Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche - österreichischer Staatsangehöriger
- Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus dem FürsAbk AUT
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von
dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) vorläufig Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der 1977 geborene alleinstehende Antragsteller ist österreichischer Staatsangehöriger. Nachdem er am 04. Dezember 2020 seine
Arbeit in Österreich als Helfer für Kurier-, Zustell- und Postdienstleistungen verlor, reiste er am 06. Dezember 2020 in die
Bundesrepublik Deutschland ein. Seit diesem Tag lebt der Antragsteller in der Wohnung einer Bekannten in der Stadt E.. Mit
dieser habe er vereinbart, dass er die ersten drei Monate bei ihr unentgeltlich wohnen könne, dann aber 100,00 Euro monatlich
als pauschale Unterkunftskosten zu zahlen habe.
Die Bundesagentur für Arbeit lehnte es mit Bescheiden vom 02. Februar 2021 und 06. Mai 2021 ab, Arbeitslosengeld nach dem
Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (
SGB III) zu bewilligen. Auf Nachfrage des Senats teilte der Antragsteller mit, dass diesbezüglich eine Klage vor dem Sozialgericht
(SG) Halle unter dem Aktenzeichen S 2 AL 136/21 anhängig sei. Leistungen aus der österreichischen Arbeitslosenversicherung beziehe er nicht.
Am 21. Januar 2021 beantragte der Antragsteller bei dem Antragsgegner die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach
dem SGB II. Er gab an, dass er nach Deutschland eingereist sei, um eine neue Arbeit zu finden.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.Februar 2021 lehnte der Antragsgegner die
Bewilligung von Leistungen bestandskräftig ab. Es bestehe ein Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, da der Antragsteller zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sei. Unter dem 25. Mai 2021 beantragte der
Antragsteller gegenüber der Agentur für Arbeit die Überprüfung dieses Bescheides gem. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Mit dem am 11. Juni 2021 vor dem SG gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt der Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II. Er meint, dass er nicht von Leistungen der Grundsicherung nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ausgeschlossen sei. Diese Vorschrift sei auf ihn nicht anwendbar, weil er nach dem Gesetz zu dem Abkommen vom 17. Januar
1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (DÖFA) einen
Anspruch auf Fürsorgeleistungen wie ein deutscher Staatsangehöriger habe. Am 10. Juni 2021 versicherte er an Eides statt,
dass er zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sei. Seine bisherigen diesbezüglichen Bemühungen seien erfolglos
gewesen; er bemühe sich jedoch weiterhin um eine neue Arbeitsstelle. Er versicherte ferner an Eides statt, dass er monatlich
100,00 Euro pauschal als Unterkunftskosten an seine Bekannte zu zahlen habe.
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag abzulehnen. Es fehle bereits an einem Hauptsacheverfahren, da der Bescheid vom
29. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2021 bestandskräftig sei. Des Weiteren finde das
DÖFA auf Leistungen der Grundsicherung keine Anwendung.
Der Antragsteller hat im sozialgerichtlichen Verfahren unter dem 21. Juni 2021 und am 02. Juli 2021 Bezug auf seinen Überprüfungsantrag
genommen. Den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 29. Januar 2021 hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 12. Juli 2021
abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller am 16. Juli 2021 Widerspruch eingelegt. Das Widerspruchsverfahren ist noch nicht
abgeschlossen.
Mit Beschluss vom 09. Juli 2021 hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Zwar sei der Antrag aufgrund des Überprüfungsverfahrens gem. § 44 SGB X statthaft, aber unbegründet. Der Antragsteller sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen, da er sich allein zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufhalte. Er
könne auch keinen Anspruch aus dem DÖFA herleiten, denn die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II seien keine Fürsorgeleistungen im Sinne des Art. 1 Nr. 4 DÖFA. Im Gegensatz zu der Definition des Begriffes „Fürsorge“ nach dem DÖFA, die als alleinige Voraussetzung den der
Hilfsbedürftigkeit aufstelle, seien in § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II weitere Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung genannt.
