Feststellung von Schädigungsfolgen
Vernachlässigung von Kindern kein tätlicher Angriff
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin weitere Gewalttaten im Sinne von §
1 des
Opferentschädigungsgesetzes (
OEG) anzunehmen und Schädigungsfolgen festzustellen sind und der Klägerin deswegen Beschädigtenrente nach den Vorschriften des
OEG i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren ist.
Die 1967 geborene Klägerin beantragte erstmals im Januar 2007 beim Versorgungsamt I. die Gewährung von Leistungen nach dem
OEG. Hierbei gab sie an, in der Zeit zwischen 1967 und 1984 seit Geburt von ihrem Vater unter Billigung der Mutter massiv körperlich
misshandelt sowie von weiteren Familienangehörigen sexuell misshandelt und massiv von der Mutter vernachlässigt worden zu
sein. Sie leide deswegen unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren dissoziativen Störung,
einer Borderline-Störung sowie einer schweren rezidivierenden depressiven Störung mit Suizidalität. Sie habe gegen die Schädiger
keine Strafanzeige erstattet, weil ihr erst im Laufe der Therapien von 2004 bis 2006 die Penetrationen bekannt geworden seien.
Das Versorgungsamt I. zog Krankenhausentlassungsberichte von mehrfachen stationären Aufenthalten in einer psychiatrischen
Fachklinik bei und gab die Angelegenheit aus Gründen örtlicher Zuständigkeit an die nordrhein-westfälische Versorgungsverwaltung
ab. Dort legte die Klägerin eine von ihr verfasste persönliche Schilderung der Ereignisse vor. Das zuständige Versorgungsamt
J. holte eine schriftliche Auskunft der Mutter der Klägerin ein, die dahin lautete, sie wisse nichts von Gewalttaten. Es zog
darüber hinaus Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung Bund bei, u.a. ein Gutachten der Nervenärztin Dr. K. von Januar
2005.
Sodann lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung mit Bescheid vom 21. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 9. September 2008 ab. Es lasse sich nicht zweifelsfrei feststellen, dass sich die von der Klägerin behaupteten Vorfälle
in der Kindheit tatsächlich zugetragen hätten. Auch lasse der Vortrag der Klägerin nicht den Schluss zu, dass das Geschehen
so wie geschildert gewesen sein müsse. Im Übrigen sei auch ein Zusammenhang zwischen den behaupteten Ereignissen und der Erkrankung
der Klägerin nicht gegeben.
Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
müssten für die Annahme eines Zusammenhangs die psychischen Erkrankungen spätestens drei Monate nach dem traumatischen Erlebnis
in Erscheinung treten. Dies sei im Fall der Klägerin viel später gewesen.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stade erhoben, mit der sie die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung
als Schädigungsfolge sowie die Gewährung von Leistungen nach dem
OEG begehrt hat. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie sei in der Kindheit Opfer massiver Gewalt durch den Vater und sexueller
Gewalt durch die Stiefbrüder L. und M. gewesen. Die genannten Personen seien inzwischen alle verstorben. Im Alter von etwa
zwei Jahren sei sie unter Bedrohung mit einem Messer gezwungen worden, mehrere Stunden lang auf der Toilette zu sitzen. Sie
sei bei dieser Gelegenheit von ihrem Vater auch massiv auf den Pogeschlagen worden. Von der Mutter sei sie massiv vernachlässigt
und im Übrigen auch mit Kleiderbügeln geschlagen worden. In der Zeit vom 6. bis etwa 16. oder 17. Lebensjahr sei sie von ihrem
Stiefbruder N. mehrfach missbraucht worden. Dieser habe in dem Haus, in dem sich die mütterliche Wohnung befunden habe, in
der Tiefgarage eine Werkstatt gehabt. Auf dem Weg dorthin sei sie von N. regelmäßig ausgezogen und im Genitalbereich berührt
worden. Auch habe die Klägerin häufiger bei ihrem Stiefbruder schlafen müssen. Dann habe er sie vergewaltigt. Sie habe ihn
auch gelegentlich mit der Hand befriedigen müssen. Im Zusammenhang mit Besuchen ihres Stiefbruders M. in den Jahren 1974 bis
1978 im mütterlichen Haushalt sei sie von diesem missbraucht worden. Er habe sie auf den Schoß genommen und sie im Genitalbereich
berührt. Zu berücksichtigen sei darüber hinaus, dass 90 v.H. der an dissoziativer Identitätsstörung leidenden Personen Opfer
schweren sexuellen und körperlichen Missbrauchs in frühester Kindheit seien, so dass schon aus der Tatsache der Erkrankung
darauf zu schließen sei, dass sie Opfer derartigen Missbrauchs geworden sei.
In einem Erörterungstermin vom 24. Februar 2010 hat das Sozialgericht die Klägerin ausführlich angehört. Sodann hat es die
Dipl.-Psych. O. mit der Erstattung eines aussagepsychologischen Gutachtens beauftragt. Diese hat unter dem 21. Juli 2010 nach
Durchsicht der Akte eine dahin gehende schriftliche Stellungnahme abgegeben, infolge der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung
bestünden erhebliche Zweifel an ihrer Aussagetüchtigkeit. Die in den Jahren 2005 und 2006 im Rahmen von Traumatherapien angewandten
imaginativen Methoden hätten auch suggestive Potenz, so dass deutliche Hinweise auf Suggestivwirkungen auf die Aussage der
Klägerin bestünden.
Insgesamt könne eine Aussagetüchtigkeit der Klägerin nicht uneingeschränkt bejaht werden. Eine Exploration der Klägerin zur
Sache sei daher nicht angezeigt. Mit den Mitteln der Aussagepsychologie könne in einer derartigen Situation keine Aussage
darüber getroffen werden, ob die Angaben der Klägerin erlebnisbasiert seien.
In einer mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2012 hat das Sozialgericht sodann die Schwester der Klägerin P. als Zeugin gehört.
Sodann hat das Sozialgericht mit Zwischenurteil vom selben Tag festgestellt, dass die Klägerin Opfer eines tätlichen Angriffs
i.S. von §
1 OEG geworden sei, nämlich häuslicher Gewalt durch den Vater in den Jahren 1967 bis 1974 und häuslicher Gewalt durch die Mutter
in den Jahren 1967 bis 1982. Die dagegen von der Klägerin erhobene Berufung hat sie nach rechtlichem Hinweis des Landessozialgerichts
zurückgenommen.
