Umfang der Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit auf eine Witwerrente; Berücksichtigung eines Sanierungsgewinns
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit auf die große Witwerrente des
Klägers für Zeiten ab dem 1.7.2009.
Der im Januar 1955 geborene Kläger betreibt als Selbständiger einen Boot-Service-Handel. Seit dem 17.4.2004 gewährt ihm die
Beklagte große Witwerrente (Bescheid vom 15.7.2004). Mehrere Geschäftspartner erließen ihm 2008 Verbindlichkeiten iHv insgesamt
49 409,36 €. Diesen "Sanierungsgewinn" verbuchte er im Jahresabschluss 2008 als außerordentlichen Ertrag und erzielte darüber
hinaus im selben Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 6803,64 €, insgesamt also 56 213 €. Das Finanzamt S. G. setzte dafür
im Veranlagungsjahr 2008 Steuern iHv insgesamt 9251,42 € fest (Steuerbescheid für 2008 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag
und Kirchensteuer vom 9.6.2009), die es aus Billigkeitsgründen gemäß §
227 AO komplett erließ (Schreiben des Finanzamtes vom 27.5.2009).
Daraufhin hob die Beklagte einen früheren "Rentenbescheid vom 28.05.2008 ... hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem
01.07.2008 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X)" auf. Ab dem 1.7.2009 sei die monatliche Rente von 477,24 € wegen des anzurechnenden Einkommens von 718,92 € nicht zu zahlen
(Bescheid vom 26.6.2009 und Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009). Hierbei stützte sie sich auf die Gewinnermittlung des Klägers
und seines Steuerberaters für das Kalenderjahr 2008. Dem Vortrag des Klägers, der ermittelte Gewinn sei sozialrechtlich nicht
zu berücksichtigen, weil dieser im Wesentlichen auf dem Erlass von Verbindlichkeiten durch Gläubiger beruhe, folgte sie dabei
nicht und teilte in der "Anlage 10" zum Bescheid vom 26.6.2009 ("Ergänzende Begründungen und Hinweise") mit, dem Antrag, die
Sanierungsgewinne nicht als Einkommen zu berücksichtigen, könne nicht entsprochen werden. Eine Rente sei nicht mehr zu zahlen,
weil das anzurechnende Einkommen den monatlichen Rentenanspruch übersteige.
Während des Klageverfahrens vor dem SG hat die Beklagte mit Bescheid vom 20.4.2010 verlautbart, dass ab dem 1.1.2010 die Rente des Klägers nicht mehr mit anzurechnendem
Einkommen zusammentreffe. Ohne auf diesen Bescheid einzugehen, hat das SG den Bescheid vom 26.6.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009 "insoweit aufgehoben, als dass bei der Berechnung
der Witwerrente nur ein Erwerbseinkommen in Höhe von 6.803,64 € zu berücksichtigen ist" (Urteil vom 24.8.2010). Während des
Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 12.11.2012 den monatlichen Zahlbetrag für die Zeit vom 1.7.
