Unfallversicherungsrecht; BK Nr. 3101; Krankenschwester; okuläre Tuberkulose; serpiginosa-artige Chorioiditis; Anforderungen
an den Nachweis der Infektion
Tatbestand
Streitig ist die Feststellung der bei der Klägerin vorliegenden serpiginosa-artigen Chorioiditis als Folge einer Berufskrankheit
(BK) nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV).
Die 1958 geborene Klägerin ist examinierte Krankenschwester. Seit Oktober 1980 ist sie als Verwaltungsangestellte bei dem
Universitätsklinikum C-Stadt GmbH (UK), Standort A-Stadt, beschäftigt. Im Jahr 2007 war sie u. a. mit der Patientenaufnahme
befasst. Mit Schreiben vom 9. April 2008, bei der Beklagten eingegangen am 17. April 2008, teilte die Oberärztin der Klinik
für Augenheilkunde des Universitätsklinikums mit, dass die Klägerin dort seit Ende Juni 2007 wegen einer serpiginösen Chorioiditis
an beiden Augen in Behandlung sei. Als Ursache für die Erkrankung sei bisher eine autoimmunologische Genese angenommen worden,
ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und einem vorangegangenen Tuberkulosekontakt sei Gegenstand der Forschung und ebenfalls
denkbar. Da die Klägerin anamnestisch über einen beruflichen Kontakt mit einem tuberkuloseinfizierten Patienten Anfang 2007
berichtet habe, sei eine BK-Meldung zu erstatten. Ob sich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Tuberkulose und der Augenerkrankung
herausstelle, sei noch offen.
Zu dem Vorfall selbst befragt, erklärte die Klägerin im Juni 2008, im Januar 2007 im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Patientenaufnahme
der Notaufnahme einen Tbc-Patienten aufgenommen zu haben. Ca. sechs Wochen später habe es begonnen, ihr körperlich schlecht
zu gehen. Sie habe unter Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, leichter Temperaturerhöhung und einem ständigen Schwitzen
gelitten. Anfang Juni seien Augenbeschwerden (Lichtblitze in beiden Augen) hinzugekommen, im Weiteren eine starke Lichtempfindlichkeit
und ein Sehverlust auf dem linken Auge. Seither sei sie bei verschiedenen Ärzten in Behandlung. Es seien "Tuberkulosetests"
erfolgt. Ergänzend zu ihrem Vorbringen legte die Klägerin diverse ärztliche Unterlagen (u. a. des Universitätsklinikums Tübingen
(UKT) u. a. über Quantiferontestungen mit positivem Ergebnis vom 25. Oktober 2007 und 15. November 2007, Arztbrief Dr. D.,
Lungen- und Bronchialheilkunde, vom 5. Mai 2008, Bericht Dr. E. vom UKGM an die F. Versicherung AG vom 11. Januar 2008) bei.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte des UKGM am 19. September 2008 die Daten der erfolgten Tubergentestungen und der erfolgten
Röntgenuntersuchungen des Thorax von November 1980 bis Oktober 2007 mit. Bestätigt wurde von dort, dass die Klägerin im Januar
2007 Kontakt mit einem 1976 geborenen, an Lungen-Tbc erkrankten Patienten gehabt habe. Unter dem 27. Oktober 2008 erstattete
Dr. G., Oberarzt des Departments für Augenheilkunde des UKT der Beklagten Bericht. Bestätigt wurde darin die Diagnose einer
beidseitigen serpiginösen Chorioiditis. Nach dem aktuellen Stand der Forschung sei - so der Arzt - ein Zusammenhang der Augenerkrankung
mit Tuberkulose möglich bzw. anzunehmen. Vor der Erstvorstellung in der Klinik sei die Erkrankung progredient gewesen. Während
des Behandlungszeitraums von Oktober 2007 bis März 2008 habe sich ein, allerdings mit Tuberkulostatika intensivierter Therapie,
stabiler Befund ergeben. Es sei zunächst eine intensive Diagnostik auf Tuberkulose erfolgt. Der zunächst negative Quantiferontest
sei nach vorübergehendem Absetzen der vorbestehenden immunsuppressiven Therapie mit Ciclosporin A positiv gewesen. Im anschließend
durchgeführten PET-CT hätten sich verkalkte, am ehesten postspezifische Rundherde in der rechten Lunge gefunden. Eine Bronchoskopie
inklusive Bronchiallavage habe keinen Nachweis von Mykobakterien erbracht. Prof. Dr. H., Direktor der Klinik für Unfall-,
Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKGM teilte der Beklagten unter dem 4. November 2008 mit, dass sich die Klägerin
dort in der Notaufnahme am 7. Februar 2007 vorgestellt gehabt habe. Kontakt zu der potentiellen Infektionsquelle habe sie
am 12. Januar 2007 im Rahmen der Patientenaufnahme an der Leitstelle der Notaufnahme gehabt. Der Patient habe mit ausgeprägtem
starken Husten zur Aufnahme direkt vor der Klägerin gestanden. Näher zu dem Kontakt mit der Indexperson befragt, erklärte
die Klägerin mit Schreiben vom 1. Februar 2009, dass dieser auf eine Schreibtischbreite vor ihr auf Augenhöhe entfernt gestanden
habe, er habe stark gehustet, genossen und geschnupft. Er habe ihr sein Patientenkärtchen in die Hand gegeben und mit einem
Kuli geschrieben. Der Kontakt habe etwa acht bis zehn Minuten direkt bestanden, Untersuchungen habe sie selbst keine vorgenommen.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen holte die Beklagte sodann eine gutachterliche Stellungnahme zum Tatbestand der
BK Nr. 3101 auf Grundlage einer anonymisierten Verwaltungsakte über eine Arzthelferin, die am 12. Januar 2007 im Rahmen ihrer
beruflichen Tätigkeit an der Praxisaufnahme Kontakt zu einem Patienten mit offener Tuberkulose hatte, bei Prof. Dr. J. ein.