Gegen diese dem Antragsteller am 21. Juli 2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die am gleichen Tag erhobene Beschwerde
des Antragstellers. Er meint, er habe als österreichischer Staatsangehöriger gem. Art. 2 Abs. 1 DÖFA einen Anspruch auf Gleichbehandlung
bei Fürsorgeleistungen, zu denen auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zählten. Da er unstreitig das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht habe, aus gesundheitlicher Sicht nach § 8 Abs. 1 SGB II und als Unionsbürger auch aus rechtlicher Sicht gem. § 8 Abs. 2 SGB II erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sei und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe, sei er anspruchsberechtigt.
§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sei auf ihn explizit nicht anwendbar. Vielmehr könne er sich auf die speziellere Regelung in dem DÖFA berufen, bei welcher
es sich nach der entsprechenden Ratifikation am 28. Dezember 1968 um unmittelbar geltendes Bundesrecht handele. Einen Vorbehalt,
wie ihn die Bundesregierung für das SGB II zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11. Dezember 1953 am 19. Dezember 2011 erklärt habe, sei zum DÖFA nicht erklärt
worden. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seien eine gesetzlich begründete Geldleistung aus öffentlichen Mitteln.
Diese hätten – im Sinne des DÖFA – keine andere Voraussetzung als diejenige der Hilfebedürftigkeit zu erfüllen. Insbesondere
das Kriterium der Erwerbsfähigkeit sei keine die Gleichbehandlung nach dem DÖFA ausschließende „andere Voraussetzung“, sondern
diene allein der Abgrenzung zur Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII), die zweifellos unter „Fürsorge“ im Sinne der DÖFA zu subsumieren sei. Dadurch verliere das SGB II jedoch nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz. Der Antragsteller verweist auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts
vom 19. Oktober 2010, Az. B 14 AS 23/10 R, wonach das SGB II ein Fürsorgegesetz sei, sowie auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15. September 2015, Az. C 67/14 (Alimanovic), in welchem die Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 angesehen werden. Des Weiteren greife der Ausschlusstatbestand nach dem Schlussprotokoll des DÖFA
nicht. Dieser sehe unter A) Nr. 1 einen Ausschluss für Personen vor, die einreisen, um Vergünstigungen im Sinne des Abkommens
in Anspruch zu nehmen. Dieser Zweck müsse prägend sein. Der Antragsteller sei jedoch nicht eingereist, um SGB II – Leistungen in Anspruch zu nehmen. Dagegen spreche, dass er den Leistungsantrag bei dem Antragsgegner nicht unmittelbar
nach seiner Einreise am 06. Dezember 2020 gestellt habe. Er sei nach dem Arbeitsplatzverlust in Deutschland eingereist, um
neue Arbeit zu suchen. Er habe nach dem Verlust des Arbeitsplatzes keine Bindung mehr zu seinem bisherigen Wohnort in Österreich
gehabt. Vielmehr habe er sich neu orientieren wollen. Die Neuorientierung sei zwar auch durch seine Stadt E.er Bekannte. mitgeprägt,
jedoch ginge es ihm aufgrund der vorhandenen Bindungslosigkeit um das Suchen einer neuen Beschäftigung. Er habe sich nach
seiner Einreise aktiv um eine Arbeit bemüht und bemühe sich immer noch. Wenn es ihm um den Erhalt von sozialen Leistungen
gegangen wäre, hätte er Arbeitslosengeld in Österreich beziehen können, ohne dass er sich um eine neue Arbeit hätte bemühen
müssen. Zunächst habe er seinen Lebensunterhalt noch aus angesparten Mitteln bestreiten können. Erst als diese verbraucht
gewesen seien, habe er sich veranlasst gesehen, einen Antrag auf SGB II – Leistungen zu stellen. So habe er im März 2021 auch seinen Pkw veräußern müssen, um von dem Veräußerungserlös seinen Lebensunterhalt
zu bestreiten.
