Tatbestand
Im Streit ist die Kostenerstattung und Kostenübernahme für eine orthokeratologische Behandlung.
Der am 07.12.2012 geborene minderjährige Kläger leidet an fortschreitender Myopie und Astigmatismus. Er war bis zum 30.11.2019
bei der Beklagten familienversichert, zum 01.12.2019 wechselte der zu der Beigeladenen. Mit E-Mail vom 01.03.2019 beantragte
er unter Vorlage eines Kostenvoranschlages der Firma Contactinsen-Institut N vom 24.02.2019 die Übernahme der Kosten für eine
Behandlung mit orthokeratologischen Kontaktlinsen. Dabei handelt es sich um speziell angepasste formstabile Kontaktlinsen,
die über Nacht getragen werden und bewirken, dass sich das Auge so verformt, dass die Myopie zurückgeht. Der Kostenvoranschlag
belief sich auf 775,88 EUR für zwei Kontaktlinsen und Anpassungsaufwand.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.03.2019 ab. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) habe keine positive Empfehlung
für die Behandlung mit Nachtlinsen abgegeben, da keine ausreichenden Studien vorlägen, die den sinnvollen und risikofreien
Einsatz hinsichtlich verringerter Sauerstoffzufuhr der Hornhaut und verändertem Augeninnendruck belegten.
Auf den Widerspruch des Klägers beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MD) mit der Prüfung
des Falles und befragte den Inhaber des Kontaktlinsen Institutes zu der angewandten Methode. Dieser teilte mit Mail vom 04.04.2019
mit, dass die Orthokeratologie eine der erfolgreichsten Methoden sei, um eine Kurzsichtigkeit zu bremsen. Orthokeratologie-Kontaktlinsen
seien seit 2002 in Deutschland zugelassen und seien nicht risikobehafteter als übliche Kontaktlinsen. Dies bestätige eine
Studie aus dem Jahr 2013 " M.A. Bullimore, L.T. Sinott, L.A. Jones-Jordan: The risk of micorbial keratitis with overnight corneal reshaping lenses. In
Optom Vis Sci. 90, Set 2013, S. 937 - 944". Daneben lägen noch zwei weitere Studien vor: "Li X et al; Update on Orthokeratology in Managing Progressive Myopia in Children: Efficacy Mechanisms and Concerns; J Pediatr
Ophtalmol Strabismus. 2017 Mai 1, 54 (3); 142 - 148. doi: 10.3928/01913913-20170106-01 Epub 2017 Jan 17" und "T. Hiraoka: Savety and efficacy following 10-years of overnight orthokeratology für myopia control. Ophthalmic Physiol Opt.
2018 Mai; 38 (3): 281 - 289. doi: 10:1111/opo.12460", die die Methode befürworteten.
Aus Ärger über die Ablehnung und die Verzögerung durch die Beauftragung des MD kündigte der Kläger die Krankenversicherung
bei der Beklagten zum 30.11.2019 und wechselte zu der Beigeladenen. Außerdem teilte die Mutter des Klägers per Mail am 27.03.2019
mit, dass dieser die Behandlung bereits begonnen habe und seine Kurzsichtigkeit in 14 Tagen von -7 auf -3 Dioptrien verringern
konnte. Dazu legte sie ein augenärztliches Attest von Dr. D vom 03.04.2019 vor, wonach der Kläger an einer hohen fortschreitenden
Myopie beidseits kombiniert mit Astigmatismus leide und im Januar 2018 die Refraktionswerte rechts -6,25 zyl -1,0 A 45° und
links -5,75 zyl -1,5 A 110° sowie im Februar 2019 die Werte rechts -7,0 zyl -1,0 A 45° und links -7,75 zyl -1,5 A 110° aufwies.
Die Augenärztin bittet darin im Sinne des Klägers um eine Kostenübernahme. Die orthokeratologische Behandlung solle erfolgen,
um das Fortschreiten der Myopie einzudämmen und damit gute Voraussetzung für eine optimale visuelle und schulische Entwicklung
zu schaffen.
Mit Gutachten vom 18.04.2019 stellte der MD durch seine Beratungsärztin Dr. K fest, dass es sich bei der Behandlung mit Nachtlinsen
um ein therapeutisches Konzept unter Einbeziehung des Heilmittels Kontaktlinse handle, für das Publikationen adäquater Studien
an ausreichend hohen Patientenzahlen über eine ausreichend lange Nachbeobachtungsdauer und mit adäquatem Studiendesign insbesondere
im Hinblick auf die Risiken bislang fehlten. Es stünden neben Brillen auch sehschärfenverbessernde Kontaktlinsen, die tagsüber
getragen würden, zur Verfügung. Allgemein anerkannte Lehrmeinung sei, dass zur Myopieprophylaxe bei Kindern eine Tageslichtexposition
von ca 2 Stunden pro Tag empfohlen werde.
