Vorläufige Versorgung einer Versicherten mit einem Mobilgerät für Flüssigsauerstoff zum Ausgleich einer aufgrund einer Lungenerkrankung
bestehenden Behinderung
Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zur Deckung von allgemeinen Grundbedürfnissen
Befriedigung des Grundbedürfnisses einer 87-jährigen lungenkranken Versicherten auf Mobilität durch ein leichtes und mobiles
Sauerstoffgerät
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, die Antragstellerin vorläufig mit einem
Mobilgerät zur Flüssigsauerstoffversorgung (z.B. Novomed Spirit 300) zu versorgen, zu Unrecht abgelehnt.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt
das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller
das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche herleitet. Maßgeblich sind mithin grundsätzlich
die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Kommentar, 10. Aufl. 2012, §
86b Rdn. 27 ff.). Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung
der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus §
33 Abs.
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und
anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden
Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind.
Die mobile Einheit zur Sauerstoffversorgung stellt zunächst zweifellos keinen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens dar.
Das Mobilgerät zur Versorgung mit Flüssigsauerstoff ist der Versicherten von der Antragsgegnerin - vorläufig - zur Verfügung
zu stellen, um die aufgrund der Lungenerkrankung der Versicherten bestehende Behinderung auszugleichen. Ein Hilfsmittel ist
für den Ausgleich einer Behinderung grundsätzlich erforderlich, wenn das Hilfsmittel die beeinträchtigte Körperfunktion unmittelbar
ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Zu unterscheiden ist hiervon der Fall, dass das begehrte Hilfsmittel die beeinträchtigte
Körperfunktion nur mittelbar ersetzt. Dann nämlich muss zusätzlich geprüft werden, in welchen Lebensbereichen sich der Ausgleich
auswirkt. Festzustellen ist dabei, ob das Hilfsmittel zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt
wird. Dieser Differenzierung liegt die Erwägung zugrunde, dass der unmittelbare Funktionsausgleich sich in allen Lebensbereichen
auswirkt und damit zwangsläufig auch Grundbedürfnisse betroffen sind, während dies bei nur mittelbarem Behinderungsausgleich
nicht ohne Weiteres angenommen werden kann (vergl. z.B. BSG Urteil vom 06.06.2002, Az.: B 3 KR 68/01 R).
Einen unmittelbaren Behinderungsausgleich in dem zuvor beschriebenen Sinne bewirkt das Mobilgerät zweifelsfrei nicht, so dass
darauf abzustellen ist, ob es zur Deckung von allgemeinen Grundbedürfnissen erforderlich ist. Nach ständiger Rechtsprechung
gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören,
Nahrungsaufnahme, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen
und geistigen Freiraums (vgl. BSG Urteil vom 25.06.2009, Az.: B 3 KR 19/08 R m.w.N.). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört u.a. die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation
mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw. eines Schulwissens (BSG a.a.O.). Zum körperlichen Freiraum gehört - i.S. eines Basisausgleichs der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit die Fähigkeit,
sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft
zu kommen" oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu
erledigen sind (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs.
Gerade zur Befriedigung dieses Grundbedürfnisses auf Mobilität bedarf die Antragstellerin der Versorgung mit dem begehrten
Mobilgerät.
Es ist unter den Beteiligten nicht umstritten, dass die Antragstellerin wegen ihrer Lungenerkrankung einer ständigen Sauerstoffversorgung
bedarf. Deshalb hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin auch mit einem stationären Sauerstoffgerät und einer sog. Mobilen
Einheit versorgt. Indes wird hierdurch das Grundbedürfnis auf Mobilität nicht gewährleistet. Dies hat in einer Weise zu gewährleisten,
dass die inzwischen 87-jährige Antragstellerin tatsächlich noch in der Lage ist - unter Sicherstellung der Sauerstoffversorgung
-, ihre Wohnung zu verlassen. Die Antragstellerin hat insoweit glaubhaft gemacht, dass das ihr von der Antragsgegnerin zur
Verfügung gestellte mobile Gerät, die sog. mobile Einheit, ein Gewicht von mehreren Kilogramm aufweist, das sie nicht (mehr
zu) tragen vermag. Insoweit hat sie vorgetragen und dies auch durch entsprechende Unterlagen belegt, dass diese mobile Einheit
mit der Sauerstoffflasche insgesamt etwa 6 kg wiegt, während das jetzt begehrte Gerät nur ca. 2 kg wiegt. Dieses Gewicht der
mobilen Einheit von 6 kg mittels eines Rollators zu transportieren, erscheint dem Senat nicht praktikabel, weil auch dann
das Gerät in den Rollator hinein und heraus gehoben werden muss. Zudem ist ein Bewältigen von Treppen mit dem Rollator nicht
möglich. Es erscheint dem Senat in jeder Hinsicht nachvollziehbar, dass die schwerkranke Antragstellerin auf eine möglichst
leichtes, spezielles Mobilgerät angewiesen ist, um ihr Grundbedürfnis auf Mobilität befriedigen zu können.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Zunächst hat sie dargelegt, dass sie nicht in der Lage
ist, das Mobilgerät vorzufinanzieren. Bei der Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Belange ist ferner zu
berücksichtigen, dass es hier letztlich nur um die zeitlich begrenzte Zurverfügungstellung eines Gerätes geht, was die Antragsgegnerin
nicht übermäßig belastet. Sollte die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg haben, ist es ohne Weiteres möglich,
das der Antragstellerin zur Verfügung gestellte Gerät herauszuverlangen. Weitere Nachteile sind auf Seiten der Antragsgegnerin
nicht zu befürchten.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§
177 SGG).