exponiert. Mit Blick auf die Messwerte, die insgesamt keine relevanten Konzentrationen von gesundheitsschädigenden Stoffen
ergeben haben, hat der Senat jedoch erhebliche Zweifel, ob angesichts der Messwerte die Kausalität im Sinne einer rechtlich
wesentlichen Ursache zwischen Einwirkung und Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.
Mit der Enzephalopathie liegt zwar eine von der BK Nr. 1317 erfasste Erkrankung vor. Erforderlich ist darüber hinaus jedoch
noch der Nachweis der Einwirkungskausalität. Vorliegend kann indes nicht angenommen werden, dass die Klägerin in dem hier
fraglichen Zeitraum von September 2000 bis Anfang Januar 2005 - mit krankheitsbedingten Unterbrechungen - an ihrem Arbeitsplatz
Einwirkungen ausgesetzt war, die geeignet waren, eine sog. toxische Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren
Gemische auszulösen.
Vom Vorliegen der im Verordnungstext vorausgesetzten Einwirkungen als Tatbestandsvoraussetzung ist im Zusammenhang mit dem
Begriff der arbeitstechnischen Voraussetzungen die Frage zu unterscheiden, ob diese Einwirkungen in ihrer Höhe und Intensität
im Sinne einer vorweggenommenen Kausalitätsbeurteilung überhaupt ausgereicht haben, um eine im Sinne des Verordnungstextes
vorausgesetzte Erkrankung in Form einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie zu verursachen. Auch wenn im Unterschied z.B.
zur BK Nr. 4104 3. Alt. der Verordnungstext der BK Nr. 1317 keine Mindestdosis vorgibt, schließt dies nicht aus, bei der Anwendung
einer BK-Norm die Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes zu verlangen, bei dessen Nichterreichen der Kausalitätsnachweis
von vornherein ohne weitere Kausalitätsprüfung der arbeitsmedizinischen Umstände des konkreten Einzelfalls abgeschnitten ist
(vgl. Bieresborn, NZS 2008, 354, 359 f. m. w. N.). Wie nicht zuletzt aus den Merkblättern zur BK Nr. 1317 folgt, ist die Wirkungsweise organischer Lösungsmittel
jedoch zum Teil noch nicht geklärt, es handelt sich demzufolge bei der BK Nr. 1317 um eine sog. stochastische Berufskrankheit,
bei der der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand vornehmlich Dosis-Häufigkeitsbeziehungen, und nur vereinzelt Dosis-Wirkungsbeziehungen
kennt (s. zur insoweit vergleichbaren BK Nr. 1303 Hess. LSG vom 3. November 2004 - L 3 U 1613/97; s. zur BK Nr. 1317 Hess. LSG vom 1. Dezember 2009 - L 3 U 255/05). Daher ist mit dem Vorhandensein der in der Berufskrankheitenbezeichnung genannten Listenstoffe am Arbeitsplatz - hier organischer
Lösungsmittel und deren Gemische - auch vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen auszugehen, so lange nach dem
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand (s. hierzu BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R) kein Erfahrungssatz existiert, demzufolge erst ab Erreichen einer bestimmten Mindestdosis von einer Gefährdung ausgegangen
werden kann (sog. sichere Dosis). Dies gilt trotz der Existenz von Arbeitsplatzgrenzwerten, weil diese zwar vom Ausschuss
für Gefahrstoffe als Schichtmittelwerte aufgestellt werden, um Gefahren am Arbeitsplatz möglichst gering zu halten, jedoch
keine Garantie der "sicheren Dosis" enthalten. §
9 SGB VII setzt indes voraus, dass das Ausmaß der Einwirkungen, denen der Versicherte ausgesetzt war, einen erheblich höheren Grad
als die Exposition der übrigen Bevölkerung erreicht hat (zum Ganzen siehe auch das Urteil des Senats vom 22. April 2013 -
L 9 U 267/09).
Vorliegend sind zunächst die geringen Messwerte und die anzunehmende günstigere Verteilung in der Büroraumluft geeignet, eine
der beweisrechtlich erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit entgegenstehende Zweifel auszulösen (s.o.).
