Erstattung der Kosten für Untersuchungen mittels offener Magnetresonanztomographie
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Nichtbeachtung von Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für offene Magnetresonanztomographie (MRT)-Untersuchungen.
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte Ende Juni 2017 befundgestützt die Übernahme der Kosten
einer offenen MRT-Untersuchung "betr.: HWS/Kopf" bei der nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Radiologin R.
Die dringend erforderliche MRT-Untersuchung könne sie wegen ihrer extremen Platzangst nur dort durchführen lassen. Die Beklagte
lehnte den Antrag nach Einholung zweier Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ab (Bescheid vom 10.7.2017, Widerspruchsbescheid vom 30.8.2018). Am 6.7. und 10.7.2017 ließ die Klägerin auf eigene Kosten offene MRT-Untersuchungen der Halswirbelsäule und des Schädels
bei der Radiologin R. durchführen.
Die auf Kostenerstattung iHv 1183,96 Euro nebst Zinsen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Unter anderem hat es dabei den Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens aufgrund einer bestehenden
Versorgungslücke verneint. Die erforderlichen MRT-Untersuchungen wären auch im vertragsärztlichen Rahmen ambulant oder stationär
unter entsprechender Prämedikation oder mittels offenem MRT durchführbar gewesen (Urteil vom 11.12.2019). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dabei hat es im Wesentlichen auf die Gründe des SG-Urteils verwiesen und ergänzend ausgeführt: Die von der Klägerin geltend gemachte Notfallbehandlung könne grundsätzlich keinen
Kostenerstattungsanspruch begründen (Verweis auf BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - juris RdNr 14). Auch soweit die Klägerin geltend mache, die Durchführung eines "normalen" MRT sei für sie auch in Sedierung aufgrund ihrer
extremen Klaustrophobie unmöglich gewesen, rechtfertige dies den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch auch unter dem
Gesichtspunkt des Systemversagens nicht. Die Radiologin R. empfehle in ihrem von der Klägerin vorgelegten Arztbrief ausdrücklich
eine stationäre Weiterdiagnostik mit Durchführung von MRTs gegebenenfalls in Narkose. Warum dies nicht auch bei den im Juli
2017 selbst beschafften MRT-Untersuchungen hätte möglich sein können, erschließe sich nicht. Der Sachverhalt sei durch die
Gutachten des MDK und die von der Klägerin vorgelegten Arztbriefe und Atteste ihrer behandelnden Ärzte hinreichend geklärt
(Beschluss vom 28.9.2020).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG. Sie rügt eine Verletzung
der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG ist zulässig (dazu 1.) und begründet (dazu 2.). Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) liegt vor.
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG ist die Revision gegen eine Entscheidung des LSG zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die
angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wird der Verfahrensmangel auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gestützt, muss er sich auf einen Beweisantrag beziehen, dem des LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Beschwerdebegründung
wird den sich daraus ergebenden Darlegungsanforderungen gerecht (vgl zu diesen nur BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
2. Die Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht des §
103 SGG liegt auch vor. Das LSG ist den Beweisanträgen der Klägerin (dazu a) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (dazu b).
a) Im Rahmen der Berufungsbegründung hat die Klägerin ua geltend gemacht, die MRT-Untersuchung sei im Zeitpunkt der Durchführung
zum Ausschluss eines Schlaganfalls oder einer Erkrankung des zentralen Nervensystems dringend erforderlich gewesen und habe
im vertragsärztlichen Rahmen weder ambulant noch stationär zur Verfügung gestanden. Ein "normales" MRT des Schädels auch bei
Untersuchungsdurchführung in Sedierung sei für sie aufgrund ihrer extremen Klaustrophobie unmöglich. Sie hat hierzu (wie schon
im Klageverfahren) erneut Beweis angeboten, ua durch das sachverständige Zeugnis der Fachärztin für Radiologie R. und Einholung
eines radiologischen Sachverständigengutachtens mit psychiatrisch-psychologischem Zusatzgutachten (Schriftsatz vom 30.4.2020). Diesen Beweisantrag hat die Klägerin im Rahmen der Anhörung zur Entscheidung durch Beschluss nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG ausdrücklich aufrechterhalten (Schriftsatz vom 22.9.2020).
b) Das LSG ist diesem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.
aa) Es ist dabei unerheblich, ob das LSG die Ablehnung des Beweisantrags aus seiner Sicht hinreichend begründet hat. Es kommt
allein darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten
Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr, vgl BSG vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5; BSG vom 26.5.2020 - B 2 U 214/19 B - juris RdNr 7 mwN). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise
zur Verfügung stehen, Gebrauch machen. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht
auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig
ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung
wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl BSG vom 6.2.2007 - B 8 KN 16/05 - SozR 4-1500 § 160 Nr 12 RdNr 10; BSG vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 420/13 B - juris RdNr 12; BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 89/19 B - juris RdNr 5).
bb) Ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung hätte sich das LSG aus objektiver Sicht gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag
der Klägerin zu folgen.