In seiner Expertise vom 17. Februar 2009 führte der Sachverständige zusammenfassend aus, dass im Falle der Klägerin der Nachweis
einer aktiven Tuberkulose nicht gelungen sei. Eine Konversion im Tuberkulin-Verhalten sei nicht beschrieben. Der nach immunsuppressiver
Therapie positiv ausgefallene Quantiferontest reiche für die Diagnose einer aktiven Lungentuberkulose mit sekundärer (extrapulmonaler)
Organbeteiligung und tuberkulöser Chorioiditis nicht aus. Der kausale Zusammenhang könne nur dann als hinreichend gesichert
angesehen werden, wenn eine aktive floride Lungentuberkulose mit Nachweis von Mycobacterium tuberculosis gelungen sei. Die
Chorioditis/Retinitis sei immunologisch als hyperreaktive Zellantwort am Auge bei Infektionskrankheiten, Autoimmunerkrankungen
sowie bei der Sarkoid-Like-Läsion (Sarkoidose) eine geläufige Begleiterscheinung. Sie könne nur dann auf eine tuberkulöse
Ätiologie im kausalen Zusammenhang mit der zu fordernden hinreichenden Wahrscheinlichkeit bezogen werden, wenn sie im direkten
zeitlichen Zusammenhang mit einer aktiven Tuberkulose in Erscheinung getreten sei. Der Kontakt zu der angeschuldigten Indexperson
habe im Falle der Klägerin einem "Gelegenheitskontakt" entsprochen. Der Kontakt sei grundsätzlich geeignet gewesen, eine LTBI
(latente Tuberkuloseinfektion) herbeizuführen. Der Vollbeweis für einen dadurch eingetretenen regelwidrigen Körperzustand
mit primärer aktiver Lungentuberkulose sei bisher nicht erbracht. Eine tuberkulöse Erstinfektion am Auge mit Chorioiditis
- ohne pulmonale Primärinfektion - sei auszuschließen. Der Landesgewerbearzt Dr. K. führte in seiner Stellungnahme vom 5.
März 2009 aus, dass eine Augenbeteiligung im Rahmen einer BK Nr. 3101 nicht angenommen werden könne, da kein Anhalt für eine
aktive oder gar Miliartuberkulose bestehe.
Mit Bescheid vom 13. Mai 2009 lehnte die Beklagte die Feststellung der entzündlichen Augenerkrankung (serpiginöse Chorioiditis)
als BK nach Nr. 3101 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die durchgeführten Ermittlungen ergeben hätten, dass bei der
Klägerin nie eine aktive Tuberkuloseinfektion vorgelegen habe. Es hätten weder radiologisch noch klinisch Anhaltspunkte für
eine aktive Tuberkulose gefunden werden können. Die Röntgenbefunde zeigten keinen Hinweis auf lungentuberkuläre Veränderungen
und auch im Sputum des Bronchialsekrets hätten TBC-Erreger nicht nachgewiesen werden können. Eine Chorioiditis könne aber
nur dann auf eine tuberkulöse Ätiologie zurückgeführt werden, wenn sie im direkten zeitlichen Zusammenhang mit einer aktiven
Tuberkulose in Erscheinung getreten sei. Der von der Klägerin hiergegen eingelegte Widerspruch war erfolglos und wurde von
der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2009 mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Infektionserkrankung
nicht nachzuweisen sei. Unstrittig sei, dass die Klägerin als Arzthelferin in der Patientenaufnahme des UK tätig sei und somit
zu dem von der Nr. 3101 der Anlage 1 zur
BKV erfassten Personenkreis gehöre. Für die Anerkennung einer Infektionskrankheit als BK sei allerdings nicht allein die Ausübung
einer Tätigkeit im Bereich des Gesundheitsdienstes maßgeblich. Vielmehr sei insbesondere der Nachweis erforderlich, dass tatsächlich
eine Infektionskrankheit eingetreten sei. Aus den eingeholten medizinischen Befundberichten sowie den vorliegenden radiologischen
Aufnahmen ergäbe sich jedoch, dass bei der Klägerin selbst keine aktive tuberkulöse Infektion und somit keine Infektionskrankheit
im Sinne der Nr. 3101 der Anlage 1 zur
BKV vorgelegen habe. Eine Tuberkuloseinfektion sei damit als Ursache für die bestehende Augenerkrankung ausgeschlossen. Auch
der positiv ausgefallene Quantiferontest erbringe keinen Nachweis, dass bei der Klägerin eine aktive Lungentuberkulose mit
sekundärer Organbeteiligung vorgelegen gehabt habe. Der Test belege, dass die Klägerin in der Vergangenheit wahrscheinlich
Kontakt zu einem Erreger der Tuberkuloseerkrankung gehabt habe. Auch aus den vorliegenden ärztlichen Berichten des UKT ergäbe
sich eindeutig, dass bei der Klägerin eine aktive Lungentuberkulose oder ein entzündlicher Prozess nicht nachzuweisen sei.
Eine aktive Lungentuberkulose habe medizinisch nicht festgestellt werden können, vielmehr spräche der bei der Klägerin bereits
im Jahr 1990 im Rahmen einer betriebsärztlichen Untersuchung vorgenommene Tuberkulinhauttest, welcher positiv ausgefallen
sei, eindeutig für einen weit zurückliegenden Kontakt mit dem Tuberkulosebakterium. Eine tuberkulöse Infektion am Auge ohne
aktive Lungentuberkulose sei medizinisch auszuschließen.
Ihren Anspruch hat die Klägerin mit Klage vor dem Sozialgericht Marburg vom 26. November 2009 weiterverfolgt. Im Rahmen der
Sachermittlungen von Amts wegen hat das Sozialgericht Befundberichte von Dr. L. (Allgemeinmediziner) vom 8. April 2010 nebst
Auszügen aus dessen Patientenakte, Dr. M. (Gynäkologin, UKGM) vom 4. Mai 2010 und Prof. Dr. N. (Augenarzt, UKGM) vom 17. Mai
2010 eingeholt.