Zudem sprechen vorliegend gewichtige Gründe dafür, dass die Erkrankung auf außerberufliche Ursache zurückgeht.
Bei der Enzephalopathie handelt es sich um eine Störung der Gehirnfunktion. In der Regel wird der Begriff zur Beschreibung
einer diffusen und nicht einer lokalisierten Veränderung verwendet. Die Ausprägung kann sehr unterschiedlich sein und von
einer nur durch spezielle neurologische Untersuchungen erfassbaren minimalen Enzephalopathie bis hin zu erheblichen Funktionsstörungen
und -ausfällen mit kognitiven Störungen, Psychosen, motorischen Störungen, Zittrigkeit, Krämpfen, Demenz und Bewusstlosigkeit
reichen (www.medicoconsult.de/Enzephalopathie). Wie Dr. C. in seiner Expertise zutreffend hervorgehoben hat, handelt es sich
bei der Enzephalopathie um kein spezifisch toxisches Krankheitsbild. Über eine solche, z. B. ausgelöst durch Drogen oder organische
Lösungsmittel, kennt die schulmedizinische Terminologie auch noch die HIV-, die hepatitische, die septische oder auch eine
durch eine Vergiftung hervorgerufene Enzephalopathie. Die Ursache für die bei der Klägerin bestehende Enzephalopathie konnte
Dr. C. trotz gründlicher, Zusatzdiagnostik einschließender psychologischer und neurologischer Untersuchungen, nicht sicher
ausmachen. Eine spezielle bildgebende oder nuklearmedizinische Untersuchung zum Nachweis der hier allein streitgegenständlichen
toxischen Enzephalopathie existiert nach den Ausführungen des Sachverständigen, an denen der Senat keinen Anlass zu Zweifeln
hat, ebenso wenig, wie diese durch Laboruntersuchungen gesichert werden kann (vgl. Seiten 51 - 53 des Gutachtens).
In seiner auf einer ausführlichen Anamnese beruhenden, sämtliche Vorbefunde und die Krankheitsgeschichte der Klägerin einbeziehenden
Gesamtbewertung hält Dr. C. allerdings eine der BK Nr. 1317 nur unterfallende toxische Enzephalopathie bei der Klägerin im
Vergleich zu einer Enzephalopathie aufgrund anderer Ursachen (insbesondere einer in 2004 stattgehabten Mykoplasmen-Pneumonie
oder einer allergischen Reaktion auf Makrolid-Antibiotika) für unwahrscheinlicher. Die sehr differenzierten und abwägenden
Ausführungen des Sachverständigen hält der Senat für überzeugend.
Gegen eine auf berufliche Einwirkungen zurückzuführende toxische Enzephalopathie spricht für den Senat zunächst der Krankheitsverlauf.
Die angeschuldigte Tätigkeit bei der Fa. D. Aluminium GmbH in A-Stadt hat die Klägerin am 25. September 2000 aufgenommen.
Nach dem testpsychologischen Untersuchungsbericht von Dr. E. vom 27. Januar 2005 sind bei der Klägerin Beschwerden, die auf
eine Enzephalopathie hindeuten könnten, erstmals im Herbst 2003 mit Benommenheit, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit
u.a. aufgetreten. Ab dem 5. Januar 2005 hat die Klägerin nicht mehr gearbeitet.
Was die Neutrotoxidität anbelangt, belegen nach dem BK-Report 2/2007 zur BK 1317, S. 128, epidemiologische Untersuchungen,
dass sich eine toxische Enzephalopathie regelmäßig erst nach einer Expositionsdauer von 10 Jahren und mehr entwickelt. Etwas
anderes kann sich bei kürzeren Expositionszeiten nur bei - hier ganz offenkundig nicht gegebener - außergewöhnlich hoher Belastung
(Überschreitung des Schwellenwertes um ein Mehrfaches) ergeben (siehe hierzu auch Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall
und Berufskrankheit", 8. Aufl. 2010, S. 242). Sollte eine berufliche Einwirkung vorgelegen haben, wäre diese zudem über einen
Zeitraum von drei Jahren still verlaufen. Auch hat sich das Krankheitsbild nach Tätigkeitsaufgabe am 5. Januar 2005 nicht
verbessert, sondern zunächst noch weiter verschlechtert ohne spätere Veränderungen, persistierend. Diesbezüglich nimmt der
Senat Bezug auf den neurologischen Befundbericht von Dr. E. vom 17. Mai 2007, die psychologische Stellungnahme von Dipl.-Psych.
