Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II
Rechtmäßigkeit der Aufhebung eines Bewilligungsbescheides nach der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
Zulässigkeit des Erlasses eines Gerichtsbescheids durch abgelehnte Richter
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids der Beklagten vom 23.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.10.2019.
Der am 00.00.1955 geborene Kläger ist Volljurist und als Anwalt zugelassen. Er steht im Bezug von SGB II-Leistungen bei dem Beklagten.
Mit Bescheid vom 23.05.2019 bewilligte der Beklagte dem Kläger endgültige SGB II-Leistungen in Höhe von monatlich 912,29 Euro für den Zeitraum vom 1.7.2019 bis zum 30.6.2020.
Nach Erlass dieses Bescheids zeigte der Kläger dem Beklagten an, dass er zum 1.10.2019 eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt
aufnehmen und hieraus ein durchschnittliches vorläufiges monatliches Einkommen von 100 € erzielen werde.
Vor diesem Hintergrund hob der Beklagte mit Bescheid vom 23.9.2019 den Bewilligungsbescheid vom 23.5.2019 für die Zeit ab
dem 1.10.2019 auf. Das Einkommen des Klägers führe voraussichtlich nicht zum vollständigen Wegfall der Hilfebedürftigkeit.
Daher erfolge eine Aufhebung der bereits endgültig bewilligten Leistungen und diese würden durch eine vorläufige Bewilligung
ersetzt. Mit gesondertem Bescheid, ebenfalls vom 23.9.2019, bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.10.2019 bis 31.3.2020 in gleicher Höhe wie zuvor von monatlich 912,29 Euro. Bei der Leistungsberechnung
wurde ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit als Rechtsanwalt in Höhe von 100 € monatlich berücksichtigt. Abzüglich des
Freibetrags auf das Erwerbseinkommen seien 0 Euro als berücksichtigendes Gesamteinkommen anzurechnen.
Der Kläger legte gegen den Aufhebungsbescheid vom 23.9.2019 am 27.9.2019 Widerspruch ein. Konkret heißt es im Schreiben des
Klägers: "In der vorbezeichneten Angelegenheit wird hiermit gegen den Bescheid vom 23. September 2019, wonach der Bescheid vom 23. Mai
aufgehoben worden ist, Widerspruch eingelegt." Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, der Aufhebungsbescheid könne schon deshalb keinen Bestand haben, weil der vorläufige
Bewilligungsbescheid vom gleichen Tage hinter dem nunmehr streitbefangenen Bescheid zurückbliebe. Widerspruch gegen den vorläufigen
Bewilligungsbescheid erhob der Kläger demgegenüber nicht.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9.10.2019 zurück
Der Kläger hat dagegen am 14.10.2019 bei dem Sozialgericht Köln Klage erhoben.
Mit Änderungsbescheid vom 23.11.2019 passte der Beklagte die Leistungshöhe für die Monate Januar bis März 2020 aufgrund der
gestiegenen Regelsätze auf 920,48 Euro monatlich an.
