Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kodierung von Nebendiagnosen im Rahmen der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch zugelassenen Krankenhauses. Im Zeitraum vom 29.06.2015
bis zum 14.07.2015 wurde dort die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte B X (* 00.00.1926, im Folgenden: Versicherte)
aufgrund einer Koxarthrose rechts vollstationär behandelt und eine Totalendoprothese in minimalinvasiver Technik implantiert.
Intraoperativ trat eine proximale Femurfraktur auf.
Unter dem 16.07.2015 stellte die Klägerin der Beklagten dafür auf Basis der Fallpauschale DRG I08B (andere Eingriffe an Hüftgelenk
und Femur, mit komplexem Mehrfacheingriff oder komplexen Diagnosen oder mit bestimmtem Eingriff bei Beckenfraktur mit äußerst
schweren CC oder Ersatz des Hüftgelenkes mit best. Eingriff an oberer Extremität und Wirbelsäule) einen Betrag von insgesamt
13.083,77 EUR in Rechnung. Hierbei kodierte sie als Hauptdiagnose nach dem ICD-GM 2015 M16.1 (sonstige primäre Koxarthrose)
und als Nebendiagnosen ua S72.3 (Fraktur des Femurschaftes) und M96.6 (Knochenfraktur nach Einsetzen eines orthopädischen
Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte).
Die Beklagte zahlte die Rechnung zunächst vollständig und beauftragte dann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
Westfalen-Lippe (MDK) mit der Überprüfung. Dieser gelangte in seiner Stellungnahme vom 12.10.2015 durch Dr. L zu dem Ergebnis,
dass anstelle der angesetzten Fallpauschale die DRG I05A (Revision oder Ersatz des Hüftgelenkes ohne komplizierende Diagnose,
ohne Arthrodese, ohne komplexen Eingriff, mit äußerst schweren CC) abzurechnen sei, da die Nebendiagnose S72.3 mangels Ressourcenverbrauch
gar nicht und anstatt der Diagnose L89.19 (Dekubitus 2. Grades sonstige und nicht bezeichnete Lokalisation) die Diagnose L89.15
(Dekubitus 2. Grades Sitzbein) zu kodieren sei.
Hierauf gestützt forderte die Beklagte von der Klägerin die für die Behandlung der Versicherten geleistete Vergütung in Höhe
von 2.901,95 EUR zurück und verrechnete den Betrag am 07.12.2015 mit unstreitigen Forderungen der Klägerin.
Mit der am 28.06.2016 beim Sozialgericht Detmold (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin diesen Betrag nebst Zinsen geltend gemacht und vorgetragen, dass nach den Deutschen Kodierrichtlinien
(DKR) eine möglichst spezifische Kodierung anzustreben sei. Dies habe die Klägerin getan, indem sie mit der kombinierten Kodierung
aus einem M-Kode (M96.6) die Ätiologie der Erkrankung und einer Ziffer mit einem S-Kode (S72.3) die Lokalisation der Erkrankung
erfasst habe. In dieser Kodierung sehe sie sich durch die Kodierempfehlung Nr 254 der Sozialmedizinischen Expertengruppe "Vergütung
und Abrechnung" des MDK (SEG-4) bestätigt. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die Zulässigkeit der Doppelkodierung
auch aus der Novellierung der ICD-10-GM 2016 deutlich werde. Denn in der neuen Version sei klargestellt worden, dass die Schlüsselnummer
M96.6 "nur bei einer beim Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte aufgetretenen
Fraktur anzugeben" sei. Gleichzeitig enthalte die neue Version der Ziffer S72.- den Hinweis: "Benutze die zusätzliche Schlüsselnummer
M96.6, um anzugeben, dass die Fraktur beim Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte
aufgetreten ist." In diesen ausdrücklichen Hinweisen sei eine Klarstellung für die Vergangenheit zu sehen. Die für den Eingriff
spezifische Kodierung der entsprechenden Nebendiagnose umfasse daher die Kodierung beider ICD-Diagnosen S72.10 und M96.6.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.901,95 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 07.12.2015 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und hilfsweise widerklagend,
die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von 2.901,95 EUR zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Hilfswiderklage abzuweisen.
Die Beklagte hat an ihren Einwänden gegen die Kodierung der Klägerin festgehalten und den MDK erneut um Stellungnahme gebeten.