Das Sozialgericht hat die Klägerin sodann von der Nervenärztin Dr. Q. begutachten lassen. Die Sachverständige hat in dem unter
dem 25. Februar 2014 erstatteten Gutachten, in das sie die Ergebnisse des unter dem 11. Februar 2014 durch den Nervenarzt
Dr. R. und die Dipl.-Psych. S. erstatteten Zusatzgutachtens einbezogen hat, bei der Klägerin eine rezidivierende depressive
Störung, gegenwärtig mittelgradig, mit somatischem Syndrom auf dem Boden einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung/andauernde
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung mit somatoformer und dissoziativer Beschwerdesymptomatik diagnostiziert. Sie
hat sodann jedoch ausgeführt, dass aus dem Leiden oder der Diagnose kein Rückschluss auf tatsächliche Ereignisse gezogen werden
könne. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Klägerin in ihrer Geschichte einer Vielzahl unterschiedlicher Belastungssituationen
und Gewalterfahrungen ausgesetzt gewesen sei. Zur Kausalitätsbeurteilung werde ein gesicherter seelischer Erstschaden benötigt,
den das Gericht feststellen müsse.
Auch unter der Annahme derartiger Erstschäden sei aber darauf hinzuweisen, dass jede einzelne der Handlungen des Vaters oder
der Mutter nicht geeignet gewesen sei, eine rechtlich wesentliche Bedingung für die Gesamtheit des heute bei der Klägerin
vorliegenden Störungsbildes zu sein.
Mit Urteil vom 6. November 2014 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat hierbei zurBegründung ausgeführt,
dass es sich nicht die Überzeugung habe bilden können, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihre Stiefbrüder
geworden sei. Insoweit existierten Zeugen für die behaupteten Taten nicht. Im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung gemäß § 15 KOVVfG sei im vorliegenden Fall eine Abgrenzung zwischen erlebnisbasierten Erinnerungen der Klägerin und Pseudoerinnerungen nicht
möglich. Hierbei hat das Sozialgericht sich auf das Ergebnis der Stellungnahme der Dipl.-Psych. O. bezogen. Bezüglich der
bereits durch das Teilurteil festgestellten Misshandlungen durch die Eltern bleibe offen, ob bei der Klägerin tatsächlich
ein greifbarer Erstschaden im Sinn einer psychischen Beschädigung eingetreten sei. Auch bei dessen Annahme sei nicht wahrscheinlich,
dass die Misshandlungen der Eltern Ursache für das jetzige Störungsbild der Klägerin sei.
Gegen das ihr am 11. November 2014 zugestellte Urteil wendet sich die am 9. Dezember 2014 bei dem Landessozialgericht eingegangene
Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Anspruch weiterverfolgt. Sie wendet sich gegen die Annahme des Sozialgerichts, die
Erinnerungen an die erlittenen Traumata seien erst im Zusammenhang mit Traumatherapien entstanden. Bereits im Jahr 2005 sei
im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung davon ausgegangen worden, dass bei ihr eine traumaspezifische Psychotherapie
erforderlich sei. Sie selbst sei erstmals 2006 und nicht, wie vom Sozialgericht angenommen, bereits 2005 in der Lage gewesen,
die Misshandlungen und den Missbrauch zu verbalisieren. Das bedeute jedoch nicht, dass die Erinnerungen daran nicht auch bereits
vorher dagewesen seien. Entgegen der Annahme des Sozialgerichts seien die Erinnerungen vielmehr immer vorhanden gewesen. Ihre
Schilderungen zum Kerngeschehen seien im Übrigen auch konstant geblieben, so dass Zweifel an der Richtigkeit ihrer Angaben
nicht mit einem Wechsel der Aussageinhalte begründet werden könnten. Im Übrigen bestehe ein wirklich qualitativer Unterschied
der Schilderungen der Misshandlungen durch die Eltern einerseits und des erlittenen Missbrauchs andererseits nicht.
Für die von dem Sozialgericht angestellte Annahme von Pseudoerinnerungen hätte ein Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt werden
müssen, das den Kriterien der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes entsprochen hätte.
Ein solches sei nicht eingeholt worden. Die von dem Sozialgericht darüber hinaus angestellten Erwägungen zur Glaubhaftigkeit
der Aussagen der Klägerin entsprächen nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 6. November 2014 und den Bescheid des Versorgungsamtes Münster vom 11. Januar 2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 9. September 2008 aufzuheben,
2. bei der Klägerin als Schädigungsfolgen eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung/andauernde Persönlichkeitsveränderung
nach Extrembelastung und rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, festzustellen sowie den Beklagten
zu verurteilen, ihr ab Januar 2007 Beschädigtenrente nach dem
OEG i.V.m. den Vorschriften des BVG zu gewähren
hilfsweise, 3. die Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen im Hinblick auf die Frage, wie die Einwirkungen multifaktoriellen
Geschehens auf ein Opfer zu beurteilen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 6. November 2014 zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil und seine mit ihm überprüften Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte
des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es hat in seiner angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt,
dass der angegriffene Bescheid des Beklagten nicht rechtswidrig ist und die Klägerin demzufolge nicht in ihren Rechten verletzt.
Auch nach der Auffassung des Senates steht der Klägerin weder die Feststellung von Schädigungsfolgen noch die Gewährung von
Beschädigtenrente zu.
Für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge müssen der gesetzlich geschützte womöglich schädigende Umstand
- hier also die Gewalttat im Sinn von §
1 OEG -, der dadurch verursachte Gesundheitsschaden (vom Gesetz als Schädigung bezeichnet) und der darauf zurückzuführende - aktuelle
- gesundheitliche Schaden, für den eine Entschädigung verlangt wird, im Sinn des sogenannten Vollbeweises nachgewiesen sein.
Die von der Klägerin behaupteten Missbrauchshandlungen durch ihre Stiefbrüder in der Zeit zwischen 1973 und 1984 sind in dem
vorgenannten Sinn nicht nachgewesen. Der Nachweis im Sinn des Vollbeweises setzt voraus, dass sich das Gericht die volle Überzeugung
von dem Vorliegen der fraglichen Tatsachen verschaffen kann.
Absolute Sicherheit ist dabei nicht erforderlich. Ausreichend ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, Az.:B 2 U 20/04 R, BSGE 96, 291). Diese ist dann gegeben, wenn die entscheidungserhebliche Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände
des Falles nachvernünftiger Abwägung geeignet sind, die richterliche Überzeugung zu bilden und allenfalls noch nicht gewichtige
Zweifel verbleiben.
Davon ausnahmsweise sind nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß §
6 Abs.
3 OEG anzuwenden ist, hinsichtlich des schädigenden Vorgangs bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers - hier also der
Klägerin -, die sich auf mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, soweit sie nach
den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen und Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden
des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind. Dies macht zugleich deutlich, dass allein die Aussage
des Anspruchstellers im Regelfall nicht geeignet ist, den Vollbeweis für das Vorliegen der behaupteten Tatsache zu erbringen.