Der Kläger trug im erstinstanzlichen Verfahren vor, die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 40 Abs. 4 SGB II hätten nicht vorgelegen. Dies ergäbe sich schon daraus, dass kein Bescheid iSd. § 41a SGB II ergangen sei. Ferner mache er vorsorglich den Änderungsbescheid vom 23.11.2019 zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid vom 23.9.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.10.2019 aufzuheben. Der Beklagte hat schriftsätzlich
beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trug vor, aufgrund der selbstständigen Tätigkeit des Klägers sei eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom
23.5.2019 erforderlich geworden. Der Bescheid entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Er hat einer Einbeziehung des Bescheids
vom 23.11.2019 in das gerichtliche Verfahren widersprochen. Dieser stelle lediglich einen sog. "Batchbescheid" dar und habe
die gestiegenen Regelsätze ab dem Jahr 2020 entsprechend umgesetzt. Ferner sei nicht erkennbar, welches Ziel der Kläger mit
seiner Klage verfolge. Die Aufhebung des Bescheids sei aufgrund der ab Oktober 2019 ausgeführten Tätigkeit erfolgt, aus der
schwankendes Einkommen zu erwarten gewesen sei. Dem Kläger seien daraufhin mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 23.09.2019
Leistungen in selbiger Höhe gewährt worden.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Daraufhin hat der Kläger am 18.12.2019 ein Ablehnungsgesuch gegen die zuständige Richterin am Sozialgericht gestellt. Dieses
wurde mit Beschluss vom 23.1.2020 zurückgewiesen. Der Kläger hat gegen den ihm per Postzustellungsurkunde am 24.1.2020 zugestellten
Beschluss am 27.1.2020 die Anhörungsrüge erhoben und die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend gemacht. Das Sozialgericht
hat diese am 4.3.2020 als unzulässig verworfen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.1.2020 - dem Kläger zugestellt am 29.1.2020 - abgewiesen. Der
Aufhebungsbescheid vom 23.9.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.10.2019 sei rechtmäßig. Zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheids
vom 23.5.2019 habe der Beklagte keine Kenntnis von der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit ab dem 1.10.2019 gehabt. Zum
1.10.2019 sei es bei dem Kläger zu einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gekommen, weil er zu diesem Zeitpunkt
eine Tätigkeit als selbstständiger Rechtsanwalt aufgenommen habe, aus der er Einkommen erzielte. Dies führe dazu, dass Leistungen
nach § 41a SGB II vorläufig zu erbringen seien, da die Höhe des Einkommens zunächst ungewiss sei und erst im Nachhinein festgestellt werden
könne. Die Aufhebung sei auch für die Zukunft erfolgt, da der Aufhebungsbescheid nur den Zeitraum ab dem 1.10.2019 erfasse.
Ferner habe die Beklagte am gleichen Tag einen Bescheid über die vorläufige Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum von
Oktober 2019 bis März 2020 erlassen. Die vorläufige Bewilligung sei damit zeitnah erfolgt und das Existenzminimum des Klägers
gewährleistet. Der Bescheid über die vorläufige Bewilligung vom 23.9.2019 sei jedoch nicht Gegenstand des vorläufigen Verfahrens
geworden, da dieser Bescheid nicht durch Widerspruch angefochten worden sei und sich auch der Widerspruchsbescheid vom 9.10.2019
nicht auf diesen vorläufigen Bewilligungsbescheid bezogen habe. Auch der Änderungsbescheid vom 23.11.2019, der lediglich die
gesetzliche Steigerung des Regelsatzes umsetze, sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Sofern der Kläger mit seinem Schriftsatz
vom 1.12.2019 eine entsprechende Klageerweiterung habe vornehmen wollen, sei diese unzulässig. Der Beklagte habe in eine entsprechende
Klageänderung im Sinne des §
99 Abs.
1 SGG nicht eingewilligt. Im Übrigen sei eine Klageänderung auch nicht sachdienlich, da der Änderungsbescheid vom 23.11.2019 nicht
im Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Aufhebungsbescheid stehe und diesen auch nicht abändere. Ferner sei auch
das notwendige Vorverfahren diesbezüglich noch nicht durchgeführt worden.
Gegen das dem Kläger am 29.1.2020 zugestellte Urteil hat dieser am 30.1.2020 bei dem Sozialgericht Köln fristwahrend Berufung
eingelegt.
Zur Begründung verweist der Kläger auf seinen bisherigen Vortrag. Insbesondere sei ihm kein Bescheid bekanntgegeben worden,
der dem aufgehobenen Bescheid nach § 41a SGB II entspräche. Ferner könne der Gerichtsbescheid schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Richterin, die diesen erlassen
hat, nicht zuständig gewesen sei. Sowohl der Beschluss vom 23.1.2020, in dem das Ablehnungsgesuch des Klägers zurückgewiesen
worden ist, als auch der Beschluss vom 4.3.2020 bezüglich der Anhörungsrüge seien dem Kläger nicht wirksam zugestellt worden.
