Einbehalt des kassenindividuellen Zusatzbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung aus einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen den Einbehalt des kassenindividuellen
Zusatzbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus seiner Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1.3.2016.
Der Kläger ist seit 1.1.2013 als Rentner in der GKV pflichtversichert. Der beklagte Rentenversicherungsträger berücksichtigte
bei der Berechnung der monatlichen Rente ab 1.3.2016 (weiterhin) den kassenindividuellen Zusatzbeitrag iH von 3,15 Euro (Bescheid vom 29.3.2016, Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016). Im Klageverfahren berechnete die Beklagte den Betrag mehrfach neu. Das SG Freiburg hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 24.4.2019). Das LSG Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.6.2020). Die Einbehaltung der Beiträge von der Rente durch die Beklagte sowie der dem festgesetzten Beitrag zugrunde liegende Beitragssatz
seien gesetzlich geregelt. Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsgarantie aus Art
14 GG liege nicht vor, weil die Bruttorente des Klägers unverändert geblieben sei. Selbst wenn die Beitragserhöhung in den Schutzbereich
von Art
14 Abs
1 GG eingreifen sollte, wäre dieser Eingriff aus Gründen des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der Krankenkassen
und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Mit der hiergegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend
und behauptet sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Der Kläger hat entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht hinreichend dargelegt und einen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht hinreichend bezeichnet.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über
den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung
durch das Revisionsgericht bedarf und fähig ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche
Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des §
162 SGG stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und
des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und im angestrebten Revisionsverfahren
zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall
hinausgehende Breitenwirkung zukommt (BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).
In seiner Beschwerdebegründung vom 24.9.2020 formuliert der Kläger folgende Frage:
"Verstößt §
242 SGB V in seinen Absätzen 1 und 2 gegen Art.
14 Abs.
1 GG und gegen Art.
19 Abs.
4 GG?"
Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit seiner Frage nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist auch dann als höchstrichterlich
geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden ist, jedoch
schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der
von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Wird die Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung,
insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG im Einzelnen aufzuzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB BSG Beschluss vom 8.12.2008 - B 12 R 38/07 B - juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen
Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung darf sich im Fall einer aufgeworfenen
verfassungsrechtlichen Frage nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt angesehenen
Normen des
Grundgesetzes zu benennen (BSG Beschluss vom 30.4.2015 - B 10 EG 17/14 B - juris RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Das Vorbringen des Klägers erschöpft sich darin, einen Verstoß gegen das Eigentumsrecht aus Art
14 GG im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des Beitragssatzes zu behaupten und das Umlagesystem der gesetzlichen Sozialversicherung
zu kritisieren. Er setzt sich aber nicht mit dem Inhalt der Entscheidungen des BSG und des BVerfG auseinander, in denen bereits über die verfassungsrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Beitragserhebung
- auch betreffend die Beitragspflicht der Rentner - entschieden wurde (vgl zB BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 3.6.2014 - 1 BvR 79/09 ua - SozR 4-2600 § 68 Nr 4; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 7.10.2008 - 1 BvR 2995/06, 1 BvR 740/07 - juris - zur Verfassungsmäßigkeit der vollen Beitragspflicht von Rentnern zur sozialen Pflegeversicherung; vgl auch BVerfG
Beschluss vom 23.5.2018 - 1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14 - BVerfGE 149, 86, juris RdNr 69 ff; BSG Urteil vom 21.1.2009 - B 12 R 11/06 R - SozR 4-2500 § 241a Nr 2 RdNr 18). Insoweit genügt auch der Hinweis auf die ständigen Beitragssteigerungen, von denen nach Auffassung des Klägers "bewiesen"
sei, dass sie "überhaupt nichts bringen" würden, nicht. Es fehlt insoweit eine Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen
Rechtsprechung, in der gerade auch solche kumulativen Effekte besonders berücksichtigt werden (vgl zum Begriff des additiven Grundrechtseingriffs BVerfG Urteil vom 12.4.2005 - 2 BvR 581/01 - BVerfGE 112, 304; BVerfG Beschluss vom 13.9.2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 sowie auch BSG Urteil vom 21.1.2009 - B 12 R 11/06 R - SozR 4-2500 § 241a Nr 2 RdNr 18).
b) Auch hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen Art
19 Abs
4 GG legt der Kläger eine Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dar. Der Kläger behauptet, die Festlegung des Zusatzbeitrags durch
die Krankenkassen sei als Prognoseentscheidung nicht justiziabel. Zwar sei eine Klage möglich; sie sei aber "sinnlos". Er
könne sich gegen die von ihm angenommenen Eingriffe in seine Rentenanwartschaft seitens der Krankenkasse nicht mehr vor Gericht
"sinnvoll" wehren. Der Kläger unterlässt die zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit gebotene Auseinandersetzung mit der auch
zur Beitragsfestsetzung und -erhebung und zu Prognoseentscheidungen in der Sozialversicherung ergangenen umfangreichen Rechtsprechung
(vgl ua BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 3.6.2014 - 1 BvR 79/09 ua - SozR 4-2600 § 68 Nr 4; BSG Urteil vom 27.3.2020 - B 10 EG 7/18 R - BSGE 130, 103 = SozR 4-7837 § 1 Nr 9, RdNr 28 mwN).
2. Den an die Darlegung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu stellenden Anforderungen genügt der Kläger
mit diesen Ausführungen bereits deshalb nicht, weil er nicht - wie aber erforderlich - detailliert darlegt, welches konkrete
Vorbringen vom LSG übergangen worden sein soll, und dass sich das vorinstanzliche Gericht auch unter Berücksichtigung seiner
Rechtsauffassung mit dem Vorbringen hätte auseinandersetzen müssen (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 697 mwN). Der Kläger trägt lediglich vor, die angefochtene Entscheidung sowie frühere Entscheidungen des LSG und auch des BSG zu dieser Thematik seien "in weitreichendem Umfang nicht nachvollziehbar". Jedem sei klar, um welche Rechtsfrage es gehe,
nur dem Senat des BSG offensichtlich nicht. Es sei auch in früheren Verfahren ausreichend dargelegt worden, worum es gehe. Hierdurch bezeichnet
der Kläger keinen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Denn das Recht auf rechtliches Gehör gebietet
nur, dass die Gerichte die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, es verpflichtet
sie aber nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, ihn also zu "erhören" (BVerfG <Kammer> Nichtannahmebeschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539, juris RdNr 13 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.