Über die Aussage der Klägerin hinaus liegen in Bezug auf diesen behaupteten Missbrauch keine weiteren Beweismittel vor. Solche
sind auch nicht zu beschaffen, weil es offenbar Augenzeugen des Missbrauchs nicht gegeben hat und die als Täter angeschuldigten
Stiefbrüder nach Angaben der Klägerin verstorben sind.
Die Missbrauchshandlungen sind auch nicht im Sinn der Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG glaubhaft gemacht. Diese ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang - beweisende Unterlagen nie existiert
haben und lediglich - keine Zeugen vorhanden sind (vgl. grundlegend BSG, Urteil vom 31. Mai 1989, Az.: 9 RVg 3/89, BSGE 65, 123, 125). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können (vgl.
BSG, Urteil vom 17. April 2013, Az.: B 9 V 3/12 R, USK 2013-34).
Die formalen Voraussetzungen der Anwendung des § 15 KOVVfG liegen vor. Andere Beweismittel existieren nicht.
Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Aufl., §
128 Rn. 3d mwN), d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen
bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S. 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie
bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache
sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten
das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Aufl., §
128 Rn. 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich
in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht
zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht hingegen nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht
ist im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen
Beweiswürdigung, §
128 Abs.
1 S. 1
SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S. 15).
Die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ist zunächst anhand objektiver Anknüpfungspunkte zu prüfen.
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Angaben der Zeugin Merz die Angaben der Klägerin hinsichtlich der familiären
und Wohnverhältnisse bestätigt, also nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin sprechen. Auch der Umstand,
dass die Zeugin nach ihren Angaben Opfer eines sexuellen Übergriffs des Stiefbruders M. geworden ist, spricht nicht gegen
die Wahrheit der Schilderung der Klägerin. Im Gegenteil könnte womöglich das Erlebnis der Zeugin auf eine gewisse Bereitschaft
des Stiefbruders schließen lassen, derartige Übergriffe auch anderen gegenüber zu verüben. Dafür spricht auch der Umstand,
dass die Mutter der Klägerin beim Hinzukommen nach den Angaben der Zeugin nur gelacht hat, also dem Stiefbruder der Klägerin
damit signalisiert hat, dass er jedenfalls von ihr keine Sanktionen bei derartigen Übergriffen zu befürchten haben würde.
Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass der Stiefbruder zu diesem Zeitpunkt bereits erwachsen und die Zeugin bereits
etwa 18 Jahre alt war. Das Ereignis soll sich etwa im Alter der Klägerin von sieben Jahren abgespielt haben und die Zeugin
ist rund 11 Jahre älter als die Klägerin. Aus dem Umstand, dass der Stiefbruder womöglich sexuelles Interesse an seiner fast
erwachsenen Stiefschwester, der Zeugin, hatte, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass sich ein solches auch auf
die noch im Kindesalter befindliche Klägern erstrecken könnte.
Hinsichtlich des Stiefbruders N. ergibt sich im Übrigen aus der Aussage der Zeugin nichts die Angaben der Klägerin Stützendes.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes kann bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen eines Anspruchstellers
auch auf aussagepsychologische Gutachten zurückgegriffen werden (vgl. Urteil vom 17. April 2013, Az.: B 9 V 3/12 R, USK 2013-34). Dies gilt auch, wenn solche Gutachten nach den Kriterien strafrechtlicher aussagepsychologischer Grundsätze
erstellt worden sind, wobei es allerdings dem Gericht obliegt, die davon abweichenden, weniger strengen Maßstäbe des § 15 KOVVfG in eigener Verantwortung zu prüfen (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az.: B 9 V 3/15 R; Urteil des Senats vom 29. Januar 2015, L 10 VE 28/11, veröffentlicht in Juris, Rn. 74 ff.). In ständiger Rechtsprechung
geht der Senat deshalb davon aus, dass dem Gericht die Beantwortung der vorgenannten Fragestellung obliegt und dass es hierzu
alle Umstände des Einzelfalles - einschließlich der Ergebnisse etwaiger aussagepsychologischer und sonstiger Gutachten - abzuwägen
hat.
Im vorliegenden Fall liegt ein vollständiges aussagepsychologisches Gutachten nicht vor. Dies macht im vorliegenden Zusammenhang
die Stellungnahme der Sachverständigen O. vom 21. Juli 2010 nicht unverwertbar.
Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass ein vollständiges aussagepsychologisches Gutachten typischerweise auch
eine persönliche Anhörung der betroffenen Person umfasst. Diese dient vorwiegend dazu, dem Sachverständigen eine inhaltliche
Beurteilung der Aussage unter Anwendung aussagepsychologischer Kriterien durchzuführen. Führt aber, wie im vorliegenden Fall,
die jedenfalls teilweise nach Aktenlage vorzunehmende Beurteilung der Aussagetüchtigkeit und der Aussageentstehung schon zu
einem negativen Ergebnis, so kann das Gesamtergebnis des aussagepsychologischen Gutachtens unabhängig von dem Inhalt der persönlichen
Anhörung der betroffenen Person nicht zu einem anderen Ergebnis gelangen, als dass die Erlebnisbasiertheit der Angaben nicht
bestätigt werden kann, weil eine Widerlegung der Nullhypothese nicht möglich ist. In einem solchen Fall ist das Vorgehen der
Sachverständigen zwar ungewöhnlich, erscheint zur Minimierung der Belastung der Klägerin durch eine erneute Befragung und
aus Gründen des sparsamen Umgangs mit finanziellen Mitteln geradezu geboten. Der Senat lässt in diesem Zusammenhang die Frage
ausdrücklich offen, ob bei Vorliegen bestimmter Gesundheitsstörungen oder nach Durchführen bestimmter therapeutischer Maßnahmen
die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens womöglich völlig entbehrlich ist, weil dessen Ergebnis bereits im Vorhinein
feststeht.
Bewertet der Senat vor diesem Hintergrund die Ergebnisse des aussagepsychologischen Gutachtens, so steht zur Überzeugung des
Senates fest, dass infolge der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen erhebliche Zweifel an der allgemeinen Fähigkeit
der Klägerin bestehen, ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis konstant zu erinnern und gerichtsrelevant schildern zu
können. Führt dies, wie die Sachverständige in für den Senat nachvollziehbarer Weise ausgeführt hat, dazu, dass Zweifel an
der Fähigkeit der Klägerin zur Wirklichkeitskontrolle bestehen, so kann der Senat ihre Angaben nicht als glaubhaft i.S.v.