So seien lediglich mehrere nicht fest miteinander verbundene Seiten übersandt worden, die auch keinen ordnungsgemäßen Beglaubigungsvermerk
aufweisen würden. Der Kläger erläutert nicht, warum er den Beglaubigungsvermerk für nicht ordnungsgemäß hält. Die Beschlüsse
könnten damit - so der Kläger - keine Rechtswirkung entfalten, sodass das Verfahren hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs zum
Zeitpunkt der Entscheidung in der Hauptsache noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Ferner mache er den Mitwirkungsbescheid
der Beklagten, in dem er aufgefordert worden sei, für den Zeitraum von Oktober 2019 bis März 2020 weitergehende Unterlagen
einzureichen, zum Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Trotz ordnungsgemäßer Ladung erschien in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht am 11.6.2021 niemand.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 27.01.2020 und den Aufhebungsbescheid vom 23.09.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.10.2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils. Ferner widerspricht er jeglicher Erweiterung des
Streitgegenstands. Allein streitgegenständlich sei der Aufhebungsbescheid vom 23.09.2019.
Zwischenzeitlich - durch Bewilligungsbescheid vom 20.4.2020 - hat der Beklagte die vorläufig bewilligten Leistungen (912,29
Euro monatlich für den Zeitraum 10/19 - 12/19 und 920,48 Euro monatlich für den Zeitraum 01/20 - 03/20) abschließend festgesetzt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte
des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz Abwesenheit der Beteiligten verhandeln und entscheiden. Denn diese sind ordnungsgemäß geladen und auf
diese Möglichkeit hingewiesen worden (§
153 Abs.
1 i.V.m. §
110 Absatz
1 Satz 2
SGG).
Die zulässige (§§
143,
151 Abs.
2 SGG) Berufung des Klägers ist unbegründet.
1) Das Urteil des Sozialgerichts Köln leidet nicht bereits an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Ein solcher ergibt sich
nicht daraus, dass der Kläger die zuständige Richterin am Sozialgericht, die den Gerichtsbescheid erlassen hat, abgelehnt
hat.
Ablehnungsgesuche sind mit ihrer Entscheidung darüber erledigt (BSG, 7.11.2017 - B 10 ÜG 21/17 C -, Rn. 4). Aus diesem Grund kann sich der Kläger grundsätzlich im Rahmen des Klageverfahrens
nicht darauf berufen, ein Befangenheitsantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden. Jedoch kann ein wesentlicher Verfahrensmangel
dann bestehen, wenn die abgelehnte Richterin vor der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch Handlungen vornimmt, die nicht
von §
47 Abs.
1 ZPO umfasst sind. Nach §
60 Abs.
1 SGG i.V.m. §
47 Abs.
1 ZPO dürfen abgelehnte Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nämlich nur solche Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub
gestatten. Der Erlass eines Gerichtsbescheids fällt nicht unter diese unaufschiebbaren Handlungen.
Die zuständige Richterin am Sozialgericht hat den Gerichtsbescheid jedoch nicht vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs erlassen.
Nach der Rechtsprechung tritt Erledigung dabei erst mit formeller Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses ein (BSG, 30.3.2021 - B 8 SO 73/20 B -, Rn. 6, unter Verweis auf BGH, 15.6.2010 - XI ZB 33/09 -, Rn. 17). Formelle Rechtskraft besteht bei Entscheidungen, bei denen kein Rechtsmittel statthaft ist, ab ihrer Verkündung
(vgl. Musielak/Voit/Lackmann,
ZPO, 2021, §
705 Rn. 4). Handelt es sich dabei um einen Beschluss, der ohne mündliche Verhandlung ergeht, so wird die Verkündung nach §
133 Satz 2
SGG durch die Zustellung ersetzt. Damit tritt Erledigung nach §
47 Abs.
1 ZPO in diesen Fällen erst mit wirksamer Zustellung des Beschlusses ein. Liegt dagegen eine unwirksame Zustellung vor, so führt
dies dazu, dass mangels Verkündung des Beschlusses dieser nicht formell rechtskräftig werden kann; dies hätte zur Folge, dass