Im Gutachten vom 20.10.2016 stellte dieser durch Dr. E fest, dass gemäß der DKR D012i in bestimmten Fällen eine Doppelklassifizierung
möglich sei, um den Gesundheitszustand einer Person vollständig zu beschreiben. So könnten zwei Schlüsselnummern zur Beschreibung
einer Verletzung verwendet werden, eine aus dem Kapitel XIX zur Beschreibung der Verletzung und eine aus dem Kapitel XX für
die Ursache. Vorliegend sei die Art der Verletzung mit der Nebendiagnose S72.10 (Pertrochantäre Fraktur - Trochantär, nicht
näher bezeichnet) am spezifischsten beschrieben. Dazu könne auch noch als Ursache die Diagnose Y 69! (Zwischenfälle bei chirurgischem
Eingriff und medizinischer Behandlung) kodiert werden. Die von der Klägerin gewählte Kodierung M96.6 sei weniger spezifisch
und daher nicht zu kodieren. Der Dekubitus sei nicht mit L89.19 (Dekubitus, Stadium 2: Sonstige und nicht näher bezeichnete
Lokalisationen) sondern mit L89.15 (Dekubitus, Stadium 2: Sitzbein) zu verschlüsseln. Überdies sei statt des OPS 5-794.1f
der OPS 5-793.2f zu kodieren, da es sich nicht um eine Mehrfragmentfraktur, sondern um eine einfache Fraktur mit Cerclage
gehandelt habe, so dass sich insgesamt die Fallpauschale DRG I47B (Basisfallbetrag 6.431,71 €) ergebe.
Nachdem sich die Klägerin mit der - für ihre Abrechnung der DRG I08B nicht erlösrelevanten - Änderung der Diagnosen L89.19
in L89.15, S72.3 in S72.10 und des OPS-Kodes 5-794.1 f in 5-793.2f einverstanden erklärt hat, war zwischen den Parteien nur
noch die Kodierung der Nebendiagnose M96.6 zusätzlich zu S72.10 im Streit.
Auf die wiederholten Einwände der Klägerin hin verblieb der MDK durch Dr. E in seinem weiteren Gutachten vom 17.07.2017 bei
seiner bisherigen Einschätzung. Der Kode M96.6 habe erst durch die Änderungen des ICD 10- GM 2016 den Status eines "Ergänzungskodes"
erhalten. Für Behandlungsfälle aus 2015 sei er nicht zusätzlich anzusetzen.
Das SG hat mit Urteil vom 29.05.2019 die Beklagte verurteilt, der Klägerin 2.901,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 07.12.2015 zu zahlen. Die Forderung der Klägerin sei nicht durch Aufrechnung erloschen, da
eine solche nicht zulässig gewesen sei. Denn die eine Aufrechnung zulassende Vereinbarung über das Nähere zum Verfahren nach
§
275 Abs
1c SGB V - Prüfverfahrensvereinbarung vom 01.09.2014 (PrüfvV) sei auf sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfungen, wie die vorliegende,
nicht anwendbar, so dass das landesvertragliche Aufrechnungsverbot des §
15 Abs
4 Satz 2 des Vertrages nach §
112 Abs
1 Nr
1 SGB V über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung für Nordrhein-Westfalen (Landesvertrag) eingreife.
Auf die Widerklage hat das SG die Klägerin verurteilt, der Beklagten 2.901,95 EUR zu zahlen. Die zulässige Widerklage sei begründet, da der Beklagten ein
öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zustehe. Die Nebendiagnose M96.6 sei zu Unrecht kodiert worden. Dies folge bereits
aus dem Wortlaut des Kodes. In der hier maßgeblichen Fassung des ICD-10 GM 2015 setze die Anwendung des M96.6 eine Knochenfraktur
nach Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte voraus. Im vorliegenden Fall
sei die Fraktur jedoch während der Operation aufgetreten, nicht danach. Auch die Systematik spreche für dieses Verständnis,
denn die Diagnosen nach M96.- seien nur anzusetzen, wenn die Krankheit andernorts nicht klassifiziert sei. Hier sei mit dem
Kode S72.10 jedoch eine spezifischere Klassifikation vorhanden. Die Novellierung der ICD-Diagnosen M96.6 und S72.- im ICD-10
2016 könne allein für zukünftige Fälle Wirkung entfalten.