Gestützt auf diese medizinische Einschätzung wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2019
als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie weiter aus, dass es sich bei der Orthokeratologie um eine neue Untersuchungs-
und Behandlungsmethode iSd §
135 Abs
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) handle, die von gesetzlichen Krankenkassen nur bei einer Empfehlung durch den G-BA finanziert werden könne. Eine solche
liege jedoch nicht vor. Dies könne nur bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die keine Alternativbehandlung zur Verfügung
stehe, sowie im Falle eines Systemmangels anders beurteilt werden, wobei ein Systemmangel nur durch ein Gericht festgestellt
werden könne.
Dagegen hat der Kläger am 04.07.2019 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, welches die Klage an das örtlich zuständige
Sozialgericht Köln (SG) verwiesen hat. Der Kläger hat seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft. Er habe sehr unter der
starken Kurzsichtigkeit gelitten, habe sich unsicher gefühlt und nicht frei bewegen können. In der Schule habe er immer vorne
sitzen müssen, da er auch mit Brille nicht das beste Sehvermögen erreicht habe. Wegen der starken Brille sei er auch gehänselt
worden. Dies sei nun alles weg, da sich seine Werte durch die Nachtlinsen bis auf nur noch -0,25 Dioptrien verringert hätten.
Ergänzend zu den bereits vorgelegten medizinischen Unterlagen hat der Kläger im Klageverfahren einen Bericht der Augenklinik
des F-Krankenhauses aus Köln vom 17.07.2018 vorgelegt, wonach im Winter nach dem Schuleinstieg eine medikamentöse Atropin-Behandlung
beim Augenarzt erfolgen könne. Der Therapieerfolg sei nicht garantiert. Ferner hat er eine Kostenaufstellung des Kontaktlinsen-Institutes
vorgelegt, wonach von Februar bis September 2019 Kosten für Kontaktlinsen in Höhe von 635,46 EUR und für Pflegemittel in Höhe
von 84,44 EUR (insgesamt 719,90 EUR) angefallen seien und für die Zeit von Februar 2020 bis Februar 2021 Kosten in Höhe von
660 EUR zuzüglich 270 EUR für Pflegemittel anfallen würden.
Die Beklagte hat ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Mit Beschluss vom 28.11.2019 hat das SG die Krankenkasse, bei der der Kläger seit dem 01.12.2019 familienversichert ist, beigeladen.
Die Beigeladene hat sich dem Vortrag der Beklagten angeschlossen. Auch sie hat ohne eine positive Empfehlung des G-BA keine
Leistungspflicht für gesetzliche Krankenkassen gesehen.
Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 09.04.2020 als unbegründet abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, dass weder die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung gegen die Beklagte noch die Voraussetzungen für eine
Kostenerstattung und Kostenübernahme der laufenden Behandlung durch die Beigeladene vorlägen, da es sich um eine neue Untersuchungs-
und Behandlungsmethode handle, die nach §
135 Abs
1 SGB V nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden dürfe, wenn eine positive Empfehlung des G-BA vorliege.
An dieser fehle es vorliegend. Im Hinblick auf die Pflegemittel scheitere der Anspruch bereits an der Vorschrift des §
33 Abs
3 Satz 4
SGB V, die eine Kostenübernahme für Pflegemittel ausschließe.
Gegen den ihm am 21.04.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.04.2020 Berufung eingelegt.
Er trägt vor, dass in der aktuellen Hilfsmittelrichtlinie (vom 27.03.2020, BAnz AT 07.04.2020 B3), die am 09.03.2020 in Kraft
getreten sei, formstabile Kontaktlinsen enthalten seien. Solche seien dem Kläger auch verordnet worden. Der Kläger erfülle
die von der Hilfsmittelrichtlinie aufgestellten Voraussetzungen. Es könne nicht darauf ankommen, ob diese tagsüber oder nachts
getragen würden. Darüber hinaus liege ein Systemversagen vor, da der G-BA noch nicht tätig geworden sei, obwohl orthokeratologische
Kontaktlinsen schon seit den 60er Jahren verwendet würden und diese seit 1994 in den USA und seit 2002 auch in Deutschland
zugelassen seien. Es handle sich bei der Methode nicht um eine Außenseitermethode oder Alternativmedizin, sondern um ein seit
26 Jahren durchgeführtes Verfahren ohne Risiken für den Patienten. Dazu sei die Behandlung nicht mit überdimensionierten Kosten
für die Krankenkasse verbunden, sondern am Ende sogar preisgünstiger als ein jahrelanges Tragen von Sehhilfen. Der Kläger
habe erheblich von der Behandlung profitiert. Eine Alternativbehandlung habe es nicht gegeben. Mit Atropin werde die Pupillenweite
verändert, eine Verbesserung der Sehschärfe und eine Verbesserung der Hornhautverkrümmung könne damit aber nicht erreicht
werden. Es habe zu befürchten gestanden, dass der Kläger eine Sehverschlechterung bis -20 Dioptrien zu erwarten hätte, verbunden
mit dem Risiko einer Netzhautablösung oder den Erkrankungen Grauer oder Grüner Star.
