Krankenversicherung
Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruches
Bindungswirkung der Gesamtvergütungsvereinbarungen
Mangelnde Angreifbarkeit
Gründe:
I
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruches.
Nachdem die Vergütungsverhandlungen zwischen der klagenden KÄV und den zu 1. bis 6. beigeladenen Krankenkassenverbänden zu
keiner Einigung geführt hatten, traf das beklagte Landesschiedsamt aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10.12.2012 und
18.12.2012 (unter anderem) folgende Festsetzung zur Honorarvereinbarung 2013:
"1. Der regionale Punktwert wird auf der Grundlage des für das Jahr 2013 festgelegten Orientierungswertes gemäß §
87 Abs.
2e SGB V auf 3,5363 Cent festgesetzt. Den Anträgen der KVB (Kassenärztliche Vereinigung Bayerns) auf einen Zuschlag auf den Orientierungswert
gemäß § 87a Abs. 2 Satz 2 wird nicht entsprochen.
...
4. Für die Anpassung des Behandlungsbedarfs gemäß § 87a Abs. 4 Satz 1 Ziff. 2 bis 5 wird für das Jahr 2013 eine Veränderungsrate
von 0,43 % festgesetzt."
Im Hinblick auf weitere Regelungen (Förderung der hausärztlichen Versorgung, Ausdeckelung Psychotherapie, Strahlentherapie
und künstliche Befruchtung) ergab sich eine Steigerung der Vergütung gegenüber dem Vorjahr um 3,2 %; die Veränderungsrate
nach §
71 Abs
3 SGB V war vom Bundesministerium für Gesundheit mit 2,03 % angegeben worden. Darauf bezog sich der Beklagte bei seiner Begründung,
weshalb den Anträgen der Klägerin auf einen Zuschlag zum Orientierungswert (§
87a Abs
2 Satz 2
SGB V) und auf eine weitergehende Anpassung des Behandlungsbedarfs nicht entsprochen werden könne.
Die gegen den Schiedsspruch erhobene Klage, mit der die Klägerin vorrangig geltend gemacht hat, der Beklagte habe den regionalen
Punktwert rechtswidrig festgesetzt, da er keinen Zuschlag zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten bei der Kosten- und
Versorgungsstruktur vorgesehen habe, ist erfolglos geblieben.
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Beklagte habe den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht überschritten, sodass
die Klägerin weder durch die Festsetzung des Punktwerts noch durch die Festsetzung der Veränderungsrate zur Berechnung der
morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) in ihren Rechten verletzt werde. Dem Schiedsamt komme bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertrags(zahn)ärztliche
Vergütung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Schiedssprüche nach §
89 SGB V unterlägen insoweit nur in eingeschränktem Umfang gerichtlicher Kontrolle und seien inhaltlich nur daraufhin zu überprüfen,
ob der vom Schiedsamt zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffe, ob das Schiedsamt den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten,
dh insbesondere die zwingenden rechtlichen Vorgaben beachtet habe und ob der Schiedsspruch die Gründe für das Entscheidungsergebnis
ausreichend erkennen lasse. Diesen Anforderungen werde die Entscheidung des Beklagten gerecht. Bezüglich des Orientierungspunktwerts
und der diagnosebezogenen Veränderungsrate sei der Beklagte an die Beschlüsse des Bewertungsausschusses für die vertragsärztliche
Versorgung (BewA) und des erweiterten Bewertungsausschusses für die vertragsärztliche Versorgung (EBewA) gebunden gewesen.
Ihm habe kein Verwerfungsrecht zugestanden, sodass insoweit auch keine (weiteren) Tatsachenermittlungen erforderlich gewesen
seien.
Der EBewA habe den bundeseinheitlichen Orientierungswert nach §
87 Abs
2e SGB V richtig angepasst. Soweit die Klägerin - wie auch die zu 8. beigeladene KÄBV - geltend mache, dass die Kostenentwicklung
seit 2008, auch der Kalenderjahre 2011 und 2012, zu berücksichtigen sei, verkenne sie den Regelungsgehalt des §
87d Abs
1 SGB V und den Grundsatz der Vorjahresanknüpfung. Mit §
87d Abs
1 SGB V sei die jährliche Anpassung des Orientierungswerts ausgesetzt, nicht aufgeschoben worden. Hätte der Gesetzgeber lediglich
einen Aufschub, nicht aber eine basiswirksame Aussetzung beabsichtigt, hätte er dies dadurch zum Ausdruck bringen müssen,
dass er die Anpassung auf einen späteren Zeitpunkt verschiebe.
Bei der Festsetzung des Punktwerts nach §
87a Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V habe der Beklagte seinen weiten Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Insoweit verkenne die Klägerin bereits, dass normativ
die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur im Ermessen der Gesamtvertragsparteien
und damit auch des Beklagten stehe. Eine Pflicht zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten habe der Gesetzgeber gerade
nicht vorgegeben.
Auch die Festsetzung der Veränderungsrate für 2013 in Ziff 4 des Beschlusses sei rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte
habe seine Entscheidung zutreffend auf die vom BewA in seiner Sitzung vom 22.10.2012 beschlossenen Empfehlungen der diagnosebezogenen
und demografischen Veränderungsraten für den Bezirk der Klägerin gestützt, die für ihn bindend gewesen seien. Die Berücksichtigung
der Selektivvertragsteilnehmer im Wege einer Hochrechnung sei nicht zu beanstanden. Eine geeignetere Datengrundlage und eine
andere Methode zur Berechnung der Morbidität und insbesondere der morbiditätsbezogenen Veränderungsrate für den Personenkreis
der Selektivvertragsteilnehmer hätten nicht zur Verfügung gestanden. Dies bestätigten insbesondere auch die Ausführungen der
Klägerin in ihrer Antragsschrift, nach denen "erheblich falsche Diagnosedaten" vorgelegen hätten, und die deshalb beantragt
habe, die Bundesrate West zugrunde zu legen.
Dass der Beklagte die diagnosebezogene und die demografische Veränderungsrate nicht gewichtet, sondern die höhere demografische
mit gerundet 0,43 % zugrunde gelegt habe, halte sich ebenfalls noch im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums. Nach der Rechtsprechung
des BSG seien Abweichungen von der Mittelung (Gewichtung) beider Veränderungsraten zulässig, wenn sie nachvollziehbar und unter Angabe
der berücksichtigten Tatsachen begründet würden. Diese Voraussetzungen lägen vor, weil der Beklagte damit die Bedenken der
Klägerin gegen die Richtigkeit der diagnosebezogenen Veränderungsrate aufgegriffen und dem Umstand Rechnung getragen habe,
dass der BewA zur Methodik der Berücksichtigung der Selektivvertragsteilnehmer einen Prüfungsauftrag erteilt habe (Urteil
vom 27.1.2016).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht. Die Ablehnung eines Zuschlags sei rechtswidrig sowie
abwägungs- und begründungsdefizitär erfolgt, bereits der Orientierungswert sei rechtswidrig angepasst und die Veränderungsrate
falsch sowie abwägungs- und begründungsdefizitär ohne sachgerechte Berücksichtigung der Selektivvertragsteilnehmer festgelegt
worden.
Der Beklagte habe zunächst mit seiner Entscheidung, regionale Besonderheiten nicht zu berücksichtigen, gegen §
87a Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V und §
89 Abs
6 SGB V iVm § 19 der Schiedsamtsverordnung (SchiedsamtsVO) iVm § 35 SGB X verstoßen. Selbst wenn man mit dem LSG davon ausgehe, dass das Ermessen des Beklagten in Bezug auf die Gewährung eines Zuschlags
nicht bereits auf Null reduziert gewesen sei, habe er die dann vorzunehmenden Abwägungen und die damit verknüpfte Begründung
nicht vorgenommen. Eine Begründung, die entsprechend der Rechtsprechung des BSG wenigstens andeutungsweise die Gründe für die "Versagung" des Zuschlags auf den Orientierungswert wiedergebe, fehle. Das
Schiedsamt sei in gleicher Weise wie die Vertragspartner an rechtliche Vorgaben gebunden. Das Schiedsamt habe das bei der
Festsetzung eines Zuschlags bestehende Ermessen genauso pflichtgemäß auszuüben wie die Vertragspartner selbst. Somit hätte
die Entscheidung, Zuschläge nicht zu gewähren, einer für Ermessensentscheidungen vom Gesetz vorgeschriebenen Abwägung und
Begründung bedurft, die jedoch nicht zu erkennen sei.
Den zu beachtenden Vorgaben genüge die Begründung nicht. Als inhaltliche Begründung für die zu §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V getroffene Entscheidung könnten überhaupt nur zwei Sätze in der Beschlussbegründung angesehen werden. Die Auffassung des
LSG, dass der Hinweis des Beklagten auf den nicht erbrachten Nachweis eine beweisrechtliche Würdigung der von der Klägerin
vorgelegten Daten darstelle, sei eine durch keine weiteren Anhaltspunkte gestützte Behauptung; weshalb ihre - der Klägerin
- Darlegungen zur tatsächlichen Kostensteigerung in Bayern nicht überzeugt hätten, bleibe offen. Somit sei dies nichts weiter
als eine "Floskel".