Beigezogen wurden darüber hinaus das von Prof. Dr. O. unter dem 8. September 2009 für die F. Versicherung AG erstellte augenärztliche
Gutachten nebst internistisch-pulmologischem Zusatzgutachten von Dr. P., beide von der Universitätsklinik Tübingen. In seiner
Expertise hat Prof. Dr. O. ausgeführt, dass nach derzeitigem Wissensstand die serpiginosa-artige Chorioiditis als eine der
möglichen Formen der okulären Tuberkulose angesehen werden könne. Bei der eigentlichen Chorioiditis serpiginosa handele es
sich um eine chronische rezidivierende Entzündung, welche primär die Aderhaut des Auges befalle und im weiteren Verlauf sekundär
die Netzhaut einbeziehe. Die Erkrankung beginne peripapillar und breite sich anschließend von dort weiter aus. Für die Chorioiditis
serpiginosa werde eine autoimmune Genese angenommen. Darüber hinaus könne bei Tuberkulose eine Form von Chorioiditis beobachtet
werden, welche serpiginöse Läsionen lediglich simuliere und daher im Englischen als "serpiginous-like" bezeichnet werde. Diese
serpiginosa-artige Chorioiditis imponiere zu Beginn als multifokale Chorioiditis mit nichtzusammenhängenden bzw. plaqueartigen
Läsionen, welche sich jedoch im weiteren Verlauf zu einer zusammenhängenden Läsion ausbreiteten. Im Gegensatz zur eigentlichen
serpiginösen Chorioiditis sprächen die Läsionen der serpiginosa-artigen Chorioiditis nicht auf eine alleinige antientzündliche
Therapie mit Steroiden und Immunsuppressiva an, lediglich eine Kombination mit tuberkulostatischen Medikamenten vermöge Rezidive
zu verhindern. Die für die serpiginosa-artige Chorioiditis genannten Charakteristika träfen für das Krankheitsbild der Klägerin
zu. Während sich am rechten Auge disseminierte Fundusläsionen zeigten, sei es am linken Auge, wo die Erkrankung deutlich weiter
fortgeschritten sei, bereits zu einer Ausbreitung der Veränderungen hin zu einer zusammenhängenden Läsion gekommen. Auch sei
es bei der Klägerin unter konventioneller immunsuppressiver Therapie zunächst zu einer Progression der Erkrankung gekommen;
erst durch zusätzliche tuberkulostatische Therapie sei eine Stabilisierung der Erkrankung eingetreten. Dass sich die Klägerin
mit Tuberkulose infiziert habe, sei aufgrund des positiven Quantiferontests als gesichert anzusehen. Der Quantiferontest falle
lediglich bei Personen positiv aus, die sich mit Tuberkulose infiziert gehabt hätten, nicht aber im Falle einer früheren Impfung
gegen Tuberkulose. Eine Unterscheidung zwischen einer floriden und einer abgelaufenen bzw. latenten Tuberkulose erlaube der
Test jedoch nicht. Von einer gesicherten intraokularen Tuberkulose könne bei der Klägerin jedoch nicht gesprochen werden,
da hierzu der mikroskopische oder kulturelle Nachweis von Tuberkulosebakterien bzw. eine positive PCR aus Augenflüssigkeit
zu fordern sei. Diese Maßnahme sei bei der Klägerin bislang nicht durchgeführt worden, als invasive Maßnahme rein aus gutachterlichen
Gründen sei diese zudem auch nicht gerechtfertigt. In seinem internistisch-pneumologischen Zusatzgutachten war Dr. P. zu der
Auffassung gelangt, dass ein starker Verdacht bestehe, dass die Klägerin eine durch Tuberkulose induzierte Erkrankung des
Auges aufweise. Diese könne durch eine Neuinfektion bedingt sein, es sei jedoch auch möglich, dass durch die Exposition am
Arbeitsplatz eine alte Lungentuberkulose reaktiviert worden sei und zu der Augenerkrankung geführt habe. Ein Zusammenhang
mit dem an Tuberkulose erkrankten Patienten in der Notaufnahme sei möglich. Dafür spreche die Symptomatik mit Gewichtsverlust
und Temperaturen bis 38ooC. Allerdings seien diese Symptome nicht sehr spezifisch und könnten auch durch andere Erkrankungen hervorgerufen werden.
Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche die Tatsache, dass unter Immunsuppression keine Verschlechterung der B-Symptomatik
und der spezifischen Symptomatik am Auge eingetreten sei.
Im Rahmen eigener Sachermittlungen von Amts wegen hat das Sozialgericht ein Gutachten von PD Dr. Q., Oberarzt Pneumologie
und Beatmungsmedizin der Thoraxklinik Heidelberg, vom 13. November 2012 beigezogen. Dieser ist dazu gelangt, dass sich im
Falle der Klägerin die Diagnose einer Tuberkulose nicht eindeutig verifizieren lasse. Ein Erregernachweis des Mycobacterium
tuberculosis sei nicht erfolgt, was aber eine pulmonale Tuberkulose, auch die okuläre Form, nicht eindeutig ausschließe. Die
Inkubationszeit bis zum Eintreten der Beschwerden läge nach anamnestischen Angaben bei vier Wochen, die durchschnittliche
Zeit von der Infektion bis zur Tuberkulinkonversion bei ca. acht Wochen, erste Beschwerden könnten bereits nach den berichteten
vier Wochen eingetreten sein. Ein Anhalt für eine primäre Lungentuberkulose ergäbe sich nicht. Es fänden sich allerdings im
schriftlichen Befund des Thorax-CT mehrere kleinere, verkalkte Rundherde, die Ausdruck einer stattgehabten Tuberkulose sein
könnten. Da nicht eindeutig ein pneumologisches Primärinfiltrat nachweisbar sei, könne nicht eindeutig entschieden werden,
ob eine postprimäre Tuberkulose nach dem Kontakt mit dem Tuberkulosepatienten aus dem Jahr 2007 vorgelegen habe. Ein Tuberkulin(stempel)test
sei nicht durchgeführt worden. Eine Lungenübersichtsaufnahme habe keinen Anhalt für einen aktiven oder postentzündlichen Prozess
ergeben. Insgesamt sei nicht eindeutig zu klären, ob die Beeinträchtigungen im Falle der Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit
verursacht worden seien. Der Nachweis einer okulären Tuberkulose sei relativ schwierig. Daher beruhe die Diagnose auf einem
hohen Verdachtsgrad. Letztlich sei die Frage des kausalen Zusammenhangs im besonderen Falle der Klägerin Aufgabe eines ophthalmologischen
Gutachters; aus pneumologischer, infektiologischer Sicht sei ein Zusammenhang der Augenerkrankung und dem Kontakt zu dem Tuberkulosepatienten
sehr gut möglich, aber nicht eindeutig zu beweisen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 16. Dezember 2013 abgewiesen und die Voraussetzungen zur Anerkennung der
Augenerkrankung der Klägerin als Infektionskrankheit nach der BK Nr. 3101 als nicht erfüllt angesehen. Eine Infektionskrankheit
sei eine durch einen Erreger hervorgerufene Erkrankung. Daher sei der Nachweis des die Erkrankung auslösenden Erregers erforderlich.
Derzeit werde in der medizinischen Forschung ein Zusammenhang zwischen Tuberkulose und der serpiginosa-artigen Chorioiditis
diskutiert. Als Erreger für diese Augenerkrankung komme das Mycobacterium tuberculosis oder das Mycobacterium bovis, welches
beide Tuberkuloseerreger seien, in Betracht. Diese Erreger seien jedoch auch durch das Vorliegen einer Infektionskrankheit
bei der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Zu diesem Ergebnis sei die Kammer im Wesentlichen
aufgrund der durchgeführten Untersuchungen und Testungen durch das UKGM, durch das Universitätsklinikum Tübingen sowie durch
das Gutachten von Prof. Dr. Q. (gemeint PD Dr. Q.) vom 13. Dezember 2012 gelangt. Die Diagnose einer Infektionskrankheit sei
jeweils durch virologische, bakteriologische, serologische und ggf. typendifferenzierende Untersuchungen unter Berücksichtigung
der Inkubationszeit zu sichern. Im Hinblick auf eine Tuberkuloseerkrankung bzw. deren Erreger erfolge der direkte Erregernachweis
mikroskopisch und kulturell aus Sputum, Bronchialflüssigkeit, Magensagt und je nach Manifestation bei Organtuberkulose aus
anderen Flüssigkeiten oder Gewebsproben. Der positive Tuberkulin-Hauttest sei zwar bei einer betriebsärztlichen Untersuchung
der Klägerin im Jahr 1990 positiv ausgefallen. Da die Klägerin jedoch in ihrer Kindheit eine BCG-Impfung erhalten habe, könne
dieser Test keinen Nachweis einer Infektion mit den Mykobakterien erbringen, denn bei geimpften Personen falle der Test grundsätzlich
positiv aus. So sei auch das positive Testergebnis der Klägerin im Zusammenhang mit der BCG-Impfung zu deuten. Ein Hinweis
auf eine TBC-Erkrankung habe sich zu keinem Zeitpunkt ergeben; soweit sich die Klägerin im Februar 2012 (richtig Februar 2007)
wegen Gewichtsabnahme, Temperaturerhöhung, Nachtschweiß und Abgeschlagenheit in der Notaufnahme des UKGM vorgestellt gehabt
habe, hätten Dr. P. und Prof. Dr. O. diese Symptome als unspezifisch bewertet, da solche auch bei anderen Erkrankungen vorkämen.
