Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des zu seinen Gunsten festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 100 auf
70 sowie die Entziehung der Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), "B" (Berechtigung
zur Mitnahme einer Begleitperson), "H" (Hilflosigkeit) und "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).
Der Kläger ist im Jahr 1964 geboren. Seine Mutter ist für ihn für die Aufgabenkreise Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten,
Aufenthaltsbestimmung und Zustimmung zur Heilbehandlung zur Betreuerin bestellt. Wegen einer geistigen Behinderung ist der
Kläger seit 1970 durchgängig als Schwerbeschädigter/Schwerbehinderter anerkannt. Nachdem der Beklagte ihm zuletzt mit Bescheid
vom 2. Oktober 1984 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung mit mäßigem
geistigen Entwicklungsrückstand, aber schweren psychischen Auffälligkeiten zuerkannt hatte, wurde der Kläger mit Blick auf
die (Weiter-)Gewährung von Leistungen für Hilflose nach dem Berliner Landesrecht (Pflegegeld) durch die Ärztin für Neurologie
und Psychiatrie G begutachtet. Sie kam in ihrem Gutachten vom 26. November 1985 zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger ein seelisch-geistiger
Entwicklungsrückstand vom Ausmaß einer Debilität sowie Störungen im Sozialverhalten bei Verdacht auf eine neurotische Entwicklung
vorlägen; der Kläger sei weiterhin hilflos im Sinne des Berliner Landesrechts und berechtigt, Pflegegeld nach der Stufe I
zu erhalten. Aufgrund dieses Gutachtens schätzte der vom Beklagten in schwerbehindertenrechtlicher Hinsicht eingeschaltete
Prüfarzt Dr. S in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 24. Februar 1986 ein, dass bei dem Kläger eine geistig-seelische
Behinderung mit Störung im Sozialverhalten bestehe, deretwegen ihm eine MdE von 100 sowie die Merkzeichen "G", "B", "H" und
"RF" zuzuerkennen seien. Daraufhin stellte der Beklagte mit seinem Bescheid vom 19. März 1986 eine MdE (jetzt: einen GdB)
von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" fest.
In der Folgezeit wurde der Kläger mit Blick auf die (Weiter-)Gewährung von Leistungen für Hilflose nach dem Berliner Landesrecht
drei weitere Male durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G begutachtet, die in ihren Gutachten vom 15. Dezember 1987,
26. Februar 1993 und 25. Februar 1995 bei dem Kläger weiterhin das Bestehen eines seelisch-geistigen Entwicklungsrückstands
vom Ausmaß einer Debilität sowie Verhaltensstörungen bzw. noch erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten diagnostizierte
und zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger weiterhin als hilflos im Sinne des Berliner Landesrechts (Stufe I) anzusehen sei.
Angesichts dieser Ausführungen sahen die vom Beklagten in schwerbehindertenrechtlicher Hinsicht eingeschalteten Prüfärzte
Dr. M und Z in ihren Stellungnahmen vom 12. Januar 1988, 15. März 1993 und 27. März 1995 keinen Anlass, die schwerbehindertenrechtlichen
Feststellungen abzuändern, so dass es bei den Feststellungen im Bescheid vom 19. März 1986 verblieb.
Mit Blick auf die (Weiter-)Gewährung von Leistungen für Hilflose nach dem Berliner Landesrecht wurde der Kläger schließlich
nochmals durch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G begutachtet, die in ihrem Gutachten vom 13. Juni 2007 bei dem Kläger
zwar weiterhin das Bestehen eines Entwicklungsrückstands vom Ausmaß einer Debilität diagnostizierte, allerdings nunmehr das
Vorliegen erheblicher sozialer Anpassungsschwierigkeiten verneinte und zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger nicht mehr hilflos
im Sinne des Berliner Landesrechts sei, weil er nur noch bei der Beschaffung bzw. Zubereitung von Nahrungsmitteln der dauernden
Pflege bedürfe bzw. "unter lockerer Kontrolle bei den täglichen pflegerischen Verrichtungen selbständig" sei. In ihrer ergänzend
nach Maßgabe des Schwerbehindertenrechts abgegebenen Stellungnahme vom selben Tage kam die vorgenannte Ärztin aufgrund der
von ihr durchgeführten Begutachtung überdies zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine geistige Behinderung vorliege, die
angesichts der verbesserten sozialen Anpassung nur noch mit einem GdB von 70 zu bewerten sei; Merkzeichen seien nicht mehr
anzuerkennen.
