Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund, in dem (jedenfalls) die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) wegen fehlender Mitwirkung für die Zeit von Juni 2019 bis Dezember 2019 streitig war.
Die im Jahre 1959 geborene Klägerin bezieht laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom Beklagten. Seit Ende
des Jahres 2016 war sie wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Sie teilte mit, sie sei kaum in der Lage zu laufen. Ab Oktober
2017 forderte der Beklagte die Klägerin mehrfach auf, eine Einschätzung ihres behandelnden Arztes hinsichtlich ihrer Erwerbsfähigkeit
vorzulegen. Die Klägerin lehnte die Vorlage des entsprechenden Formulars aus Datenschutzgründen im März 2018 ab. Der Beklagte
teilte ihr daraufhin mit, dass die Einschaltung des ärztlichen Dienstes erforderlich sei.
Anlässlich eines Termins zur amtsärztlichen Untersuchung am 22.05.2018 weigerte sich die Klägerin, eine schriftliche Einverständniserklärung
bezüglich der Gutachtenübermittlung an das Jobcenter zu unterschreiben und eine Erklärung über die Entbindung ihrer behandelnden
Ärzte von der Schweigepflicht abzugeben.
Zu einem weiteren Untersuchungstermin am 25.09.2018 erschien die Klägerin unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
nicht. Auch einer erneuten Ladung zur ärztlichen Untersuchung am 23.10.2018 kam sie nicht nach.
Mit Bescheid vom 11.12.2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit
vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2019.
Am 12.02.2019 erschien die Klägerin auf Einladung zur amtsärztlichen Begutachtung, erklärte jedoch, dass sie eine Einverständniserklärung
zur Übermittlung der Untersuchungsergebnisse an das Jobcenter nicht unterschreiben werde. Eine Untersuchung erfolgte daraufhin
nicht.
Mit Schreiben vom 28.03.2019 lud der Beklagte die Klägerin zu einer weiteren ärztlichen Untersuchung am 09.04.2019 ein. Der
Beklagte sei dazu verpflichtet, die Erwerbsfähigkeit als Voraussetzung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II festzustellen. Die ärztliche Begutachtung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin werde in ihrem Fall unter Ausübung von pflichtgemäßem
Ermessen auf Grund der von ihr angegebenen und bereits seit längerer Zeit bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen als
erforderlich angesehen. Zu den Mitwirkungspflichten der Klägerin gehöre auch die Zustimmung zur Weiterleitung des ärztlichen
Gutachtens des Gesundheitsamtes des Kreises Soest an den Beklagten. Darüber hinaus solle die Klägerin das Schreiben ihrem
behandelnden Arzt vorlegen und ihn um leihweise Überlassung der Behandlungsunterlagen oder um Übersendung per Post an den
ärztlichen Dienst bitten. Ein wichtiger Grund dafür, diesen zumutbaren Mitwirkungspflichten nicht nachzukommen, sei nicht
vorgetragen worden. Sollte die Klägerin den Termin beim Gesundheitsamt ohne wichtigen Grund nicht wahrnehmen, würden die Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zum nächstmöglichen Zeitpunkt bis zur Nachholung der Mitwirkung entzogen. Das bedeute, dass die Klägerin bis zur vollständigen
Nachholung der Mitwirkung keine weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II mehr erhalten werde.
Mit Schreiben vom 07.04.2019 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Einladung zur Untersuchung am 12.02.2019 ein. Zur Begründung
führte sie im Wesentlichen aus, sie sei ihrer Mitwirkungspflicht bereits am 12.02.2019 nachgekommen. Seit Oktober 2017 werde
sie alle zwei bis drei Monate zu einer amtsärztlichen Untersuchung genötigt.
Die Klägerin erschien nicht zum Termin beim Gesundheitsamt am 09.04.2019.
Mit Bescheid vom 03.05.2019 entzog der Beklagte der Klägerin die Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.06.2019 bis
zum 31.12.2019 in voller Höhe wegen fehlender Mitwirkung. Die Klägerin habe durch ihr Nichterscheinen zum Termin am 09.04.2019
ihre Mitwirkung verweigert. Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe könnten bei der Abwägung der persönlichen Interessen
mit denen der Allgemeinheit nicht als wichtig anerkannt werden. Da die Klägerin die Untersuchung verweigere, könne seitens
des Jobcenters nicht ermittelt werden, ob die Klägerin mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Die Erwerbsfähigkeit
könne somit nicht positiv festgestellt werden. Ein milderes Mittel zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit sei nicht erkennbar.
