Anspruch auf Witwenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung
Anforderungen an die Wirksamkeit der Zustellung eines Scheidungsurteils nach griechischem Recht
Tatbestand
Streitig ist große Witwenrente.
Die 1949 geborene Klägerin ist griechische Staatsangehörige und kam 1968 aus Nordgriechenland nach Deutschland und ging hier
einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Metallarbeiterin nach. Sie heiratete am 00.06.1971 in T den 1937 geborenen
Versicherten L Q (im Folgenden Versicherter). Aus der Ehe stammt eine 1973 in Deutschland geborene Tochter, die in Griechenland
lebt. Der Versicherte war vom 1.1.1959 bis zum 31.12.1961 in Griechenland in der Landwirtschaft versicherungspflichtig beschäftigt
und kam 1962 nach Deutschland. In Deutschland war der Versicherte von Juni 1962 bis Juli 1963 knappschaftlich rentenversichert,
danach in der (damaligen) Rentenversicherung der Arbeiter. Zuletzt war er von 1970 bis 1992 bei den N-Werken in S beschäftigt.
Auf seinen Antrag von Januar 1997 gewährte die damalige LVA Rheinprovinz (seit 1.10.2005: DRV Rheinland) dem Versicherten
vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 1.3.1997 in Höhe von zunächst 1.522,75 DM (Bescheid vom 9.4.1997). Die
DRV Rheinland gab die Bearbeitung des Leistungsfalls im Jahre 2008 an die DRV Baden-Württemberg (= Verbindungsstelle Griechenland)
ab, nachdem durch eine Anfrage des griechischen Trägers die dortigen Versicherungszeiten bekanntgeworden waren. Im März 2009
erfolgte von dort wegen der Zeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung mit Wirkung zum 1.11.2009 die Abgabe des Leistungsfalls
an die Beklagte.
Der Versicherte verstarb am 19.08.2013 in Griechenland. Hiervon erfuhr die Beklagte am 26.8.2013 durch einen Anruf der in
Köln lebenden Schwester des Versicherten, die gleichzeitig darauf hinwies, dass der Versicherte geschieden sei. Sie legte
dazu eine Sterbeurkunde und die Ausfertigung eines Urteils des Landgerichts Veria (Nordgriechenland) über die Scheidung einschließlich
Zustellungsnachweis vor. In der Sterbeurkunde vom 27.9.2013 ist als Familienstand "verheiratet" angegeben. Aus dem Urteil
der Großen Zivilkammer des Landgerichts von Veria vom 14.11.2012 ergibt sich, dass der Versicherte dort am 4.5.2011 eine Scheidungsklage
eingereicht hat, über die am 11.1.2012 und am 23.5.2012 in Anwesenheit der Anwälte beider Parteien, am 23.5.2012 auch in Anwesenheit
der Parteien, verhandelt worden ist. In dem Urteil geht das Landgericht Veria davon aus, dass sowohl der Versicherte, als
auch die Klägerin in Veria wohnten. Aus dem Tatbestand des Urteils ergibt sich, dass der Versicherte und die Klägerin von
1971 bis 1992 zusammen in Deutschland gelebt haben, zuletzt in X. 1992 habe sich das Paar getrennt und jeder habe in einer
anderen Wohnung gelebt. Diese Trennung habe bis zum 23.5.2012 angedauert, ohne dass die eheliche Gemeinschaft wiederhergestellt
worden sei. Da es sich um eine Trennung von mehr als zwei Jahren handele, werde (nach griechischem Recht) unwiderlegbar vermutet,
dass die Ehe gescheitert ist. Deshalb müsse die Klageschrift als relevant angenommen und die Ehe geschieden werden. Im (das
Urteil abschließenden) Tenor heißt es: "Nach Anwesenheit der Parteien wird die Klageschrift angenommen. Die Hochzeit der Parteien,