J. vom 4. September 2007 und die eigenen Angaben der seit 2007 berenteten Klägerin gegenüber der Sachverständigen Dr. H. 2012
(Seite 26 f. des Gutachtens) und Dr. C. 2016 (Seiten 28 ff.).
Angesichts der Flüchtigkeit von Lösemitteln nach Ende der Exposition wäre demgegenüber eher eine, wenn auch nur marginale,
Rückbildung von Symptomen zu erwarten gewesen, so dass eine Beschwerdezunahme nach Expositionsende gegen einen Ursachenzusammenhang
mit der Lösemittelexposition spricht. Nach der Fachliteratur zeichnen sich eine Polyneuropathie und eine Enzephalopathie durch
unterschiedliche Krankheitsverläufe aus (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Aufl.
2010, S. 242). Jeweils gilt aber, dass grundsätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der gesundheitsschädigenden
Exposition und dem Krankheitsbeginn besteht. Auch ist eine langfristige weitere Verschlechterung nicht belegt, vielmehr kommt
es zu Rückbildungen der Symptomatik (so z.B. auch Mehrtens/ Brandenburg, "Die
Berufskrankheitenverordnung", M 1317, Anm. 2.1). Bei einer Enzephalopathie wird am häufigsten ein Fortbestehen oder nur leichte Minderung des Symptomerlebens
bzw. psychischer Leistungsdefizite nach Expositionsende beschrieben. Eine Progression wurde bei Studien dagegen deutlich überwiegend
nicht festgestellt, mit Ausnahme bei sehr hoher und langer Lösungsmittelexposition (siehe hierzu auch den BK-Report 2/2007
zur BK 1317, S. 139; Schönberger/Mehrtens/Valentin "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Aufl. 2010, S. 242). Zwar wird
in dem überarbeiteten Merkblatt zur BK Nr. 1317 aus dem Jahr 2005 (BArbBl. 3/2005 S. 49 ff.) zur Enzephalopathie ausgeführt,
dass eine Persistenz oder eine Verschlechterung der Erkrankung nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit eine Verursachung
durch Lösungsmittel nicht ausschließe. Allerdings wird hier auch festgestellt, dass für die Differentialdiagnose von Bedeutung
ist, dass eine Progredienz der Erkrankung nach Expositionskarenz gegen die Annahme eines Ursachenzusammenhangs spricht.
Berücksichtigt man zudem die von dem Sachverständigen Dr. C. genannten Konkurrenzursachen für das Entstehen der Enzephalopathie,
wie vor allem die Mykoplasmen-Pneunomie in 2004, die zu neurologischen Veränderungen führen kann, erweist sich eine aus der
Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln und anderen Gemischen entstandene als nicht wahrscheinlich.
Dem in der Akte befindlichen, nach Aktenlage für das Sozialgericht Frankfurt am Main in der Streitsache S 8 U 63/07 nach §
109 SGG erstellten Gutachten von Prof. Dr. G. vom 24. August 2010 vermochte der Senat nicht zu folgen. Es bestehen grundsätzliche
Zweifel an der Expertise des Sachverständigen. Der bereits emeritierte Wissenschaftler war an der Medizinischen Fakultät der
Universität Heidelberg als Dr. rer. nat. im Bereich der klinischen Biochemie tätig. Soweit sich in dem Gutachten die Diagnose
einer "toxischen Enzephalopathie" findet, kann dieser mangels medizinischer Qualifikation des Sachverständigen keine Bedeutung
zukommen. Was dessen sonstige Ausführungen anbelangt, geht der Senat zunächst von deren grundsätzlicher Verwertbarkeit für