Unter der Annahme, dass die Steigerung des Orientierungswertes von 0,9 % ausschließlich die bundesweite Veränderung der Preis-
und Kostenstruktur abbilde, sei jedenfalls die durch den Verbraucherpreisindex in Bayern abgebildete Steigerung bei der Bemessung
der regionalen Kostenstruktur in Bayern zu berücksichtigen. Die Kostenstruktur spiegele sich im Verbraucherpreisindex wider,
der in Bayern deutlich über dem Bundesdurchschnitt liege. Dieser sei im Zeitraum von 2011 bis Oktober 2012 um 3,0 % gestiegen.
Die von der bundesdurchschnittlichen Kostenstruktur abweichende Kostenstruktur in Bayern lasse sich belegen. Damit sei eine
Abweichung der bayerischen Situation nachgewiesen; somit sei zumindest ein Zuschlag zu dem von ihr beantragten Punktwert in
Höhe von 2,1 %, dh 0,0817 Cent notwendig. Der Punktwert hätte somit auf 3,9720 Cent festgesetzt werden müssen.
Im Übrigen sei schon der bundeseinheitliche Orientierungswert rechtswidrig festgesetzt worden, weil der EBewA die gesetzlichen
Anpassungskriterien des §
87 Abs
2g SGB V in rechtswidriger Weise angewendet habe. Denn er habe die Inflationsrate seit dem Jahr 2008 unberücksichtigt gelassen. Daraus,
dass durch §
87d Abs
1 SGB V die Anwendung des §
87 Abs
2g SGB V ausgesetzt worden sei, folge nichts anderes. Das Gesetz habe die Aussetzung ausdrücklich auf die Jahre 2011 und 2012 beschränkt
und Auswirkungen auf nachgelagerte Zeiträume ausgeschlossen.
Auch die diagnose- und demografiebezogene Veränderungsrate sei unter Verstoß gegen §
87a Abs
4 Satz 3
SGB V und §
87a Abs
4 Satz 1 Nr
2 SGB V abwägungs- und begründungsdefizitär festgesetzt worden. Wie der Beklagte selbst feststelle, sei die vom BewA mitgeteilte
Veränderungsrate auf der Grundlage der Behandlungsdiagnosen in Bayern nicht verwertbar. Darin bestehe Einigkeit. Damit hätten
gemäß §
87a Abs
4 Satz 4
SGB V bundesweite Daten herangezogen werden müssen, was aber nicht geschehen sei. Der Beklagte hätte alles daran setzen müssen,
der tatsächlichen Morbidität in Bayern im Jahr 2013 so weit wie möglich "auf die Spur zu kommen" und auf bundesweite Daten
Bezug nehmen müssen, die der tatsächlichen Morbidität der Versicherten in Bayern im Jahr 2013 am nächsten gekommen wären.
Die Festsetzung der Veränderungsrate in Höhe von 0,43 % sei jedenfalls nicht gesetzeskonform, weil bereits die vom Institut
des BewA für Bayern errechnete diagnosebezogene Morbiditätsrate fehlerhaft und daher rechtswidrig sei und dementsprechend
für den Bezirk der KÄV Bayern nicht - auch nicht als Ausgangsgröße - hätte berücksichtigt werden dürfen.
Entgegen der Auffassung des LSG sei der Beklagte gerade nicht an die Empfehlung des BewA gebunden. Es handele sich um "Empfehlungen",
die "zu berücksichtigen", aber nicht "zu beachten" seien. "Berücksichtigen" bedeute nach der Rechtsprechung des BSG lediglich, dass die Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden müssten und eine sachliche Auseinandersetzung mit ihnen zu
erfolgen habe, aber nach pflichtgemäßer Abwägung davon abgewichen werden könne. Der Beklagte könne die Veränderungsraten des
BewA nicht ändern, aber seine Überlegungen und Abwägungen zur Festlegung der Veränderungsrate treffen. Dass er von der Empfehlung
des BewA abweichen könne, habe der Beklagte durch Unterschreitung seines Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums nicht reflektiert.
Hätte er seinen Spielraum erkannt, hätte er seiner Entscheidung ein Spektrum zugrunde legen müssen, das bei 0,4233 % beginne,
sodass ohne Weiteres 0,9962 % als Veränderungsrate hätten beschlossen werden können.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 27.1.2016 sowie die unter Nr 1 und Nr 4 des Beschlusses des Beklagten vom 18.12.2012 getroffenen
Entscheidungen aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut
zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Ein Begründungsdefizit liege schon deshalb nicht vor, weil die knappe Aussage, eine vom Bundesgebiet abweichende Kostenstruktur
in Bayern könne "auch auf der Grundlage der von der KBV vorgetragenen Daten nicht festgestellt werden", im Zusammenhang mit
den "Anlagen" zum Beschluss zu lesen sei. Zu diesen Anlagen gehörten nicht nur die von der Klägerin vorgelegten Kostenstruktur-Daten,
sondern auch die vom Schiedsamt veranlasste 14-seitige Stellungnahme der Krankenkassen. Jedenfalls daraus lasse sich ohne
Weiteres der resümierende Schluss des Schiedsamtes nachvollziehen, "eine solche Entwicklung" (besonderer Kosten- und Versorgungsstrukturen)
habe nicht festgestellt werden können. An hinreichender Begründung fehle es auch deshalb nicht, weil nach der abschließenden
Gesamtwürdigung des Ergebnisses "weitergehende Anträge der KBV, auch wenn sie einzeln betrachtet in Teilen nachvollziehbar
waren", wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität sich nicht hätten berücksichtigen
lassen. Diese Überlegung gelte insbesondere für einen nur fakultativen Zuschlag auf den regionalen Punktwert.
Die zu 1. beigeladene AOK beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Das LSG habe zu Recht entschieden, dass der Beklagte seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten habe und dass die Klägerin
weder durch die Festsetzung des Punktwerts noch durch die Festsetzung der Änderungsrate zur Berechnung der MGV in ihren Rechten verletzt sei. Der Hinweis des Schiedsamtes auf den Grundsatz der Beitragssatzstabilität sei nicht floskelhaft.
Dieser Grundsatz gelte unabhängig von §
87a Abs
3 Satz 2
SGB V weiterhin. In §
87a Abs
3 Satz 2
SGB V sei nicht vom Punktwert als "Preis", sondern von einem Punktzahlvolumen die Rede, dessen Umfang sich aus der Größe des Behandlungsbedarfs
ergebe. Das Schiedsamt habe eine Veränderungsrate von 3,2 % festgesetzt und damit der Klägerin eine Vielzahl von Forderungen
zugestanden, wie etwa Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen, die Förderung der Bereitschaftspraxen und des
Bereitschaftsdienstes ua. Damit sei unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten das der Solidargemeinschaft zumutbare Maß erreicht.
Entgegen den Ausführungen der Klägerin gehe der Morbiditätsunterschied zwischen Teilnehmern an Selektivverträgen und Nicht-Teilnehmern
kontinuierlich zurück. Weiterhin seien keine empirisch belegbaren Anhaltspunkte erkennbar, dass der BewA für den KÄV-Bezirk
Bayern nur deswegen eine niedrigere diagnosebezogene Veränderungsrate beschlossen habe, weil bei den zugrunde liegenden Berechnungen
Selektivvertragsteilnehmer ausgeschlossen worden seien. Bei Berücksichtigung der erwähnten Morbiditätsentwicklung im fachärztlichen
Versorgungsbereich wäre die diagnosebezogene Veränderungsrate noch niedriger ausgefallen. Im Übrigen seien Selektivvertragsteilnehmer
über demografische Hochrechnungsfaktoren berücksichtigt worden. Außerdem begründe die Tatsache, dass Bayern nach wie vor ein
Zuzugsland sei, ebenfalls eine niedrigere bayerische Veränderungsrate bei der Morbidität als in anderen Bundesländern.
Einer Bindungswirkung der Regelungen in §
87a Abs
4 Satz 1 und Satz 3
SGB V stehe nicht entgegen, dass der Gesetzgeber anstelle der Wörter "zu beachten" die Wörter "zu berücksichtigen" gewählt habe,
weil durch die Formulierung "sind" (...) "zu berücksichtigen" eindeutig erkennbar sei, dass es sich um eine sog "Muss"-Bestimmung
handele. Selbst wenn keine Bindungswirkung bestünde, bleibe es einem Schiedsamt unbenommen, rechtsgestaltend eine Kompromisslösung
zu finden.
Der zu 7. beigeladene GKV-Spitzenverband führt - ohne einen Antrag zu stellen - aus, die gegen die Entscheidung des LSG erhobenen
Einwände überzeugten nicht. Das LSG sei zutreffend davon ausgegangen, dass nach dem Grundsatz der Vorjahresanknüpfung bei
der Anpassung des bundeseinheitlichen Orientierungswertes für das Jahr 2013 keine Kostenentwicklungen aus weiter zurückliegenden
Zeiträumen berücksichtigt werden durften. Folge der gesetzlich vorgegebenen Anpassung sei, dass hierbei ausschließlich die
Veränderungen von einem Jahr zum nächsten zugrunde zu legen seien. Das BSG habe die Geltung des Grundsatzes der Vorjahresanknüpfung auch für die Rechtslage nach der Honorarreform durch das Gesetz
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) ausdrücklich bestätigt. Dies habe zur Folge, dass der Orientierungswert für das Jahr 2012 als Basis der Anpassung für das
Jahr 2013 als angemessen anzusehen sei, auch wenn er mögliche Kostensteigerungen bis zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtige.