Der Kläger beantragt,
den GB des SG Köln vom 09.04.2020 abzuändern und
1.)
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2019 zu verpflichten,
ihm die Kosten für die Ortohkeratologie-Behandlung einschließlich der Kontaktlinsen und der Pflegmittel in Höhe von 719,90
EUR zu erstatten,
2.)
die Beigeladene zu verurteilen, die bisher entstandenen Kosten der Orthokeratologie-Behandlung in Höhe von798,80 EUR zu erstatten
sowie die künftig anfallenden Kosten einschließlich der Kosten für Kontaktlinsen und Pflegemittel zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und verweist auf ihr bisheriges Vorbringen.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls für zutreffend. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen weist sie darauf
hin, dass § 15 der Hilfsmittelrichtlinie keine therapeutischen Kontaktlinsen aufführt, sondern Sehhilfen zum Behinderungsausgleich.
Solche seien hier jedoch ersichtlich nicht streitgegenständlich. Auch seien keine Gründe für ein Systemversagen erkennbar.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten durch den Berichterstatter entscheiden (§
153 Abs
3,
4 SGG) und ohne die Anwesenheit der Beklagten entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen war, auf die Möglichkeit einer Entscheidung
in Abwesenheit hingewiesen wurde und auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet hatte. Den Beteiligten wurde
die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort gemäß §
110a Abs
1 SGG gestattet, an den die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton bzw Ton übertragen wurde.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG Köln hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage gegen die Beklagte
ist unbegründet, da der Bescheid vom 18.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2019 rechtmäßig ist und den
Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§
54 SGG, hierzu I). Gegen die Beigeladene ist die Klage unzulässig, da es an einem Verwaltungsverfahren durch die Beigeladene fehlt
(II).
(I) Der Bescheid vom 18.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2019 ist rechtmäßig, da der Kläger keinen
Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 719,90 EUR hat.
Eine Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 S 2
SGB V i.V.m. §
15 SGB IX scheidet aus, weil es sich bei den orthokeratologischen Kontaktlinsen nicht um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation
handelt. Denn die Kontaktlinsen werden im Fall des Klägers nicht zur Rehabilitation, sondern gezielt zu einer akuten Krankenbehandlung
eingesetzt und zielen auf eine Heilung bzw Linderung der bestehenden Myopie ab (vgl zur Kopforthese BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R - juris Rn 37).
Da die Beklagte fristgerecht innerhalb von drei Wochen über den Antrag des Klägers entschieden hat (§
13 Abs
3a SGB V), kommt vorliegend nur eine Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V in Betracht. Danach hat die Krankenkasse dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten zu erstatten, soweit
die Leistung notwendig war, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat. Im Rahmen des §
13 Abs
3 SGB V gilt ebenso wie bei der Sachleistung der Grundsatz des Arztvorbehalts (§
15 SGB V). Aufgrund dessen ist auch für eine Kostenerstattung eine ärztliche Verordnung erforderlich, an die jedoch keine besonderen
formellen Ansprüche zu stellen sind. Ausreichend ist, dass ein Arzt die Verantwortung für die durchgeführte Therapie hinreichend
deutlich zum Ausdruck bringt (BSG, Urteil vom 28.03.2000 - B 1 KR 21/99 R - juris, Rn 17). Vor diesem Hintergrund ist es ausreichend, wenn die behandelnde Augenärztin in ihrem Attest vom 03.04.2019
um eine Kostenübernahme für die Therapie bittet.
