Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 19.09.2011, mit dem seine Klage u.a. auf Gewährung
von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abgewiesen worden ist.
Der Kläger bezog von der Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagter) seit 2005 Leistungen nach dem
SGB II, die ihm zuletzt vor dem hier streitigen Zeitraum bis zum 30.09.2010 bewilligt worden waren.
Der Kläger hat - wohl - seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, korrespondiert und prozessiert jedoch über
ein Postfach.
Auf den für die Zeit ab dem 01.10.2010 gestellten Leistungsantrag vom 14.06.2010 forderte der Beklagte den Kläger auf, Kontoauszüge
mehrerer Konten zu übersenden.
Mit Bescheid vom 10.09.2010 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag vom 14.06.2010 ab und wies den als Widerspruch angesehenen
Schriftsatz des Klägers vom 06.10.2010 in dem Verfahren S 14 AS 1120/10 ER mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2012, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, zurück.
Nachdem die erforderte Mitwirkung trotz Erinnerung auch weiterhin ausgeblieben war, versagte der Beklagte mit öffentlich zugestelltem
Bescheid vom 20.09.2011 Leistungen ab dem 01.07.2011 ganz.
Mit ausschließlich unter Angabe der Postfachanschrift versandtem Schreiben vom 28.07.2011, das beim Sozialgericht am 01.08.2011
eingetroffen ist, hat der Kläger um Rechtsschutz gebeten.
Dieses Rechtsschutzbegehren wurde zunächst als Begehren auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von
Leistungen nach dem SGB II angesehen. Den so verstandenen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 06.09.2011 (S 38 AS 2726/11 ER, SG Duisburg) abgelehnt; die Beschwerde des Antragstellers wurde zurückgewiesen (Beschluss vom 23.11.2011 in dem Verfahren
L 19 AS 1738/11 B ER, LSG NW).
Vor dem Hintergrund der Annahme des Klägers im Schreiben vom 17.08.2011, er habe ein Hauptsacheverfahren eingeleitet, sah
das Sozialgericht das am 01.08.2011 eingegangene Schreiben des Klägers vom 28.07.2011 zugleich als Klageerhebung an.
Diese Klage hat das Sozialgericht - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid im vorliegenden Verfahren
vom 19.09.2011, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgewiesen.
Gegen diesen öffentlich zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger - weiterhin unter ausschließlicher Angabe seiner Postfachadresse
- Berufung eingelegt, zu deren Begründung auf den Schriftsatz vom 30.09.2011 Bezug genommen wird.
Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat auf die Existenz des Versagungsbescheides vom 20.09.2011 hingewiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 19.09.2011 zurückzuweisen.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakten im vorliegenden Rechtsstreit, der Verwaltungsakten
des Beklagten sowie der beigezogenen Akten in den abgeschlossenen Verfahren des Klägers
S 2 (27) AS 76/05, S 2 (27) AS 320/05 ER, S 3 AS 368/09 ER, S 14 AS 16/09 ER, S 14 (29) AS 107/09 ER, S 14 AS 3878/10 ER, S 14 AS 1120/10 ER, S 27 AS 311/05 ER, S 27 AS 141/09 ER, S 35 (32) AS 35/06, S 35 (32) AS 38/06, S 35 AS 152/07, S 35 AS 146/07, S 35 AS 128/07, S 35 AS 35/07, S 35 AS 15/07 ER, S 35 AS 184/08, S 35 AS 160/08 ER, S 35 AS 107/08, S 35 AS 101/08, S 35 AS 96/08, S 35 AS 34/08 ER, S 35 AS 30/09, S 35 AS 25/09 ER , S 38 AS 2726/11 ER
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet auf der Grundlage von §
153 Abs.
5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) in der Besetzung mit dem Berichterstatter und den ehrenamtlichen Richtern.
Nach §
153 Abs.
5 SGG kann der Senat in den Fällen des §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG (Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid) durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der
zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Vorliegend hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 23.11.2011 die Berufung
gem. §
153 Abs.
5 SGG dem Berichterstatter übertragen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die Klage vom 01.08.2011 ist unzulässig, weil der Kläger bei ihrer Erhebung sowie anschließend fortgesetzt seine Postfachanschrift
angegeben hat, nicht dagegen eine zustellungsgeeignete (Wohn-) Anschrift. An der zeitweise gemeldeten Wohnanschrift sind alle
Versuche, den Kläger persönlich anzutreffen oder Schriftstücke zuzustellen, erfolglos geblieben.