Das LSG habe zutreffend entschieden, dass die vom BewA mitgeteilten Veränderungsraten für das Jahr 2013 in Bayern rechtmäßig
seien. Ersichtlich falsch sei schon die Behauptung der Klägerin, es bestehe Einigkeit darüber, dass die vom BewA mitgeteilte
diagnosebezogene Veränderungsrate nicht verwertbar und rechtswidrig sei. Tatsächlich sei die Rate rechtmäßig und damit auch
"verwertbar". Nicht stichhaltig sei die Argumentation, dass nur in Bayern die Morbiditätsentwicklung auf der Basis der Behandlungsdiagnosen
unter der Demografieentwicklung liege. Vielmehr habe es im Zeitverlauf in allen KÄV-Bezirken deutliche Schwankungen gegeben.
Zudem komme es durchaus vor, dass die diagnosebezogene Veränderungsrate unter der demografischen Veränderungsrate liege; dies
sei zB im Jahr 2015 in Bremen, Hessen, Berlin und dem Saarland der Fall gewesen. §
87a Abs
4 Satz 3
SGB V fordere ausdrücklich eine gewichtete Zusammenfassung der vom BewA mitgeteilten Raten. Deshalb seien die vom BewA im Rahmen
seiner Empfehlungen mitgeteilten Veränderungsraten verbindlich.
Die zu 8. beigeladene KÄBV teilt - ohne einen Antrag zu stellen - im Hinblick auf die Festsetzung des Orientierungspunktwertes
für das Jahr 2013 in Höhe von 3,5363 Cent die Bedenken der Klägerin. Ihres Erachtens wäre der EBewA verpflichtet gewesen,
die Kostenentwicklung in den Jahren 2011 und 2012 bei der Anpassung des Orientierungswertes zu berücksichtigen.
Ebenso sei die Bestimmung der Veränderung der Morbiditätsstruktur gemäß §
87a Abs
4 Satz 3 iVm Abs
4 Satz 1 Nr
2 SGB V durch das Schiedsamt rechtsfehlerhaft erfolgt. Dieses habe aufgrund von Zweifeln an der berechneten diagnosebezogenen Veränderungsrate
nur die demografische Rate zugrunde gelegt; dies sei - wie das BSG bereits entschieden habe - rechtswidrig. Vielmehr hätte das Schiedsamt die diagnosebezogene Rate selbst neu bestimmen und
danach beide Raten gewichtet zusammenfassen müssen.
Der Beklagte sei auch berechtigt, die diagnosebezogene Rate neu zu bestimmen. Gegen eine Bindungswirkung der vom BewA beschlossenen
Empfehlungen der diagnosebezogenen und demografischen Veränderungsraten spreche bereits die Wendung "Empfehlungen". Das Wort
"Empfehlung" bedeute, dass von den Raten abgewichen werden könne und diese - soweit erforderlich - sachgerecht neu bestimmt
werden könnten. Im Übrigen könnten die Berechnungen des Instituts des BewA nur schwer als Rechtsnorm oder Allgemeinverfügung
qualifiziert werden. Der BewA habe kein Mitspracherecht, sondern die Berechnungen des Instituts lediglich mitzuteilen. Das
Institut des BewA verfüge über keine Legitimation zur Normsetzung. Zudem komme die Berechnung in einem formfreien Verfahren
zustande, während die Rechtsordnung den Erlass von Normen ausnahmslos an die Einhaltung von Verfahrens- und Formvorschriften
binde. Eine Qualifikation der Berechnungen als Allgemeinverfügung hätte zur Folge, dass diese ggf von den KÄVen mit Widerspruch
und Klage angegriffen werden müssten. Auch stelle die Berechnung keine hoheitliche Maßnahme dar, sondern diene der Vorbereitung
der Vertragsverhandlungen. Ein solches Verständnis der Berechnungen entspreche auch den sonstigen Aufgaben des Instituts;
dieses werde grundsätzlich als Verwaltungshelfer tätig.
II
Die Revision der Klägerin ist teilweise begründet. Das LSG hat die Entscheidung des beklagten Schiedsamtes zu Unrecht als
rechtmäßig angesehen, soweit es die Festsetzung eines Zuschlags auf den Orientierungswert abgelehnt hat. Die Festsetzung der
Veränderungsrate für die Anpassung des Behandlungsbedarfes beschwert die Klägerin jedenfalls nicht, sodass die Revision insoweit
keinen Erfolg hat.
1. Das LSG war gemäß §
29 Abs
2 Nr
1 SGG erstinstanzlich zuständig, weil sich die Klage gegen eine Entscheidung des Landesschiedsamtes richtet.
Eine gegen die Entscheidung eines Schiedsamts gerichtete Klage ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats als kombinierte
Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß §
54 Abs
1 iVm §
131 Abs
2 Satz 2 und Abs
3 SGG statthaft (vgl zB BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 §
85 Nr 3, RdNr 10 mwN; BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 20; BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 20). Die damit geltend gemachte Verpflichtung zum Erlass eines neuen Verwaltungsaktes berücksichtigt,
dass die Festsetzung des Vertragsinhalts durch ein Schiedsamt gegenüber den Vertragspartnern ein Verwaltungsakt ist (stRspr,
vgl BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3, RdNr 10; BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 20; BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 20).
2. Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen. Aus der Eigenart der Tätigkeit des Schiedsamts, das bei der Vertragsfestsetzung
an die Stelle der Vertragsparteien tritt, folgt, dass eine Überprüfung des Schiedsspruchs nur im gerichtlichen Verfahren erfolgen
kann (BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 21; BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 21; zuletzt BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 24).
3. Die Klägerin wendet sich im Rahmen ihrer Angriffe gegen den Schiedsspruch inzident auch gegen die Entscheidungen des EBewA
zur Festlegung des Orientierungswertes (§
87 Abs
2e SGB V) und zur Mitteilung der Veränderungsraten für die Anpassung des Behandlungsbedarfs (§
87a Abs
4 Satz 3
SGB V). Diesen Bedenken ist das LSG nachgegangen, hat sie aber nach umfassender Prüfung nicht für durchgreifend gehalten. Das beruht
iS des §
170 Abs
1 Satz 2
SGG auf einer Verletzung von Bundesrecht; die Entscheidung erweist sich aber im Ergebnis als richtig. Entgegen der Auffassung
der Klägerin und der zu 8. beigeladenen KÄBV sind weder eine KÄV noch die (Landes)Verbände der Krankenkassen berechtigt, die
Rechtmäßigkeit des vom BewA bestimmten Orientierungswertes (§
87 Abs
2e SGB V) oder die "Richtigkeit" der vom BewA bekannt gegebenen Veränderungsraten (§
87a Abs
4 Satz 3
SGB V) im Streit über die Höhe der von den Krankenkassen zu entrichtenden Vergütung gerichtlich überprüfen zu lassen.
a. Nach der Rechtsprechung des Senats können einzelne Krankenkassen die von ihrem (oder sogar von einem "fremden") Landesverband
ausgehandelten Gesamtvergütungsvereinbarungen grundsätzlich nicht angreifen; die Krankenkasse ist an die von "ihrem" (bzw
dem nach dem "Wohnortprinzip" zuständigen) Landesverband geschlossenen Vereinbarungen gebunden, sofern diese nicht ausnahmsweise
nichtig sind (vgl BSGE 95, 141 RdNr 10 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 4 RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 83 Nr 5 RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 72 RdNr 18; zuletzt BSG Beschluss vom 17.2.2016 - B 6 KA 38/15 B - Juris). Die Bindungswirkung der gesamtvertraglichen Vereinbarung schließt es aus, dass die einzelne Krankenkasse im Rechtsstreit
mit der KÄV eine gerichtliche Überprüfung der Wirksamkeit dieser Vereinbarung erreichen kann. Dieser Grundsatz gilt sinngemäß
auch für die Bindung an den vom BewA mit normativer Wirkung für alle Partner der Vereinbarungen nach §
87a Abs
2 SGB V festgesetzten Orientierungswert sowie an die von ihm "mitgeteilten" Veränderungsraten für die Anpassung des Behandlungsbedarfs.
b. Indem der Gesetzgeber dem BewA durch §
87 Abs
2e SGB V die Aufgabe übertragen hat, den Orientierungswert nach den Maßstäben des §
87 Abs
2g SGB V festzusetzen, hat er einen der beiden wesentlichen Parameter der Vergütungsvereinbarungen - nämlich die "Preiskomponente"
- den regionalen Vertragspartnern (weitgehend, dh abgesehen von der Möglichkeit, Zu- und Abschläge zu vereinbaren) entzogen.