bis 31.12.2009 auf 275,63 € festgesetzt und ist dabei auf der Grundlage einer Prognose/Schätzung für das Kalenderjahr 2009
von einem anzurechnenden Einkommen von 219,64 € ausgegangen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, ohne sich
mit den während des Gerichtsverfahrens ergangenen Bescheiden auseinanderzusetzen (Urteil vom 20.2.2013). Für das Sozialversicherungsrecht
sei beitragsrechtlich dasjenige Arbeitseinkommen maßgeblich, wie es im Einkommensteuerrecht bewertet werde. Diese Bewertung
ergebe sich vorliegend zunächst aus dem hier maßgeblichen Steuerbescheid vom 9.6.2009 für das Jahr 2008 und den dort zugrunde
gelegten "Einkünften aus Gewerbebetrieb". Liege aber wie hier eine bestandskräftige Einzelfallentscheidung der Finanzverwaltung
vor, wonach aus Billigkeitsgründen Einkommensteuer auf den Gewinn nicht erhoben werde, so sei diese einkommensteuerrechtliche
Entscheidung auch im Sozialversicherungsrecht im Hinblick auf die Anrechnung nach §
97 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI zu berücksichtigen. Um der in §
15 Abs
1 S 2
SGB IV zum Ausdruck kommenden Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht Rechnung zu tragen, sei der Arbeitseinkommensbegriff
nämlich entsprechend teleologisch zu reduzieren. Hierdurch werde der beklagte Rentenversicherungsträger auch nicht mit Nachprüfungen
im Einzelfall oder gar mit dem Anstellen von steuerrechtlichen Erwägungen belastet, da eine bestandskräftige Entscheidung
der Finanzverwaltung vorliege, wonach aus Billigkeitsgründen von der Erhebung von Einkommensteuer abgesehen werde. Schließlich
werde auch dem Sinn und Zweck einer Witwerrente, der darin bestehe, durch den Tod der Versicherten weggefallene Unterhaltsansprüche
des hinterbliebenen Ehegatten zu ersetzen, Rechnung getragen. Der Sanierungsgewinn stelle einen reinen Buchgewinn dar. Sei
auf einen solchen keine Einkommensteuer zu entrichten, so bringe die Finanzverwaltung damit zum Ausdruck, dass sie vom Nichtvorliegen
steuerpflichtiger Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausgehe. Derartige "Einkünfte" könnten dann nicht dazu herangezogen werden,
im Wege der Einkommensanrechnung den Zahlbetrag einer Witwerrente zu mindern oder sie nicht zur Auszahlung kommen zu lassen,
da hierdurch der Unterhaltsersatzfunktion dieser Rente nicht mehr Rechnung getragen würde.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von §
18a Abs
2a Nr
2 SGB IV. Der Sanierungsgewinn sei anrechenbares Einkommen iS von §
18a Abs
1 SGB IV. Dabei ergebe sich der Begriff des Arbeitseinkommens iS von §
18a Abs
2 SGB IV nur noch aus Abs
2a aaO. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanzen sei ein Rückgriff auf §
15 Abs
1 S 1
SGB IV nicht mehr zulässig, nachdem §
18a Abs
2a SGB IV mit Wirkung vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21.3.2001 (BGBl I 403) eingeführt worden sei.
Bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens nach §
18a Abs
2a SGB IV sei allein auf die steuerrechtliche Beurteilung abzustellen, denn die Vorschrift fordere bei der Beurteilung von Arbeitseinkommen
eine strikte Parallelität zwischen Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Maßgeblich sei der Gewinn aus einem
Gewerbebetrieb. Der Sanierungsgewinn bewirke eine Erhöhung des Betriebsvermögens, die dadurch entstehe, dass Schulden zum
Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Auch der Sanierungsgewinn sei eine steuerpflichtige Einnahme iS
von §
18a Abs
2a SGB IV, da er auch nicht unter die steuerfreien und damit nicht zu berücksichtigenden Einnahmen nach §
3 EStG falle. Er fließe daher in die Gesamtrechnung zur Ermittlung der positiven Summe aus Gewinn und Verlust mit ein und erhöhe
folgerichtig den Gesamtbetrag der Einkünfte. Eine Ausweitung der Regelung des §
18a Abs
1 S 2
SGB IV, wonach steuerfreies Einkommen nach §
3 EStG nicht als Einnahme Berücksichtigung finde, im Wege einer Analogie auf die Fälle, in denen die Finanzverwaltung die Steuerschuld
erlasse, stunde oder minimiere, komme daher nicht in Betracht. Kompensationen im Bereich des Steuerrechts, welche die individuelle
steuerliche Leistungsfähigkeit berücksichtigten, seien auf das Sozialrecht nicht übertragbar. Das gelte insbesondere für die
Voraussetzung der Unternehmensrettung als Grundlage für den Steuererlass. Sachlicher Grund für die Anrechnung eigenen Einkommens
auf die Hinterbliebenenrente sei die Fähigkeit des Hinterbliebenen, sich mittels eigenen Erwerbseinkommens ganz oder teilweise
selbst zu unterhalten, sodass es der Deckung des Unterhaltsbedarfs mittels der Hinterbliebenenrente nicht bedürfe. Bei der
Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei aber bedeutungslos, ob der Gewinn auf Erlass bzw Stundung von Schulden
oder aber auf erfolgreicher wirtschaftlicher Tätigkeit beruhe. Das Argument, der Sanierungsgewinn verbessere als reiner Buchgewinn
die wirtschaftliche Situation des Klägers nicht, sei unzutreffend. Da der Kläger die durch seine Gläubiger erlassenen Verbindlichkeiten
nicht mehr zurückzahlen müsse, stünden ihm im Ergebnis auch höhere Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung.
