Tatbestand
Der Kläger begehrt Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Unterbringung von März 2016 bis Juni
2016 iHv 9.302,39 €.
Bei dem 1971 geborenen Kläger besteht ein Down-Syndrom, daraus resultiert eine geistige Behinderung. Er hat einen Schwerbehindertenausweis
mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G und H. Der Kläger benötigt aufgrund seiner Behinderung Anleitung und Unterstützung
in allen Lebensbereichen, so zB bei der Grundpflege, der Zubereitung von Mahlzeiten, dem Einkauf von Lebensmitteln und anderen
Dingen des täglichen Lebens, der Freizeitgestaltung, sozialen Beziehungen sowie Finanz- und Behördenangelegenheiten. Der Kläger
hat eine rechtliche Betreuerin.
Der Kläger lebte gemeinsam mit seiner Mutter in Duisburg. Diese stürzte im Juli 2015 und verstarb am 00.08.2015. Die Mutter
hatte ein sog. "Behindertentestament" errichtet. Darin hatte sie den Kläger zum nicht befreiten Vorerben bestimmt und Dauertestamentsvollstreckung
angeordnet. Der Testamentsvollstrecker hat das Erbe zu verwalten und dem Kläger daraus ein angemessenes Taschengeld sowie
Beträge für persönliche Anschaffungen zur Verfügung zu stellen. Auszahlungen erfolgten im Jahr 2016 nicht. Der Kläger hatte
daher im streitigen Zeitraum nur Einnahmen aufgrund seiner Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) iHv 194,55
€ monatlich.
Da der Kläger ohne die Unterstützung seiner Mutter nicht im Haushalt verbleiben konnte, wurde er am 10.07.2015 in das I-Haus,
eine Einrichtung der Beigeladenen, aufgenommen. Er schloss einen Wohn- und Betreuungsvertrag mit der Beigeladenen ab. Grundlage
dieses Vertrages ist nach dessen § 2 Abs. 1 die Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung zwischen der Beigeladenen
und dem Beklagten. Das Entgelt richtet sich gem. § 4 des Vertrages nach der jeweils getroffenen Vergütungsvereinbarung. Nach
§ 5 des Vertrages ist dieses Entgelt am dritten Werktag eines jeden Monats im Voraus zur Zahlung fällig. Sofern Entgelte von
dem Träger der Sozialhilfe übernommen werden, kann die Einrichtung diese direkt mit dem Träger der Sozialhilfe abrechnen.
Die Zahlungsverpflichtung des Bewohners entfällt im Umfang der Leistung durch den Träger der Sozialhilfe. Die Beigeladene
hatte die Leistungs- und Prüfungsvereinbarung mit dem Beklagten im November 2015 abgeschlossen. Nach § 1 Abs. 2 der Vereinbarung findet "der Landesrahmenvertrag gem. § 79 SGB XII unmittelbar und uneingeschränkt Anwendung, soweit die Vereinbarung nichts anderes regelt". Nach der für März 2016 bis Februar
2017 gültigen Vergütungsvereinbarung setzt sich das Entgelt für die Unterbringung aus einer Grundpauschale iHv täglich 19,45
€, einem Investitionsbetrag iHv täglich 5,99 € und einer Maßnahmepauschale für den Leistungstyp 9 iHv täglich 71,83 € zusammen
(insgesamt 97,27 €). Auch die Vergütungsvereinbarung ordnet in § 7 Abs. 1 die Geltung des Landesrahmenvertrages NRW an, soweit
in der Vereinbarung nichts anderes bestimmt ist.
Die Betreuerin beantragte am 09.07.2015 die Übernahme der Kosten der Heimunterbringung bei dem Beklagten. Der Kläger verfügte
zu diesem Zeitpunkt über ein Sparvermögen iHv 23.624,44 €. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.07.2015 ab,
da das Vermögen des Klägers über dem maßgeblichen Freibetrag von 2.600 € liege. Der Bescheid ist bestandskräftig.
Die Betreuerin beantragte am 22.02.2016 erneut die Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung. Zu diesem Zeitpunkt
verfügte der Kläger über ein Sparguthaben von 23.813,43 €. Die Betreuerin telefonierte mehrfach mit der Einrichtung und erhielt
von dort die Auskunft, sie solle zunächst die Entscheidung des Beklagten abwarten. Rechnungen für den Zeitraum ab März 2016
würden vorläufig nicht erstellt. Die Betreuerin erklärte sich damit einverstanden. Der Beklagte teilte der Betreuerin am 22.03.2016
telefonisch mit, eine Kostenübernahme komme im Hinblick auf das Sparguthaben weiterhin nicht in Betracht. Sie solle sich wieder
melden, wenn die Bedürftigkeit erreicht sei.