Gegen das ihr am 14.06.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.07.2019, einem Montag, Berufung eingelegt, zu deren
Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, dass ein Erstattungsanspruch der Beklagten nicht bestehe. Sie habe zu Recht beide
streitigen Kodes angesetzt. Der Kode M96.6 sei zusätzlich zu S72.10 zu kodieren gewesen, da nur er spezifisch den krankhaften
Zustand als Knochenfraktur im Zusammenhang mit der medizinischen Maßnahme des Einsetzens eines orthopädischen Implantates,
einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte bezeichne. Die Knochenfraktur habe sich nach Einsetzen der Gelenksprothese,
nämlich nach Einsetzen des Schaftes gezeigt. Zudem entfalte der zusätzliche Hinweis in der ICD-Schlüsselnummer M96.6 ab 2016
nicht nur Wirkung für die Zukunft, da es sich um eine Klarstellung handele. Dies erkenne man daran, dass nicht der Wortlaut
des Kodes selbst verändert, sondern nur eine zusätzliche Erläuterung mit aufgenommen worden sei. Hätte man dem Kode eine neue
Bedeutung zuschreiben wollen, wäre es naheliegender gewesen, dessen Wortlaut zu ändern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 29.05.2019 zu ändern und die Widerklage abzuweisen sowie die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und die Stellungnahmen des
MDK.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte
der Beklagten und der Patientenakte der Klägerin, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klägerin auf die Widerklage zu Recht zur Zahlung verurteilt. Denn die von der Beklagten im Wege der Widerklage erhobene
(echte) Leistungsklage im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis ist zulässig (stRspr des Bundessozialgerichts (BSG), zB Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - juris, Rn 9 mwN) und begründet. Der Beklagten steht ein öffentlich-rechtlicher
Erstattungsanspruch gegen die Klägerin zu.
Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines
öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen
vorgenommen worden sind. Dabei gelten ähnliche Grundsätze wie im Recht der ungerechtfertigten Bereicherung des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§
812 ff
BGB, vgl zB BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris, Rn 11).
Ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis liegt hier vor, denn die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkasse und Krankenhaus
sind öffentlich-rechtlicher Natur, vgl §
69 Abs
2 SGB V. Durch die Erfüllung der Forderung der Klägerin für den streitigen Behandlungsfall leistete die Beklagte im Rahmen eines
solchen Rechtsverhältnisses in Höhe der Widerklageforderung ohne Rechtsgrund, da die Klägerin keinen Anspruch auf die Vergütung
des Behandlungsfalls in dieser Höhe hat.
Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme
der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt
wird und iS von §
39 Abs
1 Satz 2
SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - juris, Rn 11). Der Vergütungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach ist zwischen
den Parteien auch nicht streitig, so dass sich eine weitere Prüfung erübrigt.
Der Klägerin steht aber der Höhe nach die geltend gemachte und von der Beklagten beglichene Vergütung für die DRG I08B nicht
zu. Zu Recht sind die Beteiligten sich darüber einig, dass der Anspruch auf die höhere Vergütung unter Kodierung der DRG I08B
voraussetzt dass die Klägerin zusätzlich zu der Nebendiagnose S72.10 die Nebendiagnose M96.6 hätte kodieren dürfen. Wenn Rechnungsposten
von (normen-)vertraglichen Vereinbarungen zahlenförmigen Inhalts mit abhängen und beide Beteiligte insoweit eine besondere
professionelle Kompetenz aufweisen, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen, wenn die Berechnungsergebnisse keinem Streit zwischen
den Beteiligten ausgesetzt sind und sonstige konkrete Umstände keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung ergeben
(vgl BSG, Urteil vom 19.06.2018 - B 1 KR 39/17 R - juris, Rn 9; Urteil vom 21.04.2015 - B 1 KR 9/15 R - juris, Rn 29). Im vorliegenden Fall wäre die DRG I47B zutreffend gewesen, die einen noch höheren Erstattungsbetrag zur
Folge gehabt hätte. Die Beklagte hat jedoch lediglich eine Erstattungsforderung auf der Basis der DRG I05A geltend gemacht.
Die DRG I47B ergibt sich aus den unstreitigen Kodes (Hauptdiagnose, Nebendiagnosen, Prozeduren) und der Tatsache, dass die
Nebendiagnose M96.6 vorliegend nicht zusätzlich anzusetzen ist.
Die Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie jenem der Klägerin nach
vertraglichen Fallpauschalen auf Grundlage des §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) (vgl BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris, Rn 15). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen)
konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren
nach § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung
für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen
zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner
vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs 1 Satz
1 Nr 3 KHEntgG.
Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen
Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert (vgl § 1 Abs 6 Satz 1 Fallpauschalenvereinbarung 2015).