Dementsprechend habe auch bereits das LSG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 29.8.2012 (L 9 KR 279/10) entschieden, dass ein im Einkommensteuerbescheid als Gewinn aus Gewerbebetrieb verzeichneter und zu versteuernder Sanierungsgewinn
eine beitragspflichtige Einnahme iS von §
240 SGB V darstelle, selbst wenn die auf den Sanierungsgewinn entfallende Steuer später von der Finanzverwaltung erlassen werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 2013 sowie das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.
August 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Sanierungsgewinn sei kein Zufluss iS bereiter Mittel, aus denen er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie hätte
bestreiten können. Abzustellen sei daher nicht auf einen fiktiven Gewinn, sondern auf die tatsächliche Verwendungsmöglichkeit,
also die jederzeitige Einsatzmöglichkeit für den laufenden Bedarf. Die Witwerrente habe Unterhaltsersatzfunktion. Sie diene
- nicht anders als Leistungen nach dem SGB II - der Sicherung des Lebensunterhalts. Rein steuerlich relevante Betriebseinnahmen, wie der Erlass einer Verbindlichkeit (Sanierungsgewinn)
oder der (Teil-)Verzicht eines Selbständigen auf eine Forderung (steuerrechtlich eine Privatentnahme), seien im SGB II nicht zu berücksichtigen, da ihnen kein realer Geldzu- oder -abfluss zugrunde liege. Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung
zwischen selbständig tätigen Leistungsbeziehern nach dem SGB II und sonstigen Selbständigen, die zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen Wegfalls des Ehegattenunterhalts eine Witwerrente
erhielten, sei nicht ersichtlich. Da der Anspruch auf Witwerrente vom Leistungsberechtigten durch die Erfüllung der allgemeinen
Wartezeit erst im weiteren Sinne "verdient" werden müsse, sei kein Grund erkennbar, warum der Berechtigte dann schlechter
gestellt sein sollte als ein Leistungsempfänger nach dem SGB II, dessen Anspruch nicht von einer eigenen Vorleistung abhänge. Zu Recht führe das SG aus, dass man sich von einem Sanierungsgewinn nichts kaufen und somit seinen Unterhalt nicht bestreiten könne. Vor dem teilweisen
Schuldenerlass sei seine wirtschaftliche Situation desolat gewesen und er hätte die Verbindlichkeiten aus eigenen Mitteln
nicht bedienen können. Allein die Verringerung des Schuldenstandes ohne tatsächlichen Zufluss rechtfertige keine Einkommensanrechnung.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die im Wege objektiver Klagehäufung (§
56 SGG) miteinander verbundenen beiden isolierten (Teil-)Anfechtungsklagen (§
54 Abs
1 S 1 Regelung 1
SGG) sind abzuweisen. Der nur vordergründig daneben erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs
1 S 1 Regelungen 1 und 3
SGG) kommt keine eigenständige Bedeutung zu.