Es lägen auch keine Gründe vor, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu Gunsten der Klägerin berücksichtigt werden könnten.
Hiergegen legte die Klägerin - anwaltlich vertreten - am 13.05.2019 Widerspruch ein. Der beauftragte Arzt habe sie beim Termin
am 12.02.2019 aufgefordert, eine Unterschrift unter ein Dokument zu setzen, ohne zu erklären, wozu diese Unterschrift erforderlich
sein solle. Dies habe sie abgelehnt. Zum Untersuchungstermin am 09.04.2019 sei sie nicht erschienen, da sie davon ausgehe,
dass dieser Termin in erster Linie anberaumt worden sei, um sie zu schikanieren und um einen Vorwand zum Leistungsentzug zu
schaffen. An der eigentlichen Sachlage habe sich nichts geändert. Zu einer Unterschrift unter ein Dokument, mit dem sie sich
jeglichen Datenschutzes und insbesondere ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung begebe, sei sie nach wie vor ohne
Erklärung, warum dies erforderlich sei, nicht bereit.
Am 06.07.2019 machte die Klägerin wegen der Entziehung der Leistungen ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem
SG Dortmund anhängig (S 66 AS 3239/19 ER). Das SG lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 03.05.2019 durch Beschluss
vom 19.07.2019 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die vollständige Entziehung der Grundsicherungsleistungen
nach §
66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) sei rechtmäßig, da die Klägerin der ihr zumutbaren Mitwirkungspflicht aus §
62 SGB I ohne wichtigen Grund nicht nachgekommen sei. Sie sei gemäß §
66 Abs.
3 SGB I ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen der Mitwirkungspflichtverletzung belehrt worden. Die Untersuchung sei zur Feststellung
der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erforderlich gewesen, da ernsthafte
Anhaltspunkte für den Wegfall der Erwerbsfähigkeit der Klägerin vorgelegen hätten. Auch sei die Einladung zur amtsärztlichen
Untersuchung nicht rechtsmissbräuchlich, da die vorherigen Untersuchungen nicht mit einem Gutachten hätten abgeschlossen werden
können. Der Beklagte habe keine Möglichkeit gehabt, sich die erforderlichen Kenntnisse mit geringerem Aufwand zu beschaffen.
Er habe das ihm zustehende Ermessen korrekt ausgeübt. Insbesondere in Fällen, in denen keine anderen Ermittlungsmöglichkeiten
gegeben seien, könne hinsichtlich der Entscheidung auf Versagung der Leistungen eine Ermessensreduzierung auf null eintreten.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin wies das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Beschluss vom
23.09.2019, L 6 AS 1330/19, unter Bezugnahme auf die Ausführungen des SG zurück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2019 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Entziehungsbescheid vom 03.05.2019
als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung der bereits seit längerem bestehenden gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin
spreche einiges dafür, dass sie nicht erwerbsfähig sei und damit keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe. Die Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung sei in der Vergangenheit bereits mehrfach - zuletzt am 12.02.2019
- am Verhalten der Klägerin gescheitert. Aus diesem Grund sei sie mit Schreiben vom 28.03.2019 erneut zur ärztlichen Untersuchung
eingeladen worden. Das Schreiben habe eine konkrete und verständliche Rechtsfolgenbelehrung enthalten. Dennoch sei die Klägerin
zum Termin am 07.04.2019 ohne Angabe von nachvollziehbaren Gründen nicht erschienen. Somit sei als Rechtsfolge der Pflichtverletzung
der Entziehungsbescheid vom 03.05.2019 zu fertigen gewesen.
Hiergegen hat die weiterhin anwaltlich vertretene Klägerin am 26.08.2019 Klage vor dem SG Dortmund erhoben und am 19.09.2019
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten beantragt. Dem Antrag ist eine vollständige
Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nebst Belegen beigefügt gewesen.
Bereits am 31.08.2019 hat die Klägerin (selbst) eine weitere Klage (9 K 3183/19) vor dem Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg wegen eines im Mai ergangenen Sanktionsbescheides i.H.v. 100 % der Grundsicherungsleistungen
und der daraus resultierenden Grundrechtsverletzung erhoben. Das VG hat das Verfahren durch Beschluss vom 11.09.2019 an das
SG Dortmund verwiesen. Das Verfahren ist dort unter dem Aktenzeichen S 66 AS 4969/19 geführt worden. Das SG hat die Verfahren S 66 AS 4213/19 und S 66 AS 4969/19 durch Beschluss vom 17.10.2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 66 AS 4213/19 verbunden.