die am 00. Juni 1971 stattfand, nach der griechisch orthodoxen Konfession in der Stadt T in Deutschland, wird geschieden.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben. Das Urteil wurde heute am 14.11.2012 in Veria gefasst und nach
einer öffentlichen Verhandlung in den Amtsräumen des Gerichts in Abwesenheit der Parteien bekannt gegeben. Aus dem vorgelegten
Zustellungsnachweis des Gerichtsvollziehers des Landgerichts Veria V ergibt sich, dass dieser am Donnerstag, dem 13.1.2013
in Veria um 16:00 Uhr, nach Antrag des Anwalts B C, Rechtsvertreter des L Q., wohnhaft in Veria, beauftragt wurde, eine beurkundete
Ausfertigung des Urteils an D, Ehefrau von L Q, wohnhaft in Veria auszuhändigen, damit die gesetzlichen Fristen in Gang gesetzt
werden. Die Urkunde enthält den handschriftlichen Zusatz: "Das Urteil wurde von ihr selbst entgegengenommen." Außerdem hat
die Schwester des Versicherten eine Bestätigung der Zivilkammer des Landgerichts von Veria vom 16.9.2013 vorgelegt, in der
es heißt, aus den Büchern des Landgerichts von Veria gehe hervor, dass bis gestern (d.h. bis zum 15.9.2013) kein ordentliches
oder außerordentliches Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt worden ist.
Im Oktober 2013 beantragte Herr E H, wohnhaft in Hattersheim (Main-Taunus-Kreis), unter Vorlage einer Vollmacht für die Klägerin
bei der DRV Rheinland die Gewährung einer Hinterbliebenenrente. Die Ehe zwischen dem Versicherten und der Klägerin habe bis
zum Tode des Versicherten bestanden. Mit dem Antrag legte er eine "Bescheinigung über die nächsten Familienangehörigen" der
Stadtverwaltung Veria vom 2.9.2013 vor, in der es heißt, der Versicherte habe als Familienangehörige nur seine erste Ehefrau
(die Klägerin) und eine Tochter hinterlassen. Die Ehe sei am 00.6.1971 in T geschlossen und bis zum Zeitpunkt seines Todes
nicht geschieden worden. Nachdem die Beklagte die Anschrift der Klägerin ermittelt hatte, hat sie dieser den Eingang des Antrags
bestätigt und darauf hingewiesen, dass sich in den Akten ein griechisches Scheidungsurteil befinde. Sie werde gebeten, diesen
Widerspruch zu erklären. Dazu teilte sie (über ihren Bevollmächtigten) mit, dass ein griechisches Scheidungsurteil nicht zustande
gekommen sei. Das Ehepaar habe bis zum Tode des Ehemannes getrennt gelebt. Es sei ein Scheidungsverfahren anhängig gewesen,
aber es sei nicht zur Scheidung gekommen. Dazu legte sie Bescheinigungen des Amts- und des Landgerichts in Veria vor, in denen
es heißt, dass bis zum 19.8.2013 kein Ehescheidungsurteil für Frau D Q, Witwe des L, ausgestellt worden ist. Die Bescheinigungen
werden auf Antrag der Klägerin ausgestellt und dienen zur rechtmäßigen Verwendung (zwei Bescheinigungen vom 2.1.2014). Aus
einer weiteren, von der Beklagten veranlassten Übersetzung der gleichen Bescheinigung ergibt sich, dass "seit der Eheschließung
im Jahr 1971 bis zum 19.8.2013 [...] kein Urteil des Protodikeio Veria erlassen worden ist, mit dem die Ehe des Versicherten
mit der Klägerin geschieden oder aufgehoben worden ist".
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Witwenrente ab. Sie ging dabei davon aus, dass aufgrund der von der Schwester des Versicherten
vorgelegten Unterlagen feststehe, dass die Ehe am 19.8.2013 bereits rechtskräftig geschieden war (Bescheid vom 28.2.2014).
