Gründe
I.
Streitig ist die Feststellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen Erstattungsbescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides
und in diesem Kontext die Frist für die Erhebung des Widerspruchs.
Der Antragsgegner nimmt seit dem 15. Januar 2018 am elektronischen Rechtsverkehr mittels elektronischem Gerichts- und Verwaltungspostfach
(EGVP) teil, die Behördenadresse ist in dem EGVP-Verzeichnis gelistet. Eine Möglichkeit zum Empfang von E-Mails mit elektronischer
Signatur (De-Mail) besteht nicht.
Mit Bescheiden vom 21. Oktober 2020 bei endgültiger Festsetzung forderte der Antragsgegner von den Antragstellern die Erstattung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 1.878.27 €. Der Bescheid enthält als Briefkopf die
Behördenbezeichnung und neben der Durchwahl und Telefaxnummer des Antragsgegners eine E-Mail-Adresse (Jobcenter-Kiel.team210@jobcenter-ge.de).
Dem Bescheid ist die folgende Rechtsmittelbelehrung angefügt:
"Gegen diesen Bescheid kann jeder Betroffene oder ein von ihm bevollmächtigter Dritter innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe
Widerspruch erheben. Für minderjährige oder nicht geschäftsfähige Personen handelt deren gesetzlicher Vertreter. Der Widerspruch
ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle einzulegen.
Soweit der Widerspruch durch eine/n Bevollmächtigte Rechtsanwältin/Rechtsanwalt eingelegt wird, kann diese/r zur wirksamen
Ersetzung der Schriftform den Widerspruch als elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur
versehen ist, auch über das besondere Anwaltspostfach (beA), übermitteln."
Am 28. Dezember 2020 erhob die anwaltliche Bevollmächtigte der Antragsteller Widerspruch gegen die Bescheide vom 21. Oktober
2020. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2021 wies der Antragsgegner den Widerspruch wegen Verfristung als unzulässig
zurück. Die dagegen am 22. Februar 2021 erhobene Klage ist beim Sozialgericht Kiel unter dem Aktenzeichen S 31 AS 47/21 anhängig.
Auf einen entsprechenden Eilantrag hat das Sozialgericht Kiel mit Beschluss vom 22. April 2021 festgestellt, dass die am 22.
Februar 2021 erhobene Klage gegen die Erstattungsbescheide vom 21. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20. Januar 2021 aufschiebende Wirkung hat. Der Widerspruch sei zwar nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Bescheide
erhoben worden. Die Rechtsbehelfsbelehrung in den Bescheiden des Antragstellers sei jedoch unvollständig, da nicht vollständig
und zutreffend über die Möglichkeit, den Rechtsbehelf elektronisch einzulegen, belehrt worden sei. Aufgrund dieser Unrichtigkeit
sei der nach §
66 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) binnen Jahresfrist erhobene Widerspruch fristgerecht eingelegt worden.
Dagegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 26. April 2021 erhobenen Beschwerde. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts
gelte vorliegend nicht die Jahresfrist. Dies habe zur Folge, dass die Widersprüche hier nicht fristgerecht erhoben worden
seien. Die Rechtsbehelfsbelehrung habe zutreffend und vollständig informiert. Sie entspreche §
36 a Abs.
1 SGB I, denn aktuell könne ein Widerspruch zur wirksamen Ersetzung der Schriftform als elektronisches Dokument mit qualifizierte
elektronische Signatur nur über das besondere Anwaltspostfach (beA) an den Antragsgegner übermittelt werden. Das Jobcenter
Kiel verfüge über keine De-Mailadresse oder Ähnliches, sodass diesbezüglich auch nicht zu belehren gewesen sei. Es sei auch
nicht darüber zu belehren, dass ein lediglich mit einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur übermittelter
Widerspruch nicht dem Schriftformerfordernis entspreche. Im Gegenteil wäre ein allgemeiner Hinweis auf die Möglichkeit, den
Widerspruch in elektronischer Form nach §
36 a SGB I erheben zu können -ohne Konkretisierung- aktuell irreführend gewesen. Schließlich dürfte eine Rechtsmittelbelehrung auch
nicht überfrachtet werden.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts vom 22. April 2021 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Begründung beziehen sie sich auf die erstinstanzliche Entscheidung. Es liege sowohl eine konkludente Widmung mit der elektronischen
Kommunikation über das EGVP vor als auch eine ausdrückliche Eröffnung für die spezielle Benutzergruppe der Anwaltschaft. Eine
Beschränkung auf eine bestimmte Benutzergruppe sei jedoch nicht möglich.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass die am 22. Februar 2021 zum
Aktenzeichen S 31 AS 47/21 erhobene Klage gegen die Erstattungsbescheide vom 21. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2021
aufschiebende Wirkung hat. Nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen
auf die zutreffende Begründung des erstinstanzlichen Beschlusses Bezug (§
142 Abs.
2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Auch das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Widerspruch ist zwar außerhalb der Monatsfrist erhoben
worden, er ist jedoch nicht verspätet, weil aufgrund einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs
innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist (§
66 Abs.
2 Satz 1
SGG).