zum Zeitpunkt des Erlasses des Gerichtsbescheids noch keine Erledigung iSd §
47 Abs.
1 ZPO eingetreten wäre.
Der Zurückweisungsbeschluss wurde dem Kläger am 23.1.2020 wirksam zugestellt, sodass ab diesem Zeitpunkt der Gerichtsbescheid
ohne Verstoß gegen §
60 Abs.
1 SGG i.V.m. §
47 Abs.
1 ZPO erlassen werden durfte. Das Vorbringen des Klägers, die Entscheidung sei in losen Seiten zugestellt worden, ist schon deshalb
unerheblich, weil darin kein Zustellungsmangel liegt. Vielmehr kann ein Schriftstück sowohl zusammengeheftet als auch ohne
feste Verbindung zwischen den einzelnen Blättern zugestellt werden (vgl. Schultzky in: Zöller,
ZPO, 2020, §
169 Rn. 9). Soweit der Kläger einwendet, es läge kein ordnungsgemäßer Beglaubigungsvermerk vor, so ist sein Vortrag diesbezüglich
schon nicht ausreichend substantiiert. Damit das Gericht überprüfen kann, ob tatsächlich ein zur Unwirksamkeit der Zustellung
führender Fehler bei der Beglaubigung vorliegt, muss der Kläger - insbesondere als Rechtsanwalt - die zugrunde liegenden Tatsachen
hinreichend präzise vortragen. Die bloße pauschale Behauptung, der Beglaubigungsvermerk sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, reicht
nicht aus, um die Wirksamkeit der Zustellung überprüfen zu können. Insoweit obliegt es dem Kläger, die genauen Fehler zu benennen
und ggf. die zugestellte Abschrift bei Gericht einzureichen. Unabhängig davon wäre ein etwaiger Zustellungsmangel ohnehin
durch den tatsächlichen Zugang des Beschlusses am 23.1.2021 geheilt worden. Denn in der Zustellung einer nicht bzw. nicht
ordnungsgemäß beglaubigten Abschrift liegt ein nach §
63 SGG i.V.m. §
189 ZPO heilbarer Zustellungsmangel und kein Mangel des Schriftstücks (Schultzky in: Zöller,
ZPO, 2020, §
189 Rn. 9 m.w.N.; Dörndorfer in: BeckOK
ZPO, Stand 1.3.2021, §
189 Rn. 5).
Ein Verstoß gegen §
47 Abs.
1 ZPO ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger gegen den Befangenheitsbeschluss die Anhörungsrüge erhoben hat. Die Anhörungsrüge
als "außerordentlicher Rechtsbehelf" hemmt den Eintritt der Rechtskraft nicht (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt
-Hrsg.-,
SGG, 2020, §
178a Rn. 2). Jedoch soll auch die Anhörungsrüge einer Erledigung des Ablehnungsgesuchs im Sinne des §
47 Abs.
1 ZPO entgegen, wenn nicht bloß die dafür vorgesehene Frist läuft, sondern die Rüge bereits tatsächlich erhoben wurde (Vossler
in: BeckOK
ZPO, Stand 1.3.2021, §
47 Rn. 3). Die Erhebung der Anhörungsrüge hat im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb keinen Einfluss auf den Erledigungszeitpunkt,
weil die Rüge als unzulässig verworfen wurde. Eine Anhörungsrüge kann nur dann das Ende der Wartepflicht hinausschieben, wenn
sie auch zulässig ist (BGH, 15.6.2010 - XI ZB 33/09 -, Rn. 17).
Unerheblich ist zuletzt auch der Einwand des Klägers, der Beschluss über die Anhörungsrüge sei nicht wirksam zugestellt worden.
Insoweit fehlt es bereits an der Relevanz für dieses Verfahren.
2) Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 23.9.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Rechtsgrundlage des Aufhebungsbescheids vom 23.9.2019 ist § 40 Abs. 4 SGB II. Danach ist ein Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde,
mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen
eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a SGB II vorläufig zu entscheiden wäre.