Die Klägerin legte am 14.3.2014 Widerspruch ein. Das Urteil sei ihr am 13.1.2013 nicht zugestellt worden. Sie habe den Empfang
nicht unterschrieben. Sie legte im Widerspruchsverfahren eine Bescheinigung des Amtsgerichts Veria vor, worin es heißt, dass
bis zum 7.1.2014 keine Klage eingereicht worden sei, mit der der Erbanspruch der Klägerin und ihrer Tochter als Erben des
Versicherten angezweifelt werde.
Das Landgericht Veria teilte der Beklagten mit, man sei informiert worden, dass bei der Beklagten eine fehlerhafte/unrichtige
Bescheinigung von der Klägerin verwendet worden sei. Anstelle dieser fehlerhaften Bescheinigung (vom 2.1.2014) werde eine
korrigierte Bescheinigung ausgestellt, die die Urteilsfällung/den Erlass des Urteils/die Verkündung des Urteils über die Auflösung
der Ehe zwischen dem Versicherten und der Klägerin bestätigt (Bescheinigung vom 24.3.2014). Die Beklagte wies den Widerspruch
zurück (Widerspruchsbescheid vom 24.6.2014).
Dagegen hat die Klägerin am 23.7.2014 Klage erhoben und ihren Anspruch weiterverfolgt. Sie hat geltend gemacht, das Scheidungsurteil
sei wegen des Todes des Versicherten nach griechischem Recht niemals rechtskräftig geworden. Sie hat dazu eine rechtliche
Expertise, der Rechtsanwältin N aus Veria, ihrer Prozessbevollmächtigten im Scheidungsprozess, vorgelegt, worin es heißt,
nach den Fakten, die ihr zur Kenntnis gegeben wurden, sei das Scheidungsurteil niemals rechtskräftig geworden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 28.2.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihr Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat einen Bescheid der Landwirtschaftlichen Versicherungsanstalt der Republik Griechenland vom 29.2.2016 (im Original
und in Übersetzung) vorgelegt. Darin heißt es, der Antrag der Klägerin vom 9.10.2013 auf Gewährung von Witwengrundrente werde
abgelehnt; aus den Unterlagen der Rentenakte ergebe sich, dass die Witwe zum Zeitpunkt des Todes (19.8.2013) nicht mit dem
Verstorbenen verheiratet war, weil sie seit dem 14.11.2012 geschieden waren.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Es sei davon überzeugt, dass die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes
rechtskräftig geschieden war. Soweit die Klägerin abweichende Bescheinigungen vorgelegt habe, handele es sich nach der späteren
Klarstellung des Landgerichts Veria um unrichtige, ausschließlich auf ihr eigenes Betreiben ausgestellte Bescheinigungen.
Außerdem gehe aus den Akten hervor, dass der Gerichtsvollzieher ihr am 13.1.2013 das Urteil höchstpersönlich ausgehändigt
habe. Schließlich habe auch die landwirtschaftliche Versicherungsanstalt in Griechenland den Antrag der Klägerin auf Witwenrente
mit der Begründung abgelehnt, dass die Ehe seit dem 14.11.2012 geschieden gewesen sei (Urteil vom 25.5.2016, zugestellt am
10.6.2016).
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 7.7.2016. Das griechische Scheidungsurteil sei unwirksam, da
es ihr vor dem Tod des Versicherten nicht wirksam zugestellt worden sei. Sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wo sie
sich am 13.1.2013 aufgehalten habe. Sie sei zwar in Griechenland gewesen, habe sich jedoch am fraglichen Tag nicht die ganze
Zeit in ihrer Wohnung aufgehalten. Eine Unterschrift über eine Zustellung habe sie zu keinem Zeitpunkt geleistet. Bei dem
Haus, das sie in Griechenland bewohne, handele es sich um ein vierstöckiges Mietshaus, das pro Etage von drei Parteien bewohnt
werde. Auf demselben Stockwerk wohne auch die Familie eines K Q, der mit ihr jedoch nicht verwandt sei, gegebenenfalls liege
eine Namensverwechslung vor und das Schriftstück sei dort zugestellt worden. Eine weitere Erklärung dafür, dass ihr das Urteil
angeblich persönlich zugestellt worden sein soll, habe sie nicht. Sofern die Zustellung nicht am 13.1., sondern am 13.6.2013
erfolgt sein soll, so müsse dazu angemerkt werden, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland aufgehalten habe. Sie
sei an diesem Tag bei ihrem Arzt Dr. O aus X in ärztlicher Behandlung gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.5.2016 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 28.2.2014
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2014 zu verurteilen, ihr ab dem 1.9.2013 große Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat eine Auskunft des einheitlichen Sozialversicherungsträgers der griechischen Republik (EFKA) vorgelegt, worin es heißt,
dass die Landwirtschaftliche Versicherungsanstalt (OGA) die Unterschrift der oben Genannten auf der Zustellungsurkunde betreffend
das Urteil des Landgerichts Veria nicht anzweifelt, weil die Zustellung durch einen Gerichtsvollzieher erfolgt sei und sich
aus der Zustellungsurkunde ergebe, dass das Urteil an die Klägerin persönlich zugestellt wurde.
