Vorläufige Darlehensgewährung zur Befriedigung von Mietrückständen
Summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage
Sicherung der Unterkunft
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren über die Übernahme
der Kosten der Unterkunft und Heizung (Mietschulden und laufende Kosten).
Die Antragstellerin zu 1) bewohnt mit ihren 1999 (Antragsteller zu 2) und im Februar 2015 (Antragstellerin zu 3) geborenen
Kindern seit Mitte 2013 eine Wohnung im E______ S____weg __, 2. OG rechts in U_______, für die eine Nettokaltmiete von 440,00
EUR, Nebenkosten von 100,00 EUR und Heizkosten von 100,00 EUR zu entrichten sind. Sie hat nach dem Elterngeldbescheid vom
22. April 2015 im Jahr vor der Geburt der Antragstellerin zu 3) aus eigener Erwerbstätigkeit als Pflegehelferin ein Bruttoeinkommen
in Höhe von knapp 1400,00 EUR monatlich erzielt.
Die Antragstellerin zu 1) ist verheiratet. Der Ehemann hat sich Anfang des Jahres 2015 von ihr getrennt und ist im März 2015
ausgezogen. Inzwischen besteht kein Kontakt mehr zu dem Ehemann, Unterhalt wird nicht gezahlt. Die Antragstellerin zu 1) erhält
Kindergeld für die beiden Kinder, Elterngeld in Höhe von 651,29 EUR monatlich und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 133,00 EUR monatlich (Bescheid vom 14. Juli 2015).
Einen von der Antragstellerin zu 1) am 11. Juni 2015 gestellten Leistungsantrag beim Antragsgegner hat sie nicht fortgeführt
bzw. am Tag der Antragstellung eine Verzichtsverklärung unterzeichnet. Nach ihren Angaben im Beschwerdeverfahren habe sie
damals verstanden, dass sie bei Antragstellung die Einkommensunterlagen von ihrem Ehemann vorlegen müsse, was ihr nicht möglich
gewesen sei.
Für April und Juni bis August 2015 hat die Antragstellerin zu 1) die Miete nicht mehr gezahlt. Die Septembermiete ist unter
dem Datum 16. September 2015 angewiesen worden. Die Wohnung ist inzwischen fristlos gekündigt worden und zwar sowohl wegen
der Mitrückstände als auch wegen der nicht gezahlten Kaution. Die Räumungsklage der Vermieter ist am 20. Juli 2015 beim Amtsgericht
Elmshorn eingegangen. Das Amtsgericht hat der Stadt Uetersen als dem möglicherweise zuständigen Träger der Sozialhilfe mitgeteilt,
dass die Klage ausschließlich auf Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 1, Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 i.V.m. §
569 Abs.
3 BGB gestützt sei und Mietrückstände in Höhe von 1.920,00 EUR geltend gemacht würden. Dieses Schreiben ist dem Antragsgegner am
14. August 2015 zugegangen.
Am 10. August 2015 hat die Antragstellerin zu 1) erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gestellt und die Übernahme der Mietschulden beantragt. Sie hat persönlich erklärt, dass sie in den letzten drei Monaten
ausschließlich vom Elterngeld und Kindergeld gelebt habe und daher die Miete nicht habe zahlen können. Die mit Schreiben des
Antragsgegners vom 10. August 2015 angeforderten Unterlagen (u.a. letzte Betriebskostenabrechnung, Vermieterbescheinigung,
letzter Steuerbescheid, Unterhaltstitel) hat sie zunächst nicht vollständig einreichen können. Der Antragsgegner hat mit Schreiben
vom 20. August 2015 weitere bzw. die noch fehlenden Unterlagen angefordert (u.a. geänderter Personalausweis, Krankenkassenkarte,
Kindergeldbescheid).
Am 21. August 2015 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Itzehoe einen Eilantrag erhoben, der auf die Übernahme der Mietschulden in Höhe von 1.920,00 EUR und der noch nicht gezahlten
Mietkaution als Darlehen in Höhe von 1.320,00 EUR (insgesamt 3.240,00 EUR) gerichtet war. Außerdem ist ein Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe gestellt worden. Der Antragsgegner hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 21. August 2015 eingelassen.
Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 31. August weitere Unterlagen vorgelegt, u.a. den Schriftverkehr wegen der Vermieterbescheinigung
und einen Schriftsatz des Vermieterbevollmächtigten Rechtsanwalt H_______, wonach die gewünschten Bescheinigungen nicht vorgelegt
werden könnten, da die Vermieter bis Anfang September 2015 in der Türkei im Jahresurlaub wären und im Übrigen die Fristsetzungen
zurückzuweisen seien.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 31. August 2015 den Antrag im Eilverfahren und die Gewährung von Prozesskostenhilfe
abgelehnt. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen darauf berufen, dass kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe, da die Antragsteller
ihr Rechtsschutzinteresse einfacher und kostengünstiger durchsetzen könnten indem sie Leistungen beantragten und die dafür
erforderlichen Angaben machten bzw. die erforderlichen Unterlagen vorlegten. Dies sei jedoch bisher nicht geschehen.
