Anspruch auf Arbeitslosengeld II, Leistungen für Unterkunft und Heizung, Angemessenheit der Unterkunftskosten, Erforderlichkeit
eigener Kinderzimmer
Gründe:
I. Die Antragsteller verlangen von der Antragsgegnerin die Zusicherung der Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für die
Unterkunft G. in I., Erdgeschoß links, die sie mit Wirkung ab 01. Dezember 2007 anmieten wollen.
Die im Jahr 1981 geborene Antragstellerin zu 1) und der im Jahr 1978 geborene Antragsteller zu 2) sind die Eltern des am 06.
Juni 1999 geborenen Antragstellers zu 3) und des am 23. Mai 2001 geborenen Antragstellers zu 4). Durch Bescheid vom 02. Juni
2007 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Wirkung ab 01. Juli bis 31. Oktober 2007 in Höhe von insgesamt 1.271,33 EUR. Dieser Betrag setzt
sich zusammen aus den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 721,08 EUR und den Kosten für Unterkunft und
Heizung in Höhe von 550,25 EUR.
Die Antragsteller bewohnen seit 26. Mai 2005 eine 74,42 qm große Wohnung in J ... Neben dem Schlafzimmer und Wohnzimmer existiert
ein Kinderzimmer mit einer Größe von circa 11 qm, das von den Antragstellern zu 3) und 4) genutzt wird. Die Mietkosten belaufen
sich einschließlich der Nebenkosten-Vorauszahlung auf 565,44 EUR monatlich. Dies entspricht einem Quadratmeterpreis von 7,59
EUR. Die Antragsteller wandten sich unter Vorlage eines Angebots einer Wohnungsbaugesellschaft an die Antragsgegnerin mit
dem Wunsch, umzuziehen. Es handelt sich hierbei um die Erdgeschoßwohnung links, G. in I ... Diese Wohnung ist 81,45 qm groß
und verfügt neben der Küche und dem Bad über vier Wohnräume. Die Wohnungsmiete beträgt monatlich insgesamt 639,07 EUR, davon
entfallen auf die Grundmiete 419,60 EUR, die Betriebskosten und Heizkosten belaufen sich auf 219,48 EUR. Daraus errechnet
sich ein Quadratmeterpreis von 7,65 EUR. Zur Begründung ihres Antrags erklärten die Antragsteller, dass der Antragsteller
zu 3) ein eigenes Zimmer benötige, weil er seine Hausaufgaben nicht ohne Störung durch seinen jüngeren Bruder, den Antragsteller
zu 4), anfertigen könne. Diese Wohnung wird den Antragstellern von der Wohnungsbaugesellschaft bis zum 15. Oktober 2007 reserviert.
Den Antrag lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 08. August 2007 ab. Es sei für die Antragstellern zu 3) und 4) zumutbar,
ein gemeinsames Zimmer zu nutzen. Es unterliege der Aufsichtspflicht der Antragsteller zu 1) und 2), dem Antragsteller zu
3) eine Möglichkeit zu bieten, seine Hausaufgaben in Ruhe zu erledigen. Die Kosten der derzeitigen Unterkunft der Antragsteller
seien angemessen.
Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 21. August 2007 hiergegen führten die Antragsteller aus, der Umzug in die größere Wohnung
sei erforderlich, um die Entwicklung der Antragsteller zu 3) und 4) nicht zu behindern. Der nur circa 11 qm große Raum sei
für die beiden Kinder zu klein. In der neuen Unterkunft könne jedes der Kinder einen eigenen Raum beziehen. Dies sei für ihre
Entwicklung erforderlich. Über den Widerspruch hat die Antragsgegnerin bisher noch nicht entschieden.