Mit seinem - der Betreuerin übermittelten - Schreiben vom 13. Juli 2007 teilte der Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass
beabsichtigt sei, den GdB von 100 auf 70 herabzusetzen und die zuerkannten Merkzeichen zu entziehen. Hierzu führte die Betreuerin
für den Kläger aus, dass dessen Anpassung im Alltag immer noch schwer sei. Der Kläger habe keinen geregelten Tagesablauf.
Er könne seinen Wohnbereich nicht in Ordnung halte. Zudem müsse für ihn die Wäsche gemacht und für ihn gekocht werden. Des
Weiteren könne er Behördengänge nicht allein erledigen.
Der Beklagte holte eine Stellungnahme der Prüfärztin Dr. L vom 15. August 2007 ein und hob im Anschluss seinen Bescheid vom
19. März 1986 mit seinem der Betreuerin bekannt gegebenen Bescheid vom 17. August 2007 gemäß § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) im angekündigten Umfang auf, weil sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich verbessert habe. Gegen diesen Bescheid
legte die Betreuerin für den Kläger Widerspruch ein und überreichte zur Begründung eine ärztliche Stellungnahme des für den
Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes T tätigen Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie F vom 30. August 2007.
Danach stelle sich die angefochtene Entscheidung für den Kläger als "kaum zumutbare Härte" dar. Der Beklagte holte daraufhin
einen Befundbericht des vorgenannten Arztes vom 13. November 2007 ein, dem für den Sozialpsychiatrischen Dienst gefertigte
Stellungnahmen aus den Jahren 1985 bis 2004 beilagen. In dem Befundbericht selbst wurden Befunde mitgeteilt, die am 5. Oktober
2004 erhoben worden waren. Zu diesen Unterlagen veranlasste der Beklagte eine nervenärztlichen Stellungnahme des Facharztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 2. Januar 2008 und wies im Anschluss den Widerspruch des Klägers mit seinem wiederum
der Betreuerin bekannt gegebenen Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2008 als unbegründet zurück.
Zur Begründung ihrer für den Kläger erhobenen Klage hat die Betreuerin auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit seinem Gerichtsbescheid vom 4. September 2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es sich im
Wesentlichen auf die Ausführungen der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G in ihrem Gutachten und ihrer gutachtlichen Stellungnahme
vom 13. Juni 2007 gestützt und ausgeführt, dass die Richtigkeit dieser Äußerungen durch die im Widerspruchsverfahren eingegangenen
ärztlichen Stellungnahmen nicht widerlegt würden.
Gegen diesen der Betreuerin am 11. September 2008 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 8. Oktober 2008 bei Gericht
eingegangene Berufung, die die Betreuerin unter Bezugnahme auf ihr früheres Vorbringen für den Kläger eingelegt hat.
Die Betreuerin beantragt für den Kläger,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 17. August 2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten,
sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Sie erweist sich zwar als zulässig, weil insbesondere keine Bedenken dagegen bestehen, dass die Betreuerin des Klägers das
gerichtliche Verfahren für den Kläger führt. Denn wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits zum Merkzeichen "G" entschieden
hat (vgl. Beschluss vom 20. Juni 2006 - B 9a SB 13/05 SB -, zitiert nach juris), gehört die Geltendmachung dieses Merkzeichens
zum Aufgabenkreis "Vermögenssorge", mit dessen Wahrnehmung die Betreuerin hier u. a. betraut ist. Diese Entscheidung des BSG,
der sich der Senat aufgrund eigener Prüfung anschließt, ist auch auf die Entziehung dieses Merkzeichens sowie die Entziehung
der Merkzeichen "B", "H" und "RF" und die Herabsetzung des GdB zu übertragen. Da die Betreuerin den Kläger im vorliegenden
Verfahren vertritt, steht der an sich prozessfähige Kläger für dieses Verfahren gemäß §
71 Abs.
6 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) i. V. m. §
53 der
Zivilprozessordnung einer nicht prozessfähigen Person gleich, kann also selbst keine wirksamen Prozesserklärungen abgeben.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Denn der mit ihr angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist zutreffend.
