Krankenversicherung
Liposuktion als Sachleistung
Voraussetzung einer stationären Behandlung
Quantitativ geringere Leistung zur Erreichung des Behandlungszieles
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin eine Liposuktion als Sachleistung zu gewähren hat.
Die 1944 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten am 7. Februar 2011 die Gewährung einer Liposuktion als Naturalleistung
unter Beifügung ärztlicher Unterlagen, u.a. eines Ambulanzbriefes des Prof. Dr. W. vom 3. Februar 2011 (Diagnose: Zustand
nach Knie-Totalendoprothese (TEP) bei ausgeprägtem Lipödem Stadium III). Die einzig wirksame Therapie sei in diesem Fall die
Liposuktion, die unter stationären Bedingungen durchgeführt werden könne. Die Beklagte holte ein Gutachten des (MDK) Thüringen
e.V. - Dr. Sch. - vom 2. März 2011 ein und lehnte mit Bescheid vom 24. März 2011 die Gewährung einer Liposuktion als Sachleistung
ab. Nach dem Gutachten des MDK gebe es für die Bewertung des Nutzens der Liposuktion keine ausreichenden Belege (z.B. durch
Studien). Es handle sich bislang um keine vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) anerkannte neue vertragsärztliche Behandlungsmethode.
Die in der Regel ambulant durchführbaren Eingriffe verfügten über keine im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche
Leistungen (EBM-Ä) abgebildete eigene Abrechnungsziffer. Deshalb könne die Liposuktion im ambulanten Bereich nicht abgerechnet
werden. Alternativ ergebe sich daraus keine medizinische Notwendigkeit für eine stationäre Erbringung der Leistung. Eine lebensbedrohliche
Situation liege nicht vor. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MDK - Dr. G. - vom 10. Juni
2011 ein. Bei der Liposuktion handle es sich um eine ambulant durchführbare operative Therapie mittels Fettabsaugens. Die
Notwendigkeit einer stationären Durchführung bestehe hier nicht. Es liege keine Empfehlung des G-BA vor. Es seien zunächst
die ambulanten konservativen Maßnahmen konsequent auszuschöpfen. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2011 wies die Beklagte
den Widerspruch zurück.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) verschiedene Befundberichte, u.a. einen Arztbrief des Prof. Dr. W. vom 13. November 2012, mit entsprechenden medizinischen
Anlagen beigezogen und Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser nennt in seinem angiologischen Gutachten
vom 29. Oktober 2013 als Diagnosen ein Lipödem beider Beine vom Ganzbeintyp, Stadium III sowie ein Lipödem beider Oberarme,
Stadium I. Als alleinige ursachenbezogene Therapiemöglichkeit könne die Reduktion des überschüssigen Fettgewebes auf operativem
Wege (sogenannte Liposuktion) genannt werden. Es handle sich bei dem Lipödem sicherlich nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung,
sodass gemäß der Richtlinien nach §
92 Abs.
1 und Abs.
2 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) ein entsprechender operativer Eingriff nicht zwingend erforderlich sei. Dennoch sei die Aussage gerechtfertigt, dass die
Durchführung einer Liposuktion bei Berücksichtigung aktueller Standards mit hoher Wahrscheinlichkeit eine nachhaltige Besserung
oder gar Beschwerdefreiheit der Erkrankungsfolgen mit sich bringe. Primär sei eine Operation unter klinischen Bedingungen
zu empfehlen, weil damit zu rechnen sei, dass die zu entfernende Fettgewebsmenge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mehr
als vier Liter pro Bein betreffen werde. Grundsätzlich könnte die Therapie zur Entfernung des notwendigen Volumens in mehreren
Sitzungen ambulant erfolgen, obwohl dies den erwünschten Therapieerfolg nachteilig beeinflussen würde und ein höherer Kostenaufwand
anzunehmen wäre.
Mit Gerichtsbescheid vom 16. Juni 2014 hat das SG die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren trägt die Klägerin vor, sie habe Anspruch auf die begehrte Leistung. Andere Behandlungsmethoden seien
nicht ersichtlich.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 16. Juni 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Liposuktion
als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Liposuktion entspreche nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse. Sie entspreche auch nicht
dem Maßstab der evidenzbasierten Medizin. Ausweislich des Gutachtens der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 (SEG 7) des
MDK "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011 habe es zum Zeitpunkt
der Datenerhebung im Mai 2011 keine Studien gegeben, die einen langfristigen Nutzen der Liposuktion belegten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 24. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. September 2011 ist rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Liposuktion als Sachleistung.
Ein Anspruch auf eine vollstationäre Durchführung der Liposuktion besteht nicht.
Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§
108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre,
vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Anspruch auf
stationäre Krankenhausbehandlung besteht, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
5 SGB V). Nach §
39 Abs.
1 Satz 1
SGB V wird die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§
115a SGB V) sowie ambulant (§
115b SGB V) erbracht. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§
108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre,
vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.
Es fehlt an einem Nachweis dafür, dass eine vollstationäre Behandlung der Klägerin i.S.d. §§
27,
39 SGB V notwendig ist, weil eine ambulante Behandlung nicht ausreichend ist.
Bei einem Lipödem handelt es sich um eine Krankheit im Sinne des §
27 SGB V. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Definiert wird das Lipödem als schmerzhafte, symmetrische, anlagebedingte
übermäßige Fettgewebsvermehrung der (meist unteren) Extremitäten mit Neigung zu Ödemen hauptsächlich bei Frauen (vgl. https://www.mds-ev.de
Gutachten der SEG 7 Sozialmedizinische Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" vom 15. Januar 2015 Liposuktion bei
Lip- und Lymphödemen Aktualisierung des Primärgutachtens vom 6. Oktober 2011). Bei der Liposuktion handelt es sich um ein
operatives Verfahren, bei dem Teile des Unterhautfettgewebes an bestimmten Stellen mit Hilfe von Kanülen abgesaugt werden.
Sie wird nach Infiltration des Gewebes mit Flüssigkeit durchgeführt und als schonendes operatives Verfahren dargestellt.
Eine Liposuktion kann grundsätzlich sowohl ambulant als auch stationär erfolgen und wird auch tatsächlich in beiden Varianten
erbracht. Insoweit ist der Arztbrief des Prof. Dr. W. vom 13. November 2012, wonach eine Liposuktion ambulant nicht möglich
sei, nicht nachvollziehbar. Soweit Voraussetzung einer stationären Behandlung deren Notwendigkeit ist, heißt dies auch, dass
nicht stets die bestmögliche Krankenbehandlung geschuldet wird, sondern nur diejenige, die zur Erreichung des angestrebten
Heilbehandlungszieles unentbehrlich ist. Notwendigkeit liegt nicht vor, wenn auch eine qualitativ und/oder quantitativ geringere
Leistung zur Erreichung des Behandlungszieles ausreichend und zweckmäßig ist, was bei Krankenhausbehandlung insbesondere dann
der Fall ist, wenn das Behandlungsziel auch auf ambulantem Wege erreicht werden kann (vgl. Deister, Das Potenzial einer erforderlichen
Behandlungsalternative als zentrale Voraussetzung der Anwendbarkeit von Methoden im Krankenhaus, NZS 2016 Seite 328, 337 m.w.N.). Nach der S1- Leitlinie Lipödem (AWMF Registernummer 037-012, aktueller Stand: 10/2015) sollte die Liposuktion in
örtlicher Betäubung mittels TumeszenzLokalanästhesie in Form der "wet technique" mit stumpfen Mikrosonden durchgeführt werden.
Dabei können unterstützende Techniken wie Vibration oder Wasserstrahl eingesetzt werden. Der Eingriff kann ambulant oder stationär
erfolgen. Die Indikation muss - unter Berücksichtigung von Patientenfaktoren - jeweils individuell gestellt werden. Insoweit
stimmt der Senat den Gutachten des MDK vom 2. März und 21. Juni 2011 zu, dass eine stationäre Behandlung bei der Liposuktion
grundsätzlich nicht erforderlich ist.
Eine individuelle medizinische Indikation für eine stationäre Behandlung der Klägerin ist hier nicht ersichtlich. Sie hat
keine vertragsärztliche Verordnung stationärer Behandlung vorgelegt. In dem Ambulanzbrief des Prof. Dr. W. vom 3. Februar
2011 wird lediglich ausgeführt, dass die Liposuktion unter stationären Bedingungen in der Klinik durchgeführt werden kann.
Dass eine stationäre Behandlung notwendig ist, ergibt sich hieraus nicht. Nach dem Gutachten des Dr. K. vom 29. Oktober 2013
sollte im Falle einer Fettgewebsentfernung von mehr als vier bis fünf Liter pro Bein die Maßnahme in jedem Fall unter stationären
Bedingungen erfolgen; sofern es sich um deutlich geringere Volumina handelt, wäre auch eine ambulante Operation denkbar. Primär
empfiehlt er bei der Klägerin eine Operation unter klinischen Bedingungen, erklärt aber bei Beantwortung der Beweisfrage 7.
zugleich, dass die Therapie zur Entfernung des notwendigen Volumens in mehreren Sitzungen ambulant erfolgen kann. Soweit er
ausführt, dies würde jedoch den erwünschten Therapieerfolg eher nachteilig beeinflussen, ist dies mangels weiterer Begründung
nicht nachvollziehbar. Ob hierdurch ein höherer Kostenaufwand entstehen würde, ist für die Frage, ob eine Behandlung stationär
oder ambulant erfolgen muss, nicht relevant. Individuelle Risiken für die Klägerin bei einer oder mehreren ambulanten Operationen
benennt er nicht und sind aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt, begründet
allein die Möglichkeit der stationären Behandlung nicht deren Notwendigkeit. Die Krankenhausbehandlung ist auch nicht bereits
deshalb erforderlich, weil eine bestimmte Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht werden kann,
vertragsärztlich aber mangels positiver Empfehlung des G-BA (noch) nicht zulasten der GKV geleistet werden darf (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - Az.: B 1 KR 11/08 R, nach juris). Für die Frage der Notwendigkeit stationärer Behandlung sind allein medizinische Erfordernisse zu berücksichtigen
(vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2015 - Az.: B 1 KR 2/15 R, nach juris).
Ein Anspruch auf eine ambulante vertragsärztliche Liposuktion scheitert bereits daran, dass der G-BA die neue Behandlungsmethode
der Liposuktion nicht in Richtlinien nach §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V in Verbindung mit §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
5 SGB V positiv empfohlen hat und kein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dies entbehrlich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20. April
2015 - Az.: L 6 KR 1935/12 B unter Hinweis auf BSG, Beschluss vom 10. Mai 2012 - Az.: B 1 KR 78/11 B; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - Az.: B 1 KR 11/08 R, nach juris). Soweit der G-BA am 22. Mai 2014 beschlossen hat, den Antrag der Patientenvertretung nach §
140f SGB V vom 20. März 2014 auf Bewertung der Liposuktion bei Lipödem als ambulante und stationäre Maßnahme anzunehmen, das diesbezügliche
Beratungsverfahren einzuleiten und den Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung der Bewertung zu beauftragen,
liegt hierzu noch kein Ergebnis vor. Einen Anhalt für ein Systemversagen gibt es nicht (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Mai 2012 - Az.: B 1 KR 78/11 B, nach juris). Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder damit vergleichbare Erkrankung (vgl.
BSGE 96, 170) liegt im Übrigen nicht vor.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.