Das LSG hat die prozessuale Situation verkannt und zu Unrecht die Sachentscheidung des SG bestätigt. Der Senat hat dies von Amts wegen und in eigener Zuständigkeit zu prüfen. Denn bei einer zulässigen Revision ist
- bevor in der Sache entschieden werden kann - stets zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit
des Verfahrens als Ganzes abhängt. Die Beklagte hat zwar mit ihrer Revision keinen Verfahrensmangel gerügt, das Revisionsgericht
hat jedoch von Amts wegen insbesondere solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen der unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen
ergeben, einerlei, ob der Mangel nur das Revisionsverfahren oder schon das Klage- und Berufungsverfahren betrifft (BSG Urteile vom 26.7.1979 - 8b RKg 11/78 - SozR 1500 § 150 Nr 18 und vom 13.9.2005 - B 2 U 21/04 R - SozR 4-2400 § 57 Nr 2 RdNr 7). Hierzu gehört auch der Wegfall von Klagebefugnis (BSG Urteile vom 29.11.1995 - 3 RK 36/94 - BSGE 77, 130 = SozR 3-1500 § 54 Nr 24 und vom 24.11.2004 - B 3 KR 16/03 R - SozR 4-2500 § 36 Nr 1 RdNr 5) und Rechtschutzbedürfnis (BSG Urteile vom 27.2.1992 - 6 RKa 52/91 - Juris RdNr 16, vom 20.12.2001 - B 4 RA 53/01 R - SozR 3-2600 § 118 Nr 9 und vom 9.4.2002 - B 4 RA 64/01 R - SozR 3-2600 § 118 Nr 10 und vom 13.9.2005 - B 2 U 21/04 R - SozR 4-2400 § 57 Nr 2 RdNr 7). Ihr Fortfall ist in jeder Instanz von Amts wegen zu beachten. Der Senat ist deshalb auch
befugt, den Bescheid vom 20.4.2010, der während des Klageverfahrens ergangen ist, und den Bescheid vom 12.11.2012, den die
Beklagte während des Berufungsverfahrens erlassen hat, zu berücksichtigen, obwohl das LSG die Existenz beider Bescheide nicht
festgestellt hat.
Das Begehren des Klägers (§
123 SGG) betraf von Anfang an nur Zeiträume ab dem 1.7.2009 und war seit Ergehen des Bescheides vom 20.4.2010, der ab dem 1.1.2010
nicht mehr von einem Zusammentreffen von Witwerrente und Erwerbseinkommen ausging, der Sache nach auf die Zeit bis zum 31.12.2009
begrenzt. Das SG hat dies mit gerade noch hinreichender Deutlichkeit erkannt, obwohl es - ebenso wie das Berufungsgericht - den Bescheid vom
20.4.2010 nicht ausdrücklich erwähnt. Bezüglich des damit streitigen Zeitraums enthielt der angefochtene Bescheid vom 26.6.2009
mehrere Verwaltungsakte, deren Auslegung ebenfalls dem Revisionsgericht obliegt (BSG Urteile vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 mwN, vom 31.5.1989 - 4 RA 19/88 - SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14, vom 1.3.1979 - 6 RKa 3/78 - BSGE 48, 56, 58 = SozR 2200 § 368a Nr 5 und vom 11.6.1987 - 7 RAr 105/85 - BSGE 62, 32, 36 = SozR 4100 § 71 Nr 2; BFH Urteil vom 11.7.2006 - VIII R 10/05 - BFHE 214, 18, 23 mwN). Soweit die Beklagte auf Seite 1 des Bescheides vom 26.6.2009 verlautbarte, sie berechne die "bisherige große Witwerrente"
des Klägers "neu", erhöhte sie ab dem 1.7.2009 zu seinen Gunsten den Wert des Rechts auf große Witwerrente - und inzident
die hieraus erwachsenden monatlichen Zahlungsansprüche - auf monatlich 477,24 €, indem sie den aktuellen Rentenwert (§
68 SGB VI) - ein wertbestimmender Faktor - von 26,56 € um 0,64 € auf 27,20 € heraufsetzte (Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte
in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte zum 1.7.2009 vom 17.6.2009, BGBl I 1335).