Wie das Sozialgericht mit Recht entschieden hat, ist die der Berufung zugrunde liegende Klage zulässig. Ebenso wie die Berufung
durfte die mit der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten des Klägers betraute Betreuerin auch die Klage berechtigterweise
für den Kläger erheben. Richtige Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage im Sinne des §
54 Abs.
1 Satz 1 1. Alt.
SGG. Sie betrifft allein den Bescheid des Beklagten vom 17. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar
2008. Da sich dieser Bescheid in der (teilweisen) Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung (hier des Bescheides vom
19. März 1986) erschöpft, kann der Kläger mit der isolierten Anfechtungsklage sein in der Aufrechterhaltung des GdB von 100
sowie der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" liegendes Klageziel erreichen. Denn würde der angefochtene Bescheid aufgehoben,
lebte der vorausgegangene Feststellungsbescheid vom 19. März 1986 wieder auf, mit dem der Beklagte zugunsten des Klägers einen
GdB von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die genannten Merkzeichen festgestellt hatte.
Die Anfechtungsklage, die auch im Übrigen zulässig ist, ist jedoch unbegründet. Denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Angesichts dessen, dass dieser Bescheid ausweislich des in den Akten befindlichen
Ab-Vermerks am 20. August 2007 abgesendet worden ist und Anhaltspunkte für einen späteren Zugang fehlen, gilt er gemäß § 37 Abs. 2 SGB X als am 23. August 2007 bekannt gegeben und entfaltet bei sachdienlicher Auslegung seines Inhalts innere Wirksamkeit ab dem
Zeitpunkt seiner Bekanntgabe.
Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt für die Begründetheit der Klage ist demgegenüber der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens,
hier also der Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2008 erlassen hat. Dies ist der 23.
Februar 2008, weil der Beklagte den Widerspruchsbescheid ausweislich des ebenfalls in den Akten befindlichen Ab-Vermerks am
20. Februar 2008 zur Post gegeben hat, so dass dieser Bescheid mangels entgegenstehenden Vorbringens des Klägers bzw. seiner
Betreuerin gemäß § 37 Abs. 2 SGB X als am 23. Februar 2008 bekannt gegeben gilt. Hierbei durfte die Bekanntgabe wiederum gegenüber der Betreuerin des Klägers
erfolgen, weil sie auch zu diesem Zeitpunkt mit der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten des Klägers betraut gewesen ist.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den auch sonstige formelle Bedenken nicht bestehen, ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein - wie hier von Anfang an rechtmäßiger - Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung
mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung des Klägers
hat sich sein Gesundheitszustand bezogen auf den hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt dergestalt verbessert, dass nunmehr nur
noch ein GdB von 70 festzustellen war und die Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" entzogen werden mussten.
Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des GdB ist §
69 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (
SGB IX). Nach Abs. 1 Satz 1 der genannten Bestimmung stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen
vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium
für Gesundheit und Soziale Sicherung) herausgegebenen AHP in ihrer jeweils geltenden Fassung zu beachten, wobei es hier auf
die zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt geltende Ausgabe 2008 (AHP 2008) ankommt. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sie sind
auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer
medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige
Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung
ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt
es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. BSG, BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat im vorliegenden Fall auf die genannten AHP stützt.