Zwar haben die regionalen Vertragspartner weiterhin den Punktwert festzusetzen, doch hat dies gemäß §
87a Abs
2 Satz 1
SGB V auf der Grundlage des Orientierungswerts zu erfolgen. Liegen keine regionalen Besonderheiten vor, wird der bundeseinheitliche
Orientierungswert als regionaler Punktwert übernommen. Wenn eine Gesamtvergütungsvereinbarung als solche für die davon betroffenen
Körperschaften (KÄV und alle Krankenkassen) verbindlich ist, muss auch ein wesentlicher Baustein derselben einer gerichtlichen
Prüfung in Streitverfahren zwischen KÄVen und Krankenkassen, die nicht an der Festsetzung des Orientierungswertes beteiligt
sind, entzogen sein.
aa. Die Vereinbarkeit des vom EBewA festgesetzten Orientierungswertes mit höherrangigem Recht kann von den Partnern dieses
Ausschusses zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden (BSGE 90, 61 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35, RdNr 19) und unterliegt der Kontrolle des Bundesministeriums für Gesundheit als zuständiger Aufsichtsbehörde
(§
87 Abs
6 SGB V). Wird die Festsetzung weder aufsichtsrechtlich beanstandet noch durch das zuständige Gericht aufgehoben, ist sie (auch)
für die regionalen Vertragspartner verbindlich und kann im Rahmen von Vereinbarungen nach §
87a Abs
2 SGB V weder in Frage gestellt noch inzident gerichtlich überprüft werden. Auch im Zuge der stärkeren Regionalisierung der Vereinbarungen
zur Gesamtvergütung hat der Gesetzgeber des VStG an einigen zentralen Vorgaben des BewA für die regionalen Vertragspartner festgehalten. Diese Vorgaben, von denen dem Orientierungswert
nach § 87 Abs 2e die größte Bedeutung zukommt, können ihre Funktion einer Steuerung und Anleitung der regionalen Vergütungsvereinbarungen
nur erfüllen, wenn sie nicht ihrerseits Gegenstand der (rechtlichen) Auseinandersetzung der regionalen Vertragspartner sind.
Wegen der Doppelnatur der Entscheidungen des EBewA, die wie Schiedsamtsentscheidungen gegenüber den Partnern des Ausschusses
als Verwaltungsakt ergehen und im Übrigen normative Wirkung haben (BSGE 90, 61, 62 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202), steht nach Ablauf von Klage- und Beanstandungsfristen die Unanfechtbarkeit von Beschlüssen
auf Bundesebene fest. Die damit verbundene Rechtssicherheit, die Voraussetzung für die Vergütungsvereinbarungen auf regionaler
Ebene ist, könnte nicht eintreten, wenn die Rechtmäßigkeit der Festlegungen des EBewA ohne zeitliche Begrenzung in den Auseinandersetzungen
auf regionaler Ebene in Frage gestellt werden könnte.
bb. Ein einzelnes Verfahren vor einem LSG wegen einer Schiedsamtsentscheidung, in dem ein Beteiligter die Rechtswidrigkeit
einer maßgeblichen Vorgabe des BewA geltend macht, wäre geeignet, die Vereinbarungen über die Gesamtvergütungen bundesweit
zu stoppen, weil und soweit eine Seite (KÄV oder Krankenkassen) sich die Möglichkeit offenhalten will bzw muss, von dem rechtskräftigen
Ausgang dieses Verfahrens zu profitieren. Das widerspräche zentral der Vorstellung des Gesetzgebers, wonach unmittelbar nach
Bekanntgabe der maßgeblichen Parameter durch den BewA die regionalen Vergütungsvereinbarungen für das jeweils folgende Jahr
abgeschlossen werden, damit diese rechtzeitig wirksam werden können. Auch der Spielraum für Kompromisse im BewA wäre massiv
eingeschränkt, wenn eine Seite, die in einer Frage nachgibt, und dafür zu einem anderen Gegenstand wichtige Zugeständnisse
erreicht, damit rechnen muss, dass ihr "Nachgeben" im Zuge gerichtlicher Auseinandersetzungen von regionalen Vertragspartnern
in Frage gestellt werden könnte, ohne dass auch die "Kompensation" entfällt. Dass diese Überlegung nicht nur theoretischer
Natur ist, hat der Beklagte angedeutet, wenn er auf die in der Sitzung des BewA vom 22.10.2012 beschlossene basiswirksame
Anhebung der MGV für eine gezielte Förderung im haus- und fachärztlichen Versorgungsbereich sowie auf die Ausgliederung der psychotherapeutischen
Leistungen aus der MGV verweist, die nach seiner Einschätzung bei der Rücknahme der Klage der KÄBV gegen den hier maßgeblichen Beschluss des BewA
eine Rolle gespielt haben können. Wenn diese Aspekte, was der Senat nicht zu beurteilen vermag, auch bei der Festlegung des
Orientierungswertes berücksichtigt worden sein sollten, wäre es der Kompromissfindung im BewA nicht dienlich, wenn ungeachtet
dieses Kompromisses ein Krankenkassenverband oder eine KÄV den ("begrabenen") Streitpunkt erneut streitig stellen könnte.
c. Die Verbindlichkeit der Vorgaben des BewA erfasst nicht nur den Orientierungswert, sondern auch die für die Anpassung des
Behandlungsbedarfs nach §
87a Abs
4 Satz 1
SGB V maßgeblichen Veränderungsraten. Schon deshalb kann die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchdringen, der Beklagte müsse
die Veränderungsrate höher als mit 0,43 % festsetzen. Eine solche Festsetzung wäre rechtswidrig.
aa. Als Teil der gemäß §
87a Abs
3 Satz 1
SGB V jährlich zu treffenden Gesamtvergütungsvereinbarung haben die Vertragspartner - bzw das Schiedsamt - den mit der Zahl und
der Morbiditätsstruktur der Versicherten verbundenen Behandlungsbedarf als Punktzahlvolumen auf der Grundlage des Einheitlichen
Bewertungsmaßstabs für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) zu vereinbaren (§
87a Abs
3 Satz 2 Teilsatz 1
SGB V). Grundlage für die Vereinbarung über die jährliche Anpassung des Behandlungsbedarfs - jeweils aufsetzend auf dem insgesamt
für alle Versicherten mit Wohnort im Bezirk einer KÄV für das Vorjahr nach §
87a Abs
3 SGB V vereinbarten und bereinigten Behandlungsbedarf - sind gemäß §
87a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V insbesondere Veränderungen der dort aufgeführten Kriterien (Zahl und Morbiditätsstruktur der Versicherten, Veränderungen
von Art und Umfang der ärztlichen Leistungen als Folge von Beschlüssen des GBA, Veränderungen des Leistungsumfangs aufgrund
von Verlagerungen zwischen den Leistungssektoren bzw aufgrund der Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven). Dabei sind
die Empfehlungen und Vorgaben des BewA gemäß §
87a Abs
5 SGB V zu berücksichtigen (§
87a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V).
Die jeweils jahresbezogene Veränderung der Morbiditätsstruktur im Bezirk einer KÄV ist auf der Grundlage der vertragsärztlichen
Behandlungsdiagnosen gemäß §
295 Abs
1 Satz 2
SGB V einerseits sowie auf der Grundlage demografischer Kriterien (Alter und Geschlecht) andererseits durch eine gewichtete Zusammenfassung
der vom BewA als Empfehlungen nach §
87a Abs
5 Satz 2 bis
4 SGB V mitgeteilten Raten zu vereinbaren (§
87a Abs
4 Satz 3
SGB V; s hierzu BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 §
87a Nr
2, RdNr
58 ff). Nach §
87a Abs
5 Satz 1
SGB V hat der BewA ua Empfehlungen zur Vereinbarung von Veränderungen der Morbiditätsstruktur nach §
87a Abs
4 Satz 1 Nr
2 SGB V zu beschließen (§
87a Abs
5 Satz 1
SGB V). Gemäß §
87a Abs
5 Satz 3
SGB V hat das Institut des BewA für jeden Bezirk einer KÄV zwei einheitliche Veränderungsraten zu errechnen, wobei eine Rate insbesondere
auf den Behandlungsdiagnosen gemäß §
295 Abs
1 Satz 2
SGB V und die andere Rate auf demografischen Kriterien (Alter, Geschlecht) basiert; das Ergebnis dieser Ermittlungen hat der BewA
den Vertragspartnern mitzuteilen (§
87a Abs
5 Satz 2
SGB V). Die Veränderungsraten werden auf der Grundlage des Beschlusses des EBewA vom 2.9.2009 Teil B Nr 2.3 bestimmt mit der Maßgabe,
die Datengrundlage zu aktualisieren (§
87a Abs
5 Satz 4
SGB V). Die Raten sind als Empfehlung zur Morbiditätsrate an die regionalen Vertragspartner anzusehen; bundesweite Daten sind lediglich
für den Fall heranzuziehen, dass KÄV-spezifische Diagnosedaten nicht vorliegen (Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Verbesserung
der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-VStG], BT-Drucks 17/6906 S 64 zu §
87a Abs
5 SGB V).
bb. Der BewA hat mit Beschluss aus seiner 288. Sitzung am 22.10.2012 (DÄ 2012, A 2322) für das Jahr 2013 als Veränderungsrate
auf der Grundlage der vertragsärztlichen Behandlungsdiagnosen nach §
87a Abs
5 Satz 3
SGB V für den KÄV-Bezirk Bayerns einen Wert in Höhe von 0,1061 % (Nr 1 aaO) und als Veränderungsrate auf der Grundlage demografischer
Kriterien nach §
87a Abs
5 Satz 3
SGB V für den KÄV-Bezirk Bayerns einen Wert in Höhe von 0,4233 % (Nr 2 aaO) empfohlen. In den entscheidungserheblichen Gründen
hierzu heißt es, die Veränderungsraten seien vom Institut des BewA auf der Basis des Beschlusses des EBewA in seiner 29. Sitzung
vom 19./25.6.2012 und der Änderung durch die 288. Sitzung des BewA iVm dem Beschluss des EBewA in seiner 30. Sitzung vom 15.8.2012
und dem Beschluss des BewA in seiner 283. Sitzung vom 30.8.2012 zur Korrektur von festgestellten Lücken in der Datengrundlage
bei der Ermittlung der diagnosebezogenen bzw demografischen Veränderungsrate für das Jahr 2013 je Bezirk einer KÄV ermittelt
worden.