Das Vermögen des Klägers belief sich am 01.03.2016 einschließlich des Sparguthabens auf 26.684,72 €. Die Genehmigung des Betreuungsgerichts
zur Auflösung des Sparguthabens ging bei der Betreuerin am 11.03.2016 ein. Die Betreuerin löste das Sparbuch daraufhin auf,
das Guthaben iHv 23.820,63 € wurde am 17.03.2016 auf das Girokonto des Klägers überwiesen. Die Betreuerin bezahlte davon am
21.03.2016 und 22.03.2016 die Rechnungen der Beigeladenen für den Zeitraum Oktober 2015 bis Februar 2016 iHv insgesamt 12.509,62.
Darüber hinaus zahlte sie am 23.03.2016 einen Betrag iHv 6.878,57 € zurück, der fälschlicherweise auf das Konto des Klägers
gezahlt worden war. Das verbliebene Vermögen des Klägers belief sich am 01.04.2016 auf 7.371,51 €, am 01.05.2016 auf 7.262,82
€ und am 01.06.2016 auf 7.240,70 €.
Die Beigeladene stellte dem Kläger unter dem 11.07.2016 für März 2016 3.015,37 € in Rechnung. Der Kläger verfügte zu diesem
Zeitpunkt noch über ein Vermögen iHv 5.164,55 €. Die Betreuerin überwies am 13.07.2016 einen Betrag iHv 2.564,55 € an die
Beigeladene. Das Guthaben belief sich danach auf genau 2.600 €. Der weitere Rechnungsbetrag für März 2016 iHv 450,82 € blieb
offen. Die Rechnungen für April 2016 und Juni 2016 iHv jeweils 2.918,10 € und für Mai 2016 iHv 3.015,37 € wurden erst am 31.12.2016
erstellt. Diese Rechnungen sind noch offen.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 22.08.2016 ab, der der Betreuerin nach deren Angaben jedoch nicht
zugegangen ist.
Seit dem 01.09.2016 erhält der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung iHv monatlich netto 611,58 €. Die Rente wird
ab Dezember 2016 laufend gezahlt, die Nachzahlung für September 2016 bis November 2016 wurde am 23.12.2016 an den Kläger ausgezahlt.
Das Vermögen belief sich dann auf 3.969,56 €.
Der Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24.03.2017 die Kosten für die stationäre Einrichtung für den Zeitraum ab dem 23.09.2016
bis zum 28.02.2018. Ab diesem Zeitpunkt erfülle der Kläger auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Kostenübernahme.
Die Betreuerin legte gegen diesen Bescheid am 28.03.2017 Widerspruch ein. Die Kosten für die stationäre Unterbringung müssten
bereits ab März 2016 übernommen werden. Nachdem die Betreuerin mitgeteilt hatte, der Bescheid vom 22.08.2016 sei ihr nicht
zugegangen, erklärte sich der Beklagte bereit, hinsichtlich dieses Zeitraums einen neuen Bescheid zu erteilen.
Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für März 2016 bis Juni 2016 mit Bescheid vom 09.05.2017 ab.
Der Kläger habe im März 2016 über Vermögen iHv 26.684,72 €, in den Monaten April 2016 bis Juni 2016 iHv mehr als 7.000 € und
im Juli 2016 iHv mehr als 5.000 € verfügt. Damit liege das Vermögen jeweils über dem maßgeblichen Freibetrag von 2.600 €,
so dass der Kläger nicht leistungsberechtigt gewesen sei.
Im Widerspruchsverfahren (Widerspruch vom 15.05.2017) trug der Kläger vor, die Betreuerin habe über das Sparvermögen zunächst
nicht verfügen können, da eine Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich gewesen sei. Diese sei erst am 11.03.2016 zugegangen.
Das Sparguthaben sei dann am 17.03.2016 auf das Girokonto umgebucht worden und die Betreuerin habe anschließend die Heimrechnungen
für Oktober 2015 bis Februar 2016 beglichen. Darüber hinaus habe sie eine Rücküberweisung vorgenommen, da der entsprechende
Betrag fälschlicherweise auf das Konto des Klägers gezahlt worden sei. Die Rechnung des Heimes für März 2016 sei ihr erst
am 13.07.2016 zugegangen. Die weiteren Rechnungen seien erst im März 2017 eingegangen und an den Beklagten weitergeleitet
worden. Die Heimrechnung für März 2016 habe aus dem Vermögen des Klägers nur noch teilweise beglichen werden können, sodass
noch eine Forderung iHv 450,82 € offen sei. Nach Abzug der Forderungen habe das Vermögen des Klägers bereits im März 2016
unterhalb des Freibetrages gelegen. Die Kosten seien daher bereits ab diesem Zeitpunkt zu übernehmen.
Der Beklagte half dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2017 (der aufgrund einer fehlerhaften Namensnennung mit
Schreiben vom 10.07.2017 nochmals versandt worden ist) im Hinblick auf den Zeitraum vom 01.07.2016 bis zum 23.09.2016 ab.
Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Für den Zeitraum vom 24.02.2016 bis zum 30.06.2017 seien Kosten nicht zu übernehmen.
Hinsichtlich des Zeitraums bis zum 29.02.2016 scheide eine Kostenübernahme schon aus, weil der Bedarf erst ab dem 01.03.2016
angezeigt worden sei und es zuvor an einer Kenntnis nach § 18 SGB XII gefehlt habe. Im Hinblick auf den Zeitraum März 2016 bis Juni 2016 liege das Vermögen jeweils über dem maßgeblichen Schonbetrag
von 2.600 €. Der Einsatz dieses Vermögen stelle für den Kläger keine Härte dar und ein fiktiver Vermögensverbrauch sei nach
der Rechtsprechung des BSG nicht zu berücksichtigen. Der Einwand, die Rechnungsstellung sei seitens der Einrichtung erst mit mehrmonatiger Verzögerung
erfolgt, führe nicht zu einem anderen Ergebnis. Ansonsten würde sich der Bedarf an Sozialhilfeleistungen nicht wie im Gesetz
vorgesehen nach der Besonderheit des Einzelfalles, sondern nach einem möglicherweise willkürlich festgelegten Zeitpunkt der
Rechnungsstellung durch einen Leistungsanbieter richten.
Der Kläger hat am 12.07.2017 Klage erhoben. Die Kosten für die stationäre Unterbringung müssten auch von März 2016 bis Juni
2016 übernommen werden. Er habe zwar in diesem Zeitraum noch über Vermögen verfügt, dem habe jedoch kein Bedarf gegenübergestanden,
denn der Heimträger habe keine Rechnungen erstellt, sodass die Betreuerin keine Zahlungen habe leisten können. Die Betreuerin
habe mehrfach um Rechnungen gebeten, die jedoch nicht erteilt worden seien. Ohne Rechnungen habe sie keine Zahlungen leisten
können, da sie sich sonst einer Pflichtverletzung schuldig gemacht hätte. Sie habe dem Betreuungsgericht Rechnung über die
Einnahme und Ausgabe des Betreuten zu legen. Die Rechnung solle eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben
enthalten, über den Ab- und Zugang des Vermögens Auskunft geben und, soweit Belege erteilt zu werden pflegen, mit Belegen
versehen sein. Das Betreuungsgericht habe daher die Auffassung vertreten, eine Ausgabe von Geldern durch die Betreuerin sei
ohne entsprechenden Beleg rechtswidrig. Eine Zahlung ohne Rechnung sei zudem nicht möglich gewesen, weil sich der Rechnungsbetrag
jeden Monat geändert habe.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2017 und des Widerspruchsbescheides
vom 10.07.2017 zu verurteilen, für die Zeit vom 01.03.2016 bis 30.06.2016 die offenen Heimkosten zu übernehmen,
hilfsweise
festzustellen, dass sich der Beklagte amtspflichtwidrig verhalten habe.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat auf das Vermögen des Klägers, das im streitigen Zeitraum durchgehend über dem maßgeblichen Freibetrag gelegen
habe, verwiesen. Ein fiktiver Vermögensverbrauch sei nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu berücksichtigen. Es sei nicht zutreffend, dass die Betreuerin ohne Rechnungen keine Zahlungen hätte vornehmen können.
Das tägliche Entgelt ergebe sich aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag, sodass sie es einfach mit der Anzahl der Tage des jeweiligen
Monats hätte multiplizieren müssen, um auf den geschuldeten Betrag zu kommen. Dieser sei nach dem Vertrag am dritten Werktag
des jeweiligen Monates fällig, ohne dass dafür eine Rechnung gestellt werden müsse.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12.11.2018 (dem Kläger zugestellt am 21.11.2018) abgewiesen. Der Kläger habe
keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung von März 2016 bis Juni 2016. Er gehöre zwar aufgrund
seiner Behinderung zum Personenkreis, der Eingliederungshilfe beanspruchen könne, habe jedoch über verwertbares Vermögen verfügt,
das einem Anspruch entgegenstehe. Ein fiktiver Vermögensverbrauch sei nicht zu berücksichtigen. Die Betreuerin habe das Geld
auch ohne Rechnung an die Beigeladene überweisen können, dazu sei sie nach der Fälligkeitsregelung des Wohn- und Betreuungsvertrages
verpflichtet gewesen. Der Hilfsantrag sei jedenfalls unbegründet, denn der Beklagte habe sich nicht amtspflichtwidrig verhalten.
Eine Pflicht, dem Kläger zur Bezahlung der Heimkosten und Verbrauch des Vermögens zu raten, habe nicht bestanden, da die Betreuerin
des Klägers selbst über ausreichende Kenntnisse verfügt habe.