Zudem seien diese Symptome bei der Klägerin bereits nach etwas mehr als drei Wochen nach dem TBC-Kontakt aufgetreten. Von
der Erstinfektion bis zu den ersten klinischen Symptomen vergingen jedoch nach den Literaturangaben ca. zehn Wochen. Auch
der positive Quantiferontest vom 15. November 2007 gelte nicht als Vollbeweis des Erregers, sondern mache diesen mit Nachweis
von spezifischen Antikörpern lediglich wahrscheinlich. Auch die im Dezember 2007 durchgeführte Bronchoskopie habe keinen Nachweis
von Mykobakterien erbracht. Der Expertise von Prof. Dr. Q. (PD Dr. Q.) folgend hat die Kammer eine Primärtuberkulose durch
das Unfallereignis nicht als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellbar erkannt. Eine Primärinfektion mit
dem Tuberkuloseerreger am Auge habe Prof. Dr. J. ausgeschlossen. Auch Dr. P. habe einen Zusammenhang zwischen der Augenerkrankung
der Klägerin und der TBC-Exposition lediglich für möglich, nicht jedoch für bewiesen erachtet. Nach alledem sei nach dem Gesamtergebnis
des Verfahrens eine Infektion mit dem Tuberkulose-Bakterium zwar möglich, jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände nach
allgemeiner Lebenserfahrung und insbesondere, weil zu keiner Zeit ein kultureller oder mikroskopischer Nachweis des Erregers
gelungen sei, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen.
Gegen die ihr am 17. März 2014 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 9. April 2014 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht
angebracht. Zur Begründung hat die Klägerin in beweisrechtlicher Hinsicht bemerkt, dass ein Vollbeweis auch aufgrund von Indizien
bzw. einer Indizienreihe bestehen könne. Im Rahmen der Beweiswürdigung könne auch bei einem Vollbeweis ausnahmsweise die Beweisanforderungen
im Einzelfall herabgesetzt werden. Eine solche Herabsetzung der Beweisanforderung sei dann zulässig, wenn besondere Umstände
sonst mögliche Beweismittel ausschlössen. Ein solcher Fall sei vorliegend, vergleichbar mit Borreliose und Lyme-Borrelioseerkrankungen,
gegeben. Eingebürgert habe sich, dass der Borreliosenachweis durch Symptome erbracht werden könne. Gleiches müsse übertragen
auch für den Fall der Klägerin gelten, deren geklagte klinische Symptome nicht spezifisch seien. Das erstinstanzliche Gericht
hätte gerade zu diesem Punkt weiter ermitteln müssen und auch dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines ophthalmologischen Gutachtens
des Gutachters PD Dr. Q. nachgehen müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 16. Dezember 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 2. November 2009 aufzuheben und festzustellen, dass ihre serpiginosa-artige Chorioiditis, ausgelöst
durch eine okuläre Tuberkulose, eine Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur
BKV ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für schlüssig und auch nachvollziehbar begründet.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat der Senat ein ophthalmologisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr.
C. eingeholt. In seiner Expertise vom 25. Juni 2015 führt dieser aus, dass bezüglich der Diagnosestellung einer okulären Tuberkulose
seit 2007 Richtlinien bestünden. Nach diesen sei von einer gesicherten Tuberkulose auszugehen, wenn klinische Zeichen (u.
a. wie die bei der Klägerin vorliegenden Veränderungen einer serpiginosa-artigen Chorioiditis) zusammen mit einem mikroskopischen
Nachweis säurefester Stäbchen bzw. kultureller Anzucht der Erreger oder positiver PCR von tuberkulösen Mykobakterien aus Augenflüssigkeit
vorlägen. Da letzteres im Falle der Klägerin nicht erfolgt sei, könne eine gesicherte Tuberkulose nicht nachgewiesen werden.
Da allerdings bei der Klägerin aufgrund der serpiginosa-artigen Chorioiditis ein typisches klinisches Zeichen vorläge, zusammen
mit dem Vorliegen eines positiven Quantiferontests nach vorherigem Ausschluss anderer Ursachen der Augenerkrankung sowie ein
positives Ansprechen auf die tuberkulostatische Therapie zu verzeichnen gewesen sei, könne die bei ihr vorliegende Erkrankung
mit hoher Wahrscheinlichkeit als okuläre Tuberkulose angesehen werden. Es fände sich keine wahrscheinlichere Differentialdiagnose.
Da die Klägerin im Gesundheitswesen angestellt sei, eine Kontaktanamnese gegeben sei und keine Tuberkulose im privaten Umfeld
vorläge, sei die Ansteckung während der Arbeit hochwahrscheinlich und ein Zusammenhang als BK festzustellen. Zuzustimmen sei
im Übrigen den Feststellungen des PD Dr. Q. in seiner Stellungnahme vom 13. November 2012, dass das Eintreten erster Symptome
zwischen dem Kontakt mit dem Patienten in der Notfallambulanz des Universitätsklinikums Marburg am 12. Januar 2007 und dem
Auftreten von Beschwerden (Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust mit sich im Verlauf anschließender Augensymptomatik) trotz
der üblichen Inkubationszeit von sechs bis acht Wochen im vorliegenden Fall nach einer Latenz von vier Wochen denkbar sei.
Die MdE des linken Auges resultierend aus den Folgen der serpiginosa-artigen Chorioiditis bewertete der Sachverständige mit
25 v. H.
Den Feststellungen des Sachverständigen ist die Beklagte entgegengetreten. Im Kern macht sie geltend, dass eine Tuberkuloseerkrankung
im Falle der Klägerin zu keinem Zeitpunkt habe nachgewiesen werden können, der Vollbeweis sei nicht erbracht worden. Die festgestellte
Erkrankung, eine serpiginosa-artige Chorioiditis, sei nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine
entzündliche Augenerkrankung, die mannigfaltige Ursachen haben könne und keine Tuberkuloseerkrankung. Auch habe der Sachverständige
seine MdE-Einschätzung nicht begründet. Wegen des sehr differenzierten Vorbringens der Beklagten hat der Senat dazu eine ergänzende
Stellungnahme von Prof. Dr. C. erbeten, die dieser unter dem 13. Juni 2016 vorgelegt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zu dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Verwaltungsakte
der Beklagten und die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen, die sämtlichst Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§
87 Abs.
1 Satz 2 i. V. m. §§
153 Abs.
1,
151 SGG) und zulässig (§
143 SGG). Die Berufung, mit der die Klägerin die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur
BKV erstrebt, ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 3101 der Anlage 1 zur
BKV liegen bei der Klägerin vor.