Hiernach war der GdB im Fall des Klägers im Februar 2008 nur noch mit 70 festzustellen, was sich für den Senat aus dem Gutachten
und der gutachtlichen Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G vom 13. Juni 2007 ergibt. Danach kommt es
für die Feststellung des GdB im Fall des Klägers allein auf eine geistige Behinderung an, die als Hirnschaden mit schweren
psychischen Störungen nach Teil A Nr. 26.3 AHP 2008, S. 40 ff., mit einem (Einzel-)GdB von 70 zu bemessen war. Nach der genannten
Nummer kann ein Hirnschaden mit schweren psychischen Störungen zwar einen (Einzel-) GdB von 70 bis 100 nach sich ziehen. Hier
ist jedoch für die Feststellung eines GdB von mehr als 70 kein Raum, weil die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G, die
den Kläger bereits zuvor viermal begutachtet hatte und deshalb aus eigener Anschauung in der Lage gewesen ist, eine Verlaufsbetrachtung
anzustellen, im Rahmen ihrer Begutachtung vom 13. Juni 2007 aufgrund einer eingehenden Befragung und körperlichen Untersuchung
des Klägers schlüssig und überzeugend dargelegt hat, dass bei dem Kläger mittlerweile eine "relative Verselbständigung im
Alltag" eingetreten sei und insbesondere "erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten" nicht mehr bestünden. An der Richtigkeit
dieser Einschätzung zu zweifeln, sieht der Senat keinen Anlass, zumal nach den vom ärztlichen Sachverständigenbeirat beim
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung am 18./19. März 1998 am Beispiel des schizophrenen Residualzustandes entwickelten
Abgrenzungskriterien schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten nur dann zu bejahen sind, wenn nicht nur eine sehr starke Gefährdung
bzw. ein Ausschluss der beruflichen Tätigkeit vorliegt, sondern darüber hinaus auch schwerwiegende Probleme in der Familie
oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis gegeben sind. An derartigen Problemen fehlt es hier, was sich nicht zuletzt daraus ergibt,
dass der Kläger auch nach Auffassung seiner Betreuerin in einem Fußballverein integriert ist. Die aus dem Geschäftsbereich
des Sozialpsychiatrischen Dienstes stammenden Unterlagen einschließlich des Befundberichts vom 13. November 2007 stehen dieser
Beurteilung nicht entgegen. Denn sie beziehen sich nur auf die Zeit bis Ende 2004, auf die es hier jedoch nicht ankommt. Vor
diesem Hintergrund geben sie auch keinen Anlass dazu, in weitere medizinische Ermittlungen einzutreten, zumal die Betreuerin
des Klägers, mit der der Senat das Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G vom 13. Juni 2007 in seiner mündlichen
Verhandlung im Einzelnen durchgegangen ist, die darin enthaltenen Ausführungen letztlich als zutreffend bestätigt hat.
Maßgebliche Bestimmungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sind die §§
69 Abs.
4,
145 Abs.
1 Satz 1
SGB IX. Hiernach hat die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen
Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter Mensch infolge seiner Behinderung in seiner
Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Nach §
146 Abs.
1 Satz 1
SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens
(auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten
oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß
zurückgelegt werden. Mit diesen Bestimmungen fordert das Gesetz eine doppelte Kausalität. Denn Ursache der beeinträchtigenden
Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken.
Bei der Prüfung, ob die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist im Fall des Klägers wiederum auf die AHP 2008 zurückzugreifen.
Sie befassen sich in Teil B Nr. 30, S. 136 ff., mit den Anforderungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" und beschreiben
dort Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen
für dieses Merkzeichen als erfüllt anzusehen sind und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab
dienen können (vgl. BSG SozR 4-3250 § 146 Nr. 1). Sie geben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen
müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch infolge der Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit
im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", und tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das menschliche Gehvermögen keine
statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten
des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse,
die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem
die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben
haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten
Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen, erheblich beeinträchtigen (BSG wie zuvor).
Von den in Teil B Nr. 30 AHP 2008, S. 136 ff., beschriebenen Regelfällen sind hier allein die in Nr. 30 Abs. 5 aufgeführten
Fälle von Interesse, die sich mit Störungen der Orientierungsfähigkeit befassen. Sie können bei geistig behinderten Menschen
unter weiteren Voraussetzungen allerdings nur dann zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen
"G" führen, wenn sich die behinderten Menschen im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden
können. Dass Letzteres beim Kläger zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt der Fall gewesen sein könnte, ist indes nicht ersichtlich.
