Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für einen Mehrbedarf wegen eines anerkannten GdB von 60 sowie einer erheblichen
Gehbehinderung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 1.1.2005
bis 31.5.2006.
Die 1967 geborene Klägerin bezog zunächst Arbeitslosengeld (bis 25.7.2004), anschließend Krankengeld (bis 20.8.2004) und bis
zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe. Bei ihr ist ein GdB von 60 anerkannt. Darüber hinaus ist sie erheblich gehbehindert (Merkzeichen
"G"). Seit dem 1.7.2007 bezieht sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund.
Die Beklagte bewilligte ihr auf Antrag Leistungen nach dem SGB II und zwar für den Zeitraum vom 1.1. bis 1.6.2005 in Höhe
von 819,53 Euro (Regelleistung: 345 Euro, Leistungen für Unterkunft und Heizung: 314,53 Euro sowie befristeter Zuschlag: 160
Euro). Für den Monat Juli 2005 reduzierte die Beklagte den befristeten Zuschlag auf 146,66 Euro und danach bis zum 30.11.2005
auf 80 Euro (Bescheide vom 23.11.2004 und 19.4.2005). Für den Zeitraum vom 1.12.2005 bis 31.5.2006 gewährte die Beklagte Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts alsdann ohne befristeten Zuschlag (Bescheid vom 18.11.2005). In ihren Widersprüchen gegen
diese Bescheide machte die Klägerin ua geltend, dass ihr wegen der Schwerbehinderung in Verbindung mit der erheblichen Gehbehinderung
höhere Leistungen zustünden. Die Beklagte wies die Widersprüche mit der Begründung zurück, für das Begehren der Klägerin fehle
es an einer Anspruchsgrundlage (Widerspruchsbescheid vom 15.12.2005).
Im Klageverfahren ist die Klägerin im Wesentlichen erfolglos geblieben (Urteil des SG Düsseldorf vom 4.9.2008). Die Beklagte
hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem SG lediglich verpflichtet, der Klägerin unter Beachtung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs 2 SGB II für den gesamten streitigen Zeitraum weitere Leistungen in Höhe von 7,52 Euro zu erbringen. Das LSG Nordrhein-Westfalen
hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen (Urteil vom 12.3.2009). Es hat zur Begründung ausgeführt, für das nur noch streitige Begehren der Klägerin
auf höhere Leistungen wegen eines Mehrbedarfs auf Grund der Schwer- und erheblichen Gehbehinderung fehle es an einer Anspruchsgrundlage.
Die Klägerin erfülle weder die Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs 4 SGB II, noch des Abs 5 dieser Vorschrift. Auch §
23 Abs 1 Satz 1 SGB II scheide als Anspruchsgrundlage aus. Soweit wegen der Schwer- und erheblichen Gehbehinderung ein unabweisbarer
Bedarf iS des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II gegeben sei, handele es sich um einen regelmäßigen Bedarf, der nach dem Sinn und Zweck
der Norm nicht durch ein Darlehen gedeckt werden könne. Die Klägerin könne sich ebenso wenig auf § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB
II berufen. Sie erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift nicht, denn sie sei im streitigen Zeitraum nicht
erwerbsunfähig iS des § 8 Abs 1 SGB II gewesen. Eine analoge Anwendung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II komme nicht in Betracht.
Eine planwidrige Lücke sei nicht zu erkennen. Die Leistung für Mehrbedarf sei nach der gesetzgeberischen Intention erwerbsunfähigen
Leistungsempfängern unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit Leistungsempfängern nach dem SGB XII vorbehalten. Eine
unmittelbare Anwendung des § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII scheide bereits deswegen aus, weil erwerbsfähige Hilfebedürftige keine
Leistungen nach § 30 SGB XII beziehen könnten, denn § 5 Abs 2 SGB II schließe das Nebeneinander von Leistungen aus beiden
Systemen für den Fall aus, dass Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII im Streit stünden. § 73 SGB XII könne auch nicht
zur Anwendung kommen. Der hier geltend gemacht Bedarf entspringe keiner atypischen Bedarfslage, die einer der in den Kapiteln
5 bis 9 des SGB XII benannten entspreche. Der Ausschluss von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen von diesen Mehrbedarfsleistungen
im Gegensatz zu Erwerbsunfähigen verstoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungssatz des Art
3 Abs
1 GG. Eine Ungleichbehandlung der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gegenüber den erwerbsunfähigen Leistungsbeziehern mit Anspruch
auf Leistungen nach § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Der erwerbsfähige Hilfebedürftige sei
auf Grund seiner Möglichkeit des Hinzuverdienstes zum einen in der Lage seinen erhöhten Bedarf selbst zu decken, zum anderen
aber auch, soziale Kontakte von sich aus aufrecht zu erhalten. Da es zudem Ziel des SGB II sei, die dortigen Leistungsbezieher
in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sei eine vorübergehende Differenzierung zusätzlich zu rechtfertigen.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil macht die Klägerin geltend, dass in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden eine
Differenzierung zwischen Erwerbsunfähigen und Erwerbsfähigen nicht gerechtfertigt sei, da sie als schwer- und erheblich gehbehinderte
Leistungsbezieherin ebenso wie ein SGB XII-Leistungsberechtigter auf absehbare Zeit nicht in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen. Sie habe daher keine Möglichkeiten der Kompensation des Mehrbedarfs durch Erzielung von Erwerbseinkommen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.3.2009 und des SG Düsseldorf vom 4.9.2008 aufzuheben sowie die Bescheide der
Beklagten vom 23.11.2004, 19.4.2005 und 18.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005 zu ändern und
die Beklagte zu verurteilen, ihr im Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.5.2006 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Leistungen für Mehrbedarf in Höhe von 59 Euro monatlich zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des LSG.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet.