Der Antragsteller stellt keinen ausdrücklichen Antrag und begehrt, der Beschwerde abzuhelfen und ihm die beantragten Leistungen
zu gewähren.
Zudem beantragt er,
ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt beizuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des SG Halle vom 09. Juli 2021 zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die den Beschluss des SG tragenden Gründe und meint ergänzend, dass nach einer Gesamtschau des Falles anzunehmen sei, dass der Antragsteller nicht
wie behauptet zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland gekommen sei, sondern vielmehr um Fürsorgeleistungen zu beziehen.
Dafür spreche, dass er in eine Region mit hoher Arbeitslosenquote gezogen sei, zudem in der krisenbehafteten Zeit der COVID19
– Pandemie. Mangels Pkws sei er zudem in seiner Mobilität eingeschränkt. Die Arbeitsplatzsuche sei in den an Österreich angrenzenden
Bundesländern erfolgsversprechender. Es seien auch keine Anstrengungen erkennbar, dass der Antragsteller sich um Arbeit in
Österreich bemüht habe. Es sei daher davon auszugehen, dass die Einreise zu seiner Bekannten hauptsächlich davon geprägt war,
um in Deutschland zunächst Einkommen in Form von staatlichen Mitteln zu beziehen. Diesbezüglich habe er auch umgehend Arbeitslosengeld
I und wegen der zu erwartenden Bearbeitungszeit Arbeitslosengeld II beantragt. Die reine Einreise zur Arbeitssuche liege damit
aber nicht vor.
Auf Anfrage des Senats hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt gänzlich in die Stadt E. verlegt
habe und keine Leistungen aus der österreichischen Arbeitslosenversicherung beziehe.
Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und die Gerichtsakten verwiesen. Die Akten haben
dem Senat bei der Entscheidung vorgelegen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg, soweit das SG die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für den Antragsteller abgelehnt hat. Prozesskostenhilfe ist hingegen für das zweitinstanzliche
Verfahren infolge des Kostenerstattungsanspruchs gegen den Antragsgegner nicht zu gewähren.
1. Gegenstand der Beschwerde ist der Beschluss des SG vom 09. Juli 2021, mit denen
es den einstweiligen Rechtsschutz durch Verpflichtung des Antragsgegners zu vorläufigen Leistungen abgelehnt hat. Dabei geht
der Senat im Rahmen der gebotenen Auslegung davon aus, dass der anwaltlich vertretene Antragsteller eine einstweilige Anordnung
nur für die Zeit ab Antragstellung beim Sozialgericht (11. Juni 2021) und nur bis zum Ende des in der Hauptsache streitigen
Bewilligungsabschnitts von einem Jahr gem. § 41 Abs. 3 SGB II (31. Dezember 2021) begehrt. Für ein weiter gefasstes Leistungsbegehren gibt es keine Anhaltspunkte.
2. Die zulässige Beschwerde ist gemäß §
172 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Das für die Statthaftigkeit des Antrages erforderliche streitige Rechtsverhältnis liegt vor, obwohl der Bescheid
vom 29. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2021 bestandskräftig geworden ist. Der Antragssteller
hat die Überprüfung dieses Bescheides nach § 44 SGB X beantragt. Damit ist das Überprüfungsverfahren nach §§ 40 SGB II, 44 SGB X eingeleitet worden, welches noch nicht abgeschlossen ist. Daher liegt wieder ein streitiges Rechtsverhältnis vor.
Die Beschwerde ist auch nicht ausgeschlossen, weil die Berufung in der Hauptsache keiner Zulassung bedürfte (§
172 Abs.
3 Nr.
1, Nr.