cc. Diese Vorgaben hat der Beklagte jedenfalls nicht zu Lasten der Klägerin umgesetzt. Seine Entscheidung, wegen der Zweifel
an der Validität der vom BewA mit 0,1061 % für Bayern mitgeteilten Veränderungsrate für die Diagnosen diese Rate ganz außer
Betracht zu lassen und nur die mit 0,43 % höhere Rate wegen der demografischen Änderungen anzusetzen, steht mit Bundesrecht
nicht in Einklang. Wie die früheren Vorgaben des BewA für die regionalen Vertragspartner nach dem bis Ende 2012 geltenden
Recht verbindlich waren (vgl hierzu BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 § 87 Nr 26, RdNr 35 ff), dürfen diese auch die "Empfehlungen" des BewA nach §
87a Abs
5 Satz 3
SGB V nicht überspielen, sondern sind daran gebunden. Das folgt nicht ohne Weiteres aus der Wendung "Empfehlungen", wohl aber aus
der Formulierung des §
87a Abs
4 Satz 3
SGB V; danach sind die jahresbezogenen Veränderungen "... durch eine gewichtete Zusammenfassung der vom BewA als Empfehlungen ...
mitgeteilten Raten zu vereinbaren". Damit ist der Spielraum der Vertragspartner auf die "Gewichtung" beschränkt, die bereits
Gegenstand des Senatsurteils vom 13.8.2014 (BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2 RdNr 58 ff) war; er umfasst nicht das Recht, die "mitgeilten Raten" oder deren Richtigkeit in Frage
zu stellen.
dd. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-VStG die Kompetenzen des BewA zugunsten der regionalen Abweichungsspielräume (weitgehend) auf Empfehlungen beschränkt (Gesetzesbegründung
zum GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 64 zu §
87a Abs
5 SGB V). Daraus ist der Schluss gezogen worden, dass diese Empfehlungen für die Vereinbarungen auf regionaler Ebene nicht mehr verbindlich
sind (Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand August 2016, §
87a RdNr
105 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §
87a Abs
3 SGB V, BT-Drucks 17/6906 S 63). Nach Motz (in Eichenhofer/Wenner,
SGB V, 2. Aufl 2016, §
87a RdNr 32) sind die Empfehlungen nicht verbindlich, aber zu berücksichtigen. Von einer "Berücksichtigung" gehen Scholz (in
Becker/Kingreen,
SGB V, 5. Aufl 2017, §
87a RdNr 8) sowie Freundenberg (in JurisPraxiskommentar-
SGB V, 3. Aufl 2016 §
87a RdNr 122) aus. Sproll (in Krauskopf,
SGB V, §
87a RdNr 43, Stand Dezember 2015) sieht in der "Unverbindlichkeit" hingegen lediglich eine "untechnische Beschreibung des neuen
Konzepts"; dies könne nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die Beachtung der Empfehlungen im Belieben der Vertragspartner
stehe. Eine generelle Entscheidung zur Verbindlichkeit der "Empfehlungen" iS des §
87a Abs
5 SGB V ist angesichts der Vielzahl der Sachverhalte und Kriterien, die unter diesem Sammelbegriff vom BewA festgelegt werden können,
kaum möglich und hier nicht geboten. Aus systematischen Gründen sind jedenfalls zumindest die den regionalen Vertragspartnern
mitgeteilten Veränderungsraten iS des §
87a Abs
5 Satz 3 und
4 SGB V für diese verbindlich und einer gerichtlichen Inzidentprüfung im Streit dieser Vertragspartner nicht zugänglich.
ee. Nach Satz 3 aaO "errechnet das Institut des Bewertungsausschusses ... für jeden Bezirk einer Kassenärztlichen Vereinigung
zwei einheitliche Veränderungsraten ...". Nach Satz 4 werden diese Raten "bestimmt" auf der Grundlage des Beschlusses des
EBewA vom 2.9.2009 mit der Maßgabe, die Datengrundlagen zu aktualisieren. Zudem gibt das Gesetz vor, dass zur Ermittlung der
diagnosebezogenen Rate das geltende Modell des Klassifikationsverfahrens anzuwenden ist (§
87a Abs
5 Satz 5
SGB V); der BewA kann dieses Modell in bestimmten Zeitabständen auf seine weitere Eignung überprüfen und fortentwickeln (§
87a Abs
5 Satz 6
SGB V). Das im Gesetz erwähnte "Klassifikationsverfahren" meint die im Beschluss des BewA unter Teil B Nr 2.3.1 Ziff 2 vorgesehene
und von dessen Institut angepasste Variante H (Gesetzesbegründung zum GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 64 zu §
87a Abs
5 SGB V).
Schon die Wendung "bestimmt" in Satz 4 sowie die verbindliche Vorgabe eines Ermittlungsmodells und dessen Aktualisierung lassen
erkennen, dass der BewA und sein Institut hier nicht lediglich als technische Helfer der regionalen Vertragspartner tätig
werden, sondern ihnen zur Sicherung eines bundesweit einheitlichen Ermittlungsverfahrens eine verbindliche Feststellung zugewiesen
wird. Wenn der BewA auf der Grundlage von Berechnungen seines Instituts sodann die Ergebnisse in Gestalt von zwei Raten den
regionalen Vertragspartnern nach § 87a Abs 4 Satz 3 "mitteilt", stellt das einen Akt der Normsetzung dar, an den die Vertragspartner
gebunden sind. Die "Mitteilung" von in einem bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren berechneten Raten für jeden
KÄV-Bezirk erfolgt durch den BewA, nicht durch das Institut selbst. Die Wendung in Abs 4 Satz 3, die Raten würden "als Empfehlungen
nach Abs. 5 Satz 2 bis 4" mitgeteilt, verweist lediglich auf die Eingangswendung des Abs 5, in der pauschal von "Empfehlungen"
die Rede ist, ohne dass ihr ein weitergehender Regelungsgehalt entnommen werden könnte. Wenn der Gesetzgeber die Ermittlung
der für den Behandlungsbedarf maßgeblichen Veränderungsraten allein dem BewA zuweist und keine Vorgaben für den Fall normiert,
dass die regionalen Vertragspartner - oder im Streitfall das Schiedsamt - von diesen Raten abweichen wollen, legt das den
Schluss nahe, dass solche Abweichungen nicht vorgesehen sind.
Die Veränderungsraten können Verwerfungen im KÄV-System in der Form bewirken, dass je nach Rechenmodell oder Datenqualität
regional höhere oder niedrigere Werte ermittelt oder festgestellt werden. Wegen der Auswirkungen der Raten auf den Behandlungsbedarf
und damit unmittelbar auch auf die Höhe der Gesamtvergütung können Anreize für einen "Wettbewerb" der KÄVen untereinander
um die höchsten (vereinbarten oder vom Schiedsamt festgesetzten) Veränderungsraten ausgehen, der unerwünscht ist. Deshalb
ist es systematisch konsequent, dass die eigentlichen Verhandlungen über die Höhe der Gesamtvergütung vom Streit um die "richtigen"
Veränderungsraten im jeweiligen KÄV-Bezirk entlastet werden, eben weil deren Festsetzung für alle KÄV-Bezirke in gleicher
Weise verbindlich durch den BewA erfolgt. Soweit in §
87a Abs
5 Satz 4
SGB V bestimmt ist, dass die Raten nach einem bestimmten, vom BewA 2009 beschlossenen Modell berechnet werden, ist es sachgerecht,
dass die Umsetzung dieses Rechenmodells auf die einzelnen KÄVen auch einheitlich auf Bundesebene erfolgt. Damit wird von vornherein
ausgeschlossen, dass sich ein - potenzieller - Streit um die Auslegung oder Anwendung dieses Beschlusses des BewA regional
auswirken kann. Dies hat auch deshalb Bedeutung, weil etwa die niedrige diagnosebezogene Veränderungsrate, die hier umstritten
ist, nach Auffassung der Klägerin nicht auf zufällige Fehler in der Berechnungsweise zurückzuführen sein soll, sondern die
in Zweifel gezogenen Werte auf das vom BewA zugrunde gelegte Berechnungsverfahren zurückzuführen seien.
ff. Der BewA als Normgeber des in Satz 4 aaO genannten Beschlusses zieht für jedes Jahr auf der Basis der Berechnungen seines
Instituts die Konsequenzen daraus in Gestalt der veröffentlichten Veränderungsraten. Diese werden wie jeder andere Beschluss
des BewA nach Ablauf von Klage- und aufsichtsrechtlichen Beanstandungsfristen verbindlich und als solche den KÄVen mitgeteilt.
