Kostenerstattung für Rectodelt 30 mg
Off-Label-Use
Fehlendes Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage
Geklärte Rechtsfrage
1. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu
ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt ist".
2. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn
der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen
vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist.
3. Jedenfalls dann, wenn eine bereits erfolgte Klärung der Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ernsthaft
in Betracht kommt, muss sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung hiermit auseinandersetzen und darlegen, dass
dennoch Klärungsbedarf besteht.
Gründe:
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet nach ihren Angaben an 21-Hydroxylase-Mangel bei adrenogenitalem
Syndrom mit Salzverlust. Sie ist beim SG und LSG mit ihrem jetzt noch verfolgten Begehren ohne Erfolg geblieben, von der Beklagten Kosten erstattet zu erhalten für
die Versorgung mit dem privatärztlich als Rezeptur für Fälle drohender Stoffwechselentgleisung verordneten Arzneimittel Rectodelt
30 mg, und zwar für die Zukunft und für die Vergangenheit in Höhe von 65 Euro für die am 23.11.2009 eingelöste privatärztliche
Verordnung vom 26.10.2009. Das LSG hat zur Begründung der Berufungszurückweisung - teilweise unter Bezugnahme auf das klageabweisende
SG-Urteil vom 22.4.2013 - ua ausgeführt, die Klage sei lediglich hinsichtlich des Begehrens der Erstattung von 35 Euro in der
Vergangenheit entstandener Kosten zulässig. Allein dies habe die Klägerin im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren beantragt.
Die Voraussetzungen des zulässig geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs für die Vergangenheit (§
13 Abs
3 S 1
SGB V) seien nicht erfüllt. Die Versorgung der Klägerin sei nicht unaufschiebbar gewesen. Es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, dass
sich die Klägerin vor der Selbstbeschaffung nicht bei der Beklagten über Alternativen hätte informieren können. Die Klägerin
habe vor der Selbstbeschaffung auch nicht die Entscheidung der Beklagten abgewartet (Beschluss vom 5.8.2014).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung
und des Verfahrensfehlers.
1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Daran fehlt es.
Die Klägerin formuliert zwar die Rechtsfrage:
"Gelten für ein früher als Fertigarzneimittel hergestelltes Medikament, das lebensnotwendig sein kann, die Grundsätze für
die Kostenübernahme des Off-Label-Use bzw. des §
2 Abs
1a SGB V, wenn dieses nun nicht mehr als Fertigarzneimittel hergestellt wird, sondern nur noch als Rezepturarzneimittel zur Verfügung
steht?"
Der erkennende Senat lässt die Frage offen, ob die Klägerin hiermit eine Rechtsfrage klar formuliert. Er entnimmt der Beschwerdebegründung,
dass die Klägerin selbst nicht in Zweifel zieht, dass auf die bezeichnete Fallkonstellation jedenfalls die Grundsätze des
§
2 Abs
1a SGB V für die Kostenübernahme anwendbar sein können, wie es den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung des erkennenden Senats
entspricht (vgl zB BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 18). Sinngemäß geht es der Klägerin um die Geltung der Grundsätze des Off-Label-Use für die
Kostenübernahme für die von ihr bezeichnete Fallkonstellation. Die Klägerin legt diesbezüglich aber die Klärungsbedürftigkeit
der Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt,
wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt,
die Frage also "geklärt ist" (BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38; BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig
sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige
Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 S 19 mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 7). Jedenfalls dann, wenn eine bereits erfolgte Klärung der Rechtsfrage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung
ernsthaft in Betracht kommt, muss sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung hiermit auseinandersetzen und darlegen,
dass dennoch Klärungsbedarf besteht. Daran fehlt es.
Die Klägerin legt nicht dar, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Rezepturarzneimitteln noch Klärungsbedarf
besteht (vgl zB zu den Grundsätzen BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 18 - Orthomol vision diabet; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 47 - Lorenzos Öl, beide mwN). Die Klägerin legt auch nicht dar, dass der zitierten Rechtsprechung
in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird noch dass gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht
werden. Sie setzt sich hiermit überhaupt nicht auseinander.
2. Die Klägerin bezeichnet auch einen Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ausreichend. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf stützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem
die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), muss zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Er hat zudem darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht
- auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils oder Beschlusses besteht (vgl zB
BSG Beschluss vom 14.10.2014 - B 1 KR 96/14 B - Juris RdNr 4; BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Die Klägerin legt in ihrem Beschwerdevorbringen einen Verfahrensmangel nicht in diesem Sinne dar.
Die Klägerin rügt als Verfahrensfehler zunächst, das LSG sei verfahrensfehlerhaft Hinweisen nicht nachgegangen, dass am 23.11.2009
ein Notfall vorgelegen habe, der eine sofortige Beschaffung des Medikaments erforderte. Sie legt aber nicht dar, dass es hierauf
- ausgehend von der materiellen Rechtsansicht des LSG, maßgeblich sei der Zeitpunkt der Kenntnis der Klägerin von der fehlenden
Verfügbarkeit des Mittels Rectodelt 30 mg als Fertigarzneimittel - ankommt.
Die Klägerin rügt als weiteren Verfahrensfehler, der auf die Zukunft gerichtete Kostenübernahmeantrag sei nicht unzulässig
gewesen. Sie legt aber die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen nicht hinreichend substantiiert dar.
Hierzu hätte sie in Auseinandersetzung mit weiteren Umständen wie dem Wortlaut des Ursprungsantrags und der Widerspruchsbegründung
der Klägerin näher darlegen müssen, wieso der von ihr wiedergegebene Textausschnitt der Begründung des Widerspruchsbescheides
zur Annahme zwingt, der Widerspruchsausschuss habe nicht nur über den auf die Vergangenheit bezogenen, sondern über einen
auf die Zukunft gerichteten Kostenübernahmeantrag entschieden.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.