Denn nach den von der der Betreuerin des Klägers in der mündlichen Verhandlung des Senats als zutreffend bestätigten Feststellungen
der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G konnte der Kläger (ebenso wie heute) nicht nur flüssig lesen und den Inhalt des
Gelesenen erfassen, sondern sich insbesondere auch mithilfe des Stadtplans allein orientieren. Ferner kam er (ebenso wie heute)
mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zurecht. Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Kläger eine Konstellation vorgelegen haben
könnte, die außerhalb der in den AHP 2008 beschriebenen Regelfälle die Zuerkennung des Merkzeichens "G" hätte rechtfertigen
können, sind nicht ersichtlich.
Ebenso wie für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ist auch für die Feststellung
der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" in erster Linie §
69 Abs.
4 SGB IX von Bedeutung, nunmehr allerdings in Verbindung mit §
33 b Abs.
6 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (
EStG) sowie §
3 Abs.
1 Nr.
2 der aufgrund von §
70 SGB IX ergangenen Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Hiernach hat die für die Durchführung des BVG zuständige Behörde das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "H" festzustellen, wenn ein schwerbehinderter
Mensch hilflos ist. Hilflosigkeit ist dabei anzunehmen, wenn der Betroffene für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden
Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf, was auch
dann der Fall ist, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den vorgenannten Verrichtungen erforderlich
ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich
ist. Diese gesetzliche Definition der Hilflosigkeit geht auf Umschreibungen zurück, die von der Rechtsprechung im Schwerbehindertenrecht
bezüglich der steuerlichen Vergünstigung und im Versorgungsrecht hinsichtlich der gleich lautenden Voraussetzungen für die
Pflegezulage nach § 35 BVG entwickelt worden sind. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst nicht an den Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne der
§§
14,
15 des die soziale Pflegeversicherung betreffenden Elften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB XI) angelehnt. Er wollte vielmehr deutlich machen, dass die steuerrechtlich und versorgungsrechtlich bedeutsame Hilflosigkeit
von der versicherungs- und sozialhilferechtlich bedeutsamen Pflegebedürftigkeit unabhängig bleibt (vgl. BSG SozR 4-3250 §
69 Nr. 1).
Bei den im vorstehenden Zusammenhang zu berücksichtigenden Verrichtungen handelt es sich um solche, die im Ablauf eines jeden
Tages unmittelbar zur Wartung, Pflege und Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse des Betroffenen gehören sowie häufig und regelmäßig
wiederkehren. Dazu zählen zunächst die auch von der sozialen Pflegeversicherung erfassten Bereiche der Körperpflege (Waschen,
Duschen, Baden, Zahnpflege, Kämmen, Rasieren, Darm- und Blasenentleerung), Ernährung (mundgerechtes Zubereiten und Aufnahme
der Nahrung) und Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung). Diese Bereiche werden unter dem Begriff der so genannten Grundpflege zusammengefasst. Hinzu kommen Maßnahmen
zur psychischen Erholung, geistigen Anregungen und Kommunikation (Sehen, Hören, Sprechen und Fähigkeit zu Interaktionen).
Nicht vom Begriff der Hilflosigkeit umschlossen ist der Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Was das Ausmaß
des Hilfebedarfs anbelangt, ist davon auszugehen, dass die tatbestandlich vorausgesetzte "Reihe von Verrichtungen" regelmäßig
erst dann bejaht werden kann, wenn mindestens drei Verrichtungen in Rede stehen, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang
erforderlich machen. Die Beurteilung der Erheblichkeit orientiert sich an dem Verhältnis der dem Beschädigten nur noch mit
fremder Hilfe möglichen Verrichtungen zu denen, die er auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. In der Regel wird dabei neben
der Zahl der Verrichtungen, auf den zeitlichen Aufwand und den wirtschaftlichen Wert der Hilfe abzustellen sein.
Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. §
15 SGB XI) erscheint es insoweit sachgerecht, die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für
die erforderlichen Betreuungsleistungen zu beurteilen. Hilflos ist in diesem Zusammenhang nicht, wer nur in relativ geringem
Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Daraus ergibt sich jedoch nicht schon, dass bei einem Überschreiten
dieser Mindestgrenze in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen ist. Vielmehr ist ein täglicher Zeitaufwand - für sich genommen
- erst dann als hinreichend erheblich anzusehen, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht, womit den Bedürfnissen der
Praxis Rechnung getragen wird (vgl. hierzu insgesamt BSG wie zuvor mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Kläger zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt nicht mehr hilflos gewesen. Denn nach
den Feststellungen der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G in ihrem Gutachten vom 13. Juni 2007 ist der Kläger im Wesentlichen
nur bei der Beschaffung bzw. Zubereitung von Nahrungsmitteln auf dauernde Pflege angewiesen und im Übrigen "unter lockerer
Kontrolle bei den täglichen pflegerischen Verrichtungen" selbständig gewesen. Dass möglicherweise seine Wohnung und seine
Wäsche in Ordnung gehalten werden mussten, ist unerheblich. Denn für das Merkzeichen "H" kommt es auf einen Hilfebedarf im
Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht an.
Grundlage für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" sind die §§
69 Abs.
4,
146 Abs.
2 SGB IX. Danach hat die für die Durchführung des BVG zuständige Behörde die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" festzustellen, wenn der schwerbehinderte
Mensch bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge seiner Behinderung regelmäßig auf Hilfe angewiesen ist.
Bei der Prüfung, ob Letzteres angenommen werden kann, ist im Fall des Klägers wiederum auf die AHP 2008 zurückzugreifen. Sie
machen die Zuerkennung des Merkzeichens "B" in Teil B Nr. 32, S. 139 f., neben weiteren Anforderungen davon abhängig, dass
die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" oder "H" oder - was hier keine Rolle spielt - "Gl" (Gehörlosigkeit)
vorliegen, wofür bezogen auf den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt im Februar 2008 im Fall des Klägers jedoch keine Anhaltspunkte
bestehen.
Hinsichtlich des Merkzeichens "RF" ist wiederum von §
69 Abs.
4 SGB IX auszugehen, wobei für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für dieses Merkzeichen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 SchwbAwV maßgeblich auf das im Land Berlin geltende Gesetz zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 27. 1. 2005 nebst Anlage
zurückzugreifen ist. Hiernach setzt die Gebührenbefreiung u. a. voraus, dass der Betroffene wegen seines Leidens an öffentlichen
Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Unter öffentlichen Veranstaltungen sind hierbei Zusammenkünfte politischer,
künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger
als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen,
Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste. Von der Teilnahme an derartigen Veranstaltungen muss der Betroffene wegen seines
Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, ausgeschlossen sein, was dann anzunehmen ist, wenn er praktisch an das Haus
gebunden ist und allenfalls an einer nicht nennenswerten Zahl solcher Veranstaltungen teilnehmen kann (vgl. BSG SozR 3- 3870
§ 4 Nr. 17). Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben,
Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab
von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst
wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen bemessen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert
sind, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm.
Dass diese Voraussetzungen zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt hätten bejaht werden müssen, ist nach den Darlegungen der Ärztin
für Neurologie und Psychiatrie G in ihrem Gutachten vom 13. Juni 2007 nicht ersichtlich. Denn der Kläger ist danach (ebenso
wie heute) viel unterwegs gewesen, ohne dass ihn dies in irgendeiner Weise beeinträchtigt hätte. Auch dieser Einschätzung
ist die Betreuerin des Klägers in der mündlichen Verhandlung des Senats nicht entgegengetreten. Ebenso wie hinsichtlich der
Herabsetzung des GdB hat der Senat vor diesem Hintergrund auch hinsichtlich der Entziehung der in Rede stehenden Merkzeichen
keinen Anlass gesehen, in weitere Ermittlungen einzutreten.
Der Beklagte ist nach allem verpflichtet gewesen, den bislang festgestellten GdB von 100 auf 70 herabzusetzen und die Merkzeichen
"G", "B", "H" und "RF" zu entziehen. Dagegen, dass er dieser Verpflichtung ab dem Tag der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides
vom 17. August 2007 nachgekommen ist, bestehen keine Bedenken, weil die Zukunft im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X mit dem Tag der Bekanntgabe des Bescheides beginnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG nicht vorliegt.