Für eine Abweichung von diesen Raten ist innerhalb dieses geschlossenen Systems kein Raum, schon weil nicht ansatzweise gesetzlich
geregelt ist, nach welchem objektiven und transparenten Verfahren die maßgeblichen Veränderungsraten auf regionaler Ebene
ermittelt werden sollten, wenn die Vertragspartner oder das Schiedsamt der Auffassung sind, die für ihren Zuständigkeitsbereich
auf Bundesebene mitgeteilten Raten seien "falsch". Soweit insbesondere die zu 8. beigeladene KÄBV davon ausgeht, die nach
§
87a Abs
5 Satz 3
SGB V vom Institut des BewA "errechneten" Zahlen seien nicht Teil der Normsetzung des BewA, folgt der Senat dem nicht. Die Verantwortung
für die von ihm nach §
87a Abs
4 Satz 3
SGB V "als Empfehlungen mitgeteilten Raten" hat "der" BewA, nicht sein Institut. Das Gesetz gibt in §
87a Abs
5 Satz 3
SGB V lediglich vor, wie und durch wen aus welchen Daten die maßgeblichen Raten ermittelt werden, schafft aber keinen von gerichtlichen
Kontrollen freien Bereich. Die gerichtliche Kontrolle sog zahlenförmiger Normen im Bereich der Sozialversicherung erfolgt
nach den vom Senat in den Urteilen vom 28.5.2008 entwickelten Maßstäben (BSGE 100, 254 = SozR 4-2500 § 85 Nr 42, RdNr 18 f). Die Rechenergebnisse des Instituts bewegen sich nicht im rechtsfreien Raum. Im Fall
einer Klage einer der Partner des BewA gegen den Empfehlungsbeschluss des EBewA nach §
87a Abs
5 SGB V können auch die Berechnungsgrundlagen und die Berechnungsergebnisse des Instituts überprüft werden. Im hier maßgeblichen
Kontext ist allein von Bedeutung, dass eine solche Prüfung nicht auf regionaler Ebene als Inzidentkontrolle, sondern nur auf
Bundesebene zentral erfolgen kann.
Wenn der Gesetzgeber die Entwicklung der Morbidität nicht der freien Einschätzung der Vertragspartner überlässt, sondern zu
deren Ermittlung detaillierte Vorgaben macht und den BewA insoweit für zuständig erklärt, bedürfte es klarer Hinweise im Gesetz,
dass mögliche Konflikte um die "richtige" Ermittlung der Raten nicht (abschließend) auf Bundesebene geklärt werden sollen,
sondern zusätzlich die Veränderungsraten in allen regionalen Verhandlungen in Frage gestellt werden können. Für einen solchen
Bruch mit der Verteilung der Kompetenzen zwischen der Bundes- und der KÄV-Ebene reicht der allgemeine Hinweis auf das Wort
"Empfehlungen" nicht aus. "Empfehlungen" generell können die Vertragspartner beachten, berücksichtigen oder deutlich modifizieren;
bei errechneten Veränderungsraten als Basis für Vereinbarungen zum Behandlungsbedarf ist dafür kein Raum. Die Veränderung
der Morbiditätsstruktur ist nach §
87a Abs
4 Satz 3
SGB V "durch eine gewichtete Zusammenfassung der vom Bewertungsausschuss ... mitgeteilten Raten" zu vereinbaren. Diese Raten sind
also nicht zu berücksichtigen oder zu beachten, sondern sie sind die Basis der Vereinbarungen. Wenn diese Basis in Frage gestellt
werden könnte, entfiele der Rahmen für jede Form von Gewichtung, die der Gesetzgeber vorschreibt. Die "mitgeteilten Veränderungsraten"
können ihrer Natur nach nicht ausgelegt oder als mehr oder weniger wichtiger Anhaltspunkt für weitergehende Gestaltungen herangezogen
werden: sie sind entweder verbindlich oder ihre Richtigkeit muss im Streitfall geklärt werden. §
87a Abs
4 SGB V liegt die Konzeption zugrunde, dass die Richtigkeit des Rechenergebnisses auf Bundesebene - gegebenenfalls auch gerichtlich
- überprüft werden kann, wenn eine solche Klärung aber erfolgt oder nicht eingeleitet worden ist, stehen die Raten fest und
sind nicht mehr Gegenstand der Auseinandersetzungen der Partner der Gesamtverträge.
gg. Deshalb war hier das beklagte Schiedsamt an die vom BewA mitgeteilten Veränderungsraten für beide Komponenten (Diagnosen
und Demografie) gebunden; es hätte deshalb die von ihm für unplausibel gehaltene Raten von 0,1061 % für die Diagnosen nicht
außer Betracht lassen dürfen. Ob eine Gewichtung mit einem Wert in der Nähe von Null, wie sie der Beklagte in der mündlichen
Verhandlung angesprochen hat, den Vorgaben des insoweit nach wie vor maßgeblichen Senatsurteils vom 13.8.2014 (BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 57 ff) noch entsprochen hätte, liegt nicht nahe, bedarf aber keiner Entscheidung. Oberhalb
der mitgeteilten Veränderungsrate wegen der demografischen Entwicklung von 0,43 % darf der Anstieg des morbiditätsbedingten
Behandlungsbedarfs jedenfalls nicht festgesetzt werden, und allein darauf ist die Revision der Klägerin gerichtet.
4. Die vom LSG gebilligte Entscheidung des beklagten Schiedsamtes, keine Zuschläge zum Orientierungswert nach §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V festzusetzen, hält dagegen der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das beruht allerdings entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht darauf, dass feststehe, dass in ihrem Bezirk die Voraussetzungen für die Anwendung der Zuschlagsregelung so
offensichtlich erfüllt seien, dass die Weigerung zur Festsetzung von Zuschlägen ermessensfehlerhaft wäre. Mit Bundesrecht
unvereinbar ist allein die Auffassung des Beklagten, für die Prüfung, ob von §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V Gebrauch gemacht werden könne, sei der Grundsatz der Vorjahresanknüpfung maßgeblich, sodass nur auf Kostensteigerung zwischen
2010 und 2011 bzw 2011 und 2012 abgestellt werden könne. Das trifft nicht zu, und deshalb hat der Beklagte die ihm (auch)
bei Anwendung des §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V zukommende Gestaltungsfreiheit nicht wahrgenommen und - für sich genommen konsequent - seine Entscheidung zu den Zuschlägen
auch nicht in einer den Vorgaben des § 35 SGB X entsprechenden Weise begründet.
a. Dem Schiedsamt kommt nach der Rechtsprechung des BSG bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertrags(zahn)ärztliche Vergütung gemäß §
89 Abs
1 SGB V ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Seine Vertragsgestaltungsfreiheit, die der gerichtlichen Nachprüfung Grenzen setzt, ist
nicht geringer als diejenige der Vertragspartner bei einer im Wege freier Verhandlungen erzielten Vereinbarung (stRspr des
BSG, vgl BSGE 20, 74, 76 f = SozR Nr 1 zu § 368h
RVO; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 20 S 131; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 56 RdNr 25; BSGE 100, 144 = SozR 4-2500 § 85 Nr 41, RdNr 13 mwN; BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 27; BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 36; BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 26).
Die Schiedssprüche sind ebenso wie die von ihnen ersetzten Vereinbarungen der vorrangig zum Vertragsabschluss berufenen Vertragsparteien
auf Interessenausgleich angelegt und haben Kompromisscharakter (stRspr, vgl aus jüngerer Zeit BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 36; BSGE 118, 164 = SozR 4-2500 § 73b Nr 1, RdNr 58; BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 §
120 Nr 4, RdNr 26). Schiedssprüche nach §
89 SGB V unterliegen insoweit - auf Anfechtung der Gesamtvertragsparteien hin - nur in eingeschränktem Umfang gerichtlicher Kontrolle
(stRspr des BSG, vgl BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3, RdNr 11 mwN; BSGE 100, 144 = SozR 4-2500 § 85 Nr 41, RdNr 13; BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 36; BSGE 118, 164 = SozR 4-2500 § 73b Nr 1, RdNr 58; BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 26). Sie sind nur daraufhin zu überprüfen, ob sie die grundlegenden verfahrensrechtlichen
Anforderungen und in inhaltlicher Sicht die zwingenden rechtlichen Vorgaben eingehalten haben (stRspr des BSG, vgl zB BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3, RdNr 11; zuletzt BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 26). Die inhaltliche Kontrolle ist darauf beschränkt, ob der vom Schiedsamt zugrunde gelegte
Sachverhalt zutrifft, ob das Schiedsamt den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum eingehalten, dh insbesondere die maßgeblichen
rechtlichen Vorgaben beachtet hat, die auch für die Vertragsparteien gelten (stRspr des BSG, vgl BSGE 91, 153 = SozR 4-2500 § 85 Nr 3, RdNr 11; BSGE 100, 144 = SozR 4-2500 § 85 Nr 41, RdNr 13; BSGE 118, 164 = SozR 4-2500 § 73b Nr 1, RdNr 58; BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 26; s auch BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 36).