Am 23.12.2019 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Mandat niedergelegt.
Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen ergänzend zu ihren Ausführungen im Widerspruchsverfahren vor,
Sanktionen seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten
im Bereich der Grundsicherung verfassungswidrig. Sie sei seit der Entziehung der Leistungen ohne Einkünfte. Die Abmeldung
vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II sei ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Der Beklagte schulde ihr mehr als 9.500 € zuzüglich weiterer Folgekosten.
Der Beklagte verweist im Wesentlichen auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen im Beschluss des SG Dortmund vom
19.07.2019 (S 66 AS 3239/19 ER) und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.09.2019 (L 6 AS 1330/19).
Durch Beschluss vom 09.03.2020 - der Klägerin zugestellt am 24.03.2020 - hat das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt. Zur Begründung hat es auf seine
Ausführungen im Beschluss vom 19.07.2019 im Verfahren S 66 AS 3239/19 ER Bezug genommen.
Am 11.03.2020 hat sich die Klägerin der vom Beklagten geforderten amtsärztlichen Untersuchung unterzogen. Der Beklagte hat
daraufhin mit Schriftsatz vom 12.03.2020 mitgeteilt, dass der Entziehungsbescheid vom 03.05.2019 wegen der Erfüllung der Mitwirkungspflicht
zurückgenommen werde und die entzogenen Leistungen für die Zeit ab Juni 2019 rückwirkend nachgezahlt würden.
Am 20.04.2020 hat die Klägerin Beschwerde vor dem LSG Nordrhein-Westfalen gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
eingelegt. Das Verfahren könne nicht für erledigt erklärt werden, da die Leistungen für die Jahre 2019 und 2020 nicht vollständig
nachgezahlt worden seien. Auch müsse die Klage erweitert werden. Denn der Beklagte habe seit April 2018 zu geringe Kosten
für Unterkunft und Heizung, insbesondere keine bzw. zu geringe Heizkosten gezahlt. Im Übrigen seien die Umzugskosten aus April
2018 sowie die Mietkaution nachzuzahlen. Unter Berücksichtigung der geleisteten Nachzahlungen ergebe sich eine offene Forderung
i.H.v. mindestens 1.494,86 €. Außerdem seien sämtliche Nachzahlungen zu verzinsen.
Der Beklagte erwidert im Wesentlichen, die weiteren von der Klägerin im Verfahrensverlauf geltend gemachten Ansprüche seien
Gegenstand der laufenden Parallelverfahren der Klägerin vor dem SG Dortmund.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen
Streitakten zu den Verfahren S 66 AS 3373/18, S 66 AS 437/19, S 66 AS 3239/19 ER, S 66 AS 2767/20, S 66 AS 3620/20 und S 66 AS 832/21 sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist..
II.
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg. Sie ist zulässig und
begründet.
a) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach §
172 Abs.
3 Nummer
2b Sozialgerichtsgesetz (
SGG) unstatthaft, da die Berufung in der Hauptsache nicht entsprechend §
144 Abs.
1 SGG der Zulassung bedürfte. Nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder
Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Vorliegend beträgt der Wert des
Beschwerdegegenstandes mehr als 750 €. Denn die Klägerin wendet sich (insbesondere) gegen den aus ihrer Sicht rechtswidrigen
Entziehungsbescheid vom 03.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2019, mit welchem der Beklagte die für
die Zeit von Juni 2019 bis Dezember 2019 bewilligten Grundsicherungsleistungen i.H.v. monatlich 816,51 € entzogen hat. Insgesamt
bestehe ein Nachzahlungsanspruch i.H.v. mindestens 1.494,86 €.
b) Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem SG Dortmund.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) erhalten Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
aa) Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung
aufzubringen. Sie bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten.
bb) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt auch hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten.
(1) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags, mithin der Zeitpunkt,
in dem der Antrag vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Ausnahmsweise ist hiervon abweichend
der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - hier des Beschwerdegerichts - maßgeblich, wenn sich im Laufe des Verfahrens
die Sach- und Rechtslage zugunsten eines Klägers geändert hat und sich infolge dieser Änderung nunmehr hinreichende Erfolgsaussichten
der Rechtsverfolgung ergeben (Bayerischer VGH, Beschluss vom 11.03.2021, 19 C 19.500, juris Rn. 7). Da ein solcher Ausnahmefall hier ersichtlich nicht vorliegt, war Bewilligungsreife
spätestens Anfang März 2020 vor der Entscheidung des SG gegeben.
