Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem Zweitem Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 12.01.2014 streitig.
Der 1978 geborene Beschwerdeführer und Antragsteller (Bf) ist polnischer Staatsangehöriger und lebt seit dem 01.07.2009 in
Deutschland. Er bewohnt eine 22 m2 große Wohnung, für die er monatlich 225 EUR Mietkosten inklusive Betriebskosten- und Heizkostenvorschuss bezahlt.
Er war in Deutschland als Trockenbauer und im Gastgewerbe sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 16.09.2013 ist
er arbeitslos.
Mit Bescheid vom 01.10.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 08.10.2013 und 18.10.2013 gewährte der Beschwerdegegner
und Antragsgegner (Bg) Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von monatlich 607 EUR und für die Zeit vom 01. 01.2014 bis 11.01.2014
in Höhe von 222,57 EUR.
Der Weitergewährungsantrag vom 23.12.2013 wurde mit Bescheid vom 27.12.2013 abgelehnt, da der Bf keinen Anspruch auf Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes habe, weil er ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein zum Zweck
der Arbeitssuche habe (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB II). Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Bf Widerspruch ein.
Aus den Akten des Bg ergibt sich eine Minderung des Arbeitslosengeldes II, die mit bestandskräftigem Bescheid vom 15.01.2014
für die Zeit vom 01.02.2014 bis zum 30.04.2014 in Höhe von 114,60 EUR festgestellt wurde, da der Bf am 09.12.2013 eine zumutbare
Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit (Integrationskurs Deutsch) nicht aufgenommen habe.
Der Prozessbevollmächtigte des Bf beantragte beim Sozialgericht Landshut am 07.01.2014 im Wege der einstweiligen Anordnung
die Gewährung von vorläufige Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab 12.01.2014. Der Ausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei europarechtskonform einzuschränken. Als EU-Bürger unterliege der Bf diesem Leistungsausschluss nicht. Es liege jedenfalls
der Schluss nahe, dass für alle Unionsbürger ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II nach den gleichen Maßstäben wie für Deutsche ergebe, auch wenn ihr Aufenthaltsrecht nur auf der Arbeitssuche beruhe; damit
wäre der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit Europarecht unvereinbar. Die Klärung dieser Rechtsfrage sei angesichts ihrer Schwierigkeit und Komplexität dem Hauptsacheverfahren
vorbehalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei in einem solchen Fall auf der Grundlage einer Folgenabwägung
zu entscheiden, diese würde zu Gunsten des Bf ausfallen, da Leistungen der Grundsicherung im Streit stehen.
Das Sozialgericht Landshut lehnte den Antrag mit Beschluss vom 31.03.2014 ab. Der Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht.
Der Anspruch des Bf auf Leistungen nach dem SGB II sei vorliegend gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind von den Leistungen nach dem SGB II Ausländer ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Gegen die Anwendung
dieser Vorschrift bestünden keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Leistungsausschluss verstoße nicht gegen das Recht
der Europäischen Union, insbesondere nicht gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots,
wenn noch keine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt bestehe. Eine solche Verbindung bestehe nach Auffassung des Gerichts
noch nicht. Somit bleibe für eine Folgenabwägung kein Raum. Hieran ändere auch der Beschluss des Bundessozialgerichts vom
12.12.2013, B 4 AS 9/13 R, zum Umfang des Gleichbehandlungsgebot des Artikels 4 VO (EG) 883/2004 nichts, da die Vorlage die vom Sozialgericht vertretene
Rechtsauffassung nicht infrage stelle. Die Einholung einer solchen Vorabentscheidung sei vielmehr ein Akt der Zusammenarbeit
zwischen den nationalen Gerichten und der europäischen Judikative und diene der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung in der
Europäischen Union.
Der Prozessbevollmächtigte des Bf hat am 14.04.2014, beim Bayerischen Landessozialgericht am 17.04.2014 eingegangen, Beschwerde
gegen den Beschluss vom 31.03.2014 eingelegt und den erstinstanzlichen gestellten Antrag weiterverfolgt.
Zur Begründung hat der Prozessbevollmächtigte des Bf sich ausführlich mit der Rechtsprechung zur Europarechtskonformität des
Leistungsausschlusses nach § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II auseinandergesetzt. Zusammenfassend sei davon auszugehen, dass der Leistungsausschluss nicht für Unionsbürger gelte, die
das Leistungssystem nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Dies sei insbesondere dann nicht der Fall, wenn sie mit nachweislich
konkreter Erfolgsaussicht Arbeit suchen, so dass es begründete Anhaltspunkte dafür gäbe, dass Leistungen nicht auf Dauer oder
nur ergänzend in Anspruch genommen werden müssten.