Die Antragsteller haben dagegen beim Sozialgericht Itzehoe am 3. September 2015 Beschwerde eingelegt und - unter Vorlage entsprechender
Unterlagen - vorgetragen, dass es ihnen trotz der entsprechenden Bemühungen bisher nicht möglich gewesen sei, bestimmte Unterlagen
vorzulegen. Die Situation sei dringlich, die Antragstellerin zu 1) habe wegen der Kontopfändung auch nicht die Miete für August
und September überweisen können, weshalb auch diese Mietzahlung übernommen werden müsse, um die Räumung abzuwenden. Seit dem
28. August lägen dem Antragsgegner alle erforderlichen Unterlagen vor. Mit Schriftsatz vom 14. September hat die Antragstellerin
auch die Vermieter/Eigentümerbescheinigung eingereicht. Mit weiteren Schriftsätzen sind die Bemühungen über Unterhaltszahlungen
und Kontoauszüge dargelegt worden. Schließlich ist in Korrektur zu den vorherigen Angaben vorgetragen und durch Kontoauszüge
belegt worden, dass die Miete für September 1015 angewiesen ist.
Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Itzehoe vom 31. August 2015 im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, vorläufig die ihr zustehenden ergänzenden Leistungen nach dem SGB II in voller Höhe zu bewilligen sowie die Mietschulden in Höhe von 3.240,00 EUR als Darlehen zu übernehmen sowie darüber hinaus
die Miete in Höhe von 640,00 EUR für die Monate August und September 2015 als Zuschuss zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie
den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den eine einstweilige Anordnung ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts hat teilweise
Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist auch statthaft. Insbesondere überschreitet der Wert des Beschwerdegegenstands die Grenze von 750,00 EUR (§§
172 Abs.
3 Nr.
1,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG).
Die Beschwerde der Antragsteller ist auch begründet. Der Senat sieht die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung im tenorierten Umfang zur Abwendung drohender Wohnungslosigkeit der Antragstellerin zu 1) und ihrer noch sehr jungen
Kinder und als erfüllt an.
Gemäß §
86 b Abs.
2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige
Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist grundsätzlich
zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch,
also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Dabei kann der materielle Anspruch vom Gericht aufgrund
einer lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage festgestellt werden, sofern das Gericht nicht wegen zu erwartender
schwerer oder unzumutbarer Nachteile im Hinblick auf Grundrechte der Betroffenen, vor die sich die Gerichte schützend und
fördernd stellen müssen, entweder zu einer vollintensivierten Prüfung oder zu einer Folgenabwägung gehalten ist, in die die
grundrechtlichen Belange umfassend einzustellen sind (dazu und zu den Anforderungen insbesondere BVerfG, Beschluss vom 6.
Februar 2007 - 1 BvR 3101/06; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Daran gemessen hat der Antrag teilweise Erfolg.
Nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung
der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt
und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden, § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II. Bei den Mietrückständen handelt es sich um Schulden i.S.v. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II. Bei Bestehen von Verbindlichkeiten aus einem Mietvertrag i.S.v. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sind sämtliche Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 22 Abs. 8 SGB II anspruchsberechtigt, unabhängig davon, wer zivilrechtlich für die Schulden haftet. Denn für sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
besteht bei Schulden gegenüber dem Vermieter die Notlage - drohender Verlust der Wohnung - , die die Vorschrift des §
22 Abs.
8 SGG abwenden soll (vgl. Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn 335 und Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2013 - L 19 AS 1501/13 B -, Rn. 15, [...])
Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen vor. Den Antragstellern sind nach den jetzt vorgelegten Berechnungsübersichten
Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II zu erbringen. Die Übernahme der Schulden ist notwendig, um eine Wohnungslosigkeit zu verhindern. Die Vermieter der Antragstellerin
zu 1) haben den Mietvertrag fristlos gekündigt, weil sich die Antragsteller mit der Zahlung mehr als zwei Monatsmieten im
Rückstand befanden. Räumungsklage ist am 20. Juli 2015 erhoben worden. Die Erklärung zur Übernahme der Mietschulden durch
eine öffentliche Stelle ist zur Sicherung der Unterkunft geeignet und gerechtfertigt, da nur so die Unwirksamkeit der Kündigung
nach §
569 Abs.
3 Nr.
2 BGB eintritt. Die Wohnung ist nach gegenwärtiger Betrachtung und in der gegenwärtigen Situation auch hinsichtlich der Kosten
erhaltenswert zumal unaufgeklärt ist, ob der Ehemann der Klägerin nur vorübergehend die Wohnung verlassen hat. Außerdem könnte
der Leistungsbezug der Antragsteller im Hinblick auf die Erwerbstätigkeit der Antragstellerin zu 1) vor der Geburt des Antragstellers
zu 3) auch nur vorübergehend sein. Der Senat weist jedoch vorsorglich darauf hin, dass künftige Anforderungen an eine Kostensenkung
nicht ausgeschlossen sind.