Die darüber hinaus getroffenen Regelungen betrafen entgegen dem vordergründigen - und vom BSG mehrfach beanstandeten (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 18) - Wortlaut "lediglich" den Anspruch auf den monatlichen Auszahlungsbetrag, der wegen der
anspruchsvernichtenden "Anrechnung" anrechnungsfähigen Einkommens auf die monatlichen Zahlungsansprüche ab dem 1.7.2009 durch
(Dauer-)Verwaltungsakt (Festsetzung eines monatlichen Anrechnungsbetrages) auf Null reduziert wurde (zur Unterscheidung zwischen
dem Anspruch auf Rente dem Grunde nach und dem Einzelanspruch auf Zahlung: BSG Urteil vom 6.3.2003 - B 4 RA 35/02 R - SozR 4-2600 § 313 Nr 1 RdNr 14 mwN; zur dogmatischen Figur der Anrechnung vgl eingehend BSG Urteile vom 31.3.1998 - B 4 RA 49/96 R - BSGE 82, 83 = SozR 3-2600 § 93 Nr 7 sowie vom 27.1.1999 - B 4 RA 20/98 R - SozR 3-2400 § 18b Nr 1 und vom 25.1.2001 - B 4 RA 110/00 R - SozR 3-2600 § 97 Nr 3; zur Verfassungsmäßigkeit des Anrechnungsmodells vgl BSG Urteil vom 16.8.1990 - 4 RA 27/90 - SozR 3-2200 § 1281 Nr 1 und Beschluss des BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86 - BVerfGE 97, 271, 292).
Dieser Regelungsgehalt geht aus der Begründung des angefochtenen Bescheids und der dortigen Berufung auf §
97 SGB VI sowie den Hinweisen auf "anzurechnendes Einkommen" hinreichend deutlich hervor. Denn §
97 SGB VI lässt das (Stamm-)Recht des Klägers auf große Witwerrente mit dem nunmehr festgestellten Wert unberührt und mindert diesen
nicht; die Vorschrift nimmt auf die wertbestimmenden Faktoren der Rente keinen Einfluss. Weder die Zahl der Entgeltpunkte
noch der Rentenartfaktor noch der aktuelle Rentenwert sind von der Regelung des §
97 SGB VI im Sinne einer Einschränkung (Verminderung) betroffen. Vielmehr setzt §
97 SGB VI gerade voraus, dass der Wert des Rechts der Witwerrente als solcher unverändert bleibt. Die Regelung beschränkt sich darauf,
dass - bei gleich bleibendem Wert des Rechts auf Witwerrente - derjenige Betrag reduziert wird, dessen monatliche Auszahlung
der Rentner verlangen kann, dh sie schmälert bzw beseitigt dessen Recht, die Auszahlung des monatlichen Betrags zu verlangen