Der Senat hat ein Rechtsgutachten zu der Frage in Auftrag gegeben, ob die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten nach
griechischem Recht vor dessen Tod rechtswirksam geschieden wurde, und als Sachverständigen Rechtsanwalt R U aus Reutlingen
eingeschaltet. Dieser hat in seinem Gutachten sowie in mehreren ergänzenden Stellungnahmen im Wesentlichen ausgeführt, dass
es ab Zustellung des Urteils eine Berufungsfrist (30 Tage) und eine Revisionsfrist (60 Tage) gebe. Nach seiner Einschätzung
sei das Scheidungsurteil vom 14.11.2012 der Klägerin nicht am 13.1., sondern am 13.6.2013 wirksam zugestellt worden und daher
(spätestens) am 13.8.2013 rechtskräftig geworden, da bis zu diesem Zeitpunkt kein Rechtsmittel eingelegt worden sei. Auf ausdrückliche
Nachfrage hat der Sachverständige zur Beweiskraft der griechischen Zustellungsurkunde ausgeführt, dass diese nach griechischem
Prozessrecht vorbehaltlich ihrer Echtheit den beurkundeten Vorgang, wie zum Beispiel Art der Zustellung, Ort und Datum der
Zustellung, beweise. Gegen diese formelle Beweiskraft sei nur der Gegenbeweis der Fälschung zulässig. Die inhaltliche Unrichtigkeit
des beurkundeten Geschehensablaufs könne durch den Gegenbeweis erschüttert werden. Dabei müsse der Beweisführer einen anderen
als den beurkundeten Geschehensablauf beweisen, indem er sich der gesetzlichen Beweismittel bedient. Ein einfaches Bestreiten
sei nicht ausreichend. Im Wesentlichen gelten nach der griechischen Prozessordnung die gleichen Regelungen, wie nach der deutschen
Zivilprozessordnung. Für die Wirksamkeit der Zustellung sei Voraussetzung, dass die Zustellungsurkunde sowohl vom Gerichtsvollzieher als auch
vom Zustellungsempfänger unterschrieben sei (Rechtsgutachten vom 12.1.2020 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 4.5.2020, 1.7.2020
und 26.2.2021).
Der behandelnde Arzt der Klägerin Dr. O aus X hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass die Klägerin bei ihm bis 2007 regelmäßig,
seither nur noch zwei bis drei Mal jährlich in Behandlung gewesen sei. 2013 sei sie (nur) am 16. und 23.9. in seiner Behandlung
gewesen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Klägerin ausgiebig befragt. Wegen der von ihr gemachten Angaben wird auf den
Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten
der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die auf Gewährung einer großen Witwenrente nach dem Versicherten
gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 28.2.2014 (in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.6.2014, §
95 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) ist nicht rechtwidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, §
54 Abs
2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine große Witwenrente nach dem Versicherten.
Anspruch auf große Witwenrente haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der
die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, wenn sie das 47. Lebensjahr vollendet haben, §
46 Abs
2 Satz 1 Nr
2 Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Klägerin ist nicht die Witwe des Versicherten.