§ 15 KOVVfG ansehen. Denn es bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die Klägerin überhaupt in der Lage ist, sicher zwischen tatsächlich
Erlebtem und lediglich Erdachtem und Vorgestelltem zu differenzieren.
Vor diesem Hintergrund muss der Senat der weiteren Frage nicht nachgehen, ob daneben auch erhebliche Zweifel an der Erlebnisbasiertheit
der Aussage der Klägerin deshalb bestehen, weil ein erheblicher suggestiver Einfluss der von ihr durchgeführten Therapie nicht
auszuschließen ist. Jedenfalls aber sind die dagegen erhobenen Einwendungen der Klägerin nicht durchgreifend, die Erinnerungen
seien nicht erst im Zusammenhang mit der Therapie entstanden, wie sich aus der sehr instruktiven Darstellung der Entwicklung
der Aussagen der Klägerin in dem Gutachten vom 21. Juli 2010 ergibt. Der Senat muss deshalb auch den womöglich dagegen in
der Stellungnahme der Dipl.-Psych. T. erhobenen Einwendungen nicht weiter nachgehen.
Für den Senat besteht deshalb auch keine Veranlassung, die Klägerin erneut persönlich anzuhören. Hierbei unterstellt der Senat
zu Gunsten der Klägerin, dass diese bei einer erneuten Anhörung durchaus in der Lage sein würde, eine in sich schlüssige und
nachvollziehbare Schilderung der fraglichen Ereignisse abzugeben. Damit könnte sie die von der Sachverständigen aufgezeigten
Zweifel an ihrer Fähigkeit zur Wirklichkeitskontrolle jedoch nicht beseitigen. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass der
Senat zugleich davon ausgeht, dass die Klägerin nicht "lügt", sondern durchaus das von ihr für "wirklich" und "erinnert" Gehaltene
wiedergibt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind statistische Überlegungen kein Argument für die Annahme einer Erlebnisbasiertheit
ihrer Angaben. Hierbei ist dem Senat bereits aus anderen Verfahren bekannt, dass in der medizinischen Literatur gelegentlich
die Auffassung vertreten wird, dass das Vorliegen bestimmter Gesundheitsstörungen in einem hohen Prozentsatz - insoweit werden
Prozentsätze von um oder über 80 v.H. genannt - mit sexuellem Missbrauch verknüpft sei. Insoweit ist allerdings die Studienlage
"unübersichtlich" (vgl. Rademacker in Knickrehm, Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, §
1 OEG RdNr. 47 m.w.N.). Selbst soweit sich der Senat aber im Grundsatz auf die Argumentation der Klägerin einlassen würde, erscheint
eine differenzierende Betrachtungsweise angezeigt. Soweit die den Literaturäußerungen zugrundeliegenden Erhebungen tragfähig
sind, was der Senat nicht beurteilen kann, so folgt daraus zunächst lediglich, dass ein sehr hoher Anteil von an bestimmten
Gesundheitsstörungen erkrankten Personen sich dahin äußern, dass sie sexuellen Missbrauch erlebt haben. Im vorliegenden Fall
steht fest, dass die Klägerin eine solche Behauptung geäußert hat, so dass insoweit das Heranziehen einer statistischen Wahrscheinlichkeit
nicht erforderlich ist. Von dieser Frage zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob die Äußerungen über sexuellen Missbrauch
erlebnisbasiert sind, oder nicht. Gerade der vorliegende Fall gibt Anlass, diese Frage zu prüfen. Soweit für den Senat nach
den ihm zugänglichen Informationen erkennbar, ist die Frage bisher nicht Gegenstand statistischer Erhebungen gewesen, wie
groß bei an bestimmten Gesundheitsstörungen Erkrankter der jeweilige Anteil von angegebenem sexuellen Missbrauch mit bzw.
ohne Erlebnisbezug ist. Dass diese Frage durchaus nicht nur von theoretischer Bedeutung ist, wird aus der medizinischen Literatur
deutlich: Högenauer (Neue Aspekte in der Beurteilung psychoreaktiver und neuropsychologischer Störungen als Leistungsgrund
- aus der Sicht der Gutachter des versorgungsärztlichen Dienstes, Der Medizinische Sachverständige 2006, 102) berichtet von
einer Dokumentation mehrere Fälle falscher Erinnerungen (vgl. dazu auch die Ausführungen von Volbert in Beurteilung von Aussagen
über Traumata, Bern 2004, S. 108 ff. oder von Steller in Nichts als die Wahrheit, 2. Auflage München 2015). Solange das Auftreten
falscher Erinnerungen als möglich anzusehen, ihr Anteil aber nicht zuverlässig quantifizierbar ist, lassen sich aus der Sicht
des Senates mit statistischen Erwägungen keine verlässlichen Schlussfolgerungen über die Wahrscheinlichkeit des - tatsächlichen
- Vorliegens sexuellen Missbrauchs ziehen.
Selbst soweit sich eine konkrete Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen sexuellen Missbrauchs bei Bestehen bestimmter Gesundheitsstörungen
bestimmen lassen würde, würde allein darauf gestützt eine Glaubhaftigkeit des Vorliegens von sexuellem Missbrauch in einem
Einzelfall nicht herleiten lassen. Wenn etwa erwiesen wäre, dass bei einer bestimmten Krankheit in 80 v.H. der Fälle sexueller
Missbrauch vorgelegen hat, so würde die statistische Wahrscheinlichkeit von 80 v.H. gedanklich für alle Erkrankten gelten
müssen, also auch für diejenigen, bei denen sexueller Missbrauch in Wahrheit nicht vorgelegen hat. Die rein statistische Wahrscheinlichkeit
müsste sogar für diejenigen Erkrankten gelten, die einen sexuellen Missbrauch gar nicht behaupten oder sogar bestreiten. Würden
statistische Erwägungen wesentlichen Einfluss auf die Frage der Glaubhaftigkeit einer Schilderung haben, so müsste bei allen
an der angenommenen Erkrankung Leidenden das Vorliegen eines sexuellen Missbrauches als glaubhaft gemacht angesehen werden,
die zu einer halbwegs schlüssigen Schilderung wenigstens eines Ereignisses in der Lage sind. Dies müsste trotz der unbestreitbaren
Erkenntnis gelten, dass bei 20 v.H. der Erkrankten ein Missbrauch aber gerade nicht vorgelegen hat. Dass der Gesetzgeber eine
so weitreichende Beweiserleichterung gewollt hätte, ist nicht ersichtlich.