das Verfahren aus. Zwar gehört ein Biochemiker nicht zu dem §
109 SGG unterfallenden Personenkreis. Nach dessen Abs.
1 a.a.O. können nur Ärzte, also Personen, die eine Approbation nach § 3 der Bundesärzteordnung besitzen, mit der Erstellung eines Gutachtens befasst werden. Da das Gericht im Rahmen seiner Sachermittlungen von Amts wegen
nach §
118 SGG in Verbindung mit §
404 Abs.
1 Zivilprozessordnung (
ZPO) jedoch auch Personen als Sachverständige beauftragen kann, die keine Ärzte sind und ein umfassendes Verwertungsverbot für
Gutachten von Nichtärzten aus §
109 SGG nicht entnommen werden kann, bestehen keine Bedenken, das Gutachten zu verwerten (so in einem ähnlichen Fall auch LSG Berlin-Brandenburg
vom 11. Juni 2009 - L 11 VH 35/08). Außerhalb der medizinischen Befundung, für die es dem Sachverständigen an der Kompetenz mangelt, befasst sich Prof. Dr.
G. sehr ausführlich mit der Schadstoffexposition der Klägerin an ihrem früheren Arbeitsplatz und stellt ausgiebige, breite
toxikologische Überlegungen, im Wesentlichen basierend auf den Angaben der Klägerin zu Gerüchen und hygienischen Bedingungen
dort, an. Seine Feststellung eines höheren VOC-Messwertes, als vom TAD ermittelt (1,13 mg/m3), und als Folge einer "haftungsbegründenden Exposition am Arbeitsplatz" sind jedoch nicht überzeugend und dem spekulativen
Bereich zuzuordnen. Der Sachverständige stellt Mutmaßungen über weitere Schadstoffe am Arbeitsplatz an (Aluminiumstaub, Aerosole
von Kühlschrankschmiere), die nicht berücksichtigt worden seien. Außer den subjektiven Angaben der Klägerin und allgemeinen
Erwägungen zu Belastungen in der Büroraumluft finden sich zur Stützung seines Ergebnisses keine Nachweise. Weitergehende Ermittlungen
durch ergänzende Messungen sind dem Senat nicht mehr möglich, da das Betriebsgebäude, in dem sich das Büro der Klägerin befand,
abgerissen wurde. Die Folgen der Nichterweislichkeit hat die Klägerin zu tragen. Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen
oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren
geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei
den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Dem im Laufe des Berufungsverfahrens vorgelegten Sachverständigengutachten von Dr. H. vom 25. Juni 2012 kann dagegen schon
deshalb nicht gefolgt werden, weil es von falschen, nicht belegten Voraussetzungen ausgeht. Die Feststellungen der Ärztin
gründen in der Annahme des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen und gehen davon aus, dass die Klägerin ausreichenden
Expositionen gegenüber organischen Schadstoffen ausgesetzt gewesen sei. Dies ist nach den Messergebnissen des TAD nicht belegt
und gerade Streitpunkt des Verfahrens. Bereits aus diesem Grund können die Feststellungen der Sachverständigen keinen Bestand
haben. Soweit Dr. H. die Überschreitung von Grenzwerten unter Hinweis auf nicht näher bezeichnete epidimiologische Studien
nicht für erforderlich hält und ausweislich des "Expositionsnachweises" (Seite 34 des Gutachtens) bereits den Kontakt mit
Aldenyden, flüchtigen organischen Komponenten, chloriden Kohlenwasserstoffen, Chlorphenolen, Lindan und auch Toluol, Xylol,
N-Heptan als Lösungsmittel in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahre für ausreichend hält um eine toxische Enzephalopathie
auszulösen, fehlt es an einer näheren Begründung. Auch setzt sich die Sachverständige nicht differentialdiagnostisch mit anderen
möglichen Ursachen für eine Enzephalopathie auseinander, wie es Dr. C. getan hat.
Weitere Sachermittlungen von Amts wegen waren nicht geboten. Die Überlegungen von Dr. C. dahin, ob ggf. die Mykoplasmen-Pneunomie
in 2004 durch eine Schadstoffexposition am Arbeitsplatz hervorgerufen worden war, in deren Gefolge sich neurologische Ausfallerscheinungen
entwickelt haben könnten, hat mit der in diesem Verfahren alleinig streitgegenständlichen BK Nr. 1317, die Erkrankungen der
Lunge nicht erfasst, nichts zu tun.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.