Die Antragsteller haben am 22. August 2007 um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebeten, mit dem sie ihr Antragsziel
weiterverfolgen. Zur Begründung haben sie betont, dass die neue Wohnung hinsichtlich ihrer Größe und der Mietkosten angemessen
sei. Die Übernahme der Mietkaution oder der Umzugskosten werde von ihnen nicht verlangt. Es gehe ausschließlich um die zukünftige
Zahlung von Miete, Betriebskosten und Heizkosten.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat den Antrag durch Beschluss vom 06. September 2007 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, ein Anordnungsgrund,
das heißt die besondere Dringlichkeit einer Entscheidung sei von den Antragstellern nicht glaubhaft gemacht worden. Den Antragstellern
sei es zumindest für die Zeit bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zuzumuten, in der circa 74 qm großen Drei-Zimmer-Wohnung
zu leben. Eine Notwendigkeit, dass die Antragsteller zu 3) und 4) eigene Räume erhielten, bestehe nicht. Falls es tatsächlich
gegenseitige Beeinträchtigungen gebe, die durch ein Einschreiten der Eltern nicht zu unterbinden seien, könne einer der beiden
Antragsteller in ein anderes Zimmer ausweichen, um dem zu entgehen. Das Gleiche gelte für die von den Antragstellern geltend
gemachten Schlafstörungen des Antragstellers zu 3). Es liege an den Antragstellern zu 1) und 2), durch erzieherische Maßnahmen
oder eine anderweitige Organisation der Schlafgelegenheiten Abhilfe zu schaffen. Soweit die Antragsteller vorgetragen hätten,
dass sie ihre Wohnung zum 30. November 2007 bereits gekündigt hätten, führe das zu keinem anderen Ergebnis, weil die Kündigung
ihrer Wohnung nicht glaubhaft gemacht worden sei und sie sich im Übrigen nicht auf eine Zusicherung der Übernahme der Unterkunftskosten
hätten verlassen können.
Gegen den Beschluss des SG Hannover vom 06. September 2007 führen die Antragsteller am 09. September 2007 Beschwerde und wiederholen
zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen. Ergänzend führen sie aus, dass die Dringlichkeit einer Entscheidung auch aus einer
Gesundheitsgefährdung des Antragstellers zu 3) folge. Der Antragsteller zu 4) leide unter einer chronischen Bronchitis und
habe deshalb auch nachts Atembeschwerden. Weil der Antragsteller zu 3) nachts durch die Atemgeräusche des Antragstellers zu
4) gestört werde, bekomme der Antragsteller zu 3) nachts nicht ausreichend Schlaf und sei unter anderem während des Schulbesuchs
unausgeschlafen.
Die Antragsteller beantragen,
1. den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 06. September 2007 aufzuheben,
2. die Antragsgegnerin im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Übernahme der Unterkunftskosten
der Antragsteller für die Wohnung G. in H., Erdgeschoß links unter dem Vorbehalt der Rückforderung zuzusichern,
3. ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin K. aus I. für das Beschwerdeverfahren
zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie erwidert, es fehle bereits am Anordnungsgrund, weil eine vorläufige Regelung für die Antragsteller zur Vermeidung wesentlicher
Nachteile nicht nötig sei. Es sei für die Antragsteller nicht unzumutbar, bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens weiterhin
ihre bisherige Wohnung zu nutzen. Eine Existenzgefährdung liege darin nicht. Selbst wenn die in Aussicht genommene Wohnung
bis zum Abschluss des Verfahrens anderweitig vermietet sein sollte, bedeute dies aufgrund der derzeit entspannten Wohnungssituation
in I. keinen durchgreifenden Nachteil. Es bestehe im Übrigen kein Anordnungsanspruch, weil ein Umzug nicht erforderlich sei.
Insbesondere sei die Erforderlichkeit des Umzugs nicht mit der Notwendigkeit eigener Räumlichkeiten für die Antragsteller
zu 3) und 4) zu begründen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Die die Antragsteller betreffenden
Leistungsakten (Nr. der Bedarfsgemeinschaft L.) liegen vor und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II. Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragsteller können von der Antragsgegnerin eine Zusicherung zur Übernahme der
Unterkunftskosten für die von ihnen in Aussicht genommene Wohnung G. in I. verlangen, weil der Umzug erforderlich ist, die
Aufwendungen für die neue Wohnung angemessen sind und anderenfalls schwere und unzumutbare, durch das Hauptsacheverfahren
nicht mehr zu beseitigende Nachteile entstünden, würden die Antragsteller auf dieses verwiesen.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG als Regelungsanordnung zulässig. Er ist auch begründet.
Gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen
des Anordnungsanspruchs - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie des Anordnungsgrunds
- die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§
86 Abs.
2 Satz 4
SGG, §
920 Abs.
3 Zivilprozessordnung -
ZPO -). Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang
des Verfahrens abzuwarten, hat der Antragsteller Anspruch auf die beantragte Leistung im Wege vorläufigen Rechtsschutzes.