Auch die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung im Sinn von Nr. F43 der ICD 10 lässt den Rückschluss auf ein Trauma
im Sinn von §
1 OEG nicht zu. Zwar setzt die sachgemäß gestellte Diagnose - leider werden nach dem Eindruck des Senats die diagnostischen Kriterien
nicht immer streng beachtet - definitionsgemäß das Vorliegen eines - möglicherweise als Ursache der Störung in Betracht zu
ziehenden - Traumas voraus. Aus der Tatsache der Stellung einer solchen Diagnose lässt sich aber nur der Schuss ziehen, dass
der die Diagnose stellende Arzt vom Vorliegen eines solchen Traumas ausgegangen ist. Das Vorliegen des Traumas selbst beweist
die Diagnosestellung hingegen nicht. Ergibt sich im Übrigen - wie typischerweise -, dass der Stellung der Diagnose ausschließlich
die als plausibel gewertete Schilderung der Vorgeschichte der Patientin zugrunde liegt, so entfaltet die Stellung der Diagnose
allenfalls dieselbe Beweiswirkung wie die im vorliegenden Rechtsstreit aufgestellte Behauptung des Traumas durch die Klägerin
(ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 2. Juni 2009, Az.: L 10 VG 3/06 und vom 11. Juni 2009. Az.: L 10 VG 1/08; Urteil vom 22. Juli 2010, Az.: L 10 VG 21/07; vgl. auch Urteil des 13. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 5. Juni 2008. Az.: L 13 VG 1/05).
Lassen sich - wie im vorliegenden Fall - nicht alle tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches oder
der Verwaltungsmaßnahme des Beklagten mit dem hierfür jeweils erforderlichen Beweismaßstab des sogenannten Vollbeweises oder
der Glaubhaftmachung nachweisen, so trägt nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast den prozessualen Nachteil der Nichterweislichkeit
derjenige, der sich zur Begründung seines prozessualen Begehrens auf die betreffende tatbestandliche Voraussetzung beruft.
Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die vorstehenden Erwägungen für diejenigen von sexuellem Missbrauch Betroffenen zu
belastenden Ergebnissen führen, die infolge des Missbrauches eine dissoziative Identitätsstörung oder eine andere mit einer
Störung der Wirklichkeitskontrolle einhergehende Erkrankung entwickeln. Weil solche Erkrankungen die Glaubhaftmachung eines
Missbrauchs sehr erschweren, wären solche Personen im Regelfall von Leistungen nach dem
OEG ausgeschlossen. Dies Dilemma ist aber mit den vorgegebenen gesetzlichen Mitteln nicht zu lösen. Eine Beweiserleichterung
ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. Urteil vom 20. Dezember 2016, Az.: B 2 U 16/15 R) selbst für den Fall nicht zu gewähren, dass nach Ausschöpfen aller Erkenntnismöglichkeiten die Nichterweislichkeit darauf
beruht, dass der solchermaßen Beweisbelastete wegen einer Gesundheitsstörung zu den maßgeblichen Tatsachen keine Angaben machen
kann (vgl. Urteil des BSG vom 17. Dezember 2015, Az.: B 2 U 8/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 55). Das muss erst recht für den Fall gelten, wenn der Betroffene zwar Angaben machen kann, deren Realitätsbezug
aber nicht zu klären ist. Deshalb ist auch im vorliegenden Fall ein Abweichen von den vorgenannten Grundsätzen nicht möglich.
Für den vorliegenden Fall beruft sich die Klägerin zur Begründung ihres Anspruches darauf, Opfer sexueller Übergriffe durch
ihre Stiefbrüder geworden zu sein. Hat sie den sich daraus ergebenden Nachteil zu tragen, dass sich nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen
des geltend gemachten Anspruchs zur vollen Überzeugung des Gerichts beweisen bzw. glaubhaft machen lassen, so muss der Senat
für seine Entscheidung davon ausgehen, dass das Bestehen des geltend gemachten Anspruches nicht bewiesen, also nicht gegeben
ist.
Etwas Anderes gilt hinsichtlich der behaupteten häuslichen Gewalt durch die Eltern der Klägerin.
Insoweit besteht auch infolge des Zwischenurteils des Sozialgerichts vom 8. Februar 2012 keine auch für den Senat verbindliche
Feststellung, die eigene Feststellungen des Senates entbehrlich machen könnte. Ein gemäß §
130 Abs.
2 SGG erlassenes Zwischenurteil bindet nur das das Urteil erlassende Gericht (§
202 Satz 1
SGG iVm §
318 ZPO; vgl. zu der ähnlich gelagerten Problematik im Verwaltungsprozessrecht BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1996, Az.: 8 C 33/95, NVwZ 1997, 1210). Ob für ein Grundurteil im Sinn von §
130 Abs.
1 SGG im Hinblick auf §
304 ZPO wegen der isolierten Anfechtbarkeit etwas Anderes gilt, bedarf im vorliegenden Fall keiner weiteren Erörterung. Bei dem hier
zu prüfenden Zwischenurteil handelt es sich nicht um ein Grundurteil im Sinn von §
130 Abs.
1 SGG, denn es spricht nicht den streitigen Versorgungsanspruch dem Grunde nach zu, sondern stellt lediglich einzelne der Tatbestandsvoraussetzungen
des Anspruchs fest. Würde in einem solchen Fall ebenfalls eine Bindung auch des Berufungsgerichtes bestehen, so würde über
den Umweg eines Zwischenurteils die Möglichkeit einer Elementenfeststellung eröffnet, die §
55 Abs.
1 SGG gerade vermeiden will (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. Kommentar zum
SGG, RdNr. 9 zu §
55, wobei die Voraussetzungen einer vollständigen Beilegung des Streites für die ausnahmsweise Annahme der Zulässigkeit einer
Elementenfeststellung im Sinn von RdNr. 9a zu § 55 im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben sind).
Als nachgewiesen sieht das Gericht hierbei zunächst die vier von der Zeugin U. geschilderten Ereignisse an. In Bezug auf das
Ereignis, als die Klägerin stundenlang auf dem Töpfchen sitzen musste, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Zwingen an
sich die Voraussetzungen des §
1 OEG nicht erfüllt. Mit Rücksicht darauf, dass die Aktion offenbar erzieherischen Zwecken zu dienen bestimmt war ("sollte unbedingt
trocken werden"), bestehen auch hinsichtlich der in diesem Zusammenhang der Klägerin erteilten Schläge gewisse Zweifel, ob
sie womöglich nach den damaligen Vorstellungen rechtswidrig waren. Noch im Jahr 1986 sah der BGH nicht per se das elterliche
Züchtigungsrecht als überschritten an, als Eltern ihr Kind mit einem 1,4 cm starken und in sich stabilen Wasserschlauch auf
Gesäß und Oberschenkel geschlagen hatten, wobei jeweils rote Striemen entstanden waren.