Die Klage ist vorrangig auf die Anerkennung der geltend gemachten Berufskrankheit gerichtet. Sie ist insoweit als kombinierte
Anfechtungs- und Feststellungsklage (§
54 Abs.
1 S. 1 und §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG) zulässig (siehe z.B. BSG vom 30. Januar 2007 - B 2 U 6/06 R; BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 29/07 R). Die Frage des Vorliegens einer Berufskrankheit stellt die Grundlage für einen dann in Frage kommenden Anspruch auf Leistungen
aus der gesetzlichen Unfallversicherung wie der Verletztenrente dar.
Berufskrankheiten sind nach §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden
Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen
sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an
Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale
zweifelt (BSGE 6, 144; Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
128 Rn. 3b m. w. N.). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche
Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).
Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende,
schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität)
und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (sog. haftungsausfüllende
Kausalität - dazu: Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung,
SGB VII, Kommentar, Anm. 54 zu §
8 SGB VII). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheit gilt dabei, wie auch sonst
in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der
Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio
sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche
Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich"
ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern
rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen
Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die
Wahrscheinlichkeit, d. h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für
den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung
und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542
RVO). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist
(BSGE 60, 58, 59).
Unter Nr. 3101 sind in der Anlage 1 zur
BKV "Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig
oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war" erfasst. Die Voraussetzungen
dieses Tatbestandes i. V. m. §
9 Abs.
1 SGB VII sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Die Klägerin war seit Oktober 1980 durchgängig bei dem Universitätsklinikum A-Stadt GmbH, Standort A-Stadt, als Verwaltungsangestellte
beschäftigt. Sie war damit im Gesundheitsdienst tätig und nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII versichert. Wesentlicher Inhalt des Begriffs Gesundheitsdienst ist der Dienst zum Schutz, zur Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung
der Gesundheit gefährdeter Menschen oder zur Pflege unheilbar Kranker oder Gebrechlicher (vgl. Bayerisches Landessozialgericht
vom 13. August 2013 - L 3 U 262/12). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da die Patientenaufnahme, in der die Klägerin konkret tätig war, als Teil einer
stationären medizinischen Einrichtung unmittelbar mit der Behandlung kranker Menschen befasst ist.
Bei der Klägerin ist eine okuläre Tuberkulose, die zu einer serpiginosa-artigen Chorioiditis geführt hat,mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Bei der Tuberkulose handelt es sich um eine von Mensch zu Mensch durch Schmier- oder durch Tröpfcheninfektion übertragene
bakterielle Infektionskrankheit im Sinne der Nr. 3101 der Anlage 1 zur
BKV, die durch verschiedene Arten von Mykobakterien, am häufigsten durch Mycobacterium tuberculosis, verursacht wird. Im Falle
der okulären Tuberkulose manifestiert sich die Infektion an dem oder den Augen. Zu unterscheiden sind zwei unterschiedliche
Formen der Infektion. Bei der primären und eher selten auftretenden Form der okulären Tuberkulose liegt eine aktive Infektion
vor, bei der das Auge die initiale Eintrittspforte des Erregers in den Körper ist. Eine systemische Beteiligung ist bei dieser
Ausprägungsvariante dabei eher selten, die Erkrankung bleibt hier zumeist auf das Auge beschränkt. Bei der häufigeren, sog.
sekundären okulären Tuberkulose, ist das Auge nicht die initiale Eintrittspforte, sondern lediglich mitbetroffen bei einer
Tuberkulose, die ihren Ursprung an anderer Stelle, meist der Lunge, hat. Bei der serpinosa-artigen Chorioiditis handelt es
sich um eine chronische, rezidivierende Entzündung der Aderhaut des Auges im hinteren Augenabschnitt mit infektioneller Genese.
Die Erkrankung zeigt sich in weißlichen Flecken auf der Aderhaut, die sich nicht zurückbilden, sondern vernarbend ausweiten
und dadurch zu einer dauerhaften Sehverschlechterung führen (zum Krankheitsbild siehe: Jakob/Max/Mackensen "Okuläre Tuberkulose
- Diagnostik und Therapie", ZPA 2009, 509, 511 f).
Dass die Klägerin an einer serpiginosa-artigen Chorioiditis leidet, wurde von allen Sachverständigen und im Verfahren gehörten
Ärzten festgestellt. Diese Erkrankung wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Streitig ist insoweit ausschließlich
die Ursache für dieses Augenleiden. Zur Überzeugung des Senats steht nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen
im Verwaltungs-, Klage und Berufungsverfahren fest, dass sich die Klägerin am 12. Januar 2007 über den Kontakt mit einem Patienten
mit dem Tuberkulosebakterium infiziert hat und eine primäre okuläre Manifestation der Tuberkulose erfolgt ist.
Da die Diagnose einer okulären Tuberkulose - wie auch generell der Tuberkulose - mit Blick auf eine häufig sehr unspezifische
Beschwerdesymptomatik schwierig ist, ergeben sich in medizinischer wie auch in juristischer Hinsicht in Ansehung des für den
Gesundheitserstschaden geforderten Beweismaßstabes der "mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" Beweisschwierigkeiten.
Diese Beweisproblematik durchzieht sämtliche der eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten. Keiner der Sachverständigen
hat eine Tuberkuloseinfektion der Klägerin im Januar 2007 als nachgewiesen angesehen, sondern lediglich als "möglich, jedoch
nicht beweisbar" (Dr. P., Prof. Dr. O., PD Dr. Q.) erachtet; auch Prof. Dr. R. geht im Ergebnis nur von einer "hohen Wahrscheinlichkeit"
aus. Nach dem Ergebnis der Gesamtwürdigung bestehen jedoch für den Senat allenfalls theoretische, jedoch insgesamt betrachtet
keine vernünftigen Zweifel an der im Januar 2007 erfolgten Infektion der Klägerin mit dem Tuberkulosebakterium. Bei Tatsachen,
die das Gericht nur mit dem Überzeugungsgrad des Vollbeweises feststellen darf, schaden rein theoretische Zweifel, die immer
vorliegen können, nicht. Erforderlich ist lediglich ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit (BSG vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R).
Den sich bei der okulären Tuberkulose ergebenden, medizinisch typischen Diagnoseschwierigkeiten ist im Rahmen der Beweiswürdigung
vorliegend dadurch Rechnung zu tragen, dass im Falle der Klägerin ausnahmsweise geringere Anforderungen an den Beweis der
Tuberkuloseinfektion gestellt werden dürfen.