Auf Grund der Feststellungen des LSG vermochte der Senat nicht abschließend zu entscheiden, ob die Klägerin im streitigen
Zeitraum Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen Schwer- und erheblicher Gehbehinderung hat.
Zwar hat das LSG zutreffend auf einfachgesetzlicher Grundlage entschieden, dass der Klägerin im Zeitraum vom 1.1.2005 bis
31.5.2006 kein Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zusteht. Für erwerbsfähige
Leistungsberechtigte mangelt es im SGB II an einer Anspruchsgrundlage für eine derartige Leistung wegen Schwer- und erheblicher
Gehbehinderung. Eine analoge Anwendung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II bzw für den Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten dieser
Vorschrift des § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII auf den Kreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen scheidet wegen des Fehlens einer
planwidrigen Lücke insoweit ebenfalls aus. Erwerbsfähige Hilfebedürftige sind gleichfalls von Leistungen für einen Mehrbedarf
wegen Schwer- und erheblicher Gehbehinderung nach den Vorschriften des SGB XII ausgeschlossen; insoweit können sie sich weder
direkt auf § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII noch auf § 73 SGB XII berufen. Der Senat konnte auf Grund der Feststellungen des LSG jedoch
nicht entscheiden, ob die Klägerin einen Anspruch auf höhere Leistungen aus Art
1 Abs
1 iVm Art
20 Abs
1 GG hat.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Bescheide vom 23.11.2004, 19.4.2005 und 18.11.2005, alle in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 15.12.2005, mit denen die Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.5.2006 bewilligt hat. Der erkennende Senat folgt dem LSG insoweit, als dieses durch seine
Eingrenzung des Streitgegenstandes auf Leistungen für Mehrbedarf zum Ausdruck bringt, dass zumindest Leistungen für Unterkunft
und Heizung nicht im Streit stehen (zur Eigenständig- und Abtrennbarkeit der Kosten der Unterkunft als Streitgegenstand vgl
BSG 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1). Die weiteren Regelungen der Beklagten in diesen Bescheiden betreffend die Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts können nicht rechtlich zulässig in unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten werden (vgl zum befristeten
Zuschlag BSG vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R, SozR 4-4200 § 24 Nr 2; kein Bestandteil der Regelleistung hingegen Anspruch auf Erstausstattung nach § 23 Abs 3 Satz 1
Nr 1 SGB II: BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 64/07 R, BSGE 101, 268 = SozR 4-4200 § 23 Nr 2 und 1.7.2009 - B 4 AS 77/08 R SozR 4-4200 § 23 Nr 4). Dieses gilt auch für eine Leistung für Mehrbedarf, die nach der Rechtsprechung des 14. Senats des
BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist (vgl BSG
2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R, SozR 4-1500 § 71 Nr 2; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 19 RdNr 9). Der Streit um einen Anspruch
auf eine Leistung nach § 21 SGB II stellt keinen eigenständigen und von der Höhe der Regelleistung abtrennbaren Streitgegenstand
dar (BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R, BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5). Die Höhe der weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist somit unter jedem rechtlichen
Gesichtspunkt zu überprüfen (vgl zum Mehrbedarf wegen Alleinerziehung: BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R, aaO).
2. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist die Beklagte weiterhin beteiligtenfähig nach §
70 Nr 2
SGG (vgl hierzu BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 §
22 Nr 1). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar § 44b SGB II als mit Art
28 und Art
83 GG unvereinbar erklärt (Urteil vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04 = BVerfGE 119, 331). Die gemäß § 44b SGB II gebildeten Arbeitsgemeinschaften können jedoch für eine Übergangszeit bis zum 31.12.2010 (BVerfG,
aaO) auf der bisherigen Rechtsgrundlage tätig werden (vgl zuletzt BSG 27.1.2009 - B 14/7b AS 8/07 R, SozR 4-4200 § 21 Nr 4).