(§
194 Abs
1 BGB), mit dem der Wert der Rente festgestellt wurde.
Hinsichtlich des Anrechnungsbetrages im streitigen Zeitraum hob die Beklagte im Bescheid vom 26.6.2009 ("Weitere Hinweise",
Seite 3) zunächst einen früheren "Rentenbescheid vom 28.05.2008 ... hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.2008
nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf". Damit beseitigte sie nach dem hinter dieser Erklärung stehenden "wirklichen Willen" (§
133 BGB) durch den Erlass eines (neuen) Verwaltungsakts als actus contrarius die Wirksamkeit (§ 39 Abs 2 SGB X) des bisherigen (alten) Verwaltungsaktes (§ 31 S 1 SGB X) über den Anrechnungsbetrag im Rentenbescheid vom 28.5.2008 vollständig. Zugleich setzte sie den Anrechnungsbetrag nunmehr
allein auf der Grundlage des im Kalenderjahr 2008 erzielten Einkommens durch einen weiteren Verwaltungsakt ab dem 1.7.2009
auf 718,92 € neu und höher fest (Anlage 8, Seite 3 aaO). Zur Ermittlung des neuen Anrechnungsbetrages, hatte die Beklagte
den Kläger unbefugterweise (vgl Senatsurteil vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 §
45 Nr
10, RdNr
24) schätzen lassen, welches Arbeitseinkommen (§
97 Abs
1 S 1
SGB VI iVm §
18a Abs
1 S 1 Nr
1, Abs
2 S 1, Abs
2a SGB IV) er im Kalenderjahr 2008 als steuerrechtlichen Gewinn erzielt hatte. Diesen Gewinn-Schätzbetrag, der ua den streitigen "Sanierungsgewinn"
enthielt, legte die Beklagte der Bemessung zu Grunde und teilte ihn durch die zwölf Kalendermonate, in denen er erzielt worden
war. Den Wert dieses Quotienten, der gemäß §
18b Abs
2 S 1
SGB IV fiktiv als monatliches Einkommen "gilt", hielt sie sodann - nach pauschalierender Kürzung um 39,8 vH (§
18b Abs
5 S 1 Nr
2 Fall 1
SGB IV), Berücksichtigung von Freibeträgen (§
97 Abs
2 S 1 Nr
1 und S 2
SGB VI) und Multiplikation mit dem Faktor 0,4 (§
97 Abs
2 S 3
SGB VI) - als Anrechnungsbetrag dem aktuellen Witwerrentenanspruch (477,24 €) ab dem 1.7.2009 anspruchsvernichtend entgegen (Anlage
1 Seite 2 des Bescheids vom 26.6.2009), sodass sich ein neuer Auszahlungsbetrag von 0 € ergab (Seite 2 des Bescheids vom 26.6.2009).
Soweit die Beklagte schließlich in der Anlage 10 des Bescheides vom 26.6.2009 darauf hinweist, "dem Antrag, die Sanierungsgewinne
nicht als Einkommen zu berücksichtigen", könne nicht entsprochen werden, wird hiermit keine eigenständige Rechtsfolge verlautbart
und handelt es sich damit nicht um einen weiteren Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X). Vielmehr wird lediglich der Umfang der hinsichtlich des Anrechnungsbetrages getroffenen Regelungen nochmals gesondert begründet.
Die Entscheidungen der Beklagten über die Aufhebung des früheren Anrechnungsbetrages und dessen Neufestsetzung für die Zeit
ab dem 1.7.2009 im Bescheid vom 26.6.2009 und im Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009 hat der Kläger nach dem Inhalt seines
Begehrens vor dem SG mit zwei isolierten Anfechtungsklagen (§
54 Abs
1 S 1 Regelung 1
SGG) angegriffen, soweit die Beklagte jeweils ein im Kalenderjahr 2008 erzieltes Einkommen von mehr als 6803,64 € als fiktiv
maßgeblich zugrunde gelegt hatte. Derartige Teilanfechtungen sind schon nach dem Wortlaut von §
54 Abs
1 S 1
SGG, der ausdrücklich auch die Abänderung eines Verwaltungsakts als mit der Gestaltungsklage verfolgbares Begehren benennt, statthaft
und erlauben es dem Kläger als Ausdruck der Dispositionsmaxime, den Prüfungsumfang des Gerichts von sich aus zu begrenzen.