Die Zulässigkeit einer solchen "Beweiserleichterung" im Sinne einer Anpassung der Beweisanforderungen ohne Reduzierung des
konkret geltenden Beweismaßstabes - hier der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit -, um typischen Beweisschwierigkeiten
bei der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen, hat das Bundessozialgericht ausdrücklich anerkannt. Bei der "Beweiserleichterung"
handelt es sich nicht um ein eigenständiges Rechtsinstitut, sondern um eine Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung
unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Verwaltung bzw. das Gericht die Überzeugung von einem bestimmten
Geschehensablauf trotz bestehender theoretischer Zweifel gewinnen darf (s.o.; BSG vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R; BSG vom 07. September 2004 - B 2 U 25/03 R; zum Ganzen auch Keller in: Hauck/Noftz, SGB, 05/15, §
8 SGB VII, Rn. 335).
Die Beweisschwierigkeit ergibt sich bei der okulären Tuberkulose daraus, dass ein direkter Erregernachweis von Tuberkulosebakterien
am Auge als diagnostischer Goldstandard bei der Klägerin - ungeachtet der grundsätzlichen Frage der Zumutbarkeit und Mitwirkungspflicht
eines solchen Eingriffs - nicht erfolgt ist, heute nicht mehr möglich ist und darüber hinaus zudem auch generell nur in Ausnahmefällen
gelingt (Jakob / Max / Mackensen a. a. O., S. 517). Der Versuch eines direkten Erregernachweises erfolgt durch Probeentnahmen
von Augenflüssigkeit, zumeist, da sensitiver, durch Biopsie am Lid, den Konjunktiven, der Netz- und Aderhaut. Eine Biopsie
ist dabei nur im akuten entzündlichen Stadium der Tuberkulose möglich, da nach erfolgreicher antituberkulöser Therapie in
der Regel alle Tuberkulosebakterien abgetötet worden sind. Darüber hinaus liegt die Sensitivität dieser Methode zum Teil nur
bei 50% mit der Folge einer nicht unerheblichen Gefahr falsch-negativer Ergebnisse (Jakob / Max / Mackensen a. a. O., S. 517),
was die Beweiskraft dieser Untersuchung generell infrage stellt.
Ist der medizinisch diagnostische Beweis einer okulären Tuberkulose abstrakt generell nur in Ausnahmefällen möglich, muss
dies zwingend auch bei der juristischen Beweiswürdigung durch Berücksichtigung bei dieser Erkrankung typischerweise bestehender
Diagnose- resp. Beweisschwierigkeiten gewürdigt werden. Andernfalls wäre die Anerkennung einer Berufskrankheit in diesen Fällen
per se ausgeschlossen.
Die von den Sachverständigen festgestellte medizinisch diagnostische Möglichkeit, (hohe) Wahrscheinlichkeit einer okulären
Tuberkulose, in deren Gefolge sich bei der Klägerin eine serpiginosa-artige Chorioiditis entwickelt hat, stellt sich für den
Senat in Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung juristisch als eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit
dar.
Hierfür sprechen bei klinisch fehlender tuberkulöser Vorgeschichte der Klägerin und differentialdiagnostischem Ausschluss
anderer, denkbarer Erkrankungen die Inkubationszeit bis zum Auftreten krankheitstypischer Beschwerden, der positive Quantiferontest,
der klinische Verlauf der Erkrankung und entscheidend der Erfolg der tuberkulostatischen Therapie.
Dazu im Einzelnen:
Bei der Klägerin ist anamnestisch keine frühere Tuberkuloseerkrankung bekannt. Für eine ebensolche ergaben sich auch nach
den bildgebenden Befunden keine Hinweise. Sowohl die radiologische Diagnostik mittels PET/CT vom 6. Dezember 2007 als auch
die anlässlich der betriebsärztlichen Reihenuntersuchungen gefertigten Röntgenaufnahmen des Thorax waren unauffällig.
Andere Ursachen für die serpiginosa-artige Chorioiditis wie Borreliose, Toxoplasmose, Lues konnten differentialdiagnostisch
sicher ausgeschlossen werden. Dies ergibt sich aus dem Bericht des UKGM, Klinik für Augenheilkunde, Dr. E., vom 11. Januar
2008 und auch aus den Feststellungen von Prof. Dr. R. in dessen Gutachten und seiner nochmals sehr differenzierten ergänzenden
Stellungnahme zu genau diesem Punkt vom 13. Juni 2016 (Seite 3 / Bl. 305 der Gerichtsakten Bd. II), der sich der Senat anschließt.
Die Inkubationszeit, d.h. die Zeitspanne zwischen der Erstinfektion mit dem Mycobacterium tuberculosis und einer messbaren
Immunantwort beträgt durchschnittlich sechs bis acht Wochen (Jakob / Max / Mackensen a. a. O., S. 517). Der angeschuldigte
Kontakt mit dem infizierten Patienten hat am 12. Januar 2007 stattgefunden. Erste und erkrankungstypische Beschwerden (Fieber,
Nachtschweiß, Gewichtsverlust mit sich im Verlauf anschließender Augensymptomatik) sind bei der Klägerin nach vier Wochen
aufgetreten, was nach übereinstimmenden Feststellungen von Dr. P., PD Dr. Q. und Prof. Dr. C. möglich ist.
Bei der Klägerin wurden insgesamt zwei Quantiferontests durchgeführt, von denen nur der zweite ein positives Ergebnis aufgewiesen
hat. Allerdings ist der erste - negative - Test nach übereinstimmender Bewertung aller gehörten Sachverständigen unbeachtlich,
da er unter einer immunsuppressiven Therapie mit Ciclosporin und oralen Steroiden und dadurch bedingter Hemmung der für die
Testung entscheidenden T-Lymphozyten erhoben wurde. Der Quantiferontest (y-Interferon-Test - Gamma-Interferon-Test) ist eine
immunologische Testmethode zum Nachweis einer latenten oder manifesten Infektion mit Mycobacterium tuberculosis durch eine
Blutuntersuchung. Der Test gibt Auskunft über Zellen, die der Körper bei Kontakt mit Tuberkulose-Erregern zur Abwehr gebildet
hat. Hat eine Infektion stattgefunden, schütten diese Zellen ein bestimmtes Eiweiß (Interferon-Y) aus, welches gemessen werden
kann. Werden bei einer Tuberkuloseinfektion Erreger durch diese antigenpräsentierenden Zellen aufgenommen, folgt die Aktivierung
von T-Lymphozyten, welche als Reaktion mit der Ausschüttung von Interferon-y beginnen. Dieser Umstand wird in den Testverfahren
genutzt, in denen T-Lymphozyten in vitro mit Antigenen von Mycobacterium tuberculosis stimuliert werden. Ist eine Infektion
vorhanden, kann eine Sekretion von Intereferon-y nachgewiesen werden. Ist die Bildung von T-Lyphozyten medikamtös bedingt
nicht möglich, ergibt sich - wie im Falle der Klägerin - ein falsch-negatives Ergebnis. Durch den zweiten positiven Quantiferontest,
der nach Absetzen der immunsuppressiven Therapie durchgeführt wurde, ist nachgewiesen, dass sich die Klägerin mit dem Mycobacterium
tuberculosis infiziert hat.