Soweit die Antragstellerin zu 1) auch eine darlehensweise Übernahme der Kautionskosten in Höhe von 1.320,00 EUR geltend macht,
ist bereits nicht glaubhaft gemacht, dass auch insoweit eine Notwendigkeit für eine Übernahmeerklärung iSv § 22 Abs. 8 SGB II besteht. Die Kautionskosten sind bereits bei Vertragsabschluss im Juni 2013 angefallen und fällig gewesen. Die Nichtzahlung
der Kaution kann zwar seit dem Mietrechtsänderungsgesetz vom 11. März 2013 einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen
(§
569 Abs.
2 a BGB) und die Regelung dürfte auch in zeitlicher Hinsicht auf den nach dem 1. Mai 2013 geschlossenen Mietvertrag der Antragstellerin
zu 1) Anwendung finden (vgl. Art 229 §
29 Abs. 2 EG-
BGB). Die Nichtzahlung der Kaution rechtfertigt eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses jedoch nur, wenn sie innerhalb
einer angemessenen Frist im Sinne von §
314 Abs.
3 BGB erfolgt. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass diese Voraussetzung für eine wirksame fristlose Kündigung
trotz des Zeitablaufs von 24 Monaten zwischen der Fälligkeit der Kaution und der Kündigung wegen möglicher Besonderheiten
des Einzelfalls erfüllt sind. Dies wäre jedoch schon deshalb besonders darlegungsbedürftig gewesen, weil in der Rechtsprechung
bereits bei einem Abwarten zehn Monaten von der Kenntnis der Nichtzahlung der Kaution bis zum Ausspruch der Kündigung von
einer Verspätung ausgegangen wird, die nicht mehr als angemessen für eine fristlose Kündigung angesehen wird (vgl. beispielhaft
OLG Koblenz, Beschluss vom 05. Mai 2011 - 2 U 793/10 -, Rn. 8, [...]). Davon scheint auch das Amtsgericht auszugehen, denn in dem Schreiben an die Stadt Uetersen vom 6. August
2015 sind als Mietschulden ausschließlich die rückständigen Mietzahlungen von 1920,00 EUR und die laufende Mietzahlung von
640,00 EUR erwähnt worden. Zusätzlich erfolgt der Hinweis, dass die Klage ausschließlich auf Kündigung des Mietverhältnisses
wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 1, Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 i.V.m. §
569 Abs.
3 BGB gestützt sei. Danach liegt ein wichtiger Grund für eine Kündigung vor, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine
mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder in einem Zeitraum, der sich
über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für
zwei Monate erreicht. Nicht erwähnt ist im Schreiben des Amtsgerichts hingegen der Kündigungsgrund nach §
569 Abs.
2 a BGB oder die Höhe der Kautionsforderung. Es kann daher offen bleiben, ob Kautionskosten für die Wohnungsbeschaffung für einen
Zeitraum vor dem Leistungsbezug überhaupt zu den übernahmefähigen Mietschulden iSv § 22 Abs. 8, 9 SGB II gehören.
Die ausstehende Mietzahlung, die nach dem mehrfach zuletzt im Beschwerdeverfahren geänderten Vortrag anders als für den Monat
September für den Monat August 2015 noch nicht gezahlt wurde, ist in die Erklärung nach §
569 Abs.
3 Nr.
2 BGB einzubeziehen und zwar unter Anrechnung auf den absehbaren Leistungsanspruch. Das bedeutet, dass sich der nach den Berechnungsübersichten
absehbare Leistungsanspruch der Antragsteller um 640,00 EUR mindert.
Die sich am Grundsatz der Einheitlichkeit orientierende Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG analog und berücksichtigt, dass die Beschwerde nur teilweise erfolgreich war und hinsichtlich der getätigten Mietzahlungen
ein Anspruch erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemacht worden ist. Für das Beschwerdeverfahren ist Prozesskostenhilfe
zu bewilligen, die notwendigen wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen liegen vor (§
73 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 ZPO). Für das erstinstanzliche Verfahren lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife die Erfolgsaussichten des Eilantrages
nicht vor, da auch nach Vortrag der Antragsteller erst am 28. August 2015 dem Antragsgegner die erforderlichen Unterlagen
vorgelegen haben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).