Die Voraussetzungen des §
13 Abs
3 SGB V liegen nicht vor. Für beide Regelungsalternativen des §
13 Abs
3 SGB V besteht nach ständiger Rechtsprechung (vgl nur BSG, Urteil vom 25.09.2000 - B 1 KR 5/99 R, Urteil vom 19.02.20019 - B 1 KR 18/01 R, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R - alle juris) das strenge Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand
(Unaufschiebbarkeit oder Ablehnung) und der Kostenlast des Versicherten. Ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung
scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt,
ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen und deren Entscheidung abzuwarten (Helbig in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB V, 4. Aufl, §
13 SGB V (Stand: 26.05.2021), Rn 75).
Bereits aus diesem Grund kommt vorliegend eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Denn der Kläger hatte - ausweislich der
E-Mail seiner Mutter an die Beklagte vom 27.03.2019 - bereits 14 Tage vor dieser Mail mit der Therapie begonnen. Der Ablehnungsbescheid
der Beklagten datiert jedoch erst vom 18.03.2019, so dass der Kläger mindestens 5 Tage vor der Entscheidung der Beklagten
mit der Therapie begonnen hat. Ein Abwarten der Entscheidung der Beklagten war auch nicht aus Gründen der Unaufschiebbarkeit
entbehrlich. Unaufschiebbar ist eine Leistung, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass
aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubs mehr besteht und daher die Entscheidung der Krankenkasse
nicht abgewartet werden kann (BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R - juris Rn 16). Dafür bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte. Die Myopie des Klägers war zwar progressiv,
doch nicht in einer solchen Geschwindigkeit, dass die Entscheidung der Beklagten (die wegen §
13 Abs
3a SGB V bei Behandlungsbeginn innerhalb weniger Tage zu erwarten war) nicht hätte abgewartet werden können. Versicherte dürfen sich
eine Behandlung indessen regelmäßig erst dann selbst beschaffen, wenn die Krankenkasse die Möglichkeit zur Prüfung und Erbringung
im Wege der Sachleistung hatte. Denn mit der Selbstbeschaffung einer Leistung können Gesundheitsgefahren verbunden sein, Behandlungsalternativen
können übersehen werden und die Einhaltung des Sachleistungsprinzips liegt zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit
der Leistungen nicht nur im Interesse des betroffenen Antragstellers, sondern auch grundsätzlich im Interesse der Versichertengemeinschaft
(BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 30/15 R - juris Rn 18).
Davon abgesehen liegen auch die weiteren Voraussetzungen des §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V nicht vor. Der Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V hat in beiden Regelungsalternativen einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse (Primäranspruch)
zur Grundvoraussetzung (Helbig in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl, §
13 SGB V (Stand: 26.05.2021), Rn 52). Ein solcher Primäranspruch des Klägers auf die durchgeführte orthokeratologische Behandlung
bestand nicht, da es sich bei dieser Behandlung um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iSd §
135 Abs
1 SGB V handelt und die erforderliche positive Emfpehlung des G-BA im Behandlungszeitpunkt nicht vorlag (und bis heute nicht vorliegt).
Nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
1 und Nr
3 SGB V die ärztliche Behandlung sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln. Als Hilfsmittel nach §
33 SGB V sind die Gegenstände anzusehen, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder
einer Behinderung vorzubeugen oder sie auszugleichen, soweit sie nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen
sind. Orthokeratologische Kontaktlinsen werden zwar zu medizinischen Zwecken eingesetzt und sind keine Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens. Die Voraussetzungen des Sachleistungsanspruchs bestimmen sich dennoch nicht nach §
33 SGB V. Denn die orthokeratologischen Kontaktlinsen werden nicht als Sehhilfe genutzt, sondern im Rahmen einer ärztlichen Behandlung
zur gezielten Verformung des Auges eingesetzt (vgl zur Behandlung mit einer Kopforthese, BSG, Urteil vom 17.05.2017 - B 3 KR 3015 R - juris). Während der Therapie muss regelmäßig eine Kontrolle der Augen erfolgen.
Insoweit stellen sie kein Hilfsmittel dar, sondern sind Teil einer Behandlungsmethode. Dementsprechend verfängt auch der Hinweis
der Klägerbevollmächtigten darauf, dass nach § 15 der Hilfsmittelrichtlinie "normale" formstabile Kontaktlinsen unter bestimmten
Voraussetzungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden können, nicht.
Für diese Behandlungsmethode fehlt es an einer Leistungspflicht der Beklagten. Die Behandlung der Myopie durch orthokeratologische
Kontaktlinsen ist eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iSd §
135 SGB V, für die es keine Anwendungsempfehlung des G-BA gibt. Eine Methode ist in der vertragsärztlichen Versorgung nach ständiger
Rechtsprechung "neu", wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM
enthalten ist (BSG, Urteil vom 18.12.2018 - B 1 KR 11/18 R - juris Rn 27 mwN). Dies ist hier der Fall.