Nach §
90 SGG ist eine Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem zuständigen Gericht zu erheben.
Das Ersuchen um Rechtsschutz "soll" gem. §
92 Sätze 1 und 2
SGG u.a. die "Beteiligten" bezeichnen und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe
unterzeichnet sein. Darüber hinaus setzt ein zulässiges Rechtsschutzbegehren ganz regelmäßig voraus, dass im Verfahren auch
die Anschrift des Rechtssuchenden genannt wird, die sich zu Zustellungszwecken eignet, was bei Postfachanschriften nicht der
Fall ist.
Enthält die Klageschrift keine zustellungsgeeignete und damit auch keine ladungsfähige Anschrift, ist die Klage nach herrschender
Meinung jedenfalls dann unzulässig, wenn die Angabe ohne Weiteres möglich ist und kein schützenswertes Interesse hinsichtlich
der Geheimhaltung einer Anschrift entgegensteht (z.B. Urteil des BGH vom 17.03.2004 - VIII ZR 107/02; Beschluss des BFH vom 18.08.2011 - V B 44/10; BSG, Beschluss vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
92 Rn. 4; Eschner in: Jansen,
SGG, 3. Aufl., §
92 Rn. 8, jeweils m.w.N.).
Das Erfordernis der Angabe insbesondere einer ladungsfähigen Anschrift schränkt den in Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1
des Grundgesetzes verbürgten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
nicht in unzumutbarer Weise ein, wenn aus den zugrundeliegenden Ausführungen des Gerichts hervorgeht, dass es die Angabe der
Klägeranschrift nicht ausnahmslos als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Klage erachtet (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts
vom 11.11.1999 - 1 BvR 1203/99, vom 02.02.1996 - 1 BvR 2211/94).
Ansätze für eine derart zu gestattende Ausnahme vom generellen Erfordernis der Angabe einer zustellungs- und damit ladungsgeeigneten
Anschrift bieten sich vorliegend bereits im Tatsächlichen nicht, denn der Kläger hat in keiner Weise zu erkennen gegeben,
aus welchen Gründen er sich an einer zustellungsgeeigneten Wohnanschrift nicht erreichen lassen will.
Die Klage war danach unzulässig, nicht hingegen die Berufung.
Der Unzulässigkeitsgrund der Klage schlägt - obwohl der Kläger auch das Berufungsverfahren unter Angabe seiner Postfachanschrift
betrieben hat - nicht im Sinne einer Unzulässigkeit der Berufung selbst durch. Denn die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift
ist nicht Zulässigkeitsvoraussetzung der Berufung; dem Kläger muss es nach soweit ersichtlich einhelliger Auffassung zwecks
Wahrung eines fairen Verfahrens möglich sein, die vom erstinstanzlichen Gericht verneinte Frage der ordnungsgemäßen Klageerhebung
durch eine höhere Instanz überprüfen zu lassen, ohne durch die Mitteilung seiner Anschrift in der Rechtsmittelschrift seinen
eigenen Rechtsstandpunkt von vornherein gleichsam aufzugeben (Urteile des BGH vom 09.12.1987 - IV b ZR 4/87, vom 11.10.2005 - XI ZR 398/04; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 31.08.2010 - L 13 R 3865/09).
Der Senat sieht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall hiervon abzuweichen, in dem die Zulässigkeit der Klage aus anderem
Grunde durch das Sozialgericht verneint worden ist.
Auch bei angenommener Zulässigkeit der Klage wäre sie abzuweisen gewesen und eine Berufung daher unbegründet, weil die Voraussetzungen
des geltend gemachten Anspruches auf Leistungen nach dem SGB II aus den Gründen des Bescheides des Beklagten vom 10.09.2010
und des Änderungsbescheides vom 27.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2012 nicht vorliegen. Einem
Leistungsanspruch nach dem SGB II für nach dem 01.07.2011 liegende Zeiträume steht zudem die Bestandskraft des Versagungsbescheides
vom 20.09.2011 entgegen (§§ 60/66
SGB I).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Anlass zur Zulassung der Revision nach §
160 SGG besteht nicht.