Über die Erbringung von Geld- und Sachleistungen ist nach § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorläufig zu entscheiden, wenn 1. zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geld- und Sachleistungen voraussichtlich
längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen oder
2. ein Anspruch auf Geld- und Sachleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere
Zeit erforderlich ist. Bei § 40 Abs. 4 SGB II handelt es sich um eine besondere Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung von endgültigen Bewilligungsbescheiden wegen der
Änderung bestimmter tatsächlicher Verhältnisse und damit um eine Sonderregelung für die Abänderung von Bewilligungsbescheiden
im Geltungsbereich des SGB II (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, Stand: 8.3.2021, § 40 Rn. 150). Ohne diese Sonderregelung wäre eine Aufhebung eines endgültigen Bewilligungsbescheids nicht möglich, wenn sich
die tatsächlichen Verhältnisse dergestalt ändern, dass nunmehr vorläufige Leistungen nach Maßgabe von § 41a SGB II zu bewilligen wären. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG stellt eine vorläufige Leistung eine Leistung sui generis und ein aliud gegenüber der endgültigen Leistung dar (siehe etwa
BSG, 10.5.2011 - B 4 AS 139/10 R -, Rn. 15 m.w.N).
b) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 4 SGB II sind erfüllt. Durch die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt ist in der Person des Klägers eine Änderung
eingetreten, aufgrund derer nach § 41a SGB II vorläufig zu entscheiden wäre.
§ 40 Abs. 4 SGB II setzt zunächst einen Verwaltungsakt voraus, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II abschließend entschieden wurde. Mithin bedarf es eines Bescheids über die endgültige Bewilligung von Leistungen nach dem
SGB. Ein solcher liegt in dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 23.5.2019, in welchem dem Kläger - endgültig - monatliche
Leistungen in Höhe von 912,27 Euro für den Zeitraum vom 1.7.2019 bis zum 30.6.2020 bewilligt wurden.
Bei dem Kläger ist zum 1.10.2019 eine tatsächliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten. Davon ist ebenso wie bei § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auszugehen, wenn der Sachverhalt, der dem maßgeblichen Bescheid zugrunde lag, so nicht mehr gegeben ist (Aubel in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB II, Stand: 8.3.2021, § 40 Rn. 155). Zeitlicher Bezugspunkt ist hierbei der Erlass des endgültigen Bewilligungsbescheides. Hätten nämlich bereits zu
diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine nur vorläufige Bewilligung nach § 41a SGB II vorgelegen, so wäre eine endgültige Bewilligung aufgrund unsicherer Tatsachengrundlage rechtswidrig gewesen und die Aufhebung
nach § 45 SGB X vorzunehmen (BSG, 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R -, Rn. 19). Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides am 23.5.2019 hatte der Beklagte keinerlei Kenntnis darüber,
dass der Kläger beabsichtigte, ab dem 1.10.2019 eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen. Diese Information wurde erst in
der Folgezeit mitgeteilt. In der Aufnahme einer solchen Tätigkeit liegt eine Veränderung des dem Bewilligungsbescheids zugrunde
liegenden Sachverhalts und damit eine tatsächliche Veränderung im Sinne des § 40 Abs. 4 SGB II.
Diese Änderung der tatsächlichen Verhältnisse führt auch dazu, dass nach Maßgabe von § 41a SGB II vorläufig zu entscheiden (gewesen) wäre. § 40 Abs. 4 SGB II verlangt insoweit, dass aufgrund der Änderungen eine Pflicht zur vorläufigen Entscheidung bestünde, wenn die Leistungen nunmehr
neu beantragt werden würden. Gemeint sind damit in erster Linie Fälle des § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II, d.h. wenn aufgrund der tatsächlichen Änderungen zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Geld- und Sachleistungen
nunmehr voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
vorliegen oder ein Anspruch auf Geld- und Sachleistungen dem Grunde nach weiterhin besteht, aber zur Feststellung seiner Höhe
voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Die Gesetzesbegründung nennt insoweit als Beispielfall die Aufnahme einer selbständigen
Tätigkeit während eines laufenden Leistungsbezuges (BT-Drs 18/8041, S. 49). So liegt es hier. Der Kläger hat während des laufenden
Leistungsbezugs eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgenommen, aus der er voraussichtlich Einkommen erzielte.