2 lit. b
SGG). Die vom Sozialgericht abgelehnten Ansprüche des Antragstellers und damit der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigen
den Beschwerdewert (§§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) von 750,00 Euro. Auch ohne ausdrückliche Bezifferung wird aufgrund der geltend gemachten Leistungen für Regelbedarfe und
Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 11. Juni 2021 bis 31. Dezember 2021 der Beschwerdewert überschritten.
Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht (§
173 SGG) eingelegt worden.
3. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller ist begründet.
Gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2 und
4 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928,
929 Absatz
1 und
3, die §§
930 bis
932,
938,
939 und
945 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.2
ZPO die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs (eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs und eines
Anordnungsgrunds (der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile).
Dabei sind an im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gestellte Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes
und des Anordnungsanspruches zu stellen. Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist es in diesem Fall in der Regel erforderlich,
dass ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung eine massive Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Existenz
entstünde (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 01. Oktober 2020, Az. 1 BvR 1106/20, juris Rn. 20). Darüber hinaus kann eine einstweilige Anordnung in derartigen Fällen nur ergehen, wenn die Rechtswidrigkeit
des bestandskräftigen Bescheids offensichtlich ist und deshalb mit einem für den Antragsteller positiven Ausgang des Überprüfungsverfahrens
zu rechnen ist (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25. Februar 2020, Az. L 8 AS 1422/19 B ER, Rn. 32, juris, Bayerisches LSG, Beschluss vom 11. September 2015, Az. L 16 AS 510/15 B ER, juris Rn. 21; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. November 2013, Az. L 9 KR 254/13 B ER, juris Rn. 4; Bayerisches LSG, Beschluss vom 08. November 2019, Az. L 20 KR 479/19 B ER, juris Rn. 32). Der Überprüfungsantrag des Antragstellers muss somit offenkundige Erfolgsaussichten haben.
a) Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch ist dann glaubhaft gemacht, wenn eine Vorausbeurteilung der Hauptsache nach summarischer Prüfung ergibt,
dass das Obsiegen eines Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Art.
19 Abs.
4 des
Grundgesetzes (
GG) stellt aber besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht
mehr zu beseitigen wären. Insofern hat, umso gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit
ist, desto intensiver die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich - etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher
Aufklärungsmaßnahmen bedürfte -, ist es von Verfassungswegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschluss
vom 14. März 2019 - 1 BvR 169/19 - juris, Rn. 15, 16 m.w.N). Gleichwohl bleibt, auch wenn schwerwiegende Grundrechtsinteressen berührt sind, eine summarische
Prüfung der Sach- und Rechtslage keineswegs ausgeschlossen. Die Verpflichtung der Behörde aufgrund einer reinen Folgenabwägung
ist dann nicht zulässig, wenn die Anspruchsteller an der Sachverhaltsaufklärung nicht ausreichend mitgewirkt haben (vgl. Keller
in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, Kommentar, 13. Auflage, §
86b Rn. 2a m.w.N.).
Vorliegend ist bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ein Leistungsanspruch des Antragstellers nach
dem SGB II für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum festzustellen.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Dazu zählen Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
aa) Für den Senat ist hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des §
7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Es ist hinreichend glaubhaft, dass er seit dem 06. Dezember 2021 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland hat.
Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gemäß §
30 Abs.
3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (
SGB I) dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend
verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen
im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt,
wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist.