Vielmehr forderte der BGH auch in diesem Fall eine Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Tatgeschehens und
erkannte ausdrücklich, dass allein die Verwendung eines Schlaggegenstandes noch nicht das Merkmal der "entwürdigenden Erziehungsmaßnahme"
erfülle (BGH, Beschluss vom 25. November 1986, 4 StR 605/86). Bis zur Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts im November 2000 können elterliche Schläge deshalb nicht grundsätzlich
als "rechtswidrig" eingestuft werden. Notwendig ist vielmehr die Abgrenzung zur maßvollen körperlichen Züchtigung und eine
Würdigung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, die Anlass, Ausmaß und Zweck der Bestrafung berücksichtigen.
Die damit erforderliche Abwägung ist jedoch nicht möglich, weil die Intensität der Schläge sich nicht abschätzen lässt. Das
von der Klägerin behauptete Wundsein ihres Pos bei dieser Gelegenheit hat sich durch die Zeugenaussage nicht bestätigen lassen.
Soweit die Zeugin davon berichtet hat, der Po der Klägerin sei "grün und blau" gewesen, lässt sich eine zweifelsfreie Zuordnung
dieses Umstandes zu den bei dieser Gelegenheit erhaltenen Schlägen nicht vornehmen. Weil das Verfärben von Blutergüssen nach
blau und grün hin jeweils eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, derartig verfärbte Ergüsse dann aber über eine längere Zeit
sichtbar sind, lässt sich nicht ausschließen, dass die von der Zeugin gesehenen Verfärbungen das Ergebnis von bereits bei
einer früheren Gelegenheit erhaltenen Schlägen sind. Ob der Klägerin in dem Zusammenhang mit dem Ereignis mit dem Töpfchen
ein Messer an den Hals gehalten worden ist, was die Zeugin nicht bestätigt hat, spielt keine Rolle. Nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: B 9 V 1/13 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21) stellt eine bloße Drohung mit Gewalt keinen tätlichen Angriff dar.
Ähnliche Erwägungen gelten im Hinblick auf das von der Zeugin geschilderte Ereignis mit den Schlägen durch die Mutter der
Klägerin. Auch insoweit lässt sich eine erzieherische Intention der Schläge nicht ausschließen ("muss aufsässig gewesen sein
oder wollte irgendwas"), so dass für die Qualifikation der Schläge als rechtswidrig genauere Kenntnisse der Umstände erforderlich
wären, die aber nicht bestehen.
Hinsichtlich des Ereignisses mit dem Kleiderbügel lassen sich derartige Feststellungen ebenfalls nicht treffen. Allein die
Verwendung eines Kleiderbügels zum Schlagen macht dies nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht
per se rechtswidrig. Zu der Vorgeschichte und zu den näheren Umständen konnte die Zeugin keine Angaben machen, weil sie erst
nach dem Abschluss der Schläge dazugekommen war.
Nicht näher prüfen muss der Senat in diesem Zusammenhang das Ereignis mit der Axt, weil sich hierin sowohl nach der Schilderung
der Klägerin als auch derjenigen der Zeugin eine Gewalttat im Sinn von §
1 OEG trotz der möglicherweise großen objektiven Gefährlichkeit der Situation für die Klägerin nicht findet. Offenbar ist es zu
einer Verletzung der Klägerin nicht gekommen. Eine bloße Drohung mit Gewalt stellt aber keinen tätlichen Angriff dar (vgl.
BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: B 9 V 1/13 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21).
Das BSG hat im Übrigen in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass Vernachlässigung von Kindern kein tätlicher Angriff im Sinne
des
OEG ist (BSG Beschluss vom 23. März 2015, Az.: B 9 V 48/14 B; Urteil vom 17. April 2013, Az.: B 9 V 3/12 R), so dass der Senat auch den sich darauf ergebenden Anhaltspunkten aus der Aussage der Zeugin nicht weiter nachgehen muss.
Um die von der Zeugin im Übrigen relativ pauschal geschilderten häufigen "Klapse" durch die Mutter als rechtswidrige Gewalttaten
qualifizieren zu können, wären ebenfalls weitergehende Kenntnisse über die näheren Umstände erforderlich, die sich den Angaben
der Zeugin jedoch nicht entnehmen lassen.
Eine ergänzende Vernehmung der Zeugin zu den vorstehenden Gesichtspunkten ist jedoch entbehrlich. Selbst wenn der Senat zugunsten
der Klägerin unterstellt, dass nach den Gesamtumständen wahrscheinlich ist, dass eine Bereitschaft der Eltern der Klägerin
bestanden hat, sehr leichtfertig zu diesem schwerwiegenden Mittel der Schläge zu greifen und dass damit jedenfalls manchmal
die Grenze des Erlaubten überschritten worden ist, führt dies nicht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis des Rechtsstreits.
Die vorgenannte Annahme des Gerichts korreliert mit den Aussagen der Zeugin, die das Sozialgericht zutreffend dahin gedeutet
hat, dass es in der Herkunftsfamilie der Klägerin eine Vielzahl körperlicher Übergriffe durch Vater und Mutter gegeben hat.
Das Sozialgericht hat auch zu Recht aus der von der Zeugin beschriebenen Unvorhersehbarkeit der Reaktionen insbesondere des
Vaters und wiederum insbesondere nach Alkoholgenuss den Schluss gezogen, dass eben nicht alle der körperlichen Übergriffe
von der Motivation der erzieherischen Einwirkung getragen gewesen sind. Der Senat ist sich in diesem Zusammenhang durchaus
des Umstandes bewusst, dass zumal betroffene Kindern Sinn und Berechtigung von Strafen nicht unmittelbar einzusehen vermögen.
Insoweit ist aber die durch das erheblich höhere Lebensalter der Zeugin zu unterstellende höhere Einsichtsfähigkeit sowie
die gewisse, für eine objektive Beurteilung förderliche Distanz zu berücksichtigen, wenn die Zeugin nicht selbst von Schlägen
betroffen gewesen ist.
Wegen der damit der weiteren Prüfung zugrunde zu legenden Gewalttaten gegen die Klägerin sind Schädigungsfolgen nicht festzustellen.
Für die Feststellung von Schädigungsfolgen muss ein ursächlicher Zusammenhang im Sinn der Theorie der rechtlich wesentlichen
Bedingung (vgl. dazu vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1) einerseits zwischen dem geschützten Umstand und der Schädigung und andererseits zwischen der der Schädigung und der zu entschädigenden
Folge bestehen. Gemäß § 1 Abs. 3 BVG genügt für die Annahme einer solchen Verursachung die Wahrscheinlichkeit ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlichkeit in
diesem Sinn liegt vor, wenn nach aktuell geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang
spricht.