Der Kläger hat am 12.12.2018 Berufung eingelegt. Zwar sei nach der Rechtsprechung des BSG ein fiktiver Vermögensverbrauch nicht zu berücksichtigen. Dies führe jedoch zu Wertungswidersprüchen, denn im SGB II bestehe bei Rückforderungen aufgrund vorhandenen Vermögens die Möglichkeit, die Rückforderung zu begrenzen, wenn sie über
dem einzusetzenden Vermögen liege. Gelinge ein sofortiger Vermögensverbrauch nicht, sei die Verweisung auf das vorhandene
Vermögen eine unbillige Härte. Dies gelte für den Kläger, denn die Betreuerin habe ihre Pflichten gegenüber dem Betreuungsgericht
erfüllen müssen.
Der Kläger beantragt zuletzt noch,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12.11.2018 zu ändern, den Bescheid vom 09.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 28.06.2017 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für die stationäre Unterbringung für den Monat März
2016 iHv 450,82 € für die Monate April 2016 und Juni 2016 iHv jeweils 2.918,10 € und für den Monat Mai 2016 iHv 3.015,37 €
zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und wiederholt im Übrigen seine Argumentation aus dem erstinstanzlichen
Verfahren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte
sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, derer wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige, insbesondere gemäß §§
143,
144 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht erhobene (§§
151 Abs.
1,
64 Abs.
2 SGG) Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn sie ist zulässig und begründet. Der
Bescheid vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2017 ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch
auf Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung für März 2016 iHv 450,82 €, für April 2016 und Juni 2016 iHv jeweils
2.918,10 € und für Mai 2016 iHv 3.015,37 € (insgesamt 9.302,39 €).
1. Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2017, mit
dem der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die stationäre Unterbringung
von März 2016 bis Juni 2016 abgelehnt worden ist. Nachdem der Beklagte dem Widerspruch mit dem Widerspruchsbescheid vom 28.06.2016
für den Zeitraum vom 01.07.2016 bis zum 23.09.2016 abgeholfen hat, ist dieser nicht mehr streitig, denn Gegenstand der Klage
ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§
95 SGG). Den erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag hält der Kläger im Berufungsverfahren nicht aufrecht. Bei dem Schreiben vom
10.07.2017 handelt es sich nicht um einen eigenständigen Widerspruchsbescheid.
2. Der streitgegenständliche Bescheid hat sich durch die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgerecht des SGB XII und seine Überführung in das
SGB IX nicht ab dem 01.01.2020 erledigt iSd § 39 Abs. 2 SGB X. Zwar ist mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des
SGB IX und der strikten Trennung von Fachleistungen und Lebensunterhaltsleistungen als Grundprinzip ein vollständiger Systemwechsel
erfolgt. Der Eingliederungshilfeträger wird nicht Funktionsnachfolger des Sozialhilfeträgers in der Weise, dass die unter
altem Recht begründeten Leistungsfälle unter Geltung des neuen Rechts nur fortgeführt werden (BSG Urteil vom 28.01.2021 - B 8 SO 9/19 R). Vorliegend handelt es sich demgegenüber um einen allein vor dem Inkrafttreten des
neuen Rechts bestehenden Bedarf aufgrund eines vor dem 01.01.2020 abgeschlossenen Sachverhalts. Eine vor dem 01.01.2020 bestehende
Verpflichtung des Sozialhilfeträgers wird durch die Neukonzipierung des Eingliederungshilferechts und eine damit evtl. einhergehende
neue Trägerschaft ab Januar 2020 nicht berührt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteile vom 17.05.2021 - L 9 SO 271/19
und vom 14.06.2021 - L 9 SO 27/19).
3. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten für die begehrte Leistung folgte bis zum 30.06.2016 aus § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a der Ausführungsverordnung NRW zum SGB XII (AV-SGB XII NRW). Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel
des SGB XII für Personen, die in § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII genannt sind, Menschen mit einer geistigen Behinderung, Menschen mit einer seelischen Behinderung oder Störung, Anfallskranke
und Suchtkranke bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn es wegen der Behinderung oder des Leidens dieser Personen in
Verbindung mit den Besonderheiten des Einzelfalls erforderlich ist, die Hilfe in einer teilstationären oder stationären Einrichtung
zu gewähren. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten beruht auf § 98 Abs. 2 SGB XII in der bis zum 31.07.2019 geltenden Fassung. Danach ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig,
in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben
oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Der Kläger hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme
in die Einrichtung der Beigeladenen in Duisburg und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Wäre der Beklagte hiernach
nicht zuständig gewesen, folgte seine Zuständigkeit zudem aus §
14 Abs.
2 Satz 1
SGB IX in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung, da der Leistungsantrag von dem Beklagten nicht weitergeleitet worden ist.
4. Der Bescheid vom 09.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2017 ist rechtswidrig, denn der Kläger hat
einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung für März 2016 bis Juni 2016 in der jeweils tenorierten
Höhe.
Bei der von dem Kläger begehrten Kostenübernahme für die stationäre Unterbringung handelt es sich nicht um eine Geldleistung,
sondern um eine Sachleistung in Form der Sachleistungsverschaffung (vgl. BSG Urteile vom 23.08.2013 - B 8 SO 10/12 R und vom 22.03.2012 - B 8 SO 1/11 R). Die Bewilligung erfolgt in Form eines Schuldbeitritts
zu der zivilrechtlichen Schuld des Leistungsberechtigten, verbunden mit einem Anspruch auf Befreiung von der Schuld gegenüber
dem jeweiligen Leistungserbringer. Der Kläger ist einer solchen Schuld ausgesetzt, denn er hat mit der Beigeladenen am 10.07.2015
einen Wohn- und Betreuungsvertrag abgeschlossen, aus dem sich eine zivilrechtliche Verpflichtung ergibt. Die Zahlungsverpflichtung
des Bewohners entfällt (nur) im Umfang der Leistung durch den Träger der Sozialhilfe. Der Kläger wird von der Beigeladenen
auf Erfüllung dieser Schuld in Anspruch genommen.
Auch die Voraussetzungen des § 75 Abs. 3 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (aF) liegen vor. Nach dieser Vorschrift ist der Träger der Sozialhilfe zur Übernahme
der Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung
über 1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Leistungsvereinbarung), 2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und
Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzt (Vergütungsvereinbarung) und 3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und
Qualität der Leistungen (Prüfungsvereinbarung) besteht. Die Beigeladene hatte mit dem Beklagten im streitigen Zeitraum Vereinbarungen
nach § 75 Abs. 3 SGB XII aF abgeschlossen.
Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Kostenübernahme bereits mit Bescheid vom 22.08.2016 ablehnen wollte,
denn dieser Bescheid ist nicht wirksam geworden, da er der Betreuerin nicht zugegangen und damit nicht bekannt gegeben worden
ist (§ 39 Abs. 1 SGB X).
Der Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme beruht auf §§ 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (aF) iVm. §
55 Abs.
1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (aF).
Nach § 53 Abs. 1 SGB XII aF erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung
bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach
Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach Abs.
3 der Vorschrift ist es die besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung
oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört
insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen
die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich
unabhängig von Pflege zu machen. Eine bestimmte Diagnose allein genügt nicht zur Feststellung einer wesentlichen Behinderung
iSv § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aF, denn die Prüfung der Wesentlichkeit einer Behinderung ist wertend an deren Auswirkungen für die Eingliederung in der
Gesellschaft auszurichten. Entscheidend ist mithin nicht, wie stark die geistigen Kräfte beeinträchtigt sind und in welchem
Umfang ein Funktionsdefizit vorliegt, sondern wie sich die Beeinträchtigung auf die Teilhabemöglichkeit auswirkt (vgl. BSG Urteile vom 13.07.2017 - B 8 SO 1/16 R und vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R). Der Kläger ist wesentlich behindert iSv § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII aF, denn er ist aufgrund des bei ihm bestehenden Down-Syndroms und der daraus resultierenden geistigen Behinderung wesentlich
in seiner Fähigkeit, an der der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt. Er benötigt aufgrund seiner Behinderung Anleitung
und Unterstützung in allen Lebensbereichen, so z.B. bei der Grundpflege, der Zubereitung von Mahlzeiten, dem Einkauf von Lebensmitteln
und anderen Dingen des täglichen Lebens, der Freizeitgestaltung, sozialen Beziehungen sowie Finanz- und Behördenangelegenheiten.
Bei der von der Beigeladenen erbrachten stationären Unterbringung handelt es sich um eine Leistung zur Teilhabe am Leben in
der Gemeinschaft iSd § 54 Abs. 1 SGB XII, §
55 Abs.
1 SGB IX aF. Diese war notwendig iSv §
4 Abs.
1 SGB IX. Diese Voraussetzung ist bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfen. Sie ist zu bejahen, wenn eine grundsätzlich geeignete
Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist (vgl. BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 18/12 R). Die stationäre Unterbringung in der Einrichtung der Beigeladenen war geeignet, die
Teilhabe des Klägers an der Gesellschaft zu ermöglichen und unentbehrlich, denn ambulante Hilfen hätten den umfassenden Hilfebedarf
des Klägers nicht decken können.
