Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge des Fehlens von Rechtsausführungen
Error in procedendo
Gründe:
I
Das LSG Sachsen-Anhalt hat durch Beschluss vom 2.8.2018 einen Anspruch der Klägerin auf Weitergewährung einer Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung über den 31.12.2012 hinaus verneint. Es hat die Revision nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde an das BSG. Sie rügt Divergenz zwischen der Entscheidung des LSG und Entscheidungen des BSG (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und macht als Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) die Verletzung der Aufklärungs- und Prüfpflichten durch das LSG geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) [zu 1.] und der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) [zu 2.].
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.
a) Die Klägerin rügt zwar wörtlich "die Verletzung der Aufklärungs- und Prüfpflichten" des LSG. Selbst wenn dies als Rüge
der Verletzung des §
103 SGG zu verstehen sein sollte, so genügen die Darlegungen der Klägerin jedoch nicht den Begründungsanforderungen an die Geltendmachung
eines solchen Verfahrensfehlers. Die Klägerin führt nur aus, das Berufungsgericht habe sich nicht bzw nicht hinreichend damit
auseinandergesetzt, wie die Tätigkeiten der Klägerin als Postfacharbeiterin bzw Tierpflegerin im Rahmen des Mehrstufenschemas
einzuordnen seien. Das LSG habe rechtsfehlerhaft darauf abgestellt, die Klägerin sei als Servicekraft in der Altenpflege und
damit als Arbeitnehmerin, die eine ungelernte Tätigkeit verrichtet habe, einzustufen. Welche Aufklärungs- und Prüfpflichten
das Vordergericht dabei verletzt haben soll, legt sie nicht dar. Sie verweist nur auf die von ihr zwar angezweifelte, schlussendlich
jedoch unterstellte Würdigung, das LSG sei davon ausgegangen, sie sei damit als ungelernte Kraft auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
verweisbar. Insoweit rügt sie letztlich eine ihrer Ansicht nach unzutreffende Beweiswürdigung des LSG iS des §
128 SGG. Eine solche kann aber nach der ausdrücklichen Normierung in §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nicht zu einer Zulassung der Revision führen.
Soweit die Klägerin die fehlende Amtsermittlung des Berufungsgerichts im Hinblick auf die "Wertigkeit" der von ihr verrichteten
Tätigkeiten vermisst, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg im Sinne der Zulassung der Revision. Wer sich auf eine Verletzung
der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen (vgl zB BSG vom 11.4.2019 - B 13 R 74/18 B - juris RdNr 10). Die im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Klägerin hat keinen solchen Beweisantrag benannt,
den das LSG übergangen und den sie auch auf die Anhörung des Gerichts zu der Entscheidung nach §
153 Abs
4 SGG aufrechterhalten hat.
Der bloße Hinweis auf das Fehlen von rechtlichen Ausführungen, hier solcher zu der Einordnung der Tätigkeiten der Klägerin
im Rahmen des Mehrstufenschemas, legt ein verfahrensfehlerhaftes Vorgehen des LSG nicht hinreichend dar. Insoweit liegt allenfalls
ein Angriff auf die Rechtsauffassung des LSG vor. Dies ist jedoch kein Fehler des Verfahrens, sondern der Rechtsanwendung.
Letzterer stellt keinen Verfahrensfehler iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG dar. Denn zu den Verfahrensmängeln zählen nur Verstöße gegen das Prozessrecht einschließlich der Vorschriften, auf die das
SGG unmittelbar oder mittelbar verweist. Rügefähig sind folglich nur Fehler, die dem Gericht auf dem Weg zu seiner Entscheidung
unterlaufen sind (error in procedendo; vgl BSG vom 26.1.2012 -B5R 334/11 B - juris RdNr 16 mwN; s auch BSG vom 21.11.2018 - B 13 R 280/17 B - juris RdNr 5; BSG vom 1.4.2019 - B 13 R 204/18 B - juris RdNr 14).
