Tatbestand:
Das Berufungsverfahren betrifft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB
II). Die Parteien streiten aktuell in erster Linie darüber, ob die Berufung L 7 AS 12/08 der Klägerin gegen die Beklagte durch Berufungsrücknahme erledigt worden ist.
Die Klägerin hat von der Beklagten bis einschließlich Juli 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten. Mit
Bescheid vom 12.08.2005 "lehnte" die Beklagte die Fortzahlung von Leistungen "ab". Sie stützte die Entscheidung auf §
66 SGB I.
Mit Gutachten nach Aktenlage des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit A-Stadt vom 17.01.2006 wurde eine volle Erwerbsminderung
der Klägerin für voraussichtlich länger als sechs Monate festgestellt. Seit Bekanntgabe dieses Gutachtens bezieht die Klägerin
Leistungen nach dem SGB XII von der Beigeladenen.
Der gegen den Bescheid vom 12.08.2005 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Sodann kam es zu einem Klageverfahren vor dem
Sozialgericht München. Am 11.04.2006 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (im
Folgenden: PKH) und Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt. Dem entsprach das Sozialgericht mit Beschluss vom 10.08.2006
in vollem Umfang. Mit Gerichtsbescheid vom 10.12.2007 hob das Sozialgericht die Anordnung nach §
66 SGB I auf, während es die Klage insoweit abwies, als die Klägerin beantragt hatte, die Beklagte zu Leistungen zu verurteilen.
Dagegen hat die Klägerin zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Bayerischen Landessozialgericht Berufung
eingelegt. Sie begehre, so die Klägerin, die Verurteilung der Beklagten zur Leistungsgewährung für die Zeit bis 31.01.2007.
Dabei hat sie darauf hingewiesen, dass ihr in der ersten Instanz PKH bewilligt worden sei; sie hat die Auffassung vertreten,
dies gelte auch für die Berufungsinstanz. Sie hätte bereits einen Anwalt, die Herren B. und S ... Mit Schriftsatz vom 04.02.2008
hat Rechtsanwalt S. die Berufung zurückgenommen.
Am 26.02.2008 beantragte die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens. Ihr damaliger Prozessbevollmächtigter habe die Berufung
ohne Rücksprache mit ihr unzulässiger Weise zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt
festzustellen, dass die Berufung L 7 AS 12/08 nicht durch Berufungsrücknahme erledigt ist, und das Verfahren fortzusetzen.
Der Beklagte beantragt
festzustellen, dass das Verfahren L 7 AS 12/08 durch Berufungsrücknahme erledigt ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Gerichts- und des Verwaltungsverfahrens wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie
die Akten des Sozialgerichts und des Bayer. Landessozialgerichts verwiesen. Sie lagen allesamt vor und waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin L 7 AS 12/08 ist durch den Schriftsatz des Rechtsanwalts S. vom 04.02.2008 wirksam zurückgenommen worden. Sie ist nicht mehr anhängig.
Der Senat hat sich daher nicht mit der Sache befassen dürfen, sondern die Erledigung durch Urteil feststellen müssen.
Die Berufungsrücknahme ist wirksam. Denn Rechtsanwalt S. war dazu bevollmächtigt. Daher muss die Klägerin sich diese prozessrechtliche
Erklärung voll zurechnen lassen.
Zwar ist eine explizite schriftliche Vollmacht weder im erstinstanzlichen noch im Berufungsverfahren vorgelegt worden. Nach
§
73 Abs.
2 Satz 1
SGG ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen und zu den Akten bis zur Verkündigung der Entscheidung einzureichen. Für die Sozialgerichtsbarkeit
wird angenommen, dass ohne die Einhaltung der Schriftform die Prozessvollmacht schon nicht wirksam erteilt werden kann; die
Schriftform dient - anders als in der
Zivilprozessordnung (vgl. §
80 Abs.
1 ZPO) - nicht nur Beweiszwecken (Behn, Zu Form und Umfang der Prozessvollmacht im sozialgerichtlichen Verfahren - Teil I -, SozVers
1984, S. 141; vgl. BSG SozR 3-1500 §
73 SGG Nr. 9 S. 23).
Dennoch liegt eine hinreichende Bevollmächtigung vor. Denn die Klägerin hat, als sie die Berufung zur Niederschrift des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle einlegte, darauf verwiesen, sie sei bereits anwaltlich vertreten, und zwar durch die Herren B. und S ...