Witwe ist, wer im Zeitpunkt des Todes des Versicherten mit diesem verheiratet ist. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Todes
des Versicherten am 19.8.2013 nicht mehr mit ihm verheiratet. Die Ehe zwischen dem Versicherten und der Klägerin war spätestens
am 14.8.2013 rechtskräftig geschieden. Davon geht der Senat unter Würdigung der aktenkundigen Beweise aus.
Auf der Grundlage des aktenkundigen - insoweit unstreitigen - Sachverhalts ergibt sich, dass die Klägerin und der Versicherte
1971 in Deutschland nach griechisch-orthodoxer Konfession geheiratet haben, sich 1992 getrennt haben und später - unter Beibehaltung
eines jeweiligen Wohnsitzes in Deutschland - auch in ihrer Heimat in Veria/Griechenland wieder einen Wohnsitz begründet haben.
Auf die Scheidungsklage des Versicherten beim Landgericht in Veria vom 4.5.2011 wurde die Ehe mit am 14.11.2012 in Anwesenheit
der Prozessbevollmächtigten in Veria verkündeten Urteil geschieden. Der Senat hat keine Bedenken, diesen Sachverhalt - insbesondere
auf der Basis des vorgelegten Urteils des Landgerichts Veria - für mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender
Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) als erwiesen anzusehen, zumal auch die Klägerin ihn nicht substantiiert
bestreitet, sondern im Kern als richtig bestätigt.
Allein mit dem Erlass des Scheidungsurteils am 14.11.2012 ist die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten aber noch nicht rechtswirksam
aufgelöst. Dies ist erst der Fall, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden ist, also Rechtsmittel gegen die Entscheidung
wegen Ablaufs der Rechtsmittelfrist nicht mehr eingelegt werden können (Kreikebohm-Dankelmann.
SGB VI. Kommentar. 5. Aufl. 2017, §
46 Rn 7 owN; Bohlken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VI, 2. Aufl., Stand: 25.5.2018, §
46 SGB VI, Rn 40). Auch diese Voraussetzung ist hier gegeben. Der Senat geht wegen der Beweiskraft des Zustellungsnachweises als öffentliche
Urkunde mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das Scheidungsurteil
der Klägerin am 13.1. oder 13.6.2013 durch persönliche Übergabe des Gerichtsvollziehers wirksam zugestellt worden ist. Damit
war sie nach Ablauf der Revisionsfrist am 13.8.2013 (Art 518, 564 Ab 1 gr ZPG) spätestens am 14.8.2013 nicht mehr die Ehefrau
des Klägers und deshalb am 19.8.2013 nicht seine Witwe.
Aus dem aktenkundigen Zustellungsnachweis des griechischen Gerichtsvollziehers V ergibt sich, dass dieser im Auftrag des Prozessbevollmächtigten
des Versicherten das Urteil am 13.1. oder 13.6.2013 der Klägerin an ihrem Wohnsitz in F 13, Veria persönlich übergeben hat.
Damit ist das Urteil nach griechischem Recht spätestens am 13.8.2013 rechtskräftig geworden.