b) Auch soweit das Vorbringen der Klägerin dahingehend verstanden werden sollte, dass sie die Verkennung des Streitgegenstandes
(§
123 SGG) durch das LSG rüge - was sie nicht ausdrücklich angebracht hat -, genügen ihre Ausführungen nicht den Begründungserfordernissen
für eine Nichtzulassungsbeschwerde. Ihr Vortrag, das LSG habe nicht umfassend über ihren Klageantrag entschieden, indem sich
den Entscheidungsgründen nicht entnehmen ließe, ob das LSG den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit gemäß §
240 Abs
1 SGB VI überhaupt geprüft habe, legt einen solchen Verfahrensfehler nicht schlüssig dar. Nach §
123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Anträge gebunden zu sein. Das Gewollte, also
das mit der Klage bzw der Berufung verfolgte Prozessziel, ist bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen
(stRspr, vgl etwa BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 12 ff mwN; BSG vom 28.3.2017 - B 1 KR 15/16 R - BSGE 123, 10 = SozR 4-1300 § 107 Nr 7, RdNr 11). Wer als Verfahrensmangel geltend macht, das Berufungsgericht habe den Rechtsmittel- bzw
Streitgegenstand verkannt, muss jedoch den Verfahrensgang unter Auslegung der den Rechtsmittel- bzw Streitgegenstand bestimmenden
Entscheidungen und Erklärungen lückenlos darlegen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 62; BSG vom 9.1.2019 - B 13 R 25/18 B - juris RdNr 7; BSG vom 1.8.2017 - B 13 R 214/16 B - juris RdNr 9). Daran fehlt es.
Die Klägerin bringt zwar vor, sie habe neben dem Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auch einen Anspruch auf Gewährung
einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit geltend gemacht. Zugleich führt sie jedoch aus, das LSG
habe einen solchen negiert. Selbst wenn angenommen werden sollte, dies sei - unter Hinzuziehung ihrer weiteren Ausführungen
- so zu verstehen, das LSG habe hierüber nicht befunden, mangelt es schon an Darlegungen zum Regelungsgehalt der angegriffenen
Verwaltungsentscheidung, sodass allein aufgrund der Ausführungen der Klägerin vom erkennenden Senat nicht befunden werden
kann, was Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war. Insoweit führt die Klägerin nur aus, die Beklagte habe nach mehrfach
erfolglosen Anträgen auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eine Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.1.2011 bis 31.12.2012 bewilligt. Den Antrag auf Weiterzahlung habe sie
abgelehnt.
Unterstellt, den Ausführungen der Klägerin solle entnommen werden, die Beklagte habe dabei auch über eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit entschieden, mangelt es darüber hinaus an Ausführungen der Klägerin dazu, von welchem
Sachverhalt das LSG insoweit ausgegangen ist. Die Klägerin legt in der Sachverhaltsschilderung der Beschwerdebegründung dar,
das Gericht sei von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - mit qualitativen
Einschränkungen - ausgegangen und gibt Feststellungen zu ihrem beruflichen Werdegang als solche wieder, wie sie einem Sachverständigengutachten
zu entnehmen seien, ohne darzulegen, dass diese oder welche anderen Feststellungen das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt
hat. In ihrer Begründung unterstellt sie dann letztlich, das Berufungsgericht habe sie als Servicekraft in einem Altenheim
auf der Stufe 1 des Mehrstufenschemas eingeordnet. Merkt jedoch an, dass es insoweit an ausdrücklichen Feststellungen des
LSG mangele, ohne zugleich darzutun, dass das LSG damit den Streitgegenstand verkannt habe. Vielmehr wird in der Beschwerdebegründung
in diesem Zusammenhang ausschließlich ausgeführt, welchen beruflichen Werdegang die Klägerin durchlaufen habe und wie die
verrichteten Tätigkeiten zu bewerten seien. Insoweit gelingt es ihr nicht einen Fehler im Verfahren darzulegen, sondern greift
sie auch hier wieder die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG an.
2. Ebenso mangelt es an hinreichenden Darlegungen zur Begründung einer Divergenzrüge. Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen
zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze
aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer
Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher
zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht
(stRspr, vgl BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen
nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge),
denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht
die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; BSG vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6).
Die Klägerin legt in ihrer Beschwerdebegründung keinen abstrakten Rechtssatz des LSG dar, der von den von ihr zitierten Entscheidungen
des BSG abweicht. Sie behauptet zwar, eine offensichtliche Divergenz der Entscheidung des LSG zu den Entscheidungen des BSG vom 29.7.2004 (B 4 RA 5/04 R) und vom 5.8.2004 (B 13 RJ 7/04 R), arbeitet jedoch keinen diesen widersprechenden Rechtssatz heraus. Im Gegenteil führt sie aus, dass das LSG sich zu der
Problematik der Einstufung der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten nicht verhalten habe.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.