Unerheblich ist insoweit, dass sich auf den Röntgenaufnahmen von Thorax, insbesondere Lunge, keinerlei Hinweise auf eine Tuberkulose
ergeben haben. Wie bereits ausgeführt, schließt ein negativer Röntgenbefund der Lunge eine primäre okuläre Tuberkose nicht
aus. Zudem haben die meisten Patienten mit diesem Krankheitsbild auch keine tuberkulöse Vorgeschichte oder Symptome einer
pulmonalen oder systemischen Beteiligung, weshalb sich in der Röntgenaufnahme des Thorax ein Normalbefund findet (Jakob/ Max/Mackensen
a. a. O., S. 512). Somit widersprechen die Literaturangaben ausdrücklich den Ausführungen des beratenden Arztes der Beklagten
Prof. Dr. J., der als Gegenargument einer BK Nr. 3101 angeführt hat, eine tuberkulöse Primärinfektion am Auge sei ohne vorherige
Primärinfektion der Lunge auszuschließen (vgl. S. 5 seiner Stellungnahme / Bl. 97 der Verwaltungsakte der Beklagten). Auch
sind die von Prof. Dr. J. dargelegten Argumente bezüglich einer "nicht mit Sicherheit zu stellenden Diagnose einer aktiven
Lungentuberkulose" nicht Gegenstand der hier zu klärenden Fragestellung. Die Stellungnahme dieses Arztes erweist sich insgesamt
als unbrauchbar. Weder entspricht sie dem aktuellen medizinischen Wissensstand zur okulären Tuberkulose noch geht Prof. Dr.
J. konkret auf die an ihn herangetragene Fragestellung ein.
Dass der Tuberkulinhauttest nach Mendel-Mantoux im Falle der Klägerin im August 2007 positiv ausgefallen ist, spricht ebenfalls
nicht gegen eine Infizierung am 12. Januar 2007. Beim Mendel-Mantoux-Test handelt es sich um einen intrakutanen Tuberkulintest,
der in Deutschland standardmäßig zur Identifizierung von Personen mit latenter Tuberkulose eingesetzt wird. Der Test dient
dazu, eine durchgemachte Tuberkulose-Erstinfektion oder aber auch eine stattgehabte Tuberkulose-Impfung nachzuweisen. Nach
Impfung mit Bacillus Calmette-Guerin (BCG) - einem Tuberkuloseimpftstoff - wird der Tuberkulin-Hauttest stets positiv, ein
"falsch-positives Testergebnis" ist daher zu erwarten. Die Klägerin erhielt in ihrer Kindheit eine BCG-Impfung; dass der betriebsärztliche
Dienst des UKGM bereits am 15. November 1990 einen positiven Tubergentest konstatiert hat, belegt daher keine stattgehabte
Tuberkulose, sondern folgt aus der früheren Impfung. Dies wird durch seinerzeitig gänzlich fehlende klinische Hinweise auf
eine Tuberkulose nur bestätigt. Eine höhere Spezifität und Aussagekraft ergibt sich daher aus dem Quantiferontest, der lediglich
bei solchen Personen positiv ausfällt, die sich tatsächlich mit Tuberkulose infiziert haben, nicht jedoch im Falle einer früheren
BCG-Impfung. Auf diesen Umstand hat insbesondere Prof. Dr. O. in seiner Expertise deutlich hingewiesen. Der Quantiferontest,
dem entsprechend auch der Senat eine entscheidende Bedeutung beimisst, ist bei der Klägerin bei der zweiten maßgeblichen Testung
positiv ausgefallen. Damit ist eine Tuberkuloseinfektion der Klägerin gesichert. Dass der positive Quantiferontest keine Aussage
zu dem Zeitpunkt der Infektion zulässt, ist an dieser Stelle unbeachtlich. Hierauf ist bei der Frage der Kausalität - siehe
unten - näher einzugehen.
Der klinische Verlauf der Erkrankung mit Heilung bzw. Stagnation der Augenerkrankung unter Einsatz einer antituberkulösen
Dreifachtherapie in Kombination mit immunsuppressiven Medikamenten bestätigen ebenfalls die tuberkuläre Genese der serpiginosa-artigen
Chorioiditis. Durch die Medikation kam es zum Stillstand der entzündlichen Aktivität.
Zusammenfassend spricht der passende zeitliche Zusammenhang von Infektionsquelle und primärer okulärer Erkrankung, der fehlende
Nachweis differentialdiagnostisch möglicher anderer Erkrankungsursachen und insbesondere der klinische Verlauf mit positivem
Ansprechen auf eine tuberkulosespezifische Therapie trotz des fehlenden Erregernachweises mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
für das Vorliegen einer tuberkulösen Infektion am Auge. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der direkte Erregernachweis
nach Literaturangaben bei sämtlichen Formen der Tuberkulose (Lunge, Knochen) nicht der Regelfall ist, ergibt sich vorliegend
aus den genannten Gründen kein vernünftiger Zweifel an einer tuberkulös infektiologischen Ursache der Augenerkrankung der
Klägerin.
Die Klägerin war auch "Einwirkungen" ausgesetzt, die im Falle der BK Nr. 3101 in einer besonders erhöhten Infektionsgefahr
bestehen. Darüber hinaus ist auch der vom Gesetz als ausreichend erachtete mögliche Zusammenhang zwischen der erhöhten Infektionsgefahr
und der Infektionskrankheit nicht ausgeschlossen. Die Listen-BKen sind in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass Versicherte
über einen längeren Zeitraum schädigenden Einwirkungen ausgesetzt sind und erst diese längerfristige Belastung zu der Erkrankung
führt. Bei der BK Nr. 3101 besteht hingegen die Besonderheit, dass die schädliche Einwirkung, also der Ansteckungsvorgang,
bei dem die Krankheit übertragen wurde, ein einmaliges, punktuelles Ereignis darstellt, das häufig im Nachhinein nicht mehr
ermittelt werden kann. Meistens sind verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege denkbar, ohne dass sich feststellen
lässt, bei welcher Verrichtung es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist. Gerade aus diesem Grund sind Infektionskrankheiten,
deren auslösendes Ereignis - die einmalige Ansteckung - an sich eher die Voraussetzungen des Unfallbegriffs erfüllt, als BK
bezeichnet worden (BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R; BSG vom 21. März 2006 - B 2 U 19/05 R). Um diesen Nachweisschwierigkeiten zu begegnen, genügt bei der BK Nr.
3101 als "Einwirkung" i. S. des §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII, dass der Versicherte einer der versicherten Tätigkeit innewohnenden "Infektionsgefahr besonders ausgesetzt" war (BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R).