(2) Hinreichende Erfolgsaussicht ist anzunehmen, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Klägers auf
Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher
Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Schmidt in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
73a, Rn. 7a). Der Erfolg braucht nicht gewiss zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für sich haben, die bereits dann gegeben ist, wenn bei summarischer Überprüfung ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich ist wie
ein Unterliegen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 11.03.2021, 19 C 19.500, juris Rn. 6). Prozesskostenhilfe kann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache
zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft
in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit
zum Nachteil des Antragstellers ausginge, ist Prozesskostenhilfe in der Regel zu gewähren (BVerfG, Beschluss vom 29.09.2004,
1 BvR 1281/04, juris Rn. 14).
(a) Nach dieser Maßgabe war der Klägerin Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen. Denn das SG hätte durch Auslegung des Bescheides vom 03.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2019 ermitteln müssen,
ob der Beklagte das ihm zustehende Ermessen erkannt und fehlerfrei ausgeübt hat. Dass die Erfolgschance der Klage nur eine
entfernte war, war - ungeachtet der Tatsache, dass die streitgegenständlichen Bescheide durch Erklärung des Beklagten vom
12.03.2020 zwischenzeitlich zurückgenommen worden sind - auf Grundlage des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife
des Prozesskostenhilfeantrags (s.o.) und der gebotenen summarischen Prüfung nicht anzunehmen.
Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§
60 bis
62,
65 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger gemäß §
66 Abs.
1 Satz 1
SGB I ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit
die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Sozialleistungen dürfen nach §
66 Abs.
3 SGB I wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich
hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
Das SG hat in seinem Beschluss vom 09.03.2020 unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 19.07.2019 im Verfahren S 66 AS 3239/19 ER zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin trotz Belehrung über die Rechtsfolgen gemäß §
66 Abs.
3 SGB I gegen ihre aus §
62 SGB I resultierende Pflicht zur Teilnahme an einer erforderlichen ärztlichen Untersuchung zwecks Feststellung ihrer Erwerbsfähigkeit
verstoßen hat. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Beschluss vom 09.03.2020, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG).
Die Rechtsfolge des §
66 Abs.
1 SGB I - vorliegend die Entziehung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2019 bis zum 31.12.2019 - stand im Ermessen des Beklagten. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob
dem Widerspruchsbescheid vom 26.07.2019, welcher nach Ergehen der Entscheidung des SG im Verfahren S 66 AS 3239/19 ER erlassen worden ist, eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Ermessensentscheidung zu Grunde liegt.
Hat - wie vorliegend - ein Vorverfahren stattgefunden, ist Gegenstand der Klage nach §
95 SGG der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Im sozialgerichtlichen
Verfahren bilden der Ausgangs- und der Widerspruchsbescheid eine prozessuale Einheit (B. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
95 Rn. 2). Da im Widerspruchsverfahren nicht nur - wie im gerichtlichen Verfahren - die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit
der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen ist (§
78 Abs.
1 Satz 1
SGG), muss bei Ermessensentscheidungen auch die zur Entscheidung über den Widerspruch berufene Stelle Ermessen ausüben. Die Widerspruchsstelle
darf deshalb - anders als nachfolgend das Gericht - ihr eigenes (ggf. abweichendes) Ermessen an die Stelle des Ermessens der
Ausgangsbehörde setzen. Damit korrespondiert, dass auch die Widerspruchsstelle in dem von ihr erlassenen Widerspruchsbescheid
Ermessensgründe erkennen lassen muss. Nähere Vorgaben dafür, in welcher Weise die Widerspruchsstelle ihre Ermessenserwägungen