Die Rechtsmittelbelehrung des Antragsgegners ist unzutreffend, da er nicht über die Möglichkeit der elektronischen Einreichung
durch die Antragsteller belehrt hat. Der Antragsgegner hat vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass (nur) bevollmächtigte
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Widersprüche durch ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen
Signatur versehen ist, über das besondere Anwaltspostfach übermitteln können. Daraus lässt sich im Umkehrschluss ableiten,
dass ein Widerspruch im Übrigen nur schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle möglich ist.
In diesem Sinne möchte der Antragsgegner auch die Widerspruchsmöglichkeit handhaben, nach seinem Verständnis sollen Widersprüche
durch Naturparteien nicht elektronisch über das EGVP erfolgen (können).
Dies entspricht jedoch nicht der Rechtslage und auch nicht den technischen Möglichkeiten des Antragsgegners. Nach §
36 a Abs.
1 SGB I ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Eröffnen bedeutet
dabei mehr als ein rein technischer Zugang etwa im Rahmen eines Testbetriebes. Eröffnen bedeutet am Maßstab einer digitalen
Zugangsermöglichung die Möglichkeit der Nutzung von digitalen Behördenadressen. Dabei kann offenbleiben, ob die hier vorgenommene
Verwendung einer E-Mail Kennung auf dem Briefkopf des Bescheides bereits für die Annahme ausreicht, dass die elektronische
Kommunikation ermöglicht sein soll. Im Kontext mit den besonderen Anforderungen an die elektronische Einlegung eines Widerspruchs,
die in der Rechtsmittelbelehrung auch ausdrücklich erwähnt sind, könnte dies unzureichend sein. Die konkludente Widmung durch
den Antragsgegner besteht jedoch darin, dass der Antragsgegner sich für die Nutzung der digitalen Kommunikation spätestens
mit Aufnahme der Behördenadresse in das Adressverzeichnis des EGVP empfangsbereit gezeigt hat. Dafür ist kein aktives Tun
erforderlich, der Antragsgegner hat seine Listung in einem hierfür vorgesehenen öffentlichen Verzeichnis bewusst hingenommen.
Dass er subjektiv nur mit bestimmten Institutionen und nicht mit Naturparteien kommunizieren wollte, ist unerheblich. Es kommt
auch nicht darauf an, ob er auf der homepage oder in den Merkblättern direkt auf den Zugang hinweist und so nach außen kein
aktiver Wille des Antragsgegners erkennbar ist, wonach Naturparteien Widersprüche mittels EGVP einlegen können (idS jedoch
SG Lübeck, Urteil vom 16. Oktober 2020, S 16 AS 116/19, juris). Die (tatsächliche) Einrichtung eines besonderen elektronischen Behördenpostfachs (beBPo), das sowohl Bürger über
einen EGVP-Client und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte über ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) ohne Weiteres
erreichen können, bewirkt automatisch die Eröffnung des Zugangs über das besondere Behördenpostfach (beBPo), weil dieses im
EGVP-Adressbuch für jeden sichtbar ist (Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., §
36a SGB I (Stand: 03.05.2021), Rn. 29). Auf das entsprechende EGVP-Verzeichnis für Behörden in Schleswig-Holstein wird auch im Internetauftritt
des EGVP in allgemeiner Form hinwiesen.
Dem Antragsgegner ist es verwehrt, den Zugang für die elektronische Kommunikation auf einen bestimmten Kreis potentieller
Absender zu beschränken. Auch wenn der Antragsgegner zunächst nur mit den Gerichten und dann mit der Anwaltschaft kommunizieren
wollte, war nach §
36 a Abs.
1 SGB I mit der Aufnahme des EGVP der generelle Zugang elektronisch eröffnet (idS auch SG Berlin, Urteil vom 8. Dezember 2020, S
179 AS 10734/19). Im Übrigen entspricht der Antragsgegner damit auch seiner Verpflichtung aus § 52 b Abs. 1 Landesverwaltungsgesetz (LVwG SH), wonach seit dem 1. Januar 2018 jede Behörde in Schleswig-Holstein einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente
eröffnet (ausführlich hierzu bereits die Entscheidung des erkennenden Senats, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - L 6 AS 202/18 B ER -, Rn. 21, juris).
Auch wenn es für Privatpersonen wenig praktikabel sein mag, besteht auch für diese die Möglichkeit, eine elektronische Signaturkarte
bei der Bundesnotarkammer zu erwerben und den EGVP mit dem Antragsgegner rechtswirksam zu nutzen. Es ist nicht erkennbar,
dass ein von einer Naturpartei formgemäß über das EGVP mit einer eigenen digitalen Signatur erhobener Widerspruch von dem
Antragsgegner wegen Verletzung von Formvorschriften als unzulässig verworfen werden könnte. Daraus ergibt sich, dass auch
über eine solche Möglichkeit in der Rechtsbehelfsbelehrung zumindest in allgemeiner Form unterrichtet werden muss.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG)