Begrenzung des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt wegen Krankheit im Mangelfall
Tatbestand:
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Der Kläger (K) verlangt die Abänderung eines 1987 geschlossenen Unterhaltsvergleichs.
Die Parteien hatten sich 1973/1974 kennengelernt und am 10.4.1975 geheiratet. Der 1945 geborene Ehemann (EM) lebte als palästinensischer
Asylbewerber in Deutschland und wurde Anfang der 80er Jahre eingebürgert. Die 1940 geborene Ehefrau (EF) hat aus einer ersten
Ehe mit einem Ausländer zwei Kinder, den im Mai 1960 geborenen ... und den im März 1964 geborenen ... . Nach dem Tod des ersten
Mannes (1967) hatte die Beklagte (B) wieder geheiratet. Diese Ehe wurde nach kurzer Zeit geschieden. Der ältere Sohn der B
ist Feinmechaniker, verheiratet und hat ein Kind. Der jüngere Sohn ist unverheiratet. Er betreibt eine Kraftfahrzeugwerkstatt
mit An- und Verkauf.
Bereits bei der Heirat der Parteien war die EF nicht ganz gesund. Sie hatte nur eine funktionsfähige Niere und litt unter
Bluthochdruck. Inzwischen ist sie erwerbsunfähig. Sie leidet aufgrund einer Gehirnblutung unter Sprachstörungen. Das Sozialamt
stellt ihr eine Haushaltshilfe.
Die kinderlos gebliebene Ehe der Parteien wurde auf den am 23.8.1985 zugestellten Scheidungsantrag am 11.9.1986 rechtskräftig
geschieden. Über den nachehelichen Unterhalt schlossen die Parteien den Vergleich vom 20.8.1987.
Darin heißt es:
"2. Der Kläger verpflichtet sich, an die Beklagte ab dem 1.9.1987 einen monatlich im voraus fälligen Unterhalt von DM 720,--
zu zahlen.
3. Der Unterhaltsberechnung liegt ein Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von DM 2.464,-- zugrunde, wovon DM 90,- berufsbedingte
Aufwendungen abgezogen werden. Die Beklagte bezieht zur Zeit eine Rente von DM 656,- monatlich, worin DM 30,-- enthalten sind,
die aufgrund des Versorgungsausgleichs übertragen wurden."
K ist am 7.2.1987 in Jordanien eine neue Ehe mit einer 17jährigen Frau eingegangen. Nach etwa 1 1/2 Jahren holte er sie nach
Deutschland. Aus dieser Ehe stammen die Kinder ..., geb. 9.11.1990, ...geb. 22.8.1992 und ..., geb. 30.12.1993.
Bis einschließlich Februar 1993 hat K 720 DM Unterhalt an B gezahlt. Am 29.1.1993 hat er Abänderungsklage eingereicht, mit
der er den Wegfall seiner Unterhaltspflicht erreichen wollte. Das Familiengericht hat dem EM Prozesskostenhilfe lediglich
für eine Herabsetzung des Vergleichs auf 600 DM monatlich bewilligt. Die Beschwerde des EM hat der Senat durch den in FamRZ
1993, 1453 veröffentlichten Beschluss vom 1.7.1993 zurückgewiesen.
K ist bei der Hamburger ... AG als Busfahrer im Wechseldienst tätig. Ihm ist von seinem Arbeitgeber bescheinigt worden, dass
die Frühdienste morgens zwischen 3 und 6 Uhr beginnen und die Nachtdienste zwischen 0 und 2 Uhr enden (Anl. K 4). Zu den Entfernungen
zwischen seiner Wohnung und den verschiedenen Busbahnhöfen hat K im Schriftsatz vom 30.9.1993 vorgetragen. K fährt zur Arbeit
mit einem PKW. Öffentliche Verkehrsmittel kann er kostenfrei benutzen. B gesteht ihm, weil er nicht immer Früh- oder Spätdienst
hat, für eine gelegentliche Pkw-Benutzung und anteilige Kosten für eine Rechtsschutzversicherung Aufwendungen von 100 DM zu.
Im Verfahren ist unstreitig geworden, dass K nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen im Jahr 1992 ein durchschnittliches
Nettoeinkommen von 3.391,48 DM gehabt hat. Die Erwerbsunfähigkeitsrente der B beträgt per 1.7.1992 netto 541,43 DM. Ergänzend
bezieht sie ein Ruhegeld von der Freien und Hansestadt Hamburg von netto 240 DM. Das ungekürzte Ruhegeld beträgt brutto 511,97
DM. Den Versorgungsausgleichsanteil der Rente hat der Senat in dem Beschluss vom 1.7.1993 auf 36 DM monatlich geschätzt. Dem
ist keine Partei entgegengetreten.
Im Wege einer Klageerweiterung wollte K eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs bis zum 30.9.1993 erreichen. Der Senat hat
dem EM durch Beschluss vom 27.1.1994 auf dessen Beschwerde hin Prozesskostenhilfe für den Antrag bewilligt, den nachehelichen
Unterhalt bis zum 31.7.1995 zu begrenzen, Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
1.) mit Wirkung ab 1.2.1993 den Vergleich des Amtsgerichts Hamburg vom 20.8.1987 dahin abzuändern, dass er lediglich verpflichtet
ist, an die Beklagte einen monatlichen Unterhalt von 600 DM zu zahlen sowie
2.) den nachehelichen Unterhaltsanspruch der Beklagten aus dem vorgenannten Vergleich bis zum 31. Juli 1995 zu begrenzen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Im Termin vom 16.3.1994 haben die Parteien folgenden Teil-Vergleich geschlossen:
1. Mit Wirkung ab 1.3.1993 wird der Vergleich des Amtsgerichts Hamburg -Familiengericht - vom 20.8.1987 (Az. ...), Ziffer
2, dahin abgeändert, dass der Kläger lediglich verpflichtet ist, an die Beklagte einen monatlichen Unterhalt von 600 DM zu
zahlen.
2 . .... (Verrechnungsabrede)".
Durch Urteil vom 15.4.1994 hat das Familiengericht den nachehelichen Unterhaltsanspruch der Beklagten gegen den Kläger bis
zum 31. Juli 1995 begrenzt, Der Beklagten stehe seit dem Zeitpunkt der Scheidung ein Unterhaltsanspruch nach §
1572
BGB zu. Ein Ende ihrer Unterhaltsberechtigung sei nicht abzusehen. Seit längerem sei sie in der körperlichen Beweglichkeit und
im Sprechen stark eingeschränkt. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe sie sich wegen einer erneuten Herzoperation
in Krankenhausbehandlung befunden. Wegen der langen Zeit seit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben sei eine berufliche Wiedereingliederung
der Beklagten kaum zu erwarten. Der Kläger, der selbst in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebe und drei minderjährige
Kinder sowie eine Ehefrau zu versorgen habe, die im Rahmen der Mangelfallberechnung auf etwa 2/3 ihres notwendigen Bedarfs
verwiesen werden, sei daher praktisch lebenslang der Unterhaltsbelastung für seine geschiedene Ehefrau ausgesetzt. Nach Ablauf
eines angemessenen Zeitraums nach der Scheidung gebiete es die Billigkeit, das Krankheitsrisiko der Beklagten von der Allgemeinheit
tragen zu lassen. Nach Abwägung aller Umstände, vor allem der Ehedauer von 10 Jahren, sei der Unterhaltsanspruch auf diese
10 Jahre ab Einleitung des Scheidungsverfahrens zu begrenzen.
Gegen das ihr am 27.4.1994 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.5.1994 Berufung eingelegt und diese am 27.6.1994 begründet.
B wendet sich gegen die Begrenzung ihres Unterhaltsanspruchs. Sie sei zwar so weit wieder hergestellt, dass sie unter Begleitung
ihre Bevollmächtigte zu kurzen Gesprächen aufsuchen könne, eine Besserung ihrer Erwerbsunfähigkeit, die sie sogar auf das
Verhalten des EM während der Ehe zurückführe, sei aber nicht zu erwarten. Lange habe sie sich gescheut, über die Gewalttätigkeiten
und Beleidigungen des EM während der Ehe Auskunft zu geben. Mehrfach sei sie im Frauenhaus gewesen. Wegen Einzelheiten verweise
sie auf die Akten des Scheidungsverfahrens (270 F 163185) und des Unterhaltsverfahrens (270 F 101187). Der EM habe wiederholt
erklärt, sie sei zu alt für ihn; er würde eine 16jährige nehmen, die ihm Söhne gebären könne, sie solle dann nur seine "Zweitfrau"
sein.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und nach ihren Anträgen erster Instanz zu erkennen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Unter Hinweis - auf seinen Anschlussberufungsantrag im Schriftsatz vom 1.3.1995 beantragt er gemäß Anlage zum Protokoll vom
17.3.1995, den am 16.3.1994 geschlossenen Vergleich dahin abzuändern, dass er der Beklagten nur noch einen Unterhalt von monatlich
DM 100,- schuldet.
Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, dass er zusätzlich zu seiner Barunterhaltspflicht erhebliche Betreuungsleistungen erbringen müsse. Da
seine Ehefrau über keine nennenswerten deutschen Sprachkenntnisse verfüge, müsse er Einkäufe, Behördengänge, Arztbesuche allein
erledigen. Der älteste Sohn ... leide unter einer Sprachstörung und müsse einen Sprachheilkindergarten besuchen. Ihm müsse
spätestens ab Januar 1995 der angemessene Selbstbehalt verbleiben. Er verweise in diesem Zusammenhang auf die Miethöhe von
971,87 DM (warm). Im Fall einer Reduzierung seiner Unterhaltspflicht könne die Beklagte Unterstützung durch ihre Söhne erlangen,
die überdurchschnittliche Erwerbseinkünfte hätten.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger in erregtem Zustand darauf verwiesen, dass er seinen schweren Beruf als Busfahrer
nur mit Hilfe von Tabletten durchstehe. Die Beklagte verwende ihr Einkommen in erheblichem Umfang zum Kauf von Alkoholika.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet. Der völlige Wegfall der Unterhaltspflicht des Klägers entspricht
nicht der Billigkeit, wohl aber eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten auf monatlich 200 DM ab 1.8.1995 in
Anwendung des §
1579 Nr. 7
BGB. Die auf eine Abänderung des Teil-Vergleichs vom 16.3.1994 bereits ab 1.1.1995 gerichtete Anschlussberufung des Klägers ist
nicht begründet. Dies hätte nur durch eine Abänderungsklage nach §
323
ZPO erreicht werden können. Umstände, aus denen sich ein anfängliches Fehlen oder ein nachträglicher Wegfall der Vergleichsgrundlage
ergeben könnte, hat der Senat jedoch nicht feststellen können.
1. Durch den Teil-Vergleich vom 16.3.1994 haben die Parteien die Höhe des Unterhaltsanspruchs verbindlich für den Zeitraum
geregelt, für den eine Begrenzung des Anspruchs nach §
1579
BGB nach dem vom Kläger gestellten Klagantrag noch nicht in Betracht kam. Bei einem Prozessvergleich richtet sich die Unterhaltsbemessung
im Abänderungsverfahren nicht nach §
323 1
ZPO, sondern nach den aus §
242
BGB abgeleiteten Grundsätzen über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage (BGHZ-GS- 85, 64, 73 = FamRZ 1983,
22; 1994, 696, 697). Ob eine solche Änderung eingetreten ist, richtet sich nach dem Vergleich zugrundeliegenden Parteiwillen.
Dieser ist der Geltungsgrund des Vergleichs und entscheidet, weiche Verhältnisse zur Grundlage des Vergleichs gehören und
wie die Parteien diese Verhältnisse bewerten (BGH, FamRZ 1986, 790). Wenn die Grundlagen, die zu einer Vereinbarung geführt haben, nicht feststellbar sind oder wenn eine so tiefgreifende Veränderung
der Verhältnisse eingetreten ist, dass dem Parteiwillen keine Maßstäbe für die gebotene Anpassung entnommen werden können,
dann wäre der Unterhalt wie bei einer erstmaligen Festlegung den gesetzlichen Vorschriften entsprechend zu bemessen (BGH,
FamRZ 1994, 696, 698).
Der Teil-Vergleich vom 16.3.1994 nennt keine Vergleichsgrundlage. Da die Parteien sich auf den Betrag geeinigt haben, den
der Senat im PKH-Beschwerdeverfahren als Ergebnis einer Mangelrechnung errechnet hatte, wäre denkbar gewesen, dass die Parteien
den Inhalt dieses Beschlusses zur Vergleichsgrundlage gemacht haben. In dem Senatsbeschluss vom 1.7.1993 war weder das dritte
Kind, das noch nicht geboren war, noch die erhebliche Mietbeiastung, die nicht vorgetragen worden war, zugunsten des Klägers
berücksichtigt worden.
Der Kläger hat aber im Termin vom 17.3.1995 den entsprechenden Vortrag der Beklagtenvertreterin bestätigt, dass beide Umstände
vor Vergleichsschluss bekannt waren. Die Familienrichterin habe - so der Kläger - auf die hohe Miete und das dritte Kind ausdrücklich
hingewiesen. Es liegt insoweit daher auch kein beiderseitiger Irrtum im Sinne des §
779
BGB vor.
Für den Klägervertreter war bei Abschluss des Teil-Vergleichs entscheidend, dass der für den Kläger kaum tragbare Unterhaltsbetrag
von 600 DM nach der Ankündigung der Richterin erster Instanz nur noch knapp eineinhalb Jahr aufgebracht werden müsse. Dass
der Kläger eine entsprechende Erwartung hegte, war für die Beklagtenvertreterin erkennbar. Dennoch lässt sich dem Vergleich
kein Vorbehalt in dem Sinne entnehmen, dass auch ohne Eintritt einer wesentlichen Änderung eine Neuberechnung des Unterhalts
für den Fall möglich sein soll, dass die das Verfahren abschließende Entscheidung ggf. des Rechtsmittelgerichts nicht den
vom Kläger erwarteten Inhalt hat. Da sich seit dem Vergleichsabschluss in den für die Beurteilung von Bedarf und Leistungsfähigkeit
maßgebenden tatsächlichen Verhältnissen nichts geändert hat, ist die Abänderungsklage des Klägers abzuweisen.
2. Der Teilvergleich vom 16.3.1994 steht einer auf der Anwendung des §
1579 Nr. 7
BGB beruhenden Herabsetzung des Unterhalts ab 1.8.1995 nicht entgegen. Die Frage, ob der Unterhaltsanspruch durch die Härteklausel
des §
1579
BGB berührt wird, haben die Parteien bei Vergleichssch!uß ausgeklammert und insoweit eine streitige Entscheidung gewünscht. Greift
die Härteklausel ein, ermöglicht sie nicht nur den völligen Wegfall des Unterhaltsanspruchs, sondern auch eine Begrenzung
der Höhe nach.
Der EF steht ein Anspruch nach §
1572
BGB wegen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit zu. Auch wenn der Vortrag der EF in eine andere Richtung weisen soll, kann nicht
zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass der EM für ihre Krankheit verantwortlich ist und eine lebenslange Unterhaltspflicht
des EM schon deshalb nicht unbillig wäre. Auch im Fall der Parteien ist daher davon auszugehen, dass die Unterhaltsbedürftigkeit
der EF nach §
1572
BGB nicht ehebedingt ist und dem vom Familiengericht herangezogenen Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit (§
1569
BGB) daher besondere Bedeutung zukommen kann. Dass ein Unterhaltsanspruch nach §
1572
BGB keine ehebedingte Bedürfnislage abdeckt, rechtfertigt indessen im Anschluss an das Urteil des BGH vom 9.2.1994 (FamRZ 1994,
566), das der Senat in seinem Beschluss vom 27.1.1994 noch nicht berücksichtigen konnte, allein noch keine Herabsetzung oder
zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs gemäß §
1579 Nr. 7
BGB. Hier greift §
1579
BGB jedoch aus anderen Gründen ein.
Der BGH hat in dem Urteil vom 9.2.1994 ausdrücklich offengelassen, ob in einem Fall, in dem der Unterhaltsanspruch nicht auf
einer ehebedingten Bedürfnislage beruht, im Einzelfall das Ausmaß der Unterhaltsbelastung die Grenze des Zumutbaren übersteigen
und damit die Anwendung des §
1579 Nr. 7
BGB rechtfertigen kann; denn in dem vom BGH entschiedenen Fall verblieb dem Schuldner mehr als der angemessene Selbstbehalt.
Diese Grenze wird im vorliegenden Fall unterschritten. Müsste der EM an die geschiedene EF, die im Verhältnis zur neuen EF
des K keinen Vorrang nach §
1582
BGB genießt, den vereinbarten Unterhalt weiterzahlen, müsste die fünfköpfige Familie über Jahre hinweg unterhalb der Sozialhilfeschwelle
leben. Dies belegt die nachfolgende Berechnung des Soziaihilfebedarfs für die aus dem Kläger, seiner EF und den drei ehelichen
Kindern bestehende Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 11
BSHG.
Der fiktive Sozialhilfebedarf eines Unterhaltsschuldners (und seiner mit ihm in Haushaltsgemeinschaft lebenden Angehörigen)
setzt sich aus den Regelsätzen nach § 22
BSHG, einem Zuschlag zur pauschalen Erfassung einmaliger Hilfeleistungen im Sinne des § 21
BSHG (Hilfen für Kleidung, größeren Hausrat und bei besonderen Anlässen), etwaigen Mehrbedarfszuschlägen nach § 23
BSHG sowie den tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen (vgl. § 3 RegelsatzVO). Die Hamburger Regelsätze (Stand 1.7.1994; vgl. FamRZ 1994, 1310) betragen für den K 520 DM, für seine EF 416 DM und für jedes Kind 260 DM, insgesamt 1.716 DM. Als Zuschlag für einmalige
Leistungen nach § 21
BSHG werden von den Gerichten 20 - 25 % angesetzt (vgl. z.B. OVG Münster, NJW 1988, 2405: 25 %; OLG Köln, FamRZ 1994, 53- OLG Hamburg, NJW 1993, 2187: 20 %; vgl. ferner die in BT-Drucks. 12/6963, S. 8 f. zu §
115
ZPO mitgeteilten statistischen Erhebungen). Bei einem Zuschlag von 20 % ergibt sich ein weiterer fiktiver Sozialhilfebedarf der
Familie von 343,20 DM (1716 x 0,2). Hinzukommen die Kosten für Unterkunft und Heizung von zur Zeit 971,87 DM. Die Soziaihilfeschwelle
per 1.7.1994 liegt daher bei 3.011 DM.
Das Erwerbseinkommen des EM, das für die Unterhaltsbemessung maßgebend ist, liegt 20 DM unter diesem Bedarf. Auszugehen ist
von dem um Steuern und Sozialversicherungsabgaben bereinigten Nettoeinkommen von 3.391,48 DM. Selbst wenn wegen gelegentlicher
Pkw-Benutzung unter Berücksichtigung der seit 1976 nicht mehr angepassten VO zu § 76
BSHG nur 120 DM Werbungskosten nach § 76 Abs. 2 Nr. 4
BSHG berücksichtigt werden, bleibe n nur 3.271,48 DM, von denen noch gemäß § 76 Abs. 2 a
BSHG ein angemessener Freibetrag zur Abgeltung des allgemein mit einer Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwands und als Erwerbsanreiz
abzuziehen ist. Dieser Freibetrag war vor der Einfügung des § 76 Abs. 2 a
BSHG durch das FKPG vom 23.6.1993 als Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 4 a.F. BSHG gewährt worden. Solange der Gesetzgeber die Freibeträge nicht in einer in § 76 Abs. 3
BSHG vorgesehenen Rechtsverordnung festlegt, muss sich die Praxis behelfen und weiter nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge zu § 23 Abs. 4
BSHG verfahren (so auch die Empfehlung des PKH-Gesetzgebers zu §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1
ZPO). Danach ist dem vollberufstätigen K ein Freibetrag in Höhe von 50 % des für ihn maßgebenden Regelsatzes (also 50 % von 520
DM) zu gewähren, so dass sozialhilferechtlich von einem anrechnungsfähigen Einkommen von 3.011 DM auszugehen ist.
Weitere 420 DM erhalten der Kläger und seine Ehefrau als Kindergeld (70 + 130 + 220). Nur durch das Kindergeld gerät K mit
monatlich 400 DM über die Sozialhilfeschwelle. Es erscheint grob unbillig, wenn K bei diesen Verhältnissen den aus seiner
Sicht für eine Übergangszeit vereinbarten Krankheitsunterhalt von 600 DM über den 1.8.1995 hinaus in voller Höhe an B zahlen
müsste. Die Folge wäre, dass er seinerseits sozialhilfebedürftig würde, was nicht mit Art.
1,
20
GG (Menschenwürde;. Sozialstaatsprinzip) zu vereinbaren wäre (vgl. BGH, FamRZ 1993, 1186; BSG, FamRZ 1985, 379, 380).
Auch wenn bei der Billigkeitsabwägung allein auf den geschiedenen EM abgestellt wird und die weiteren Haushaltsangehörigen,
die ungeachtet des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft jeweils einen eigenen sozialhilferechtlichen Anspruch haben (vgl. BVerwG,
NJW 1993, 2884, 2885), außer Betracht bleiben, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der eigene angemessene Bedarf des EM wird erheblich
unterschritten.
Der angemessene Selbstbehalt des erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen wird von der Praxis seit 1.7.1992 mit dem pauschalen
Bedarfssatz von 1.600 DM erfasst. Derartige Richtsätze billigt auch der BGH, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände
eine Abweichung bedingen. Eine abweichende Bemessung ist insbesondere dann veranlasst, wenn die Wohnkosten des Unterhaltspflichtigen
anders liegen als der Betrag, der in dem herangezogenen Richtsatz hierfür veranschlagt ist (BGH, NJW 1984, 1614).
Nur die Unterhaltsrichtlinien der Oberlandesgerichte Frankfurt und Köln und nun auch des OLG Rostock weisen diesen Wohnkostenanteil
offen aus. Der Senat schätzt den in der Selbstbehaltspauschale von 1.600 DM berücksichtigten Wohnkostenanteil in Anlehnung
an die in anderem Zusammenhang als zumutbarer Wohnanteil geläufige Drittelobergrenze (BGH, FamRZ 1989, 1160, 1163) und die genannten Leitlinien auf rund 500 DM für die kalte Miete zuzüglich 15 % für Heizung, insgesamt also auf 575
DM. Dem steht im Fall des K eine warme Miete von 972 DM gegenüber, die er allein aufbringen muss, weil die Familienangehörigen
vom Kindergeld abgesehen kein Einkommen haben. Auch im Rahmen des §
115 Abs.
1 n.F.
ZPO werden in einem solchen Fall die Wohnkosten allein dem Haushaltsvorstand zugerechnet. In den Einkommensteilen, die K für
die weiteren Familienangehörigen rechnerisch zur Verfügung stehen, ist kein Betrag für Wohnen mehr verfügbar, wie die Mangelrechnung
des Senats im Beschluss vom 1.7.1993 deutlich macht.
Für seinen eigenen angemessenen Unterhalt würde K daher unter Berücksichtigung der tatsächlich gezahlten Wohnkosten rund 2.000
DM benötigen. Im Beschluss vom 1.7.1993 hatte der Senat dem K lediglich 1.450 DM als Selbstbehalt belassen und auf dieser
Grundlage für die B einen Betrag von 600 DM errechnet, ohne allerdings dabei das dritte Kind und das für dieses Kind gezahlte
Kindergeld berücksichtigt zu haben. Wenn K weiter an die geschiedene EF 600 DM zahlen müsste, behielte er kaum noch seinen
notwendigen Unterhalt. Eine solche Lage ist für einen geschiedenen EM, der bereits während einer der Ehezeit von 10 Jahren
entsprechenden Zeit nacheheliche Solidarität bewiesen hat, objektiv unzumutbar. Die Umstände dieses Falles wiegen mindestens
ebenso schwer wie diejenigen, die den BGH bereits zur Anwendung der Härteklausel aus objektiven Gründen veranlasst haben (vgl.
BGH, FamRZ 1985, 911; 1986, 798 zum Splittingvorteil und BGH, FamRZ 1991, 1163, 1166 zum ausnahmsweisen Abzug von Tilgungsleistungen auf ein Pachtobjekt).
Bei Abwägung aller Umstände dieses Einzelfalles erscheint es dem Senat gerecht und billig, wenn der Unterhaltsanspruch der
Beklagten von 600 DM auf 200 DM reduziert wird. Dies könnte dazu führen, dass die Beklagte über die Stellung einer Haushaltshilfe
hinaus weitere Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss. Das muss in Kauf genommen werden, wenn die Alternative die wäre, dass
auch auf Seiten des unterhaltspflichtigen Erwerbstätigen Sozialhilfebedürftigkeit eintreten würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
92 1
ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §
708
ZPO. Eine Sicherheitsleistung wegen der Kosten scheidet aus, weil die Kosten gegeneinander aufgehoben worden sind.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil der BGH die Anwendbarkeit des §
1579 Nr. 7
BGB im Mangelfall bisher offengelassen hat.