Der Kläger erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe. Nach § 19 Abs. 3 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (aF) wird Eingliederungshilfe für behinderte Menschen geleistet, soweit den Leistungsberechtigten,
ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren
Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels
dieses Buches nicht zuzumuten ist. Nach § 92 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (aF) sind die Leistungen hierfür auch dann in vollem Umfang zu erbringen, wenn
die Behinderung Leistungen für eine stationäre Einrichtung erfordert und den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. In Höhe dieses Teils haben sie zu den Kosten der
erbrachten Leistungen beizutragen; mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner. Die Bewilligung erfolgt in diesen Fällen
abweichend vom sog. Netto-Prinzip (vgl dazu BSG Urteil vom 12.05.2017 - B 8 SO 23/15 R) in voller Höhe. Der Kostenbeitrag ist durch gesonderten Bescheid festzusetzen (vgl.
dazu BSG Urteil vom 20.04.2016 - B 8 SO 25/14 R). Die in § 92 Abs. 1 SGB XII aF geregelte Vorleistungspflicht des Trägers der Sozialhilfe tritt nicht ein, wenn den in § 19 Abs. 3 SGB XII aF genannten Personen die volle Aufbringung der aufzuwendenden Kosten zuzumuten ist (BVerwG Urteil vom 05.06.1975 - V C 5.74 zur Vorgängervorschrift in § 43 Abs. 1 BSHG).
Der Kläger verfügte nicht über Einkommen, mit dem er die Kosten für die stationäre Unterbringung für den streitbefangenen
Zeitraum vollständig decken konnte. Das Arbeitsentgelt aufgrund der Beschäftigung in der WfbM, von dem noch die gesetzlichen
Freibeträge in Abzug gebracht werden müssen, reicht dafür nicht aus, Auszahlungen durch den Testamentsvollstrecker erfolgten
nicht.
Auch mit seinem Vermögen konnte der Kläger die Kosten für die stationäre Unterbringung nicht vollständig decken. Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe aber nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger
Geldwerte, wobei eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen ist. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 b) der gem. § 96 Abs. 2 SGB XII dazu ergangenen Durchführungsverordnung in der bis zum 31.03.2017 geltenden Fassung sind kleinere Barbeträge in diesem Sinne
bei den Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII, zu denen die Eingliederungshilfe bis zum 31.12.2019 gehörte, Beträge bis zu 2.600 €.
Es kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, ob ausnahmsweise ein fiktiver Vermögensverbrauch anzuerkennen ist, wenn die
Einrichtung noch keine Rechnung gestellt hat und der Verbrauch des Vermögens daher noch nicht zu erwarten ist. Nach der Rechtsprechung
des BSG ist ein fiktiver Vermögensverbrauch in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage grundsätzlich nicht anzuerkennen. Der Gesetzgeber
habe eine solche Vorschrift bei der Schaffung des SGB XII anders als in der bis zum 31.12.2001 geltenden Regelung des § 9 Arbeitslosenhilfe-Verordnung, die einen solchen fiktiven Vermögensverbrauch beim Recht der Arbeitslosenhilfe vorsah, nicht in das Gesetz aufgenommen (BSG Urteile vom 25.08.2011 - B 8 SO 19/10 R und vom 20.09.2012 - B 8 SO 20/11 R; ständige Rechtsprechung des Senats, Urteile
vom 15.06.2011 - L 9 SO 646/10 und vom 17.03.2016 - L 9 SO 475/14). Die Nichtberücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauchs
gilt indes nicht ausnahmslos. Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Ausnahme zu machen, wenn im Bedarfszeitraum Sozialhilfe als Darlehen erbracht wird; dann muss die Gewährung der
Sozialhilfe in Form eines Darlehens ein Ende finden, wenn die Belastungen den Verkehrswert des Vermögensgegenstandes erreichen
(BSG Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 19/10 R). Ein fiktiver Vermögensverbrauch ist also anzuerkennen, wenn das Vermögen nicht verbraucht
werden kann, denn die Gewährung eines Darlehens setzt gem. § 91 SGB XII ein (vorübergehendes) Verwertungshindernis voraus (BSG Urteil vom 09.12.2016 - B 8 SO 15/15 R). Der Senat muss im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden, ob der (vorübergehenden)
Unmöglichkeit, Vermögen zu verwerten, der Fall gleichzustellen ist, dass die Einrichtung noch keine Rechnung gestellt hat
und daher die Verwertung des Vermögens nicht zu erwarten ist (so SG Aachen Urteil vom 20.11. 2007 - S 20 SO 27/07, offen gelassen
im Urteil des Senates vom 14.07.2011 - L 9 SO 258/10). Dafür könnte allerdings im vorliegenden Verfahren insbesondere sprechen,
dass die rechtliche Betreuerin gem. §
1840 BGB gegenüber dem Betreuungsgericht Rechnung zu legen hat und dem Rechenschaftsbericht Belege beigefügt werden sollen (§
1841 Abs.
1 BGB). Die Betreuerin hatte von dem zuständigen Betreuungsgericht die ausdrückliche Auskunft erhalten, bei einer Ausgabe von mehreren
tausend Euro müsse eine Rechnung vorliegen.