Die gerichtliche Kontrolle ist darüber hinaus eingeschränkt, soweit die rechtlichen Vorgaben ihrerseits den Gesamtvertragsparteien
- und bei einer vertragssubstituierenden Entscheidung dem Schiedsamt - einen Beurteilungsspielraum einräumen (Wenner in Eichenhofer/Wenner,
SGB V, 2. Aufl 2016, §
89 RdNr 24). Das gilt nicht allein für Beurteilungsspielräume, sondern sinngemäß auch dann, wenn den Vertragsparteien ein Handlungsermessen
eingeräumt wird. Die Maßstäbe, die an die Überprüfung einer obligatorischen Entscheidung angelegt werden, können nicht dieselben
sein wie diejenigen, die bei der Überprüfung einer lediglich fakultativ zu treffenden Entscheidung zum Tragen kommen. Wenn
der Gesetzgeber - wie vorliegend - den Vertragspartnern die Vereinbarung von Punktwertzuschlägen nicht verbindlich vorschreibt,
sondern es in deren Ermessen stellt, ob sie das Vorliegen von Unterschieden in der Kosten- und Versorgungsstruktur zum Anlass
nehmen, einen Zuschlag zu vereinbaren, dann muss sich dieser Umstand auch bei der Überprüfung der durch das Schiedsamt erfolgten
Festsetzung in einer verringerten Kontrolldichte niederschlagen. Da auch fakultative Vereinbarungen Gegenstand eines Schiedsspruchs
sein können (vgl Düring/Schnapp in Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, 2. Aufl 2016, Kap A RdNr
71 ff mwN), würde andernfalls aus einer "Kann"-Regelung eine im Gesetz nicht vorgesehene "Muss"-Regelung: Dies wäre der Fall,
wenn Prüfungsmaßstab allein das objektive Vorliegen von Unterschieden in der Kosten- und Versorgungsstruktur wäre.
b. Nach diesen Vorgaben ist der Schiedsspruch nur insoweit zu beanstanden, als es der Beklagte abgelehnt hat, einen Zuschlag
auf den Orientierungswert festzusetzen und diese Entscheidung nicht hinreichend begründet hat.
aa. Rechtsgrundlage der Gewährung eines Zuschlages ist §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V (in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung des GKV-VStG vom 22.12.2011, BGBl I 2983). Nach §
87a Abs
2 Satz 1
SGB V haben die KÄV und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich auf der Grundlage des
Orientierungswertes gemäß §
87 Abs
2e SGB V einen Punktwert zu vereinbaren, der zur Vergütung der vertragsärztlichen Leistungen im Folgejahr anzuwenden ist. §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V ermächtigt die genannten Vertragspartner, "dabei" - also im Rahmen der Vereinbarung des Punktwerts - einen Zuschlag auf den
oder einen Abschlag von dem Orientierungswert gemäß §
87 Abs
2e SGB V zu vereinbaren, um insbesondere regionale Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur zu berücksichtigen. Nach
Auffassung des Gesetzgebers ist "diese regionale Differenzierung ... erforderlich, da sich zwischen den Ländern Unterschiede
der für Arztpraxen relevanten Kostenstrukturen (wie zB Lohn- und Gehaltsniveau der Praxisangestellten, Mietniveau etc) ebenso
wie Unterschiede bei der Versorgungsstruktur (zB Behandlungsfälle, haus- versus fachärztliche Angebotsstrukturen) feststellen
lassen" (FraktE GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 119 zu § 85a Abs 2
SGB V).
(1) Die Vereinbarung von Zuschlägen nach §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V ist nicht obligatorischer, sondern fakultativer Teil der Vereinbarung nach §
87a Abs
2 SGB V. Die Regelung enthält keine Verpflichtung, sondern eine Ermächtigung an die Vertragspartner, Zuschläge zu vereinbaren: Sie
ist damit primär als Befugniszuweisungsnorm zu werten, welche die Vertragspartner zu einer Abweichung von dem Orientierungswert
berechtigt, der wiederum entsprechend der gesetzlichen Vorgabe (§
87a Abs
2 Satz 1
SGB V) "die Grundlage" der regionalen Punktwert-Vereinbarung bildet. §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V ist - wie schon der Wortlaut "können" nahelegt - zugleich auch als Ermessensnorm zu verstehen, die den Vertragspartnern ein
Handlungsermessen einräumt: Auch bei Vorliegen regionaler Besonderheiten besteht keine Verpflichtung zur Vereinbarung von
Zuschlägen, sondern lediglich eine Verpflichtung, im Rahmen der an eine Ermessensausübung zu stellenden Anforderungen pflichtgemäß
zu entscheiden. Ungeachtet des fakultativen Charakters der Regelung hat nach der Rechtsprechung des Senats (BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 27 - zur Vergütung von Leistungen außerhalb der Gesamtvergütungen; BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 § 87 Nr 26, RdNr 41 - zur Vereinbarung von Zuschlägen) jede der Vertragsparteien die Möglichkeit, eine entsprechende
Vereinbarung über das Schiedsamt nach §
89 Abs
1 SGB V zu erreichen (aA noch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.12.2010 - L 7 KA 62/09 KL - Juris RdNr 58 = KRS 10.089). Dieses hat die Befugnis, auch fakultative Vertragsbestandteile festzusetzen (BSGE 110,
258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 27; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 35/15 B - Juris RdNr 17).
(2) Ausdrückliche Vorgaben für die Vereinbarung von Zu- und Abschlägen enthält das Gesetz nicht:
(a) Nach dem bis Ende 2011 geltenden Recht (§
87a Abs
2 Satz 3
SGB V aF) waren bei der Vereinbarung von Zu- und Abschlägen zwingend die Vorgaben des BewA gemäß §
87 Abs
2f SGB V aF anzuwenden (s hierzu BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 §
87 Nr 26, RdNr 34, 70 f), um eine bundeseinheitliche Anwendung dieser Regelung sicherzustellen (FraktE GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 129 zu §
87 Abs
2f SGB V). Durch §
87 Abs
2f Satz 1
SGB V aF war dem BewA die Aufgabe übertragen worden, jährlich bis zum 31.8. Indikatoren zur Messung der regionalen Besonderheiten
bei der Kosten- und Versorgungsstruktur nach §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V festzulegen, auf deren Grundlage in den regionalen Punktwertvereinbarungen von den Orientierungswerten abgewichen werden
konnte. Der BewA konnte die zur Festlegung der Indikatoren erforderlichen Datenerhebungen und -auswertungen gemäß §
87 Abs
3f Satz 3
SGB V durchführen und hatte dabei - soweit möglich - amtliche Indikatoren zugrunde zu legen (§
87 Abs
2f Satz 2
SGB V aF). Als Indikatoren für das Vorliegen von regionalen Besonderheiten bei der Versorgungsstruktur dienten insbesondere Indikatoren,
die Abweichungen der regionalen Fallzahlentwicklung von der bundesdurchschnittlichen Fallzahlentwicklung messen (Satz 3 aaO).
Als Indikatoren für das Vorliegen von regionalen Besonderheiten bei der Kostenstruktur dienten insbesondere Indikatoren, die
Abweichungen der für die Arztpraxen maßgeblichen regionalen Investitions- und Betriebskosten von den entsprechenden bundesdurchschnittlichen
Kosten messen (Satz 4 aaO).
Das Fehlen entsprechender Vorgaben stand allerdings der Vereinbarung von Zu- und Abschlägen nicht entgegen (BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1, RdNr 34; BSGE 111, 114 = SozR 4-2500 § 87 Nr 26, RdNr 78): Der BewA sah sich zu entsprechenden Vorgaben erklärtermaßen nicht in der Lage. So hat
der EBewA in Teil C Nr 1 und 2 seines Beschlusses vom 27./28.8.2008 (DÄ 2008 S A 1990) festgestellt, dass er keine Indikatoren
zu regionalen Besonderheiten in den Kosten- und Versorgungsstrukturen zwischen den Bezirken der KÄVen definieren könne, die
eine regionale Anpassung der Orientierungswerte aufgrund von Unterschieden in der Versorgungsstruktur rechtfertigen würden
(s hierzu BSG SozR 4-2500 § 87b Nr 5 RdNr 25). Die bundesgesetzlichen Vorgaben sind mit Wirkung zum 1.1.2012 "zur Stärkung der regionalen Kompetenzen der
Vereinbarungen zwischen der KÄV und den Landesverbänden der Krankenkassen" aufgehoben worden (RegE GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 61 zu §
87 Abs
2f SGB V aF).
(b) Nach dem hier maßgeblichen, ab 1.1.2012 geltenden Recht beschränken sich die gesetzlichen Vorgaben für die Gewährung eines
Zuschlags darauf, als sachlichen Grund für die Vereinbarung von Zuschlägen (sowie Abschlägen) - insbesondere - die Berücksichtigung
"regionaler Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur" anzuführen.
(aa) Mit den Begriffen "Kosten- und Versorgungsstruktur" macht der Gesetzgeber deutlich, dass es nicht allein auf ein von
anderen KÄV-Bezirken abweichendes Kostenniveau ankommt, sondern auch Besonderheiten in der "Versorgungsstruktur" eine Rolle
spielen. Was unter den Begriffen zu verstehen ist, lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen. Danach meint der Begriff der
für Arztpraxen relevanten "Kostenstrukturen" zB das Lohn- und Gehaltsniveau der Praxisangestellten, das Mietniveau etc, der
Begriff der "Versorgungsstruktur" hingegen zB "Behandlungsfälle, haus- versus fachärztliche Angebotsstrukturen" (FraktE GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 119 zu § 85a Abs 2
SGB V).
Der Begriff "Kostenstruktur" wird damit ohne Weiteres nachvollziehbar. Zu seiner Auslegung können im Übrigen die nach früherem
Recht vorgegebenen Indikatoren herangezogen werden. Gemäß §
87 Abs
2f Satz 4
SGB V aF dienten als Indikatoren für das Vorliegen von regionalen Besonderheiten bei der Kostenstruktur insbesondere Indikatoren,
die Abweichungen der für die Arztpraxen maßgeblichen regionalen Investitions- und Betriebskosten von den entsprechenden bundesdurchschnittlichen
Kosten messen.