Zugelassen sind nur solche Programme, die von der InEK GmbH - Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus -, einer gemeinsamen
Einrichtung der in § 17b Abs 2 Satz 1 KHG und § 9 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind (vgl BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris, Rn 19 ff). Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Dateien zurück, die entweder
als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (zB die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten
Untergruppen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Regelungen wiedergeben. Zu Letzteren
gehören die Fallpauschalenvereinbarungen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der
jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums
für Gesundheit herausgegebenen deutschen Fassung (ICD-10-GM), hier in der Version 2015, und die Klassifikation des vom DIMDI
im Auftrag des BMG herausgegebenen OPS, hier in der Version 2015. Schließlich gehören zu den einbezogenen Regelungskomplexen die von den Vertragspartnern
auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den DKR für das Jahr 2015 (Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien Version
2015 für das G-DRG-System gemäß § 17b KHG). Hierdurch erlangen die dem Groupierungsalgorithmus vorgelagerten DKR-Regelungen über die Eingabe der in ICD-10-GM und OPS
enthaltenen kodierfähigen Angaben in die Groupierungsmaske jedes Jahr zwischen den Vertragspartnern erneut Geltung (vgl BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris, Rn 17 ff).
Die Anwendung der normenvertraglichen Abrechnungsbestimmungen ist nicht automatisiert und unterliegt als Mitsteuerung der
prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen
Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleichwohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der
Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt
durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen
vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln
gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Demgemäß sind Vergütungsregelungen
stets eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen; Bewertungen und
Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (ständige Rspr des BSG, vgl zB Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - juris, Rn 27). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes
System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen,
diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen.
Grundsätzlich ist - vorbehaltlich spezieller abweichender Regelungen - die "Krankheit" zu kodieren und nicht ein durch sie
ausgelöstes Symptom. Die Krankheit meint insbesondere eine die Symptomatik erklärende definitive Krankheitsdiagnose (BSG, Urteil vom 20.03.2018 - B 1 KR 25/17 R - juris, Rn 16). Zusätzlich zur Hauptdiagnose können Nebendiagnosen kodiert werden. Ob eine Nebendiagnose für die Abrechnung
zusätzlich zur Hauptdiagnose zu kodieren ist, bestimmen die Kodierrichtlinien. Das ist nach den DKR (2015) dann der Fall,
wenn die fragliche Diagnose überhaupt als Nebendiagnose zu kodieren ist (dh die Voraussetzungen des Diagnoseschlüssels und
der sonstigen Kodierregeln der DKR vorliegen) und sich zudem auf das Versorgungsgeschehen tatsächlich im Sinne eines zusätzlichen
Aufwands ausgewirkt hat. Es ist zwischen den Parteien grundsätzlich unstreitig, dass die Fraktur des Femurschaftes während
der Operation als Nebendiagnose mit dem Kode S72.10 zu kodieren ist. Allerdings hat die Klägerin für diese Nebendiagnose unzulässigerweise
zusätzlich noch den Kode M96.6 angesetzt.
Eine solche Mehrfachkodierung für - wie hier - ein und dieselbe Erkrankung ist nur in der DKR D012i abschließend aufgeführten
Fallgruppen statthaft. Dies sind zum einen die Schlüsselnummern im sogenannten "Kreuz-Stern-System" (Schlüsselnummern mit
Kreuzsymbol für Ursache und mit Sternsymbol für Manifestation) sowie zum anderen die dort abschließend genannten Fallgruppen
(BSG, Urteil vom 16.07.2020 - B 1 KR 16/19 R - juris, Rn 20). Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der streitigen Kodes (S72.10 und M96.6) zweifellos nicht vor.
Eine Doppelklassifizierung ist nur in bestimmten Situationen möglich, um den Gesundheitszustand einer Person vollständig zu
beschreiben. Dies ist bei sog Sekundärkodes möglich. ICD-Kodes mit einem Stern oder einem Ausrufezeichen werden als Sekundärdiagnoseschlüssel
bezeichnet, da sie nie alleine verwendet werden dürfen, sondern nur mit einem Primärkode. Nach der Aufzählung unter Ziffer
2 der DKR D012; kann zu einer Schlüsselnummer aus Kapitel XX (hier S72.10), die die Art der Verletzung beschreibt, auch eine
Schlüsselnummer aus Kapitel XX (hier Y69!) für die Ursache zusätzlich angegeben werden. Aus diesem Grund kann die Kodierung
- was hier hinsichtlich der Klageforderung allerdings nicht entscheidungserheblich ist - um den Kode Y69! ergänzt werden.
