Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren im Rechtsstreit über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des
ab dem 1.1.2011 geltenden Regelbedarfs für Alleinstehende beim Anspruch auf Arbeitslosengeld II
Gründe:
I. Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht
(SG) Hannover.
In der Sache geht es um die Bewilligung höherer Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende für den Zeitraum vom 1. Januar
bis 31. Mai 2011. Gegen den insoweit maßgeblichen Bescheid des Beklagten vom 26. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 24. Juni 2011 hat der Kläger am 28. Juli 2011 Klage beim SG Hannover erhoben. Zur Begründung hat er ausschließlich geltend
gemacht, dass die Neufestsetzung des Regelbedarfs aus verschiedensten Gründen nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) entspreche und verfassungswidrig sei.
Mit Beschluss vom 10. Oktober 2011 hat das SG die Bewilligung von PKH mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger selbst dann keine Besserstellung erlangen könne, wenn
das BVerfG erneut die Verfassungswidrigkeit der neuen Regelbedarfsbemessung feststelle. Denn wie sich aus seiner Entscheidung
vom 9. Februar 2010 ergebe, bestünden keine Auswirkungen auf anhängige Verfahren. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, dass
die Regelbedarfe nach ihrer Erhöhung evident unzureichend zur Bestreitung des Lebensunterhaltes seien.
Gegen den seinen Bevollmächtigten am 15. Oktober 2011 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 15. November 2011 Beschwerde
eingelegt.
Zur Begründung macht er geltend, dass in gleichgelagerten Verfahren vor dem SG Hannover PKH bewilligt worden sei.
Der Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die von dem Beklagten als Verwaltungsvorgänge
vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II. Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - statthafte und zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung
seines Prozessbevollmächtigten, weil er nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und seine Rechtsverfolgung
zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne des §
73a SGG i.V.m. §
114 Zivilprozessordnung -
ZPO - hatte.
Nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
114 Satz 1
ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung
des §
114 ZPO dem aus Art
3 Abs
1, Art
19 Abs
4 und Art
20 Abs
3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung
des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden;
hinreichende Erfolgsaussicht ist z. B. zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten
und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der die PKH begehrenden
Partei ausgehen wird (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 29. September 2004 - 1 BvR 1281/04, Beschluss vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02 und Beschluss vom 12. Januar 1993 - 2 BvR 1584/92; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 - SozR 3-1500 §
62 Nr. 19; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
73a Rdnr. 7a m.w.N.) Wirft der Rechtsstreit eine Rechtsfrage auf, die in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt,
aber klärungsbedürftig ist, liegt hinreichende Erfolgsaussicht ebenfalls vor; in diesem Fall muss PKH bewilligt werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
aaO., § 73a Rdnr. 7b unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das SG die für die Bewilligung von PKH erforderliche Erfolgsaussicht zu Unrecht verneint. Grundsätzlich ist für die Prüfung der
Erfolgsaussicht einer PKH-Beschwerde zwar auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts abzustellen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
aaO., § 73a Rn 7d m.w.N. aus der Rechtsprechung). Hat sich dagegen die Entscheidung über den PKH-Antrag verzögert und ist
zwischenzeitlich eine Änderung zum Nachteil des Antragstellers eingetreten, ist ausnahmsweise der Zeitpunkt der Entscheidungs-
bzw. Bewilligungsreife maßgeblich (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 73a Rn 7d; LSG Bayern, Beschluss vom 22. April
2009 - L 11 AY 2/09 B PKH; Beschluss des erkennenden Senats vom 8. April 2010 - L 11 AY 89/09 B; Schoreit/Groß: Beratungshilfe,
Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 11. Auflage 2012, §
127 ZPO Rn 64 und 66 sowie §
114 ZPO Rn 41ff. mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall war die PKH-Beschwerde nach Eingang der
Beschwerdeerwiderung des Beschwerdegegners (d.h. ab 28. Dezember 2011) und somit bereits zu einem Zeitpunkt vor der Verkündung
der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 12. Juli 2012 (B 14 AS 153/11 R) entscheidungsreif. Bis zur Verkündung dieser Entscheidung konnte die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs für
Alleinstehende gemäß § 19 Abs 1 Satz 1 und 3, Abs 3 Satz 1, § 20 Abs 1 und 2 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderungen des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - RBEG - vom 29. März 2011 als nicht abschließend geklärt, aber klärungsbedürftig angesehen werden. Dies stützt sich auf