Der Kläger hat auch ohne Berücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauches einen Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten
Kosten für seine stationäre Unterbringung. Denn maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Hilfebedürftigkeit ist der Bedarfsanfall
(BSG Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 20/11 R). Das ist bei einer Leistung durch einen Dritten der Zeitpunkt der Fälligkeit von
dessen Forderung (BSG Urteil vom 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R zur Kfz-Hilfe, Urteil vom 04.04.2019 - B 8 SO 10/18 R zur Übernahme von Bestattungskosten
nach § 74 SGB XII, Urteil vom 05.09.2019 - B 8 SO 20/18 R zur Kostenübernahme bei einer stationären Unterbringung).
Die Fälligkeit der Forderung der Beigeladenen für März 2016 ist erst eingetreten, nachdem die Beigeladene am 11.07.2016 die
Rechnung für diesen Monat erstellt hatte, die Fälligkeit der Forderungen für April 2016 bis Juni 2016 ist erst nach der Rechnungstellung
am 31.12.2016 eingetreten.
Die Fälligkeitsregelung in § 5 des Wohn- und Betreuungsvertrages, wonach das vom Leistungsberechtigten zu zahlende Entgelt
am dritten Werktag eines jeden Monats im Voraus zur Zahlung fällig ist, ist von den Vertragsparteien abbedungen worden. Der
Kläger und die Beigeladene haben die Fälligkeit der Forderungen bis zur jeweiligen Rechnungsstellung (11.07.2016 bzw. 31.12.2016)
gestundet, indem die Betreuerin nach der erneuten Antragstellung am 22.02.2016 mehrfach mit der Einrichtung telefonierte und
von dort - mit ihrem Einverständnis - die Auskunft erhielt, sie solle zunächst die Entscheidung des Beklagten abwarten und
Rechnungen für den Zeitraum ab März 2016 würden vorläufig nicht erstellt. Darin ist eine Stundungsvereinbarung zu sehen, denn
die ausdrückliche Aufforderung der Einrichtung, vorläufig nicht zu zahlen, und das Einverständnis der Betreuerin mit dieser
Regelung kann nicht anders verstanden werden. Die Stundung der Forderung führt zum Herausschieben ihrer Fälligkeit (BGH Beschluss
vom 25.03.1998 - VIII ZR 298/97).
Zudem ist die Fälligkeitsbestimmung in § 5 des Wohn- und Betreuungsvertrags unwirksam. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 des Rahmenvertrages gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII zu den Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und den Sozialhilfeträgern in Nordrhein-Westfalen (Stand: 23.08.2001) erfolgt
die Abrechnung der Vergütungen monatlich. Die Zahlungen des Sozialhilfeträgers sollen spätestens zum 15. des auf die Rechnungsstellung
folgenden Monats geleistet werden (§ 19 Abs. 2 Satz 2 des Rahmenvertrags). Dabei handelt es sich um eine Fälligkeitsregelung,
denn es wird der Zeitpunkt bestimmt, zu dem der Leistungserbringer als Gläubiger vom Schuldner die Leistung iSd §
271 Abs.
2 BGB erstmals verlangen kann.
Die Fälligkeitsregelung des Landesrahmenvertrages gilt auch zugunsten des Klägers. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 WBVG müssen in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem SGB XII in Anspruch nehmen, die Vereinbarungen den aufgrund des Zehnten Kapitels des SGB XII getroffenen Regelungen entsprechen. Vereinbarungen, die diesen Regelungen nicht entsprechen, sind nach § 15 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 WBVG unwirksam. Der Vorrang der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen im Landesrahmenvertrag und in den Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen
nach § 75 Abs. 3 SGB XII aF vor den zivilrechtlichen Regelungen des Wohn- und Betreuungsvertrags dient dem Verbraucherschutz. Dem System der §§ 75 ff SGB XII liegt der Gedanke zugrunde, dass in einem Verhandlungsverfahren gleichberechtigter Vertragspartner sachgerechte und angemessene
Regelungen getroffen werden (BSG Urteil vom 06.12.2018 - B 8 SO 9/18 R). Die Regelungen im Landesrahmenvertrag und in den Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen
können ihre Wirkungen nur entfalten, wenn sie auf die zivilrechtlichen Verträge zwischen den Verbrauchern (Leistungsberechtigten)
und den Leistungserbringern durchschlagen. Denn insoweit handelt es sich nicht um gleichberechtigte Vertragspartner, sondern
der Vertrag wird regelmäßig von dem Leistungserbringer vorformuliert und dem Verbraucher lediglich zur Unterschrift vorgelegt.
Er könnte daher einseitig benachteiligende Regelungen vorsehen, wenn er nicht an den Inhalt der öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen
gebunden wäre.
Die Fälligkeitsregelung in § 5 des Wohn- und Betreuungsvertrages ist gem. § 15 Abs. 2 Satz 2 WBVG unwirksam, da sie von § 19 Abs. 2 Landesrahmenvertrag abweicht. Es bedarf hierbei keiner Entscheidung, ob es sich bei den in § 79 Abs. 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung enthaltenen Vorgaben für Rahmenverträge um eine abschließende Aufzählung handelt
und weitere Regelungen nicht zum Gegenstand eines Landesrahmenvertrages gemacht werden können (so BT-Drs. 18/9522, S. 344
zur Neuregelung in § 80 SGB XII). Auch wenn dies der Fall sein sollte, wäre die Fälligkeitsregelung in § 5 des Wohn- und Betreuungsvertrages unwirksam, denn
die Beigeladene und der Beklagte haben in der Vergütungsvereinbarung die Geltung des Landesrahmenvertrages NRW angeordnet,
soweit in dieser Vereinbarung nichts anderes bestimmt ist (§ 7 Abs. 1). Da die Vergütungsvereinbarung selbst keine Fälligkeitsregelung
enthält, gilt aufgrund dieser Vereinbarung die des Landesrahmenvertrages.
Gegen den Vorrang der Fälligkeitsregelung in § 19 Abs. 2 Landesrahmenvertrag lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, die Vorschrift
beträfe entsprechend ihrem Wortlaut nur die Zahlungen des Sozialhilfeträgers an den Leistungserbringer und lasse die Verbindlichkeiten
des Leistungsberechtigten unberührt. Eine solche Interpretation wäre mit der Rechtsnatur der Zahlungspflicht des Sozialhilfeträgers
nicht zu vereinbaren. Der Sozialhilfeträger tritt einer zivilrechtlichen Schuld des Leistungsberechtigten bei. Die Zahlungspflicht
des Sozialhilfeträgers und die zivilrechtliche Schuld des Leistungsberechtigten sind hinsichtlich Umfang und Fälligkeit identisch.
Wird öffentlich-rechtlich eine Regelung zur Verpflichtung des Sozialhilfeträgers getroffen, schlägt dies auf die Ausgestaltung
der zivilrechtlichen Schuld des Leistungsberechtigten durch.
Der Umstand, dass die Fälligkeit durch den Gläubiger der Forderung ggfs. zu Lasten des Sozialhilfeträgers gesteuert werden
kann, rechtfertigt es nicht, von der Maßgeblichkeit des Fälligkeitszeitpunkts für die Bedarfs- und Bedürftigkeitsbestimmung
abzusehen (BSG Urteil vom 19.05.2021 - B 14 AS 19/20 R zur Fälligkeit von Unterkunftskosten im Rahmen des § 22 SGB II).
Offen bleiben kann, ob § 5 des Wohn- und Betreuungsvertrages als eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung
auch gem. §
307 Abs.
1 BGB unwirksam ist, weil die Abweichung von den Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach dem SGB XII eine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers darstellt.
Maßgeblich für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit im März 2016 ist somit der 11.07.2016, denn erst zu diesem Zeitpunkt
ist die Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger fällig geworden. Der Kläger verfügte zu diesem Zeitpunkt noch über ein
Vermögen iHv 5.164,55 €. Das der Testamentsvollstreckung unterliegende Vermögen ist nicht zu berücksichtigen, da es nicht
verwertbar iSd §§ 19 Abs. 3 SGB XII aF, 90 Abs. 1 SGB XII war (BSG Urteil vom 17.02.2015 - B 14 KG 1/14 R). Das Vermögen war unter Berücksichtigung des Freibetrages von 2.600 € nicht mehr ausreichend, um den Bedarf für März 2016
iHv 3.015,37 € vollständig zu decken. Dann besteht gem. § 92 Abs. 1 SGB XII aF ein Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten für März 2016. Da der Kläger den Eigenanteil iHv 2.564,55 € jedoch bereits
mit der Überweisung vom 13.07.2016 getragen hat, reduziert sich sein Anspruch auf den Restbetrag iHv 450,82 €. Mehr macht
der Kläger nicht geltend.
Der Kläger hat darüber hinaus Anspruch auf Übernahme der Kosten für April 2016 und Juni 2016 iHv jeweils 2.918,10 € und für
Mai 2016 iHv 3.015,37 €. Diese Forderungen wurden mit Rechnungsstellung am 31.12.2016 fällig. Zu dem Zeitpunkt verfügte der
Kläger über ein Vermögen iHv 3.969,56 €, mit dem er unter Berücksichtigung des Freibetrages von 2.600 € nicht mehr in der
Lage war, die Bedarfe vollständig zu decken. Daher besteht auch insoweit gem. § 92 Abs. 1 SGB XII aF ein Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
III. Gründe, gem. §
160 Abs.
2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.