Ob Teilbarkeit im Einzelfall gegeben ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Teilweise anfechtbar sind in der
Regel zahlenmäßig, zeitlich, örtlich, gegenständlich oder personell abgrenzbare Teile einer Entscheidung (BSG Urteile vom 23.2.2005 - B 6 KA 77/03 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 und vom 13.11.1985 - 6 RKa 15/84 - BSGE 59, 137 = SozR 2200 § 368a Nr 13). Dies ist für Fälle der vorliegend zur Entscheidung stehenden Art jedenfalls nicht von vornherein
ausgeschlossen. Im genannten Sinne zeitlich und zahlenmäßig abgrenzbar ist auch die Frage, ob der sog "Sanierungsgewinn" aus
dem Kalenderjahr 2008 vom 1.7.2009 bis 30.6.2010 "fiktiv" als Einkommen zu berücksichtigen oder auszusparen ist. Keine zusätzliche
Bedeutung kommt dem vordergründig als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage formulierten Antrag zu, die Beklagte unter Aufhebung
der angegriffenen Bescheide "zu verurteilen, bei der Berechnung des Erwerbseinkommens nur 6.803,64 € aus Arbeitseinkommen
zugrunde zu legen." Insofern handelt es sich lediglich um einen irrigen äußeren Ausdruck der in Wahrheit erhobenen Teilanfechtungsklage,
die im Erfolgsfalle dazu führen würde, dass allenfalls noch der vom Kläger benannte Betrag berücksichtigt werden könnte.
Für den streitigen Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2009 ist allerdings mit dem Erlass des Bescheids vom 12.11.2012, der während
des Berufungsverfahrens ergangen ist, das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Darin stellte die Beklagte für das zweite Halbjahr
2009 einen neuen monatlichen Anrechnungsbetrag (219,64 €) fest, sodass sich - unter Einbeziehung des Zuschusses der Beklagten
zur Krankenversicherung des Klägers von 18,03 € - nunmehr ein Auszahlbetrag von monatlich 275,63 € ergab. Zur Bemessung dieses
Betrages wurde ein - im vorliegenden Verfahren allein streitiger - "Sanierungsgewinn" nicht mehr herangezogen.
Nach §
97 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI ist der Rentenversicherungsträger ermächtigt, Erwerbseinkommen von Berechtigten, das ua mit einer Witwerrente zusammentrifft,
hierauf anspruchsvernichtend "anzurechnen". Dies gilt insoweit, als Einkommen seiner Art nach als anrechenbar in Betracht
kommt (vgl hierzu die abschließende Auflistung in §
18a SGB IV) und nach Abzug pauschalierter Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (vgl §
18b Abs
5 SGB IV) bestimmte Freibeträge übersteigt (vgl §
97 Abs
2 SGB VI). Das verbleibende anrechenbare Einkommen wird zu 40 vH angerechnet (Anrechnungsbetrag), §
97 Abs
2 S 3
SGB VI. Ein Zusammentreffen von Einkommen und Witwerrente liegt im Rechtssinne vor, wenn der Rentenberechtigte für denselben Zahlungszeitraum
(dh bei Renten: für einen bestimmten Kalendermonat; vgl §
118 Abs
1 SGB VI) gegen den Träger der Rentenversicherung aus einem Renten(stamm)recht einen Zahlungsanspruch auf Rente hat und ihm zeitgleich
außerdem ein Recht auf Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit zusteht. Sachlicher Grund und Grenze der Anrechnung eigenen
Erwerbseinkommens auf die Hinterbliebenenrente ist die Fähigkeit des Hinterbliebenen, sich mittels eigenen Erwerbseinkommens
ganz oder zumindest teilweise selbst zu unterhalten, sodass es insoweit der Deckung des Unterhaltsbedarfs mittels einer Hinterbliebenenrente
nicht bedarf. Bezieht der Witwer oder die Witwe ein den (Anrechnungs-)Freibetrag übersteigendes Einkommen, ergibt sich ein
geringerer Bedarf nach am bisherigen Lebensstandard ausgerichteter wirtschaftlicher Sicherung. Abzustellen ist dabei auf das
"verfügbare Einkommen" des Hinterbliebenen (vgl insgesamt BSG Urteil vom 25.1.2001 - B 4 RA 110/00 R - SozR 3-2600 § 97 Nr 3 S 13 f).