Zugleich mit der Beschwerde hat der Prozessbevollmächtigte die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt
K. S. beantragt.
Der Antragsgegner hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und zur Begründung auf die den Beschluss tragenden Gründe verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten des Bg sowie auf die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß §
173 SGG form- und fristgerecht erhoben worden und auch statthaft (§
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG i.V.m. §
144 Abs.
1 SGG).
Die Beschwerde ist begründet, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig und begründet ist. Der ablehnende
Beschluss des Sozialgerichts Landshut ist aufzuheben. Der Bg hat dem Bf für die Zeit vom 12.01.2014 bis zum 31.07.2014 vorläufige
Leistungen in Höhe von monatlich monatlich 607 EUR (für den Monat Januar 2014 anteilig in Höhe von 384,43 EUR) zu gewähren.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung).
Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft
zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2, §
294 Zivilprozessordnung -
ZPO). Glaubhaftigkeit bedeutet, dass für das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds ein geringerer Grad
von Wahrscheinlichkeit ausreicht als die volle richterliche Überzeugung. Welcher Grad von Wahrscheinlichkeit insoweit genügt,
ist bei unklaren Erfolgsaussichten in der Hauptsache nach einer umfassenden Abwägung der Interessen aller Beteiligten und
der öffentlichen Interessen zu bestimmen. Gegeneinander abzuwägen sind die Folgen, die entstehen würden, wenn das Gericht
die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellen würde, dass der Anspruch besteht,
gegen die Folgen, die entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren
herausstellen würde, dass der Anspruch nicht besteht (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, Kommentar zum
SGG, 10. Auflage 2012, §
86b Rn. 29a). Geht es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, ist die Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund
fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache nur dann zulässig, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch,
sondern abschließend geprüft hat. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich, ist die Eilentscheidung anhand einer Folgenabwägung zu treffen, wobei die Gerichte eine Verletzung der Grundrechte
des Einzelnen, insbesondere der Menschenwürde zu verhindern haben (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, [...] Rn. 25; vgl. auch Beschluss vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06, [...] Rn. 18).
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) sowie hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt
in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte; Nr. 4). Ausgenommen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige
noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für
die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem
Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr. 2) sowie Leistungsberechtigte nach §
1 des
Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3). Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.
Der Bf hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Er ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung auch hilfebedürftig (§
7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) und erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die rechtliche
Möglichkeit, die Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, ist ausreichend. Als polnischer Staatsangehöriger benötigt der Bf wegen der ihm zustehenden uneingeschränkten
Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Beschäftigungsaufnahme keine Arbeitsgenehmigung (vgl. BSG, Beschluss vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R, RdNr. 12; BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, RdNr. 15 ff.). Ihm ist als freizügigkeitsberechtigtem Unionsbürger die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt.
Der Bf hat seit dem 01.07.2009 auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß §
30 Abs.
3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem
Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Er hat nach den Angaben im Verwaltungsverfahren seinen Lebensmittelpunkt
in der Bundesrepublik Deutschland. Er hält sich länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass er nicht
mehr gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen ist.
Der Bf ist als polnischer Staatsbürger Ausländer im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, dessen Aufenthaltsrecht sich derzeit wohl allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Ein Aufenthaltsrecht nach § 4a Abs.
1 S.1 Freizügigkeitsgesetz/EU kann der Bf frühestens ab dem 01.07.2014 geltend machen. Er hat in Deutschland bereits sozialversicherungspflichtig
gearbeitet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er nicht arbeitsuchend ist.
Ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen Europarecht verstößt, ist - wie der Bevollmächtigte des Bf zutreffend ausgeführt hat- in der Rechtsprechung umstritten
(die Auffassung des erkennenden Senats ergibt sich aus dem Urteil vom 19.06.2013, L 16 AS 847/12).
Zwischenzeitlich hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 12.12.2013 (a.a.O.) ein Revisionsverfahren ausgesetzt und dem
EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Frage der Vereinbarkeit des Leistungsauschlusses mit dem europarechtlichen Gleichbehandlungsgebot
nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 und der Art 45 Abs. 2 AEUV i.V.m. Art. 18 AEUV klären zu lassen.
Nach der vom Senat zugrunde gelegten Rechtsauffassung, kann die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht auf den Bf angewendet werden, wenn sie wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004
unanwendbar ist. Das ist vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung
der Fall.
Der persönliche Geltungsbereich der VO (EG) 883/2004 ist für den Bf eröffnet. Nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 gilt diese
Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten
gelten oder galten sowie für ihre Familienangehörigen. Nach der Rechtsprechung des BSG sind "Rechtsvorschriften" nach Art. 1 Buchst. l VO (EG) 883/2004 für jeden Mitgliedsstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften
in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit. Damit wird ein Bezug des Betreffenden
zu einem Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem in einem der Mitgliedsstaaten gefordert (BSG, Beschluss vom 12.12.2013, a.a.O., RdNr. 32). Der persönliche Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ist eröffnet, weil für
den Bf Sozialversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung entrichtet wurden und er in der gesetzlichen
Krankenversicherung pflichtversichert war und ist.