Gleichzeitig hat sie ihrer Überzeugung Ausdruck verliehen, die Bewilligung von PKH und die Anwaltsbeiordnung würden in der
zweiten Instanz fortgelten. Darin liegt eine Vollmachtserteilung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.
Es kann hierfür nicht verlangt werden, dass ausdrücklich die Worte "Vollmacht" oder "bevollmächtigen" genannt werden. Vielmehr
genügt es, wenn aus der Erklärung zur Niederschrift hervorgeht, dass die Klägerin gegenüber dem Bayerischen Landessozialgericht
kundtun wollte, Rechtsanwalt S. dürfe Prozesshandlungen vornehmen, die sie sich zurechnen lassen wollte (vgl. zum notwendigen
Inhalt der Vollmacht Ulmer in: Hennig,
Sozialgerichtsgesetz, §
73 RdNr. 6). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall zweifellos erfüllt (gegen übertriebene Anforderungen an den Inhalt
einer Vollmacht vgl. BSG SozR 3-1500 §
73 SGG Nr. 10). Folgerichtig hat der Ehemann der Klägerin, der als deren Bevollmächtigter aufgetreten ist, in der mündlichen Verhandlung
explizit geäußert, der Klägerin und ihm sei klar gewesen, dass Rechtsanwalt S. bevollmächtigt gewesen sei.
Die Berufungsrücknahme war von der erteilten Vollmacht auch gegenständlich abgedeckt, so dass sie volle Wirksamkeit gegenüber
der Klägerin entfaltet. Der Umfang der Vertretungsmacht richtet sich nicht nach dem Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt
und der Klägerin, sondern nach der Vertretungsmacht im Außenverhältnis (vgl. §
164 Abs.
1 Satz 1
BGB; Ulmer in: Hennig,
Sozialgerichtsgesetz, §
73 RdNr.
15 ; vgl. auch BSG NJW 2001, S. 1598). Das wird dadurch belegt, dass gemäß §
73 SGG die §§
81,
85 ZPO entsprechend gelten. Nach §
81 ZPO ermächtigt die Prozessvollmacht zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen (Keller/Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Auflage 2005, §
73 RdNr. 15). Die vom Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Weise wirksam, als wenn
sie von der Partei selbst vorgenommen wären (§
85 Abs.
1 Satz 1
ZPO; vgl. dazu Keller/Leitherer, aaO., §
73 RdNr.
16). Dazu ergänzt §
73 Abs.
3 Satz 2
SGG, der Beteiligte müsse die Prozessführung des bestellten Bevollmächtigten gegen sich gelten lassen, auch wenn nur mündlich
Vollmacht erteilt oder die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt worden sei. Eine auf einzelne Prozesshandlungen
beschränkte Vollmacht (vgl. §
73 Abs.
4 Satz 2
SGG) lag nicht vor. Aus alldem ergibt sich, dass die Berufungsrücknahme von der erteilten Vollmacht umfasst war (vgl. BGH FamRZ
1988, S. 496).
Ein Tatbestand, der zum Erlöschen der Vollmacht geführt hat, bevor Rechtsanwalt S. die Berufung zurückgenommen hat, liegt
nicht vor. Ein Widerruf der Vollmacht müsste wie deren Erteilung schriftlich erfolgen und dem Gericht zugegangen sein (Ulmer,
aaO., §
73 RdNr. 14 ; vgl. auch BSG SozR 1500 §
73 SGG Nr. 6 S. 14 f.; BSG NJW 2001, S. 1598). Daran fehlt es offensichtlich.
Man kann trotz der Prämisse der Klägerin, die erstinstanzliche PKH-Bewilligung und die Beiordnung würden auch für die zweite
Instanz gelten, nicht annehmen, die Vollmacht sei unter der Bedingung erteilt worden, dass dem tatsächlich so sei. Eine derartige
Verknüpfung darf nicht in das prozessuale Verhalten der Klägerin hineininterpretiert werden. Das gilt nicht zuletzt deshalb,
weil Beiordnung und Vollmacht voneinander getrennt werden müssen. Mandatsvertrag und Prozessvollmacht entstehen nicht durch
die gerichtliche Beiordnung. Sie müssen bürgerlich-rechtlich von der Partei geschlossen bzw. erteilt werden (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs,
Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Auflage 2005, RdNr. 594). Zwischen PKH-Bewilligung und Prozessvollmacht bestehen
weder eine Akzessorietät noch eine Synchronität.
Die Zurücknahme der Berufung hat den Verlust des Rechtsmittels bewirkt (§
156 Abs.
2 Satz 1
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.