Für den Begriff "Versorgungsstruktur" gilt dies nicht im gleichen Maße. Gemäß §
87 Abs
2f Satz 3
SGB V aF dienten als Indikatoren für das Vorliegen von regionalen Besonderheiten bei der Versorgungsstruktur insbesondere solche,
die Abweichungen der regionalen Fallzahlentwicklung von der bundesdurchschnittlichen Fallzahlentwicklung messen. Nach Auffassung
der Gesetzesbegründung waren die Unterschiede bei der Fallzahlentwicklung in den Regionen deshalb relevant, weil die Entwicklung
der Fallzahlen im Zeitablauf gemäß §
87 Abs
2g Nr
3 SGB V eines der Kriterien ist, das bei der jährlichen Anpassung der Orientierungswerte durch den BewA zu berücksichtigen ist (FraktE
GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 129). Zur Messung einer signifikant abweichenden regionalen Fallzahlentwicklung biete sich zB an, dass
der BewA einen Schwellenwert festlege, ab dessen Überschreitung auf der regionalen Ebene mit einer Punktwertabweichung vom
bundesweiten Orientierungsniveau reagiert wurde (FraktE GKV-WSG aaO).
Der Hinweis auf §
87 Abs
2g Nr
3 SGB V verdeutlicht, dass regionale Abweichungen in der Kosten- und Versorgungsstruktur durchaus gegenläufig sein können und insbesondere
der "Versorgungstruktur" eine in der Tendenz eher "abschmelzende" Wirkung zukommen soll: Nach §
87 Abs
2g Nr
3 SGB V ist nämlich gerade die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen (mindernd) zu berücksichtigen. Welche weiteren
Aspekte unter dem Begriff der "Versorgungsstruktur" von Bedeutung sein können, ob also etwa in Flächenstaaten mit Versorgungslücken
"Sonderzahlungen" an niederlassungswillige (Land-)Ärzte einen Zuschlag rechtfertigen könnten, kann hier ebenso offenbleiben
wie die tendenziell gegenläufige Vorstellung, ein Überangebot an Leistungserbringern (also eine "Überversorgung") sei als
eine Besonderheit der Versorgungsstruktur zu werten, die eher eine Absenkung des Vergütungsniveaus nahelegt (zu den Maßstäben
bei Anwendung des §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V näher Senatsurteil B 6 KA 5/16 R vom heutigen Tag [10.5.2017]). Der Beklagte hat sich nämlich mit den von der Klägerin dargestellten Abweichungen zwischen
Bayern und dem übrigen Bundesgebiet hinsichtlich der Kostenstruktur deshalb nur unzureichend auseinandergesetzt, weil er davon
ausging, nur solche Kostensteigerung berücksichtigen zu dürfen, die von 2010 auf 2011 bzw von 2011 auf 2012 eingetreten sind.
Das trifft indessen nicht zu.
bb. Der Grundsatz der sog Vorjahresanknüpfung gilt für die Vereinbarung von Zu- und Abschlägen nach §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V nicht.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 13.8.2014 (BSGE 116, 280 = SozR 4-2500 § 87a Nr 2, RdNr 43) dargelegt, dass für die Vereinbarung der Gesamtvergütungen ab dem Jahr 2013 generell und
speziell auch für die jahresbezogene Veränderung der Morbiditätsstruktur das Prinzip der Vorjahresanknüpfung gilt, dass also
grundsätzlich an die vorjährige Vereinbarung anzuknüpfen ist. Für die auf §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V beruhende Vereinbarung von Zu- und Abschlägen auf den Orientierungswert sieht das Gesetz dagegen ausdrücklich keine Anpassung
auf der Basis eines Vorjahreswertes vor; das gilt sowohl für die Fassung der Vorschrift in der bis zum 31.12.2011 geltenden
Fassung, zu der das Senatsurteil vom 21.3.2012 (BSGE 110, 258 = SozR 4-2500 § 87a Nr 1) ergangen ist, wie für die ab dem 1.1.2012 geltende Fassung, die für das Urteil vom 13.8.2014 und
auch für die jetzige Entscheidung maßgeblich ist. Daran ist festzuhalten. Die Regelung über die Zu- und Abschläge auf den
Orientierungswert passt systematisch nicht zum Grundsatz der Vorjahresanknüpfung, weil sie gerade Entwicklungen im Bereich
der Kosten der Praxisführung Rechnung tragen will und soll, die sich über die letzten Jahre entwickelt haben. In der Gesetzesbegründung
ist dazu ausgeführt, "zwischen den Ländern (ließen sich) Unterschiede der für die Arztpraxen relevanten Kostenstrukturen ...
feststellen" (BT-Drucks 16/3100 S 119). Wenn beabsichtigt gewesen wäre, dem nur insoweit Rechnung zu tragen, als diese Entwicklung
sich künftig verstärkt, hätte diese im Gesetz oder zumindest in der Begründung des Gesetzentwurfs angedeutet werden müssen.
Schon der pauschale Hinweis auf die "feststellbaren Unterschiede" in der Gesetzesbegründung wäre dann irreführend gewesen,
weil er - ohne Belege, weil offenbar auf Evidenz basierend - auf die offensichtlichen Unterschiede im Mietniveau zB zwischen
Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern Bezug nimmt. Im Sinne der Auffassung insbesondere der Beigeladenen zu 1. hätte aber allein
auf die aktuellen Steigerungswerte Bezug genommen werden müssen: Ob die Mieten für Arztpraxen in Hamburg im Jahr 2012 doppelt
so hoch waren wie in Mecklenburg-Vorpommern, wäre gleichgültig gewesen, weil allein maßgeblich hätte sein müssen, ob die Steigerung
von 2011 auf 2012 in Hamburg höher als dort gewesen wäre. Damit käme die Regelung über Zuschläge im Hinblick auf besondere
Kostenstrukturen nur für Bezirke zur Anwendung, in denen in den allerletzten Jahren beim Mietniveau besondere Anstiege zu
verzeichnen sind. Es liegt sehr fern, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der aus der Perspektive der gewollten Regionalisierung
der Vergütungsvereinbarungen durch das VStG sehr wichtigen Zu- und Abschlagsregelung so stark verengen wollte.
Deshalb dürfen die Vertragspartner bei Anwendung des §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V auch über die Jahre gewachsene Differenzen etwa hinsichtlich der für vertragsärztliche Praxen wichtigen Kostenfaktoren (zB
Gehälter, Mieten, IT-Dienstleistungen) zwischen ihrem Bezirk und dem gesamten Bundesgebiet berücksichtigen. Entsprechend gilt
für das Schiedsamt, dass es sich dieser Option bewusst sein und für erforderlich gehaltenen Vortrag der Beteiligten oder eigene
Maßnahmen der Sachaufklärung daran ausrichten muss. Das hat der Beklagte ausdrücklich nicht getan, und insoweit liegt nach
den Erläuterungen seines Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung auch kein bloßes Defizit des schriftlichen Begründungstextes
vor. Deshalb kann seine Entscheidung insoweit nicht bei Bestand bleiben; der Beklagte muss neu über die Anwendung des §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V für das Jahr 2013 entscheiden.
Nicht zu beanstanden, sondern gesetzlich geboten ist, wenn der Beklagte - wie bei seiner jetzt teilweise aufgehobenen Entscheidung
- den gesamten KÄV-Bezirk in den Blick nimmt und sich nicht allein von den offensichtlichen Abweichungen etwa zwischen den
Mietkosten in München und im Bundesdurchschnitt leiten lässt. Im Übrigen ist der Gestaltungsspielraum des Schiedsamtes bei
Anwendung des §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V nicht dahin verengt, dass jeder noch so geringfügigen Abweichung auf der Kostenseite zwischen einem KÄV-Bezirk und dem Bundesdurchschnitt
Rechnung getragen werden müsste. Dagegen spricht schon, dass auch die Versorgungsstrukturen als wichtiges Kriterium für Zu-
oder Abschläge in den Blick zu nehmen sind. So hat etwa das im Verfahren B 6 KA 5/16 R (Urteil des Senats vom heutigen Tag) beklagte Schiedsamt für Hamburg zutreffend auf die Attraktivität dieses KÄV-Bezirks
hingewiesen, die auch in einer flächendeckenden Überversorgung mit Vertragsärzten aller Fachrichtungen zum Ausdruck komme.
Zudem zielt §
87a Abs
2 Satz 2
SGB V nicht auf eine vollständige und exakte Angleichung der Ertragschancen vertragsärztlicher Praxen in allen Bundesländern, wie
auch - strukturell in mancher Hinsicht vergleichbar - das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit nicht verlangt, dass die
durchschnittlichen Überschüsse aus der vertragsärztlichen Tätigkeit in allen Fachgebieten gleich hoch sein müssten (vgl nur
etwa BSGE 93, 258 = SozR 3-2500 § 85 Nr 12, RdNr 21 ff zu strahlentherapeutischen Leistungen sowie SozR 4-2500 § 85 Nr 61 RdNr 21, 26). Wenn
eine KÄV allein wegen der Kostenstruktur Zuschläge auf den Orientierungswert für alle Vertragsärzte beantragt, dürfte deren
Ablehnung nur dann den Gestaltungsspielraum des Schiedsamtes überschreiten, wenn alle relevanten Parameter auf der Kostenseite
deutliche Abweichungen vom Bundesdurchschnitt belegen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach haben der Beklagte sowie die auf seiner Seite streitende Beigeladene zu 1. und die Klägerin die Kosten des Verfahrens
zu gleichen Teilen zu tragen, da sie jeweils teilweise unterlegen sind (§
154 Abs
1 VwGO); die auf den Beklagten und die Beigeladene zu 1. entfallende Hälfte der Kosten ist zwischen diesen wiederum hälftig zu teilen
(§
100 Abs
1 ZPO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 9. ist nicht veranlasst.