Zunächst folgt der Senat uneingeschränkt den Feststellungen des Sachverständigen U zur Beurteilung des Sachverhalts nach griechischem
Prozessrecht. Über ausländisches Recht, hier griechisches Recht, ist Beweis zu erheben, solange das Gericht nicht selbst über
besondere Sachkunde verfügt, §§
202 SGG,
293 S 1
ZPO. Das so ermittelte und ggf. ausgelegte ausländische Recht ist nicht reversibel, weil es sich dabei (nur) um Tatsachenfeststellungen
handelt (BSG, Urteil vom 11. Mai 2011 - B 5 R 22/10 R -, juris Rn 23 mwN; BSG, ZESAR 2010, 81-91, Rn 19). Nach griechischen Zivilprozessrecht handelt es sich bei dem Zustellungsnachweis um eine öffentliche Urkunde (ähnlich im
deutschen Zivilprozessrecht, vgl. §
415 Abs
1 Zivilprozessordnung (
ZPO), insbesondere 418 Abs
1 ZPO, vgl. Schultzky in: Zöller,
Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, §
182 ZPO , Rn 14ff; Feskorn, ebenda §
418, Rn 4ff), die formellen Beweis erbringt für Art, Ort und Datum der Zustellung, gegen den nur der Nachweis der Fälschung zulässig
ist, Art 438 des griechischen Zivilprozessgesetzes (<gr ZPG>; s. auch: Areopag 237/2006). Nach diesen Vorgaben steht fest, dass der Gerichtsvollzieher V das Urteil am 13.1. oder 13.6.2013 durch persönliche Übergabe
in F 13, Veria zugestellt hat und diese Zustellung durch Unterschrift der empfangenden Person auf dem Zustellungsnachweis
bestätigt worden ist. Ob diese Übergabe am 13.1.2013 (dafür spricht die Inaugenscheinnahme der Urkunde) oder am 13.6.2013
(dafür sprechen die vom Sachverständigen angegebenen Tatsachen, insbesondere, dass der 13.1.2013 anders als der 13.6.2013
kein Donnerstag und auch kein Werktag war) zugestellt worden ist, ist für die Entscheidung ohne Belang, da auch im letzteren
Fall das Urteil vom 14.11.2012 noch vor dem Tod des Versicherten rechtskräftig geworden ist. Deshalb ist insoweit eine Wahlfeststellung
("entweder am 13.1. oder am 13.6.") möglich. Für eine Fälschung des Zustellungsnachweises sind Anhaltspunkte weder dargetan
noch sonst ersichtlich. Auch der Sachverständige U hat solche nicht gesehen.
Der Senat hat sich nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme einschließlich der eigenen Abgaben der Klägerin zur Sache in
der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugen können, dass der Gerichtsvollzieher das Urteil einer anderen (nicht konkret
benannten und auch nicht näher identifizierbaren) Person als der Klägerin übergeben hat. Soweit die Klägerin gegen die Wirksamkeit
der Zustellung einwendet, sie habe das Urteil niemals erhalten, die Unterschrift auf dem Zustellungsnachweis sei nicht ihre
Unterschrift und sie habe sich jedenfalls im Juni 2013 in Deutschland aufgehalten, sind diese Einwände nicht erwiesen und
deshalb nicht rechtserheblich. Sie sind nicht geeignet, die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde zu beseitigen, soweit darin
eine Übergabe an die Klägerin bestätigt wird.
Der Zustellungsnachweis hat als öffentliche Urkunde nach griechischem Recht auch im Hinblick auf seinen Inhalt, nämlich den
darin beurkundeten Vorgang, hier der Übergabe des Urteils an die Klägerin, eine besondere Beweiskraft. Sie beweist, dass der
Vorgang so wie er beurkundet wurde, auch tatsächlich stattgefunden hat. Dieser Beweis ist nur widerlegbar durch den vollständigen
(Gegen-)Beweis, Art 440 gr ZPG (s. auch: Areopag 237/2006). Danach muss aufgrund bewiesener Tatsachen feststehen, dass der beurkundete Vorgang nicht wie beurkundet stattgefunden hat.
Das bedeutet, es muss mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass
der Gerichtsvollzieher das Urteil vom 14.11.2012 nicht der Klägerin übergeben hat. Es genügt nicht, dass die Klägerin bestreitet, das Urteil entgegengenommen zu haben; auch das - etwas substantiiertere
- Bestreiten, es lebe eine zweite Familie Q im Haus F 13, genügt nicht. Die darin impliziert enthaltene Vermutung, es könne
eine Namensverwechslung vorliegen, erscheint eher spekulativ, da die Klägerin insoweit eine konkrete (weibliche) Person weder
bezeichnet noch als Zeugin benannt hat. Zu weiterer Beweiserhebung von Amts wegen ("ins Blaue hinein") fühlt sich der Senat
insoweit nicht gedrängt (vgl BSG, Beschluss vom 28. September 1998 - B 11 AL 83/98 B -, SozR 3-1750 § 418 Nr 1, SozR 3-1500 § 160 Nr 25, SozR 3-1500 § 160a Nr 25).