3. Die Klägerin erfüllt im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach § 19 iVm § 7 Abs 1 Satz
1 SGB II in der Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl I 2014). Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet,
das 65. Lebensjahr noch nicht, ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG erwerbsfähig und hilfebedürftig.
Ferner hat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
4. Die Klägerin hat auf einfachgesetzlicher Grundlage keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
wegen eines Mehrbedarfs auf Grund der Schwer- und erheblichen Gehbehinderung im streitigen Zeitraum. Für einen derartigen
Anspruch mangelt es an einer Anspruchsgrundlage im SGB II. Ebenso scheidet eine analoge Anwendung von § 28 Abs 1 Satz 3 Nr
4 SGB II bzw § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII aus.
Dem Anspruch auf Leistungen wegen Mehrbedarfs nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II steht zwar nicht grundsätzlich entgegen,
dass die Vorschrift im streitigen Zeitraum noch nicht in Kraft getreten war. Sie hat erst auf Grund des Gesetzes zur Fortentwicklung
der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) zum 1.8.2006 Wirkung entfaltet. Der Senat schließt sich
jedoch der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG an, der von der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Ergänzung des §
28 SGB II für die Zeit vor der Neuregelung durch analoge Anwendung der sozialhilferechtlichen Parallelregelung des § 30 Abs
1 Nr 2 SGB XII ausgeht (s BSG vom 21.12.2009 - B 14 AS 42/08 R zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen unter Hinweis auf SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 43).
Allerdings scheitert eine Durchsetzung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs unter Rückgriff auf eine entsprechende
Anwendung des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II bzw § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII gegen den SGB II-Träger im streitigen Zeitraum bereits
daran, dass sie nach den Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum erwerbsfähig war.
Der Wortlaut des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II bzw § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII beschränkt den Kreis der Leistungsberechtigen insoweit
eindeutig. Nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II erhalten nur nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
in Bedarfsgemeinschaft leben, einen Mehrbedarf von 17 vom Hundert der nach §
20 maßgebenden Regelleistung, wenn sie Inhaber eines Ausweises nach §
69 Abs
5 des
SGB IX mit dem Merkzeichen "G" sind. Die parallele Regelung des §
30 Abs 1 Nr 2 SGB XII gilt unter Beachtung von § 21 SGB XII ebenfalls nur für erwerbsunfähige Hilfebedürftige (s zum leistungsberechtigten
Personenkreis für Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII: BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R, SozR 4-3500 § 18 Nr 1).
Dass eine Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf erwerbsfähige Hilfebedürftige auch nicht auf dem Wege eines
Analogieschlusses in Betracht kommt, hat der 14. Senat bereits am 21.12.2009 (B 14 AS 42/08 R, vgl Terminbericht vom 22.12.2009 - Nr 72/09) entschieden. Der erkennende Senat schließt sich dem an.
Insoweit mangelt es bereits an einer planwidrigen Lücke. Es entsprach von vornherein dem gesetzgeberischen Anliegen, erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen einen Mehrbedarf allein wegen ihrer Schwerbehinderteneigenschaft und der Zuerkennung des Merkzeichens "G"
nicht zugänglich zu machen.
Dies folgt bereits aus der Rechtsentwicklung der Vorgängervorschrift des § 23 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), die angesichts der Entstehungsgeschichte des § 30 Abs 1 SGB XII für dessen Auslegung und für die Erforschung der Absichten des historischen Gesetzgebers bezüglich der Mehrbedarfe
im SGB II wesentliche Bedeutung hat. Entstehungsgeschichtlicher Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Gewährung des Mehrbedarfs
war nicht die Schwerbehinderung und der Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G", sondern gerade die
Erwerbsunfähigkeit des Hilfebedürftigen (vgl die insoweit ausführlichen Darlegungen in BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 5/08 R,
SozR 4-3500 § 30 Nr 1). Die Schwerbehinderung und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" wurde erst durch das Gesetz zur Reform
des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I 1088) als eine zusätzliche Voraussetzung für die Gewährung der Mehrbedarfsleistung
nach § 23 Abs 1 Nr 2 BSHG eingefügt (s BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 5/08 R, aaO). Die gesetzgeberische Motivation lag wohl darin, den leistungsberechtigten
Personenkreis unter gesundheitlichen Aspekten näher einzugrenzen (s BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 5/08 R, aaO; vgl auch BT-Drucks
13/2440). Deutlich wird zumindest, dass es dem Gesetzgeber nicht darum gegangen ist, die Zielrichtung des Mehrbedarfs insgesamt
im Hinblick auf einen Schwerbehindertenmehrbedarf zu verändern, sondern den Empfängerkreis lediglich auf diejenigen Erwerbsunfähigen
zu beschränken, die auch schwerbehindert und insbesondere gehbehindert sind. Die Erwerbsunfähigkeit sollte wesentlicher Anknüpfungspunkt
für die Anerkennung des Mehrbedarfs bleiben. Diese Bestimmungen des § 23 Abs 1 BSHG sind im Wesentlichen inhaltsgleich in das SGB XII übernommen worden, wobei ua mit der Absenkung der Prozentsätze der Neukonzeption
der Regelsätze Rechnung getragen werden sollte (BT-Drucks 15/1514 S 60 zu § 31). Diese Gesichtspunkte belegen die Planmäßigkeit
des Fehlens entsprechender Mehrbedarfsregelungen in § 21 SGB II. Gegen die Planwidrigkeit der Regelungslücke spricht schließlich
auch, dass der Gesetzgeber die Änderungen durch das Fortentwicklungsgesetz auf § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II beschränkt hat,
also den Kreis der Erwerbsunfähigen, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Kritik am Fehlen einer entsprechenden Mehrbedarfsregelung
in § 21 SGB II aufgekommen waren (vgl nur Hofmann in Münder, LPK-SGB II, 1. Aufl 2005, § 21 RdNr 3).