Der Antragsteller hält sich nach den bisherigen Erkenntnissen tatsächlich nicht nur vorübergehend, sondern mit zukunftsoffenem
Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dies bestätigte er auf ausdrückliche Anfrage des Senats. Dafür spricht auch,
dass er seine behördliche Post an seiner Stadt E.er Adresse empfängt. Auch der Antragsgegner geht im Übrigen davon aus, dass
der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Stadt E. verlagert hat.
bb) Es besteht ferner kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift sind Ausländer von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben (Nr. 2a) oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche
ergibt (Nr. 2b). Der Antragsteller, welcher zum Zwecke der Arbeitssuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist,
ist als österreichischer Staatsbürger EU-Ausländer im Sinne dieser Vorschrift und wird daher grundsätzlich von dem Leistungsausschluss
Nr. 2b umfasst. Zudem kann er sich auch nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem Gesetz über die allgemeine
Freizügigkeit von Unionsbürgen (FreizügG/EU), die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz, dass eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, berufen. Seit seiner Einreise im Dezember 2020 hat
der Antragsteller keine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder als Selbständiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FreizügG/EU ausgeübt. Es liegen auch nicht die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU nach der N. 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr. 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder
als Familienangehöriger nach § 2 Abs. 2 Nr.6, § 3 FreizügG/EU vor. Allein die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer eröffnet weder einen Zugang zu Leistungen nach dem SGB II noch steht sie dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2019, Az. B 14 AS 31/18 R, juris Rn. 17 m.w.N.).
Die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verletzt auch nicht das Europäische Unionsrecht (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2017, Az. B 14 AS 31/16 R, juris Rn. 27ff. m.w.N.). Sie ist auch nicht wegen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 1 des EFA unanwendbar, denn die
Republik Österreich hat dieses nicht unterzeichnet und ratifiziert.
Allerdings ist der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2b SGB II wegen Art. 2 Abs. 1 DÖFA nicht anwendbar. Der Antragsteller kann sich auf das Gleichbehandlungsgebot des bilateralen Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Österreich vom 17. Januar 1966 berufen. Das DÖFA wirkt auch nach dem Beitritt Österreichs zur
Europäischen Union gem. Art. 351 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) fort. Art. 2 Abs. 1 des Abkommens bestimmt, dass Staatsangehörige der einen Vertragspartei, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei
aufhalten, Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege in gleicher Weise, in gleichem Umfang, unter den gleichen Bedingungen wie den
Staatsangehörigen des Aufenthaltsstaates gewährt wird. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach der Ratifikation durch den
Bundestag am 28. Dezember 1968 (BGBl. II 1969 S. 1) nach Zustimmung des Bundesrates um unmittelbar geltendes Bundesrecht gem. Art.
59 Abs.
2 S. 1
Grundgesetz (
GG) (vgl. nur BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, Az. B 14 AS 23/10 R, juris Rn. 21 ff. m.w.N. zum entsprechenden Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA). Jüngeres oder vorrangig anzuwendendes
Recht steht seiner Anwendung nicht entgegen. Nach dem Grundsatz der Völkerrechts- und Europarechtsfreundlichkeit des
Grundgesetzes gem. Art.
23 Abs.
1 GG ist es auch so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht
(vgl. a.a.O BSG, juris Rn. 25). Dies folgt auch aus dem einfachen Sozialrecht gem. §
30 Abs.
2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (
SGB I), wonach Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Das DÖFA ist von den Vertragsparteien auch
nicht gekündigt worden und verlängert sich damit gem. Art. 17 des Abkommens jährlich fortlaufend. Die Bundesrepublik Deutschland
hat auch nicht, wie explizit für das Gleichbehandlungsgebot der EFA am 19. Dezember 2011, einen Vorbehalt bezüglich der Leistungen
nach dem SGB II erklärt (vgl. zur Rechtmäßigkeit des Vorbehalts BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015, Az. B 4 AS 43/15 R, juris Rn. 18), mit der Folge, dass die Leistungsausschlussgründe nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II seit dem 19. Dezember 2011 wieder auf Angehörige der EFA-Staaten anzuwenden sind. Da Österreich weder EFA-Staat ist, noch
ein gleichlautender Vorbehalt für das DÖFA ausgesprochen wurde, besteht ein Gleichbehandlungsanspruch österreichischer Staatsangehöriger
mit Inländern hinsichtlich der genannten Fürsorgeleistungen. Hierzu gehören auch die Leistungen nach dem SGB II (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020, Az. L 18 AS 1812/19 sowie vom 08. Juni 2020, Az. L 18 AS 1641/19, SG München, Urteil vom 10. Februar 2017, Az. S 46 AS 204/15, SG Düsseldorf, Urteil vom 13. März 2017, Az. S 43 AS 3864/14, a.A. LSG NRW, Urteil vom 22. Juni 2010, Az. L 1 AS 36/08, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2013, Az. L 5 AS 2112/13 B ER, SG Aachen, Beschluss vom 20. März 2015, S 11 AS 169/15).