die hierzu ergangenen divergierenden gerichtlichen Entscheidungen (eine Verfassungswidrigkeit ablehnend z.B.: LSG Bayern,
Beschluss vom 27. Mai 2011 - L 7 AS 342/11 B PKH; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2011 - L 13 AS 4271/11 B; demgegenüber verfassungsrechtliche Bedenken für nicht gänzlich fernliegend haltend: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss
vom 10. Januar 2012 - L 9 AS 811/11 B - m.w.N.; Beschluss vom 18. April 2012 - L 6 AS 215/12 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. April 2012 - L 7 AS 1059/12 B, NZS 2012, 678; vgl. insoweit auch den Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25. April 2012 - S 55 AS 29349/11; siehe ebenfalls das bis zum 25. Januar 2012 beim BSG anhängige Verfahren B 14 AS 131/11 R, das ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe betraf, in dem dann jedoch mangels ausreichender tatsächlicher
Feststellungen eine Zurückverweisung an das SG erfolgte). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung kann für die Zeit bis zur Verkündung des BSG-Urteils vom 12. Juli 2012 auch nicht mit der Begründung verneint werden, dass das BVerfG in seiner Entscheidung vom 9. Februar
2010 (B 1 BvL 1/09 u.a.) hinsichtlich der (damaligen) Regelleistung lediglich die Verfassungswidrigkeit festgestellt (sog. Unvereinbarkeitserklärung
nach § 79 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG -), jedoch keine höheren Leistungen zugesprochen hat (vgl. zu dieser Argumentation: S. 3 des angefochtenen Beschlusses des
SG). Schließlich stellt eine Unvereinbarkeitserklärung nach § 79 BVerfGG zumindest einen wesentlichen Teilerfolg der Rechtsverfolgung dar. Dementsprechend hat das BVerfG auch ausdrücklich entschieden,
dass in sämtlichen damals noch anhängigen Verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren die Verfassungswidrigkeit der die
Regelleistung betreffenden Vorschriften im Rahmen der Kostenentscheidungen zugunsten der Antragsteller bzw. Kläger zu berücksichtigen
sei (BVerfG, aaO., Rn 219). Der Senat weist an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass er ab der Verkündung des Urteils
des BSG in dem Verfahren B 14 AS 153/11 R am 12. Juli 2012 eine hinreichende Erfolgsaussicht für ein Begehren auf die Gewährung einer höheren Regelleistung nicht
mehr sieht, das mit der Begründung der Verfassungswidrigkeit der ab 1. Januar 2011 gültigen Regelsätze nach dem SGB II geltend gemacht wird. Das BSG hat schlüssig und überzeugend dargelegt, dass der Gesetzgeber den ihm zugewiesenen Auftrag, das Grundrecht auf ein menschenwürdiges
Existenzminimum zu gewährleisten, erfüllt habe. Er habe den Umfang der konkreten gesetzlichen Ansprüche bei der Neuermittlung
der Regelbedarfe in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt, das den Vorgaben des BVerfG im Urteil vom 9.
Februar 2010 (1 BvL 1/09 u.a.) realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen- und schlüssiger Berechnungsverfahren
entspricht. Der Gesetzgeber sei befugt gewesen, sich des Statistikmodells zu bedienen und habe in diesem Rahmen ausgehend
von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 Referenzgruppen anhand der unteren Einkommensgruppen bestimmt, ohne
seinen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu überschreiten. Nicht zu beanstanden sei die begründete Herausnahme einzelner
Positionen. Regelleistungsrelevante Ausgabepositionen und -beträge seien so bestimmt, dass ein interner Ausgleich möglich
bleibe. Auch bei der Bestimmung einzelner Verbrauchspositionen als bedarfsrelevant und dem Ausschluss anderer Verbrauchspositionen
habe der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten und sich in verfassungskonformer Art und Weise bei der
Regelung eines Fortschreibungsmechanismus an seiner Entscheidung für das Statistikmodell orientiert (siehe im Einzelnen BSG, aaO., Rn 21 ff.). Der erkennende Senat schließt sich dieser nachvollziehbaren und überzeugenden Rechtsprechung des BSG an. Angesichts der dadurch erfolgten höchstrichterlichen Klärung und unter Hinweis auf den dem Gesetzgeber bei der Gewährleistung
eines menschenwürdigen Existenzminimums zugebilligten Gestaltungsspielraum, der die verfassungsrechtliche Überprüfung im Ergebnis
auf eine Evidenz- bzw. Schlüssigkeitskontrolle reduziert (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, aaO., Rn 141 ff.), begründet
auch das weiterhin beim BVerfG anhängige Vorlagebeschlussverfahren 1 BvL 12/12 (Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25. April 2012 - S 55 AS 29349/11) nach der Überzeugung des erkennenden Senats keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des §
114 Satz 1
ZPO mehr. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind gemäß §
127 Abs
4 ZPO nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nach Maßgabe des §
177 SGG unanfechtbar.