Tatbestand:
Die Klägerin begehrt (noch) die Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2010, mit dem die Beklagte die Zahlung von Krankengeld
ab dem 1. Mai 2010 ablehnte.
Die 1955 geborene Klägerin war vom 1. Januar 2002 bis 30. April 2009 bei der Beklagten pflichtversichert; vom 1. Mai 2009
bis 19. November 2010 bestand ein freiwilliges Krankenversicherungsverhältnis. Seit dem 20. November 2010 ist sie bei der
Beklagten in der Krankenversicherung der Arbeitslosen pflichtversichert.
Sie war bei der gGmbH versicherungspflichtig beschäftigt und bezog vom 14. August 2008 bis 11. Januar 2009 Krankengeld von
der Beklagten. Am 29. Dezember 2008 kündigte die gGmbH das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2009 und stellte die Klägerin
ab 1. Januar 2009 unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeit frei. Im Kündigungsschutzverfahren beim Arbeitsgericht Gera
(Az.: 4 Ca 91/09) schlossen die Beteiligten am 25. Juni 2009 einen Vergleich, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter
Arbeitgeberkündigung zum 30. April 2010 beendet wurde. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist wurde die Klägerin unwiderruflich
unter Fortzahlung der Vergütung von ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Die Arbeitgeberin entrichtete für sie seit dem 1.
Januar 2009 den ermäßigten Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung nach §
243 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V).
Ab dem 8. Februar 2010 bescheinigte Dipl.-Med. V. der Klägerin Arbeitsunfähigkeit. Im April 2010 wandte sich diese an die
Beklagte und beanstandete die Zahlung des ermäßigten Beitragssatzes durch die Arbeitgeberin. Die Beklagte teilte ihr mit Bescheid
vom 15. April 2010 u.a. mit, die Beiträge aus dem Arbeitsentgelt zur Krankenversicherung seien für die Zeit der Freistellung
nach dem ermäßigten Beitragssatz zu erheben, weil ein Anspruch auf Krankengeld faktisch nicht realisiert werden könne. Eine
Zustimmung der Versicherten sei hierzu nicht erforderlich, weil es sich um ein Verwaltungshandeln aufgrund gesetzlicher Vorschriften
handele. Der Anspruch auf Krankengeld ruhe in Anwendung des §
49 Abs.
1 Nr.
6 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) i.V.m. §
7 b Abs.
1a des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV) soweit und solange für Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung keine Arbeitsleistung geschuldet werde.
Den Antrag auf Zahlung von Krankengeld ab 1. Mai 2010 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Mai 2010 ab.
Am 17. August 2010 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Ablehnung der Zahlung von Krankengeld ab dem 1. Mai 2010. Mit
Bescheid vom 15. September 2010 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Bescheids vom 15. April 2010 ab. Erst aufgrund der
geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG), Urteile vom 24. September 2008 - Az.: B 12 KR 22/07 R, B 12 KR 27/07 R) ende die Versicherungspflicht Beschäftigter bei Freistellung mit dem Ende des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses.
Hinsichtlich der Anwendung des ermäßigten Beitragssatzes ab 1. Januar 2009 verbleibe es bei der Entscheidung vom 15. April
2010. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2010 wies sie den Widerspruch zurück und führte ergänzend aus, nach § 3 der
Richtlinien über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit bestehe keine Arbeitsunfähigkeit, wenn andere Gründe als eine Krankheit
des Versicherten Ursache für eine Arbeitsverhinderung sei. Grund für ihre Arbeitsverhinderung sei bereits, dass sie seit dem
1. Januar 2009 von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt wurde. Folglich habe sie bei einer Attestierung von Arbeitsunfähigkeit
auch keinen Anspruch auf Krankengeld. Für Mitglieder, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben, gelte ein ermäßigter Beitragssatz.
Soweit die Klägerin auch eine Überprüfung des Bescheides vom 7. Mai 2010 beantragt habe, sei auch diesbezüglich eine Rechtswidrigkeit
der getroffenen Entscheidung nicht zu erkennen. Anspruch auf Krankengeld ab dem 1. Mai 2010 bestehe schon deshalb nicht, weil
sie seitdem freiwilliges Mitglied der Beklagten sei.
Mit Urteil vom 25. November 2011 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 15. April 2010 und 7. Mai 2010 sowie des Bescheides vom 15. September 2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2010 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Mai bis 19. November
2010 Krankengeld nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren und Kosten wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung in
Höhe von 150 EUR zu zahlen.
Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, solange von mehreren Beteiligten ein Präzedenzfallurteil zur Klärung einer
schwierigen Rechtsfrage erwartet werde, liege grundsätzlich kein Rechtsmissbrauch vor. Das Pflichtversicherungsverhältnis
habe nicht nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V fortbestanden, weil der Krankengeldanspruch in dem Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 30. April 2010 nach §
49 Abs.
1 Nr.
6 SGB V geruht habe. Ein Rechtsmissbrauch sei ihr nicht vorzuwerfen, wenn sie Besprechungsergebnisse des GKV-Spitzenverbandes umsetze.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 25. November 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. In der mündlichen Sitzung am 27. Januar
2015 hat die Klägerin die Klage gegen den Bescheid vom 15. April 2010 zurückgenommen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Der Bescheid vom 15. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2010 ist, soweit die Beklagte
eine Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2010 abgelehnt hat, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie
hat Anspruch darauf, dass die Beklagte ihn aufhebt und ihr ab 1. Mai bis 19. November 2010 Krankengeld zahlt.
Nach § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder
Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Mit Bescheid vom 7. Mai 2010 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld ab dem 1. Mai 2010 ab. Dieser Bescheid wurde
mangels Widerspruchs nach §
77 SGG in der Sache bindend. Die Beklagte ist zu seiner Zurücknahme verpflichtet, weil sie das Recht unrichtig angewandt hat. Der
Bescheid vom 15. September 2010 ist zu Gunsten der Klägerin dahingehend auszulegen, dass die Beklagte neben der Aufhebung
des Bescheides vom 15. April 2010 auch eine Aufhebung des Bescheids vom 7. Mai 2010 ablehnte; einen Anspruch der Klägerin
auf Krankengeld verneinte sie dort. Der Bescheid vom 7. Mai 2010 war auch Gegenstand des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember
2010.
Nach §
44 Abs.
1 Alt. 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach §
49 Abs.
1 Nr.
1 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange Versicherte beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen
erhalten; dies gilt nicht für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt. Nach §
49 Abs.
1 Nr.
6 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung (§
7 Abs.
1 a des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV)) eine Arbeitsleistung nicht geschuldet wird.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 8. Februar 2010 während des
noch bis zum 30. April 2010 bestehenden Arbeitsverhältnisses, in dem sie unwiderruflich gegen Zahlung von Arbeitsentgelt von
der Arbeit freigestellt war, keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld hatte, das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis
während der Freistellung von der Arbeitsleistung gegen Zahlung von Arbeitsentgelt seit dem 1. Januar 2009 fortbestand und
sie nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V bei der Beklagten pflichtversichert war (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24. September 2008 - Az.: B 12 KR 22/07 R, nach juris).
Ein Anspruch auf Krankengeld ist dem Grunde nach aufgrund dieses Pflichtversicherungsverhältnisses ab dem 8. Februar 2010
entstanden.
Soweit die Beklagte ausführt, es fehle nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit
und die Maßnahmen zur stufenweise Wiedereingliederung nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
7 SGB V (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie) bereits an einer Arbeitsunfähigkeit der Klägerin, ist dieser Argumentation nicht zu folgen.
Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie dient ersichtlich nicht dem Zweck, die Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld vom Ruhen
des Anspruchs auf Krankengeld abzugrenzen. Vielmehr hat sie nach § 1 Abs. 2 der Präambel zum Ziel, ein qualitativ hochwertiges
bundesweit standardisiertes Verfahren für die Praxis zu etablieren, das den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen
Vertragsärztin oder Vertragsarzt, Krankenkasse und Medizinischem Dienst verbessert. Der Grund hierfür ergibt sich aus § 1
Abs. 1 der Präambel, wonach die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und die Bescheinigung über ihre voraussichtliche Dauer
besonderer Sorgfalt bedürfen. Ebenso bietet §
44 Abs.
2 Nr.
3 SGB V, wonach Versicherte nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld haben, die bei Arbeitsunfähigkeit nicht mindestens sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung
des Arbeitsentgelts aufgrund des
Entgeltfortzahlungsgesetzes, eines Tarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung oder anderer vertraglicher Zusagen haben, kein Argument für die Verneinung
der Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld. Die Klägerin hatte während der Freistellungsphase Anspruch auf Fortzahlung des
Arbeitsentgelts. Es handelt sich um einen weitergehenden Anspruch als den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach
dem
Entgeltfortzahlungsgesetz. Schließlich geht der Gesetzgeber selbst davon aus, dass während der Freistellungsphase ein Anspruch auf Krankengeld entsteht,