Soweit die Klägerin einwendet, die Unterschrift auf dem Zustellungsnachweis entspreche nicht ihrer (sonstigen) Unterschrift,
so ist dies (z.B. im Vergleich mit der Unterschrift auf ihrem Personalausweis) zweifellos richtig, aber zumindest erklärbar.
Denkbar ist nämlich, dass sie zur Beschleunigung nur einige Striche gemacht ("gekritzelt") hat; denkbar ist auch, dass sie
eine dritte anwesende Person ad hoc autorisiert hat, für sie zu unterschreiben. Allein geringe Zweifel daran, dass die Unterschrift
von der Klägerin stamme, können den beurkundeten Vorgang nicht mit Sicherheit widerlegen. Immerhin steht fest, dass der Gerichtsvollzieher
das Urteil genau am Wohnsitz der Klägerin übergeben hat. Wenn er handschriftlich bestätigt, dass die Klägerin es persönlich
entgegengenommen hat, impliziert dies nach Auffassung des Senats, dass er sich persönlich von der Identität der Klägerin als
Empfängerin überzeugt hat. Dies ist ein starkes Indiz (eine ergiebige Hilfstatsache von hohem Beweiswert) dafür, dass er das
Urteil an die Klägerin persönlich übergeben hat.
Diese Ausführungen gelten auch für den etwaigen Zustellungstermin "13.6.2013". Soweit die Klägerin dazu angegeben hat, sie
habe sich am 13.6.2013 in Deutschland aufgehalten, hält der Senat diese Angabe schon nicht für glaubhaft und erst recht nicht
für erwiesen. Dabei unterstellt er zugunsten der Klägerin, dass sie nicht vorsätzlich die Unwahrheit sagt, sondern sich an
die Einzelheiten der zeitlichen Abläufe nicht mehr genau erinnern kann. Diesen Eindruck sieht der Senat aufgrund des persönlichen
Eindrucks in der mündlichen Verhandlung und der dortigen Angaben der Klägerin bestätigt. Soweit die Klägerin zunächst zum
Beweis der Tatsache, sie habe sich am 13.6.2013 in Deutschland aufgehalten und in ärztlicher Behandlung bei Dr. O in X befunden,
hat sich im Zuge der Beweiserhebung ergeben, dass dies nicht stimmt. Nach Angabe des Dr. O war sie dort nur am 16. und 23.9.2013
in ärztlicher Behandlung. Damit korrespondiert, dass sie in der mündlichen Verhandlung zunächst nur angegeben hat, im Sommer
2013 in Deutschland gewesen zu sein, und erst auf Nachfrage zögerlich ergänzt hat, dies sei im Juni/Juli gewesen. Ihr im Hinblick
auf die Datierung von Ereignissen beeinträchtigtes Erinnerungsvermögen ist auch deutlich geworden, als sie die Verhandlung
im Scheidungsverfahren, bei der sie persönlich anwesend war, auf den Mai 2013 datiert hat und dies auf ausdrückliche Nachfrage
nochmals bestätigt hat, obwohl diese Verhandlung bereits im Mai 2012 stattgefunden hatte. Vor diesem Hintergrund ist auch
eine kurz vor dem Termin vorgelegte (auf den 20.7.2020 datierte) eigene Erklärung der Klägerin nicht glaubhaft, wonach sie
am 3.6.2013 nach Deutschland gereist sein soll.
Auch sonst hat die Klägerin aussagekräftige Unterlagen, die ihre Darstellung bestätigen, nicht vorgelegt. Die vorgelegten
Bescheinigungen des Amts- und Landgerichts Veria sind später vom Landgericht Veria als unrichtig bezeichnet worden. Auch die
Tatsache, dass ihr die Erbenstellung nicht streitig gemacht wurde - und ihr (sowie ihrer Tochter) - Grundbesitz des Versicherten
übereignet worden sein soll, ist im Hinblick auf die Erschütterung oder Beseitigung der Beweiskraft des Zustellungsnachweises
als öffentliche Urkunde unergiebig. Möglicherweise beruhte dies auf den Angaben der Klägerin oder einer von ihr auch dort
vorgelegten unrichtigen Bescheinigung. Die rechtliche Expertise der Rechtsanwältin M aus Veria ist unergiebig, weil darin
offen bleibt, welche Tatsachen ihr "zur Kenntnis gegeben wurden"; insbesondere den Zustellungsnachweis erwähnt sie darin nicht.
Für die rechtskräftige Scheidung spricht dagegen zusätzlich die Angabe des griechischen Versicherungsträgers, der Antrag auf
Witwengrundrente sei abgelehnt worden, weil die Ehe im Zeitpunkt des Todes bereits rechtskräftig geschieden war; daran bestehe
aufgrund des Zustellungsnachweises kein Zweifel. In diesem Kontext ist die Angabe der Klägerin, sie habe eine solche Rente
nicht beantragt, wenig glaubhaft. Insbesondere ist nicht verständlich, warum sie in Deutschland eine Witwenrente beantragt,
in Griechenland aber darauf verzichtet, obwohl sie sich als Witwe für anspruchsberechtigt hält.
Selbst wenn aber ein "non liquet" gegeben wäre, also nach Beweislastgrundsätzen zu entscheiden wäre, führte dies nicht zu
einem anderen Ergebnis. Insbesondere trüge die Beklagte nicht die materielle (objektive) Beweislast für eine von ihr zu erhebende
Einwendung dahingehend, dass die unstreitig geschlossene Ehe des Versicherten mit der Klägerin im Zeitpunkt seines Todes bereits
rechtskräftig geschieden war. Die materielle, objektive Beweislast trägt im sozialgerichtlichen Verfahren immer derjenige,
der aus der behaupteten Tatsache ein Recht herleitet. Beim Anspruch auf Witwenrente genügt nicht, dass die Eheschließung nachgewiesen
ist; es ist weiter erforderlich, dass die Ehe im Zeitpunkt des Todes fortbestanden hat. Dies ist eine Voraussetzung des Tatbestandsmerkmals
"Witwe", aus dem die Klägerin ihr Recht auf Witwenrente herleitet. Dafür trägt sie die objektive Beweislast.
Für die Rechtswirksamkeit der Scheidung ab dem 14.8.2013 nach deutschem Recht (hier dem
SGB VI) ist schließlich ohne Belang, dass es sich um einen griechischen Hoheitsakt handelt, mit dem eine in Deutschland geschlossene
Ehe geschieden wird. Von dem allgemeinen Grundsatz, dass Hoheitsakte eines Staates nur in seinem Staatsgebiet gelten, besteht
in der Europäischen Union, der sowohl Deutschland als auch Griechenland im Zeitpunkt der Entscheidung bzw. Zustellung des
Urteils des Landgerichts Veria vom 14.11.2012 angehörten, eine Ausnahme. Nach Art 21 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003
vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen [... ]
(im Folgenden: VO), die seit dem 1.3.2005 gilt (Art 72 VO), werden die in einem Mitgliedsstaat ergangenen Entscheidungen in
den anderen Mitgliedsstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Eine der in Art 22 VO geregelten
Ausnahmen von dieser Regel liegt hier ersichtlich nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 Satz 1,
193 Abs
1 Satz 1
SGG. Der Senat hat im Rahmen des ihm eingeräumten Entschließungsermessens davon abgesehen, der Klägerin in Anwendung der Zurechnungsvorschrift
des §
192 Abs
1 Satz 2
SGG Gerichtskosten aufzuerlegen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, §
160 Abs
2 SGG. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Maßgeblich für die Entscheidung sind vielmehr die tatsächlichen
Umstände des Einzelfalls.