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind als Fürsorgeleistungen im Sinne des Art. 1 Nr. 4 des DÖFA einzustufen. Nach dieser Bestimmung bedeutet „Fürsorge“ alle gesetzlich begründeten Geld-, Sach-, Beratungs-,
Betreuungs- und sonstige Hilfeleistungen aus öffentlichen Mitteln zur Deckung und Sicherung des Lebensbedarfs für Personen,
die keine andere Voraussetzung als die der Hilfebedürftigkeit zu erfüllen haben. Sinn und Zweck dieser Einschränkung ist es,
die Sozialleistungen vom Anwendungsbereich des Abkommens auszuschließen, wenn sie auf Beiträge oder sonstige Leistungen des
Fürsorgebedürftigen zurückgehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind jedoch steuerfinanzierte nachrangige Leistungen zur Sicherung des existentiellen Lebensbedarfs von Hilfebedürftigen
und damit Geldleistungen im Sinne der DÖFA. Als besondere beitragsunabhängige Leistungen unterscheiden sie sich wesentlich
von beitragsabhängigen Leistungen wie zum Beispiel dem Arbeitslosengeld nach dem
SGB III insbesondere dadurch, dass sie im Hinblick auf die Regelleistung gem. § 20 SGB II allein die Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung aufstellt. ALG II ist eine besondere beitragsunabhängige Leistung im Sinne des Art. 4 i.V. m. Art. 70 VO (EG) Nr. 883/2004 (vgl. Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB, 06/21, § 7 SGB II, Rn. 336, SG Aachen, Urteil vom 08. Dezember 2008, Az. S 8 AS 70/06; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, Az. B 14 AS 23/10 R, juris Rz. 25).
Das BSG führt in seiner Entscheidung vom 19.10.2020 (a.a.O.) unter juris Rn. 33 zu dem Charakter der Leistungen des SGB II als Fürsorgegesetz explizit aus:
„Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stellt ein solches, im Falle der Bedürftigkeit
gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar (vgl auch Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1, wo im Hinblick auf das SGB II von einer "steuerfinanzierten Fürsorgeleistung" die Rede ist; vgl auch BT-Drucks 15/1516 S 56: "nachrangige Fürsorgeleistung").
Denn das SGB II ist - anders als bis zum 1.1.2005 die Alhi als Lohnersatzleistung (vgl zuletzt § 195
SGB III) - ein bedarfsabhängiges Leistungssystem (vgl Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 2). Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1.1.2005 auch nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (idR iVm § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz.“
Auch der EuGH hat in seinem Urteil vom 15. September 2015, C-67/14 (Alimanovic) die überwiegende Funktion von Arbeitslosengeld II in der Existenzsicherung gesehen und die Leistung als Sozialhilfe
im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 eingeordnet.