ansonsten hätte es der Regelung in §
49 Abs.
1 Nr.
6 SGB V nicht bedurft. Geregelt ist dort das Ruhen des Krankengeldanspruchs für den Fall, das während der Freistellung Arbeitsentgelt
aus einem Wertguthaben nach §
7 b SGB IV fällig ist. Ein Ruhen setzt aber voraus, dass der Anspruch zunächst entstanden ist. Nichts anderes gilt für den Fall der
Freistellung von der Arbeit gegen Arbeitsentgelt. Der Anspruch auf Krankengeld ruht in diesem Fall jedoch bereits nach §
49 Abs.
1 Nr.
1 SGB V. Einen Ausschluss der gegen Arbeitsentgelt freigestellten Arbeitnehmer aus der Krankengeldversicherung ordnet der Gesetzgeber
in §
44 Abs.
2 SGB V - möglicherweise systemwidrig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25. August 2004 - Az.: B 12 KR 22/02 R, nach juris) - im Übrigen nicht an.
Im Falle des Ruhens des Anspruchs auf Krankengeld bleibt das Stammrecht erhalten, der Anspruch darf nur nicht erfüllt und
Krankengeld nicht ausgezahlt werden.
Ab dem 1. Mai 2010 ist der Ruhensgrund nach §
49 Abs.
1 Nr.
1 SGB V weggefallen, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 30. April 2010 beendet war und sie ab dem 1. Mai 2010 keinen Anspruch
mehr auf Zahlung von laufenden Arbeitsentgelt hatte. Arbeitsunfähigkeit lag nach den vertragsärztlichen Bescheinigungen des
Dipl.-Med. V. auch in dem Zeitraum vom 1. Mai bis 19. November 2010 vor. Gründe für einen Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld
nach §
46 Satz 1 Nr.
2 SGB V oder ein Ruhen des Anspruchs nach §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V sind nicht ersichtlich.
Durch das Wiederaufleben des Anspruchs auf Krankengeld nach Wegfall des Ruhensgrundes bleibt die Pflichtmitgliedschaft der
Klägerin nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V erhalten. Danach bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht. Der
Anspruch auf Zahlung von Krankengeld ist unabhängig davon, ob die Arbeitgeberin während der Freistellung den allgemeinen Beitragssatz
nach §
241 SGB V entrichtet hat.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG.
Die Kostenentscheidung des SG bezüglich der Auferlegung von Missbrauchskosten nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGG war aufzuheben. Nach §
192 Abs.
1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise
die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass (2) der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden
in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit
der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter
oder Bevollmächtigter. Hier lag keine Fallgestaltung vor, in der der Beklagten Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung vorgeworfen
werden kann, weil sie entgegen den Hinweisen der Vorsitzenden an den angefochtenen Bescheiden festgehalten hat. Rechtsmissbräuchlichkeit
in diesem Sinne liegt z.B. dann vor, wenn die Rechtsverfolgung offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist und sie von
jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
192 Rn. 10 m.w.N.). Dies kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil der Bescheid vom 15. April 2010, der Gegenstand des
erstinstanzlichen Verfahrens war, nicht offensichtlich rechtswidrig war. Nach dem Urteil des BSG vom 25. August 2004 (aaO.) sind für Zeiten der Freistellung im Anwendungsbereich des §
7 Abs.
1a SGB IV Beiträge auf der Grundlage des §
243 Abs.
1 Satz 1
SGB V geminderten Beitragssatzes zu bemessen. Dort wird zur Begründung ausgeführt, dass Personen, die während einer Zeit der Freistellung
i.S.v. §
7 Abs.
1 a SGB IV eine Arbeitsleistung weder schulden noch tatsächlich erbringen, in dieser Zeit wegen der Ruhensregelung in §
49 Abs.
1 Nr.
6 SGB V einen realisierbaren Anspruch auf Krankengeld durchgehend und ausnahmslos nicht erwerben. Die Beklagte trifft in ihrem Fall
während der Freistellungsphase kein größeres Leistungsrisiko als bei Versicherten, die von vornherein aus der Krankengeldversicherung
ausgeschlossen sind. Diese Erwägungen gelten hier entsprechend.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.