Die besondere, über das normale Maß hinausgehende Infektionsgefahr ist dabei nicht Bestandteil eines Ursachenzusammenhanges
zwischen versicherter Tätigkeit und Infektionskrankheit. Sie ersetzt vielmehr als eigenständiges Tatbestandsmerkmal die Einwirkungen
und ist mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal "Verrichtung einer versicherten Tätigkeit" durch einen wesentlichen Kausalzusammenhang,
hingegen mit der "Erkrankung" nur durch die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs verbunden. Für die erhöhte Infektionsgefahr
gelten damit hinsichtlich des Beweismaßstabes die Anforderungen, die ansonsten für das Tatbestandsmerkmal der Einwirkungen
zu beachten sind. Sie muss im Vollbeweis vorliegen. Zwar setzt der Begriff der Gefahr eine Wahrscheinlichkeitsprognose voraus
und charakterisiert einen Zustand, bei dem nach den objektiven Umständen der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich gelten
kann. Allerdings ist zwischen der tatsächlichen Ebene, auf die sich die Wahrscheinlichkeitsprognose beziehen muss, und der
rechtlichen Wertung, ob aufgrund der nachgewiesenen Tatsachen eine Schädigung möglich ist, zu unterscheiden (BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R).
Eine erhöhte Infektionsgefahr ist bei Versicherten anzunehmen, die aufgrund ihrer Tätigkeit oder ihres Arbeitsumfeldes einer
Infektionsgefahr in besonderem Maße ausgesetzt sind. Die besondere Infektionsgefahr kann sich im Einzelfall aufgrund der Durchseuchung
des Umfelds der Tätigkeit oder - wie vorliegend - der Übertragungsgefahr der ausgeübten Verrichtungen ergeben. Die Übertragungsgefahr
ist nach dem Übertragungsmodus der jeweiligen Infektionskrankheit sowie der Art, der Häufigkeit und der Dauer der vom Versicherten
verrichteten gefährdenden Handlungen zu beurteilen. Ebenfalls zu beachten sind die individuellen Arbeitsvorgänge. Da für die
Anerkennung der BK Nr. 3101 nicht eine schlichte Infektionsgefahr genügt, sondern eine (z. T. typisierend nach Tätigkeitsbereichen)
besonders erhöhte Infektionsgefahr vorausgesetzt wird (§
9 Abs.
1 Satz 2 Halbsatz 1
SGB VII), kommt es darauf an, welche einzelnen Arbeitshandlungen im Hinblick auf den Übertragungsweg besonders gefährdend sind (BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R).
Die Klägerin war im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Patientenaufnahme durch den zwangsläufigen und auch körperlich nahen Kontakt
mit Menschen unterschiedlichster Erkrankungen einem solchen besonders erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Eine berufliche
Infektionsgefährdung im Gesundheitswesen besteht u.a. bei der Behandlung und auch Betreuung von Tuberkulosepatienten (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
"Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 8. Aufl. 2010, S. 744). Zwischen den Beteiligten unstreitig hatte die Klägerin am 12.
Januar 2007 in der Notaufnahme des UK als Arzthelferin Kontakt mit einem an offener Tuberkulose erkrankten und später in der
Klinik stationär aufgenommenen und behandelten Patienten (siehe hierzu den anonymisierten Arztbrief der dortigen Klinik für
Innere Medizin vom 21. Februar 2007, Bl. 327 ff. der Gerichtsakten Bd. II). Der nur kurze Kontakt, den die Klägerin selbst
mit acht bis zehn Minuten angibt, ist für eine Infektion ausreichend. Zwar steigt das Risiko einer Infektion mit der Dauer
und Enge des Kontaktes zur Infektionsquelle, jedoch können auch kurze Gelegenheitskontakte zur Infektion führen (Schönberger/Mehrtens/Valentin,
a. a. O., S. 745 m. w. N.). Vorliegend ist zudem zu berücksichtigen, dass der Erkrankte nach den Angaben der Klägerin nur
eine Schreibtischbreite vor ihr auf Augenhöhe stark hustend, niesend und schnupfend gestanden, sie von ihm die Patientenkarte
entgegengenommen und mit einem von dem Infizierten gebrauchten Kugelschreiber gearbeitet hat.
Liegen eine durch die versicherte Tätigkeit bedingte besonders erhöhte Infektionsgefahr und auch die Infektionskrankheit vor,
nimmt der Verordnungsgeber typisierend an, dass die Infektion während und wegen der Gefahrenlage erfolgte und die Krankheit
wesentlich verursacht hat. Für eine Typisierung ist lediglich dann kein Raum, wenn eine Infektion während oder aufgrund der
versicherten Verrichtungen und damit der unterstellte Ursachenzusammenhang ausgeschlossen ist. Zum einen darf die Inkubationszeit
nicht gegen einen zeitlichen Zusammenhang der Krankheit mit der beruflichen Tätigkeit sprechen, der Zeitpunkt der Infektion
muss darüber hinaus in den der Ausübung der gefährdenden Arbeitsvorgänge fallen. Zudem fehlt es am Ursachenzusammenhang, wenn
ein anderes, dem privaten Lebensbereich zuzuordnendes Infektionsrisiko die Erkrankung verursacht hat (BSG vom 2. April 2009 - B 2 U 30/07 R). Kommen sowohl berufliche als auch außerberufliche Verrichtungen als Ansteckungsquelle in Betracht, von denen aber nur eine
allein die Krankheit auslösen kann, muss entschieden werden, ob sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine der unter Versicherungsschutz
stehenden Handlungen als Krankheitsursache identifizieren lässt. Eine im Rechtssinne hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür
ist gegeben, wenn der Möglichkeit einer beruflichen Verursachung nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber
den anderen in Frage kommenden Möglichkeiten ein deutliches Übergewicht zukommt, sodass darauf die richterliche Überzeugung
gestützt werden kann (BSG vom 21. März 2006 - B 2 U 19/05 R; Hessisches Landessozialgericht vom 14. Juli 2015 - L 3 U 132/11; Bayerisches Landessozialgericht vom 13. August 2013 - L 3 U 262/12).
Der vom Verordnungsgeber unterstellte Ursachenzusammenhang zwischen der mit der Tätigkeit der Klägerin verbundenen erhöhten
Infektionsgefahr und ihrer Tuberkuloseerkrankung nebst deren Folgen ist nicht ausgeschlossen. Neben der berufsbedingten Infektionsgefahr
haben keine anderen Ansteckungsrisiken bestanden, die eine außerberufliche Infektion als wahrscheinlicher erscheinen lassen
würden als eine Infektion im Rahmen der Tätigkeit in der Patientenaufnahme des UK. Hiervon ist der Senat aufgrund des nachvollziehbaren,
schlüssigen und in sich stimmigen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. R. überzeugt.
Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach der Nr. 3101 der
BKV. Der Berufung war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§
160 Abs.
2 SGG).