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht
werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs 2 Satz 1, einer Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach
§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der
neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen
erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2.
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung,
um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Die einschlägige "Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung, abrufbar unter https://www.g-ba.de/richtlinien/7/historie/?sort=inkrafttreten_sortiert&direction=desc&seite=2)
enthält weder in der zum Behandlungsbeginn gültigen Fassung vom 17.01.2019 noch in einer der nachfolgenden Fassungen eine
Empfehlung zur Orthokeratologie.
Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten des Klägers liegt auch keine der drei von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen
vor, in denen eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des G-BA zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung
zugelassen ist. Es handelt sich vorliegend nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich oder mit einer solchen
wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung (vgl zu einer hochgradigen Sehstörung Sächsisches LSG, Urteil vom 27.03.2018 - L 9 KR 155/13 - juris, Rn 28 mwN). Zwar kann der drohende Verlust der Sehfähigkeit unter Umständen als solche wertungsmäßig vergleichbare
Erkrankung angesehen werden. Dieser drohte dem Kläger im Behandlungszeitpunkt mit Refraktionswerten zwischen -5,75 und -7,75
Dioptrien weder durch die Myopie noch durch möglicherweise damit verbundene Folgeerkrankungen an der Netzhaut unmittelbar.
Die Annahme eines Seltenheitsfalles scheidet ebenfalls ersichtlich aus. Schließlich kommt auch ein Systemversagen nicht in
Betracht. Ein solches wird dann angenommen, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse und eine gesicherte Datenbasis vorliegen,
nach denen sich die Überprüfung der Methode durch den G-BA oder eine Verfahrenseinleitung durch die insoweit antragsberechtigten
Institutionen hätte aufdrängen müssen (BSG, Urteil vom 11.05.2017 - B 3 KR 17/16 R - juris, Rn 57). Solche Erkenntnisse können insbesondere nicht in den von dem Kontaktlinseninstitut im Verwaltungsverfahren
vorgelegten Studien gesehen werden, denn diese kommen nicht zu einem abschließenden Ergebnis. Die aktuellste Studie Lee et
al. BMC Ophthalmology (2017) 17:243 hat zum einen nur Jugendliche im Alter zwischen 7 und 16 Jahren untersucht und schließt
mit der Zusammenfassung, dass die optimale Behandlungsdauer und das Alter für den Behandlungsbeginn unklar bleiben und durch
weitere Studien zu klären sind (DOI 10.1186/s12886-017-0639-4). Ein durch das Gericht recherchierter aktueller Aufsatz von
Quian Hao, Qi Zhao "Changes in subfoveal choroidal thickness in myopic children with 0,01 % atropine, orhtokeratology or their
combination" (DOI: 10.1007/s10792-021-01855-5) kommt zu dem Schluss, dass eine Kombination der Verfahren vielversprechend
sei, jedoch die zugrunde liegenden Mechanismen weitere Forschungen erforderten und ihre These ebenfalls durch weitere Versuche
untermauert werden müssten. Die Schwelle, dass im Behandlungszeitpunkt von März bis Dezember 2019 so durchgreifende wissenschaftliche
Erkenntnisse vorgelegen hätten, dass sich die Überprüfung der Methode durch den G-BA bzw die antragsberechtigten Institutionen
aufdrängen muss, ist damit jedenfalls nicht überschritten.
Die Erstattung von Pflegemitteln ist unabhängig vom Bestehen eines Primäranspruchs bereits nach §
33 Abs
3 Satz 4
SGB V ausgeschlossen.
(II)
Die Klage gegen die Beigeladene ist unzulässig, da der Kläger bei ihr weder einen Antrag gestellt hat noch ein Bescheid ergangen
ist oder ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist. Diesbezüglich war das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung
des §
114 SGG zur Herbeiführung einer Verwaltungsentscheidung auszusetzen. Zwar vertritt das BSG in ständiger Rechtsprechung, dass das Gericht einem Kläger durch Aussetzung die Möglichkeit geben muss, ein Vorverfahren
nachzuholen. Jedoch gilt dies nicht, wenn es an einem Verwaltungsverfahren überhaupt fehlt. Dies wird ersichtlich von niemandem
vertreten und würde auch der staatlichen Kompetenzordnung widersprechen (LSG Hamburg, Urteil vom 18.11.2014 - L 3 R 8/12 - juris, Rn 20).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
183,
193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.