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art. 70 VO (EG) 883/2004 (BSG, Beschluss vom 12.12.2013, a.a.O., RdNr. 33; BayLSG, Urteil vom 19.06.2013, a.a.O., Rn. 47).
Ob das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen anwendbar
ist (sachlicher Geltungsbereich), hängt nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts im Beschluss vom 12.12.2013 (a.a.O.,
Rn 34) davon ab, wie der Begriff der "Rechtsvorschriften" in Art. 4 VO (EG) 883/2004 auszulegen ist. Hierzu gibt es in Rechtsprechung
und Literatur unterschiedliche Auffassungen (vgl. im Einzelnen BSG, a.a.O., Rn. 34). Nach der Überzeugung des Senats (vgl. BayLSG, Urteil vom 19.06.2013, a.a.O., Rn. 60 ff) unterfallen sämtliche
beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen mit Ausnahme der in Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 genannten Ausschlüsse uneingeschränkt
dem sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Zu dieser Ansicht neigt auch das BSG (Beschluss vom 12.12.2013, a.a.O., Rn. 35). Das BSG hat aufgrund der verschiedenen Auffassungen die Frage der Geltung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 VO (EG) 883/2004 für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen i.S.v. Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 dem EuGH zur
Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Rechtsfrage ist daher ungeklärt.
Sollte das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch auf beitragsunabhängige besondere Geldleistungen anwendbar
sein, wäre die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unmittelbar diskriminierend.
Ob das Gleichbehandlungsgebot durch nationale Regelungen, die sich auf Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG stützen, eingeschränkt werden kann, ist ebenfalls Gegenstand des Vorlagebeschlusses. Nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat "nicht verpflichtet, anderen als Arbeitnehmern ..., einen Anspruch auf Sozialhilfe ... zu gewähren."
Wie das Bundessozialgericht, geht auch der Senat nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Brey (EuGH, Urteil vom
10.09.2013, Rs C-140/12 ) davon aus, dass wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen der VO (EG) 883/2004 und der RL 2004/38/EG eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung nach Art 70 VO (EG) 883/2004 zugleich eine Leistung der Sozialhilfe im Sinn von Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG sein kann. An der im Urteil vom 19.06.2013 (a.a.O., Rn 47) vertretenen Auffassung wird nicht mehr festgehalten.
Aber auch wenn die Leistungen nach dem SGB II als "Sozialhilfeleistungen" i.S.d. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG einzuordnen sind, sind handelt es sich zugleich um Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen (so auch
BSG a.a.O., Rn. 45). Dies ergibt sich bereits daraus, dass Anspruchsvoraussetzung für Leistungen nach dem SGB II die Erwerbsfähigkeit ist (BSG a.a.O. Rn 47).
Unter Berücksichtigung der vom Senat im Urteil vom 19.06.2013 (a.a.O.) vertretenen Auffassung und unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts spricht daher viel dafür, dass der Bf Leistungen nach dem SGB II unter den gleichen Voraussetzungen beanspruchen kann wie inländische Antragsteller. Bei summarischer Prüfung geht der Senat
davon aus, dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hier nicht anwendbar ist, weil sich der Bf auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 berufen kann. Der
Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 12.12.2013 an den Europäischen Gerichtshof (B 4 AS 9/13 R) bestätigt, dass die Rechtslage insoweit nicht als geklärt betrachtet werden kann und eine abschließende Entscheidung zu
Lasten des Bf im Eilverfahren nicht möglich ist.
Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Der Bf ist auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II angewiesen. Die Eilbedürftigkeit ist zu bejahen, da ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar ist.
Im Rahmen der Folgenabwägung ist die Bedeutung der beantragten Leistungen für den Bf gegen das fiskalische Interesse des Bg
abzuwägen, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall eines Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten.
Bei ungeklärten Erfolgsaussichten in der Hauptsache muss hier die Folgenabwägung zugunsten des Bf ausgehen, da existenzsichernde
Leistungen im Streit stehen und dabei das auch ausländischen Staatsangehörigen zustehende Grundrecht auf ein menschenwürdiges
Existenzminimum gemäß Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) betroffen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).
Dauer und Höhe der zuzusprechenden Leistungen liegen gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
938 Abs.
1 ZPO im Ermessen des Gerichts. Der Senat übt dieses Ermessen dahingehend aus, dass in Anlehnung an § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II vorläufige Leistungen ab dem 12.01.2014 bis zum 31.07.2014 zu erbringen sind. Die mit Bescheid vom 10.12.2014 ausgesprochene
bestandskräftig festgestellte Sanktion wurde berücksichtigt.
Der Senat übt sein Ermessen weiter dahingehend aus, dass der Bg dem Bf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in
gesetzlicher Höhe vorläufig zu erbringen hat. Dies sind der Regelbedarf gemäß § 20 Abs. 2 SGB II (391 EUR ab 01.01.2014), und die Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II, für den Monat Januar 2014 anteilig für 19 Tage.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Die Entscheidung bezüglich der Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Bf beruht auf §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1
ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.