Das LSG hat sich nicht abschließend dazu verhalten, ob der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch der Klägerin bereits
deshalb insgesamt ausgeschlossen ist, weil eine als Naturalleistung erbrachte und abzurechnende Notfallbehandlung iS des §
76 Abs
1 Satz 2
SGB V vorgelegen hatte (vgl dazu BSG vom 18.7.2006 - B 1 KR 24/05 R - BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 30; BSG vom 8.9.2015 - B 1 KR 14/14 R - juris RdNr 14). Es hat den Anspruch vielmehr "auch unter dem Gesichtspunkt eines Systemversagens" verneint. Dazu hat es ausgeführt, die
Radiologin R. empfehle in ihrem von der Klägerin vorgelegten Arztbrief ausdrücklich eine stationäre Weiterdiagnostik mit Durchführung
von MRTs gegebenenfalls in Narkose. Warum dies nicht auch bei den im Juli 2017 selbst beschafften MRT-Untersuchungen hätte
möglich sein können, erschließe sich nicht.
Allerdings lassen sich den vorliegenden und vom LSG angeführten medizinischen Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür entnehmen,
dass der Klägerin im Juli 2017 eine MRT-Untersuchung in einem geschlossenen System trotz ihrer Phobie möglich und zumutbar
gewesen wäre oder im anderen Fall tatsächlich die Möglichkeit einer offenen MRT-Untersuchung auch im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung bestand.
Die Radiologin R. hat in ihrem Arztbrief vom 15.7.2017 angegeben, auch die Untersuchung in dem offenen MRT habe aufgrund der
Angstzustände der Klägerin nur unter Gabe von Diazepam und in permanenter Anwesenheit einer Angestellten durchgeführt werden
können, sodass eine Diagnostik in einem geschlossenen System aus ihrer Sicht derzeit nicht erfolgen könnte.
Der MDK ist dieser medizinischen Bewertung in seinem nach Lage der Akten erstellten Gutachten vom 25.4.2018 nicht entgegengetreten.
Er hat lediglich darauf verwiesen, dass die Durchführung eines MRT eine vertragsärztliche Leistung sei. Die Auswahl der geeigneten
Untersuchungsmethode (offen oder geschlossen) sei durch den Behandler/Untersucher gemeinsam mit dem Patienten zu entscheiden.
Der MDK hat in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass von den offene MRT-Untersuchungen durchführenden Einrichtungen
in der Praxis nur selten eine Anerkennung/Genehmigung zur Durchführung über die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz
beantragt werde. Die infrage kommenden Einrichtungen rechneten praktisch ausschließlich außervertraglich ab, weil dies lukrativer
sei. Es gebe in Rheinland-Pfalz zudem zwei Einrichtungen mit MRT-Geräten mit größerem Durchmesser, die grundsätzlich auch
für Patienten mit Klaustrophobie geeignet seien. Stehe die vertragliche Erbringung eines offenen MRT nicht zur Verfügung,
bestehe bei Angstzuständen die Möglichkeit der Durchführung unter Analogsedierung bzw Narkose. Ob bei der Klägerin - entgegen
der Einschätzung der behandelnden Radiologin - ein geschlossenes MRT unter Sedierung tatsächlich möglich war und ob für sie
im Juli 2017 die Möglichkeit der Durchführung - je nach Indikation - eines offenen oder geschlossenen MRT im Rahmen der vertragsärztlichen
Versorgung bestand, lässt sich dem MDK-Gutachten nicht entnehmen.
Danach war es in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Klägerin nicht auszuschließen, dass die erforderliche MRT-Untersuchung
seinerzeit nur in einem offenen Gerät durchgeführt werden konnte und im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für sie nicht
rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätte. Genau hierauf bezog sich der Beweisantrag der Klägerin. Das LSG hätte sich daher
von seinem rechtlichen Standpunkt aus gedrängt fühlen müssen, diesem zu entsprechen.
Den Vortrag der Klägerin, auf eine mündliche Leistungsablehnung reagiert zu haben, hat das LSG nicht in Frage gestellt und
darauf auch zur Begründung seiner Entscheidung nicht abgestellt.
3. Nach §
160a Abs
5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.