Nach alledem sind die Voraussetzungen der Erwerbsfähigkeit und des Alters, an die § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II anknüpft, keine „anderen Voraussetzungen“, die dem Anspruch aus Art. 1 Nr. 4 DÖFA entgegenstehen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Überschrift des 2. Kapitels des SGB II mit „Anspruchsvoraussetzungen“ betitelt ist und u.a. die Normen des § 7 (Leistungsberechtigte), § 7a (Altersgrenze), § 8 (Erwerbsfähigkeit) und § 9 (Hilfebedürftigkeit) Gegenstand des Kapitels
sind. Entgegen der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 16. August 2013, a.a.O., handelt es sich damit vor
allem um Abgrenzungskriterien zum Adressatenkreis des SGB XII. Bei den Leistungen des SGB XII handelt es sich jedoch zweifelsfrei um Fürsorgeleistungen im Sinne des DÖFA. Die Erwerbsfähigkeit und das Alter stellen gerade
keine inhaltlichen Kriterien für die Leistungen nach dem SGB II dar, sondern dienen allein der Systemabgrenzung zwischen dem SGB II und dem SGB XII.
Dem steht nicht entgegen, dass das SGB II nicht zu den in dem DÖFA genannten Rechtsvorschriften zählt. Die Aufzählung der Fürsorgegesetze in dem Anhang I (Liste der
die Rechtsgebiete der Fürsorge und der Jugendwohlfahrtspflege regelnden gesetzlichen Rechtsvorschriften der beiden Vertragsparteien)
ist nicht konstitutiv (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 34 bzgl. der Anlage I des EFA). Das in dieser Liste unter Punkt 1a) nur das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) genannt ist, resultiert allein aus dem Alter des Abkommens aus dem Jahr 1966 und führt die damals geltenden Gesetze auf.
Bereits aus Art. 13 Abs. 1 S. 2 DÖFA ergibt sich insofern, dass neu in Kraft tretende gesetzliche Rechtsvorschriften, die
im Anhang I aufgeführt wären, wenn sie beim Inkrafttreten des Abkommens bereits geltendes Recht gewesen wären, der anderen
Vertragspartei mitzuteilen sind. Mit Außerkrafttreten des BSHG zum 31. Dezember 2004 sind neben den Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nunmehr auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II allein hilfebedarfsabhängige Fürsorgeleistungen.
Der Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsanspruchs österreichischer Staatsangehöriger mit Inländern hinsichtlich der Leistungen
nach dem SGB II steht auch nicht entgegen, dass es sich bei Fürsorgeträgern i.S.d. Art. 1 Nr. 8 DÖFA allein um die örtlichen und überörtlichen
Träger der Sozialhilfe handelt (so jedoch wohl Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 (Stand: 05. Januar 2021), Rn. 115). Dieses Verständnis der Träger der öffentlichen Fürsorge resultiert aus dem Umstand, dass
zum Zeitpunkt des Abkommens das BSHG mit seiner Zuständigkeitsverteilung in Kraft war. Aus der in Art. 13 Abs. 1 DÖFA vorgesehenen Dynamik bei der Änderung der Rechtslage kann jedoch nicht mehr an dem ursprünglichen Wortverständnis
festgehalten werden.
Letztendlich unterfällt der Antragsteller auch nicht dem Ausschlussgrund der im Schlussprotokoll zum DÖFA in A) 1. ergänzenden
Regelung. Die Vertragsparteien haben vereinbart, dass Vergünstigungen aus diesem Abkommen Personen nicht zugutekommen sollen,
die das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei nur aufsuchen, um diese Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen. Die Regelung
ist nach Artikel 16 DÖFA Bestandteil des Abkommens und setzt voraus, dass eine „um-zu-Einreise“ vorliegt, d.h. der Antragsteller
in die Bundesrepublik eingereist ist, um Fürsorgeleistungen zu beziehen. Dieser Zweck muss prägend sein (für die entsprechende
Regelung in § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII in der Fassung vom 02. Dezember 2006: BSG, Urteil vom 18. November 2014, Az. B 8 SO 9/13 R, juris Rn. 25).