zum Ausdruck zu bringen hat, bestehen jedoch nicht. §
85 Abs.
3 Satz 1
SGG bestimmt lediglich, dass der Widerspruchsbescheid schriftlich zu erlassen und zu begründen ist; für die Begründung von Ermessensentscheidungen
gilt ergänzend § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X. Es ist daher im Einzelfall zu beurteilen, ob die Widerspruchsbehörde die Erwägungen der Ausgangsbehörde ausdrücklich verwirft
und durch eigene ersetzt oder diese durch eigene Überlegungen ergänzt, nur verdeutlicht oder aber ohne jeden Vorbehalt bestätigt
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.02.1987, 4 B 24/87, juris Rn. 8). Die Frage, ob die Widerspruchsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, ist anhand der Gründe des Widerspruchsbescheids
zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.1997, 4 RA 71/96, juris Rn. 24). Rechtlich maßgeblich ist somit insoweit nicht das tatsächliche Geschehen ("Was hat die Behörde bei Erlass
des Verwaltungsakts wirklich erwogen?"), sondern allein das, was die Behörde nach dem objektiven Empfängerhorizont in der
Begründung des Widerspruchsbescheids anführt (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 11.02.2015, B 13 R 15/13 R, juris Rn. 19).
Im Rahmen der danach gebotenen Auslegung wäre zunächst zu berücksichtigen gewesen, dass das Wort "Ermessen" im Widerspruchsbescheid
vom 26.07.2019 nicht ausdrücklich erwähnt wird. Es wird lediglich ausgeführt, die Klägerin sei ohne Angabe von nachvollziehbaren
Gründen nicht zu dem Termin am 09.04.2018 erschienen. Somit sei als Rechtsfolge der Pflichtverletzung der Entziehungsbescheid
vom 03.05.2019 zu fertigen gewesen. Im Übrigen beschränkt sich der Widerspruchsbescheid im Wesentlichen auf die Darstellung
der Bemühungen des Beklagten, eine auf Grund der gesundheitlichen Situation der Klägerin als erforderlich erachtete amtsärztliche
Untersuchung durchzuführen. Zwar ist die Verwendung des Begriffs "Ermessen" kein unverzichtbares Element der Begründung eines
Verwaltungsakts (BSG, Urteil vom 11.02.2015, B 13 R 15/13 R, juris Rn. 22). Jedoch erscheint (ausgehend von dem hier noch maßgebenden Zeitpunkt der Bewilligungsreife) ein Obsiegen
im Klageverfahren im Hinblick auf die vom Beklagten verwandte Formulierung, wonach als Rechtsfolge des Nichterscheinens zum
ärztlichen Untersuchungstermin ohne Angabe von nachvollziehbaren Gründen der Entziehungsbescheid vom 03.05.2019 zu fertigen
war, zumindest ebenso wahrscheinlich wie ein Unterliegen.
Dies gilt auch, soweit das SG darauf hingewiesen hat, dass insbesondere in Fällen, in denen keine anderen Ermittlungsmöglichkeiten gegeben seien, hinsichtlich
der Entscheidung auf Versagung der Leistungen eine Ermessensreduzierung auf null eintreten könne. Denn die vorliegend streitgegenständliche
Entscheidung betrifft nicht die Versagung, sondern vielmehr die Entziehung von Leistungen. In einem solchen Fall sind regelmäßig
weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.02.2016, L 8 SO 52/14, juris Rn. 30;
Bayerisches LSG, Urteil vom 06.05.2021, L 16 AS 652/20, juris Rn. 28 ff.; Voelzke in jurisPK-
SGB I, Stand: 19.08.2021, §
66 Rn. 66 ff.)
(b) Da Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren nach Maßgabe der obigen Ausführungen bereits im Hinblick
auf den ursprünglichen Streitgegenstand - die Anfechtung des Bescheides vom 03.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26.07.2019 - zu bewilligen war, musste der Senat nicht abschließend prüfen, ob hinreichende Erfolgsaussichten der Klage
auch bezüglich der weiteren, nach Ansicht der Klägerin in das Verfahren einzubeziehenden Streitgegenstände - insbesondere
die Höhe der Leistungsbewilligung für den Zeitraum ab dem Jahr 2018 bis laufend, die Verzinsung von Nachzahlungsansprüchen
und der Amtshaftungsanspruch gegen den Beklagten - bestehen.
cc) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung war zum maßgebenden Zeitpunkt der Bewilligungsreife auch nicht als mutwillig anzusehen.
dd) Da der zunächst beauftragte Prozessbevollmächtigte das Mandat durch Schriftsatz vom 23.12.2019 vor der Entscheidung des
SG über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe niedergelegt und die Klägerin bisher keinen neuen Prozessbevollmächtigten benannt
hat, war im Rahmen der Beschwerdeentscheidung kein Rechtsanwalt beizuordnen (§
73a Abs.1
SGG i.V.m. §
121 Abs.
2 ZPO).
2. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
3. Dieser Beschluss ist endgültig, §
177 SGG.