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung
zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG,
1. Senat, 3. Kammer, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVWZ 2005, 927 ff.).
Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung liegen vor; insbesondere haben die Antragsteller die Voraussetzungen
für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht. Das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist allerdings nicht bereits
deshalb anzunehmen, weil, wie die Antragsteller meinen, anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Sinn des Artikel
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) bei einem Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache überhaupt nicht erreicht werden könne, denn die in Aussicht genommene
Wohnung sei aufgrund der langen Dauer des Widerspruchs- und gerichtlichen Verfahrens üblicherweise nicht mehr frei. Die Einholung
der Zusicherung ist nicht gesetzliche Voraussetzung für die Erbringung von Leistungen in Höhe der angemessenen Unterkunftskosten
(Beschluss des Senats vom 20. 01. 2006 - L 7 AS 472/05; Berlit in LPK SGB II, § 22 Rdnr. 52,53). In einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren wäre die - bis dahin nicht eingeholte
- Zusicherung gegebenenfalls im Wege einer Fiktion zu ersetzen. Die Eilbedürftigkeit der beantragten Regelung ist aber bereits
deshalb anzunehmen, weil die in Aussicht genommene Wohnung den Antragstellern von dem Wohnungsunternehmen nur noch bis zum
15. Oktober 2007 reserviert wird. Diesen Umstand haben die Antragsteller durch Vorlage einer entsprechenden Erklärung des
Wohnungsbauunternehmens vom 19. September 2007 glaubhaft gemacht. Darüber hinaus besteht ein Anordnungsgrund auch deshalb,
weil ein Umzug der Antragsteller bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt erforderlich ist, um wesentliche Nachteile, d. h. die
unten näher beschriebenen Behinderung der Persönlichkeitsentwicklung der Antragsteller zu 3) und zu 4), abzuwenden.
Die Antragsteller haben einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Zusicherung gemäß § 22 Abs. 2 SGB II, weil ein Umzug
der Antragsteller erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind (§ 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II).
Die Erforderlichkeit des Umzugs folgt aus der derzeitigen Wohnsituation der Antragsteller. Diese haben glaubhaft gemacht,
dass es durch die gemeinsame Nutzung des nur 11 qm großen Kinderzimmers durch die Antragsteller zu 3) und 4) zu erheblichen
gegenseitigen Beeinträchtigungen der Kinder kommt. Diese befinden sich gegenwärtig in einer für ihre motorische Entwicklung
sowie ihrer Wahrnehmungsfähigkeit wichtigen Lebensphase. Für beide Kinder ist es von großer Bedeutung, die gegenwärtigen Erfahrungen
und Eindrücke ohne durchgreifende Beeinträchtigungen von außen verarbeiten zu können. Dazu gehören Rückzugsmöglichkeiten,
die für die Antragsteller zu 3) und 4) unter den derzeit vorhandenen beengten Wohnverhältnissen nicht gegeben sind. Dies gilt
insbesondere für den Antragsteller zu 4), der den Beginn des Schulbesuchs mit einer neuen Umgebung und neuen Eindrücken zu
verarbeiten hat. Dies ist aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr gewährleistet beim gemeinsamen Aufenthalt der Kinder in
einem nur 11 qm großen Raum. Es ist nachvollziehbar, dass unter derartig beengten Verhältnissen Aggressionen entstehen, die
unter Umständen nachhaltig auch noch in späteren Jahren wirken können. Die Möglichkeit des Rückzugs in einen eigenen Raum
fördert jedenfalls unter den gegebenen Verhältnissen die Entwicklung der Antragsteller zu 3) und 4); die Möglichkeit einer
gesunden Persönlichkeitsentwicklung unterliegt dem Schutz des Art.
2 Abs.
1 GG. Hinzu tritt als weiterer - indes nicht allein entscheidender - Umstand die chronische Erkrankung des Antragstellers zu 4),
die zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Antragstellers zu 3) führt und daher die Erforderlichkeit des Umzugs der
Antragsteller mit begründet.
Die Aufwendungen für die Unterkunft im G. sind angemessen im Sinn der genannten Regelung. Legt man mit der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - SGb 2007, 543 ff.) hinsichtlich der Wohnungsgröße die Wohnraumförderungsbestimmungen des Landes Niedersachsen zugrunde (Nds. MBl. 2002,
511 ff., 512), sind für vier Haushaltsmitglieder bis 85 qm Wohnraum angemessen. Die neue Wohnung hat eine Größe von 83,45
qm und bewegt sich daher innerhalb der genannten Grenze. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Kosten, die pro Quadratmeter lediglich
um 6 Cent über den bisher von der Antragsgegnerin als angemessen bezeichneten Wohnraumkosten liegen.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten, weil sie unterlegen ist (§
193 SGG entsprechend).
Die Antragsteller haben Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten
für das Beschwerdeverfahren, weil ihre Rechtsverfolgung aus den o. g. Gründen hinreichende Erfolgsaussichten im Sinn des §
73a SGG in Verbindung mit §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) hat und sie nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).