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners war der Einreiseentschluss des Antragstellers nach Auffassung des Senats im Rahmen
der summarischen Prüfung nicht davon geprägt, ALG II in Anspruch zu nehmen. Der Antragsteller hat deutlich gemacht, dass er zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland gekommen
ist und dies eidesstattlich versichert. Der eidesstattlichen Versicherung kommt im Rahmen des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz
erheblicher Beweiswert zu. Der Antragsteller stellte seinen Leistungsantrag bei dem Antragsgegner auch nicht unmittelbar nach
seiner Einreise am 06. Dezember 2020, sondern erst mehr als 6 Wochen später, am 21. Januar 2021. Dem Antragsgegner mag zwar
zuzugeben sein, dass eine Arbeitssuche in den an Österreich angrenzenden Bundesländern erfolgsversprechender erscheint als
im Landkreis Mansfeld-Südharz, allerdings führt dies nicht zwangsläufig dazu, dem Antragsteller die Einreise zum Zwecke der
Arbeitssuche abzusprechen und im Gegenzug die Einreise allein zum Zwecke der Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen anzunehmen.
Der Antragsteller hätte leichter soziale Leistungen bekommen können, wenn er in Österreich Arbeitslosengeld bezogen hätte.
Der Senat folgt auch nicht der Auffassung des LSG NRW in seiner Entscheidung vom 22. Juni 2010 zum Aktenzeichen L 1 AS 36/08, nach welchem die Ausschlussregelung aus dem Schlussprotokoll des DÖFA mit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gleichgestellt werden müsse, da beide Ausschlussregelungen auf die gleiche Personengruppe abziele. Der Leistungsausschluss
des SGB II bei Einreise zum Zwecke der Arbeitssuche sei dementsprechend rechtmäßig und müsse auch dann Anwendung finden, wenn man die
Anwendbarkeit des DÖFA auch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II bejahe. Einer solchen Gleichstellung der beiden Ausschlussgründe widerspricht jedoch der eindeutige unterschiedliche Wortlaut
der Ausschlussgründe sowie die verschiedenen Intentionen der Einreise. Dementsprechend sieht auch § 23 Abs. 3 SGB XII eine Unterscheidung der zwei verschiedenen Sachverhalte in Nr. 2 (Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche) und 3 (Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen) vor.
b) Es besteht auch ein Anordnungsgrund, da der Antragsteller zur Existenzsicherung auf die Leistungen angewiesen ist. Insofern
hat er gleichfalls eidesstattlich versichert, mittellos und auf die Leistungen angewiesen zu sein. Er hat glaubhaft gemacht,
dass ihm durch die Versagung der Leistungen zur Grundsicherung massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz
mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse drohen. Er verfügt nicht über genügend Einkommen, um seine Existenz
eigenständig zu sichern. Dies erfüllt auch die erhöhten Anforderungen bei einer einstweiligen Anordnung im Zugunstenverfahren
nach § 44 SGB X.
Bei der Bemessung der vorläufigen Leistungen für den Anspruchszeitraum ist der Senat von dem monatlichen Regelbedarf des Antragstellers
in Höhe von 446,00 Euro ausgegangen. Hinzu kommt der Bedarf wegen der Kosten der Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 SGB II. Hier hat der Antragsteller eidesstattlich versichert, einen Unterkunftskostenbeitrag in Höhe von 100,00 Euro an seine Bekannte
zu zahlen.
Der Antragsteller hat danach einen rechnerischen Anspruch in Höhe von je 546,00 Euro monatlich. Wegen der erst am 11. Juni
2021 begehrten einstweiligen Anordnung sind die Leistungen für den Monat Juni 2021 anteilig (20/30, vgl. § 41 Abs. 1 SGB II) berechnet.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
5. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Mit dem hiesigen Beschluss wird dem Antragsteller
ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner zuerkannt. Deshalb und weil diese Kostenentscheidung nicht durch ein
Rechtsmittel anfechtbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. August 2015 – 1 BvR 3474/13, juris) besteht nunmehr kein Bedürfnis mehr, gemäß §
73a SGG i.V.m. §§
114 ff.
ZPO für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren.
6. Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).