Die genaue Höhe des Einkommens war hierbei - insbesondere da der Kläger eine selbstständige Tätigkeit und kein Beschäftigungsverhältnis
aufnahm - noch unklar, sodass objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Einschätzung bestand. Aufgrund dieser unklaren
Tatsachengrundlage wäre folglich bei vorheriger Kenntnis nach § 41a SGB II zu entscheiden gewesen.
Als Rechtsfolge sieht § 40 Abs. 4 SGB II die Pflicht zur Aufhebung des endgültigen Bewilligungsbescheids mit Wirkung für die Zukunft vor. Der Beklagte hat den Bewilligungsbescheid
vom 23.5.2019 mit Aufhebungsbescheid vom 23.9.2019 mit Wirkung ab dem 1.10.2019 und damit für die Zukunft aufgehoben.
Ferner ist für den Zeitraum nach der Aufhebung nach § 40 Abs. 4 SGB II eine neue, und zwar vorläufige Bewilligungsentscheidung nach § 41a SGB II zu treffen. Dies ergibt sich daraus, dass der Betroffene nicht ohne Leistung blieben darf und sein Existenzminimum gesichert
sein muss. Soweit der Kläger einwendet, es sei kein dem § 41a SGB II entsprechender Bescheid erlassen worden, so ist nicht ersichtlich, worauf er sich insoweit stützt. Der Beklagte hat dem Kläger
mit Bescheid vom selben Tag Leistungen in gleicher Höhe für den Zeitraum Oktober 2019 bis März 2020 vorläufig bewilligt. Am
Zugang bestehen keine Zweifel, der Kläger selbst erwähnt in seinem Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 23.9.2019
selbst den "vorläufige[n] Bewilligungsbescheid vom gleichen Tage". Mit Bescheid vom 20.04.2020 wurde die Leistung in dieser
Höhe endgültig festgesetzt.
c) Im Übrigen ist der - mittlerweile endgültige - Bewilligungsbescheid nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens und daher
nicht zu überprüfen. Der Kläger hat nur Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 23.9.2019 und gerade nicht gegen den
vorläufigen Bewilligungsbescheid vom gleichen Tag eingelegt. Insbesondere bezieht sich der Widerspruchsbescheid vom 9.10.2019
nicht auf den vorläufigen Bewilligungsbescheid. Denn darin erhebt der Kläger ausdrücklich und alleinig Widerspruch gegen den
Bescheid, der zur Aufhebung des Bescheids vom 23.5.2019 geführt hat. Das ist gerade nicht der vorläufige Bewilligungs-, sondern
nur der Aufhebungsbescheid. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Kläger um einen Rechtsanwalt handelt, ist
eine Auslegung des Widerspruchs dahingehend, dass er sämtliche Bescheide vom 23.9.2019 umfassen soll, nicht geboten (§
123 SGG).
d) Das Sozialgericht hatte auch über den Änderungsbescheid vom 23.11.2019 nicht zu entscheiden. Dieser ist im erstinstanzlichen
Verfahren nicht wirksam einbezogen worden. Eine nachträgliche Einbeziehung ist nur im Wege einer Klageerweiterung möglich.
Ein Fall der gesetzlichen Klageänderung nach §
96 Abs.
1 SGG liegt dabei nicht vor, da durch den Änderungsbescheid nicht der mit diesem Verfahren angefochtene Verwaltungsakt, sondern
vielmehr der nicht streitgegenständliche vorläufige Bewilligungsbescheid abgeändert wurde. Da es sich daher allenfalls um
eine Klageänderung im Sinne des §
99 Abs.
1 SGG handeln kann, muss der Beklagte einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich halten. Der Beklagte hat der Klageerweiterung
mit Schriftsatz vom 10.12.2019 widersprochen. Ferner ist die Klageänderung auch nicht sachdienlich, weil der Änderungsbescheid
- da der vorläufige Bewilligungsbescheid nicht Streitgegenstand ist - in keinerlei Konnex zu dem hier streitgegenständlichen
Aufhebungsbescheid steht.
e) Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.
3) Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
4) Gründe, im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.