Ursache eines Körperschadens sind in dem hier erheblichen Sinn diejenigen Bedingungen (das sind die Umstände, die nicht hinweggedacht
werden können, ohne dass der Eintritt der Gesundheitsstörung entfiele - conditio sine qua non), die wegen ihrer besonderen
Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu einem Erfolg (dem Eintritt eines Körperschadens)
mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Bedingungen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite
für den Eintritt des Schadens wenigstens der Bedeutung und Tragweite der Summe der anderen Bedingungen annähernd gleichwertig
sind (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, Az.: B 9 V 6/13 R, SozR 4-7945 § 3 Nr. 1; insoweit unterscheidet sich die Bewertung von den im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung
geltenden Grundsätzen: BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein
Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1).
Ausnahmsweise kann im Recht der Opferentschädigung bei seelischen Krankheiten für die Feststellung eines Ursachenzusammenhangs
zwischen einer Tat im Sinn von §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG und einer bestimmten Gesundheitsstörung genügen, dass nach medizinischer Auffassung Belastungen der zu prüfenden Art allgemein
in signifikant erhöhtem Maß geeignet sind, die bestimmte Gesundheitsstörung hervorzurufen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2003, Az.: B 9 VG 1/02 R, SozR 4-3900 § 1 Nr. 3). Bei seelischen Krankheiten, die vor allem auf seelischen Einwirkungen beruhen, lässt sich anders
als für Verletzungen des Körpers, kaum je überzeugend feststellen, dass der rechtswidrige tätliche Angriff die entscheidende
Ursache war. Veranlagung, Umwelteinflüsse, Lebensführung und andere Vorgänge im Lebenslauf des Geschädigten sind praktisch
immer als mehr oder weniger wirkende Mitursachen festzustellen, ohne dass diese sachgerecht gewichtet werden können. Medizinische
Gutachten könnten in solchen Fällen von seelischen Erkrankungen regelmäßig nichts Überzeugendes zum Ursachenzusammenhang aussagen,
weil sich offenbar nicht eindeutig klären lässt, ob und nach welchem psychischen Mechanismus die Gewalttat das Dauerleiden
herbeigeführt hat oder ob und in welchem Umfang schon eine Anlage von Krankheitswert vorhanden gewesen ist. In solchen Fällen
ist ein Ursachenzusammenhang ohne weitere Beweisaufnahme abzulehnen, wenn in der medizinischen Wissenschaft die Auffassung
nicht ernsthaft vertreten wird, dass die zu diskutierende äußere Belastung eine derartige Krankheit verursachen kann. Ist
die medizinische Wissenschaft insoweit uneins, kommt allenfalls eine "Kann-Versorgung" (§
1 Abs.
12 Satz 1
OEG iVm § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG) in Betracht. Erst wenn nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung feststeht, dass eine bestimmte Belastung allgemein
geeignet ist, Krankheiten dieser Art hervorzurufen, verdichtet sich die Möglichkeit eines Zusammenhangs zur Wahrscheinlichkeit,
die dann auch nur durch den Nachweis einer anderen sicheren Kausalität widerlegt werden kann (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995, Az.: 9/9a RVg 4/92, SozR 3-3800 § 1 Nr. 4). Für die Feststellung der herrschenden medizinischen Lehrmeinung hat das Bundessozialgericht in der
zuletzt genannten Entscheidung auf die jeweils geltenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertengesetz" (Anhaltspunkte) verwiesen. Diese sind inzwischen durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedVO) abgelöst, die allerdings Ausführungen zur Kausalität bei bestimmten Krankheitsbildern nicht mehr enthält. Die
maßgeblichen Feststellungen hat aber - wie noch zu Zeiten der Geltung der Anhaltspunkte - gemäß § 3 Abs. 1 VersMedVO der Ärztliche
Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin zu treffen. Solange dieser neue Erkenntnisse nicht förmlich festgestellt hat, ist
weiterhin die Anwendung von Nrn. 69 ff der Anhaltspunkte 2008 gerechtfertigt(s. dazu auch Abs. 12 der Einleitung zu dem Anlagenband
zu § 2 VersMedVO).
Der Senat muss im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheiden, ob er hinsichtlich der Kausalitätserwägungen jede einzelne
der angeschuldigten Taten für sich betrachtet und mithin die Folgen jeder einzelnen Tat isoliert zu bestimmen versucht, oder
ob er die Summe der Taten als Gesamtbeeinträchtigung ansieht und nur die durch die Gesamtbeeinträchtigung verursachten Folgen
feststellt. Beides führt im vorliegenden Fall zum selben, nämlich für die Klägerin negativen Ergebnis.
Für die Betrachtung der jeweils einzelnen Taten spricht immerhin der Umstand, dass in verschiedenen Vorschriften des
OEG an den Zeitpunkt und/oder den Ort der Tat unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft werden. Führt allerdings der Senat die Kausalitätsprüfung
bezogen auf jede der einzelnen Taten durch, so ergeben sich für den vorliegenden Fall die nachfolgenden Erwägungen. Wird als
Folge aller Taten eine einheitliche, nicht in Teile aufspaltbare Gesundheitsstörung geltend gemacht wird, so ist jede der
Taten auf ihre Eignung als rechtlich wesentliche Bedingung der einheitlichen Gesundheitsstörung hin zu untersuchen. Sind die
näheren Umstände der jeweiligen einzelnen Taten und auch die Entwicklung Gesundheitsstörung in der Zeit nach jeder einzelnen
Tat nicht näher aufklärbar, so ist jeweilige Verursachungsanteil der einzelnen Taten für den eingetretenen Gesundheitsschaden
- abgesehen von allen medizinischen Fragestellungen - nicht zu klären. Für die weiteren Erwägungen müsste deshalb, soweit
die herrschende medizinische Lehrmeinung für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges sprechen würde, von einem in etwa
gleich gewichtigen Verursachungsanteil jeder einzelner der Handlungen ausgehen. Bei nur angenommenen drei Handlungen wäre
also der Verursachungsanteil jeder der Handlungen mit 33,3 v.H. anzusetzen. Dieser Verursachungsanteil wäre deshalb unter
keinem denkbaren Gesichtspunkt auch nur in etwa so gewichtig, wie alle anderen Verursachungsbeiträge in ihrer Summe. Bei -
wie im vorliegenden Fall - mutmaßlich wesentlich höherer Anzahl der zu betrachtenden Taten würde der Gewichtsanteil jeder
einzelnen Tat für die mögliche Verursachung der Gesundheitsstörung weiter sinken, so dass eine Kausalität im Sinne der vorgenannten
Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung nie zu begründen sein würde.