Im vorliegenden Fall scheidet die Doppelklassifizierung mit dem zusätzlichen Kode M96.6 auch deshalb aus, weil die Voraussetzungen
dieses Kodes gar nicht gegeben sind. Eine Doppelklassifikation kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen
eines Kodes auch tatsächlich vorliegen. Dies ist bei dem Kode M96.6 dem Wortlaut der Gruppenüberschrift nach nur dann der
Fall, wenn die jeweilige Erkrankung "andernorts nicht klassifiziert ist" (vgl BSG, Urteil vom 16.07.2020 - B 1 KR 16/19 R - juris, Rn 22). Hier ist die Erkrankung indes in S72.10 bereits klassifiziert. Der Fallpauschalenkatalog nimmt die Zuordnung
der Haupt- und Nebendiagnosen im Wesentlichen organbezogen vor. S 72.10 ist in Bezug auf die Erkrankung und die Lokalisation
die spezifischere Kodierung. Nach Kapitel XIX "Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen" (S00-T98)
regeln die S70-S79 Verletzungen der Hüfte und des Oberschenkels, S72 betrifft die Fraktur des Femurs. Demgegenüber ergibt
sich aus M96.6, der Knochenfraktur nach Einsetzen eines Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte kein Anhaltspunkt
der Lokalisation.
Auch der maßgebliche Wortlaut der Ziffer M96.6 (nach dem ICD-10-GM 2015) lässt eine Kodierung der Ziffer nicht zu. Die intraoperative
Absprengung des lateralen Trochantermassivs ist nicht "nach", sondern "während", "bei" oder "durch" die medizinische Maßnahme
erfolgt (so auch Sächsisches LSG, Urteil vom 24.03.2021 - L 1 KR 19/17 - juris, Rn 40, Bayerisches LSG, Urteil vom 02.07.2019 - L 5 KR 411/17 - juris Rn 18, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.10.2017 - L 4 KR 4155/15 - juris Rn 29). Ausweislich des Operationsberichts vom 30.06.2015 trat die intraoperative Absprengung während der Operation
auf. Dort heißt es: "Die Prothese lässt sich aber zu tief einbringen, Entfernung der Prothese. Übernahme der Operation durch
Dr. P. Es zeigt sich an der Resektionsfläche dorsal, dass eine Knochenfissur vorliegt. Die Röntgenkontrolle zeigt die Absprengung
des lateralen Trochanermassivs bis in die Diaphyse hinein."
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch aus der Ergänzung des Kodes M96.6 um einen Hinweis und der Erläuterung zu S72.-
in der ICD-10-GM Version 2016 nichts Anderes hergeleitet werden. Die Änderung des Kodes S72.- lautet: "Benutze die zusätzliche
Schlüsselnummer M96.6, um anzugeben, dass die Fraktur beim Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese
oder einer Knochenplatte aufgetreten ist." Die Ziffer M96.6 ist um folgenden Hinweis ergänzt worden: "Diese Schlüsselnummer
ist nur bei einer beim Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte aufgetretenen
Fraktur anzugeben."
Diese zusätzlichen Erläuterungen der Kodes hatten im Behandlungszeitpunkt 2015 keine Gültigkeit. Soweit die Klägerin meint,
sie seien als Klarstellung auch für die Vergangenheit zu verstehen, kann ihrer Auffassung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung nicht gefolgt werden (so auch Sächsisches LSG, aaO; Bayerisches LSG, aaO; LSG Baden-Württemberg aaO; aA LSG
Hamburg, Urteil vom 22.08.2019 - L 1 KR 89/18 - juris, Rn 21). Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BSG das DRG-System ein vom Gesetzgeber jährlich weiter zu entwickelndes und damit "lernendes" System ist und bei zu Tage tretenden
Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen sind, diese mit Wirkung für die Zukunft
zu beseitigen (BSG, Urteil vom 17.11.2015, - B 1 KR 13/15 R - juris, Rn 13 mwN). Eine rückwirkende ausdehnende Auslegung dieser Regelung käme einer Analogie gleich, die bei Vergütungsbestimmungen
indessen unzulässig ist (vgl BSG, Beschluss vom 09.12.2015 - B 6 KA 23/15 B - juris, Rn 8 mwN).
Der Senat ist sich bewusst, dass diese Kodierung zur Folge haben kann, dass der zusätzliche operative Aufwand der Klägerin
durch die Komplikation der Operation nicht hinreichend in der Vergütung abgebildet wird. Dieser Umstand erlaubt es aber nicht,
von der maßgeblichen wortlautgetreuen Anwendung der Kodierung abzuweichen (vgl Bayerisches LSG, Urteil vom 02.07.2019 - L 5 KR 411/17 - juris, Rn 19, Sächsisches LSG, Urteil vom 24.03.2021 - L 1 KR 19/17 - juris, Rn 40). Es obliegt in solchen Fällen vielmehr den Vertragsparteien, für eine sachgerechte Abbildung in den Vergütungsvorschriften
zu sorgen.
Gründe, die Revision zuzulassen liegen nicht vor, §
160 Abs
2 SGG.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).