Demgemäß ist nach §
18b Abs
1 S 1
SGB IV im Rahmen der sog Anrechnung grundsätzlich das tatsächlich erzielte "monatliche Einkommen" maßgebend, um es dem Betrag der
Rente für eben diesen Monat gegenüberzustellen (sog Wirklichkeitsmaßstab). Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität sieht
das Gesetz jedoch von einer monatlichen Ermittlung des jeweils konkret erzielten Einkommens ab und lässt eine pauschalierende
Berücksichtigung des eigenen Erwerbseinkommens dergestalt genügen, dass grundsätzlich das durchschnittliche Erwerbseinkommen
des letzten Kalenderjahres als fiktive Größe ("gilt") der aktuellen Anrechnung abschließend und endgültig zugrunde zu legen
ist. Dieser monatliche Durchschnittswert wird unter der Voraussetzung im wesentlichen konstanter Verhältnisse bei Erwerbseinkommen
iS von §
18a Abs
1 S 1 Nr
1, Abs
2 SGB IV grundsätzlich gebildet, indem dasjenige des gesamten letzten Kalenderjahres durch zwölf geteilt und der sich so ergebende
Wert gekürzt um die Beträge nach §
18b Abs
5 Nr
1 SGB IV als laufendes Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wird.
Vom Grundsatz der Maßgeblichkeit einer realitätsnahen Fiktion auf der Basis des Vorjahreseinkommens ist eine Ausnahme zugunsten
des Rentenbeziehers dann vorgesehen, wenn die dargestellte pauschalierende Vorgehensweise die aktuellen Verhältnisse ausgehend
von den gesetzlich normierten Maßstäben nicht mehr im Wesentlichen zutreffend repräsentiert. So ist nach §
18b Abs
3 S 2 Halbs 1
SGB IV bereits bei der erstmaligen Feststellung des Werts des Rechts auf Rente für die Anrechnungsentscheidung vom laufenden Einkommen
auszugehen, wenn dieses voraussichtlich im Durchschnitt um wenigstens 10 vH geringer ist als das nach dem Abs 2 der Vorschrift
nach Jahresdurchschnittssätzen ermittelte Einkommen. An die Stelle einer Fiktion auf der Basis des Vorjahreseinkommens tritt
damit insofern eine hypothetische Einschätzung des aktuellen monatlichen Einkommens auf der Grundlage aller bis zum Ende des
Verwaltungsverfahrens verfügbaren einschlägigen Umstände. Ebenso wie die regelmäßig maßgebliche Fiktion auf der Grundlage
des Vorjahreseinkommens sind dann entsprechend der Vorgehensweise des Gesetzes ausnahmsweise auch diese Annahmen die abschließenden
und endgültigen (vgl insgesamt BSG Urteil vom 25.1.2001, aaO, S 14).
Im Bescheid vom 12.11.2012 änderte die Beklagte die Grundlage für die Bemessung des Anrechnungsbetrages, indem sie von einer
Fiktion (§
18b Abs
2 S 1
SGB IV) auf der Grundlage des Vorjahreseinkommens (2008), wie sie für den streitigen Zeitraum dem angegriffenen Bescheid vom 26.6.2009
und dem Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009 zugrunde lag, nunmehr zur Heranziehung des aktuellen Jahreseinkommens (2009) auf
der Basis einer hypothetischen Einschätzung (§
18d Abs
2 S 1 Halbs 1
SGB IV) überging. Die nunmehr getroffenen Regelungen behalten damit weder die Methode zur Bestimmung des maßgeblichen Erwerbseinkommens
bei noch stellen sie inhaltlich noch auf - nunmehr im Rahmen einer Hypothese relevante - Sanierungsgewinne ab. Auf die zwischen
den Beteiligten allein streitige Frage der fiktiven Berücksichtigung des Sanierungsgewinns aus 2008 kommt es damit denkbar
nicht mehr an. Der hierauf beschränkte Angriff der Klage geht ins Leere. Denn alles, was bislang streitig war, kann nach dem
endgültigen Wechsel der Berechnungsmethode nicht mehr geklärt werden. Für die dennoch getroffene Sachentscheidung war das
LSG nicht mehr gesetzlicher Richter (Art
101 Abs
1 S 2
GG; §
202 SGG iVm §
16 S 2
GVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 und 4
SGG.