Die Feststellung von Schädigungsfolgen kommt aber auch nicht in Betracht, soweit der Senat angesichts der vorstehenden Problematik
für die Beurteilung der Kausalität bei einheitlichen Gesundheitsstörungen, die durch eine Vielzahl gleichartiger Einwirkungen
verursacht sein könnten, deren Verursachungsgewicht jeweils für sich betrachtet eine Kausalität aber nicht begründen kann,
die Kausalitätsprüfung an die Gesamtheit der Beeinträchtigungen anknüpft. Hierbei lässt der Senat dahingestellt, ob diese
Betrachtung voraussetzt, dass die mehreren Gewalttaten von einem einheitlichen (Gesamt-)Vorsatz des Täters getragen sind.
Insoweit gleicht die Interessen- und Beweissituation derjenigen des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung.
Für den Bereich des Soldatenversorgungsrechts wendet die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom
5. Mai 1993, 9/9a RV 25/92; Urteil vom 10. November 1993, 9/9a RV 41/92; Beschluss vom 11. Oktober 1994, 9 BV 55/94) und die Literatur (vgl. nur etwa Lilienfeld, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 81 SVG, RdNr. 53 m.w.N.) für die Beurteilung der Kausalität bei unfallunabhängigen Krankheiten bzw. Gesundheitsstörungen nach §
81 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 SVG die Grundsätze des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen Unfallversicherung an. Das zieht der Senat auch für die hier
zu entscheidende Problematik in Betracht. Die Anerkennung einer durch allmähliche Einwirkungen verursachten Erkrankung als
Schädigungsfolge kommt demnach nach §
9 Abs.
1 SGB VII in Betracht, wenn die Erkrankung in der
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) als Berufskrankheit anerkannt ist oder nach §
9 Abs.
2 SGB VII als Berufskrankheit anerkannt werden könnte und wenn die weiteren Voraussetzungen des §
9 SGB VII vorliegen.
Etwaige gesundheitliche Folgen häuslicher Gewalt sind in der
Berufskrankheiten-Verordnung nicht erfasst. In entsprechender Anwendung von §
9 Abs.
2 in Verbindung mit Absatz
1 Satz 2
SGB VII könnte deshalb die Annahme einer Kausalität für solche Krankheiten in Betracht kommen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Maß als die
übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Nach Nr. 71 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2008, bestehen offenbar derartige Erkenntnisse im Hinblick
darauf, dass häufige Misshandlungen im Kindesalter zu psychischen Gesundheitsstörungen führen können. In entsprechender Anwendung
von §
9 Abs.
3 SGB VII könnte daher eine Vermutung bestehen, dass die psychische Erkrankung der Klägerin durch die Misshandlungen verursacht worden
ist. Das würde allerdings nur gelten, wenn nicht Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb des geschützten entschädigungsrechtlichen
Bereiches, also jenseits von Gewalttaten, festgestellt werden. Insoweit hat aber die von dem Sozialgericht gehörte Sachverständige
Dr. Q. in dem unter dem 25. Februar 2014 erstatteten Gutachten festgestellt, dass im Fall der Klägerin durchaus weitere beeinträchtigende
Einflüsse auf die Klägerin ausgeübt worden sind, die nicht dem Schutzbereich des §
1 OEG unterfallen. Hierzu hat die Sachverständige insbesondere die Kombination aus Vernachlässigung durch beide Elternteile mit
fehlender Ausbildung einer tragfähigen Beziehung zu beiden Elternteilen sowie die altersunangemessene Verantwortungsübernahme
als Folge der seelischen Erkrankung - gemeint ist wohl primär die Alkoholkrankheit - der Mutter erwähnt.
In diesem Zusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen sind zwei weitere von der Sachverständigen angesprochene Gesichtspunkte,
die gegen die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der häuslichen Gewalt und der Gesundheitsstörung der Klägerin
sprechen. Die Sachverständige hat insoweit zunächst auf den großen zeitlichen Abstand zwischen den belastenden Einwirkungen
und dem Auftreten der Gesundheitsstörung hingewiesen. Die angeschuldigten Ereignisse haben nach dem Vorbringen der Klägerin
in ihrem 16. Lebensjahr - also 1983 - geendet. Psychisch erkrankt ist die Klägerin aber erst 1999. Die von der Klägerin zuletzt
vorgelegte schriftliche Stellungnahme der Dipl.-Psych. T. vom 10. November 2017 weist zwar insoweit auf bereits in der Kindheit
der Klägerin bestehende - jeweils für sich genommen wenig spezifische - Symptome hin. Einerseits bezieht sie sich damit allerdings
allein auf Schilderungen der Klägerin. Andererseits stellt die Therapeutin der Klägerin die Symptome aber auch in einen zeitlichen
Zusammenhang zu den sexuellen Missbrauchserfahrungen der Klägerin und damit gerade nicht in einen solchen zu den hier zu diskutierenden
Schlägen durch die Eltern.
Zudem hat die Sachverständige herausgearbeitet, dass die Klägerin primär unter der von ihr erinnerten sexuellen Gewalt durch
diese Ereignisse betreffende Flashback-Erlebnisse leidet, während eine vergleichbare psychische und/oder körperliche Belastung
bei der Schilderung der erlittenen Schläge nicht zu beobachten gewesen sei. Das korreliert mit den Einschätzungen der Therapeutin
T., die ebenfalls die Ursächlichkeit sexueller Gewalt in den Vordergrund ihrer Ursachenerwägungen stellt.
Vor diesem Hintergrund muss der Senat der Frage nicht weiter nachgehen, ob im Hinblick auf die Vorschrift des §
10 Satz 2
OEG auch bei der Betrachtung der Gesamtbeeinträchtigung jedenfalls zwischen den Folgen der Beeinträchtigungen vor dem 16. Mai
1976 einerseits und nach dem 15. Mai 1976 andererseits unterschieden werden muss.
Schließlich muss der Senat auch die Regelung des §
2 Abs.
2 OEG nicht näher prüfen, wobei insbesondere das Unterlassen einer unverzüglichen Strafanzeige der Taten schwerlich zu entschuldigen
sein könnte, soweit die Erinnerung an die Taten entsprechend der Behauptung der Klägerin immer vorhanden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§
183,
193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, §
160 Abs.
2 SGG. Die insoweit von der Klägerin angesprochene Frage mag von grundsätzlicher Bedeutung sein, sie ist - wie sich aus den vorstehenden
Ausführungen ergibt - für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites aber nicht maßgebend.