5. Zutreffend ist das LSG ferner davon ausgegangen, dass auch weder § 21 Abs 4 oder 5 SGB II, noch § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II
als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin in Betracht kommen.
Nach § 21 Abs 4 SGB II erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach
§
33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs 1 Satz
1 Nr 1 bis 3 SGB XII erbracht werden, einen Mehrbedarf von 35 vom Hundert der nach § 20 maßgebenden Regelleistung. Satz 1
kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit,
angewendet werden. Nach den von der Klägerin nicht angegriffenen Feststellungen des LSG bezog sie im streitigen Zeitraum keine
Eingliederungsleistungen. Leistungen für Mehrbedarf nach § 21 Abs 4 SGB II können jedoch nur dann beansprucht werden, wenn
tatsächlich Eingliederungsleistungen in dem dort benannten Sinne erbracht werden (vgl BSG vom 25.6.2008 - B 11b AS 19/07 R, BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1 RdNr 22). Einen medizinisch begründeten Bedarf an kostenaufwändiger Ernährung, der nach § 21 Abs
5 SGB II zu einer Leistung für Mehraufwand führen könnte, hat das LSG ebenfalls - von der Klägerin nicht angegriffen - ausgeschlossen.
§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II scheidet als Anspruchsgrundlage bereits deswegen aus, weil nach dieser Vorschrift keine dauerhaften,
monatlich wiederkehrenden pauschalen Bedarfe gedeckt werden können (vgl bereits BSG vom 7.11.2006 BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; s nun auch BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Umdruck, S 73). Nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis, wenn
im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts
weder durch das Vermögen nach § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann, den Bedarf als Sachleistung
oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen. Nach den Feststellungen des LSG und dem
eigenen Vortrag der Klägerin begehrt sie keine Leistungen zur Deckung der Aufwendungen eines im Einzelnen unabweisbaren Bedarfs
im Sinne des Gesetzes. Das Begehren der Klägerin ist nach der Fassung ihres Antrags, in Übereinstimmung mit ihrem Vortrag
sowie den Feststellungen des LSG vielmehr auf einen nicht konkret benannten Ausgleich für die Schwer- und erhebliche Gehbehinderung
gerichtet. Sie macht damit eine monatliche Erhöhung der Regelleistung durch einen pauschalen Satz, also eine monatlich wiederkehrende
Leistung geltend. Ein derartiger Anspruch kann jedoch nicht auf § 23 SGB II gestützt werden.
Grundsätzlich hat der Hilfebedürftige seinen Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Regelleistungspauschale des
§ 20 SGB II zu decken. Kann ein notwendiger Bedarf durch die Regelleistung tatsächlich nicht gedeckt werden, soll der Hilfebedürftige
zunächst den "Ansparbetrag" einsetzen. Dieses folgt aus dem Hinweis auf § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II. Er soll also vorrangig versuchen,
aus Mitteln der Regelleistung eine Bedarfsdeckung zu erreichen. Nur wenn ihm dieses nicht gelingt, kann § 23 Abs 1 SGB II
im Einzelfall eingreifen (vgl hierzu Gesetzentwurf zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, BR-Drucks
559/03, S 196; s auch Lang/Blüggel in Eicher/Spellbrink SGB II, 2. Aufl, § 23 RdNr 20). Dass keine Dauerbedarfe durch die
Leistung nach § 23 Abs 1 SGB II gedeckt werden sollen, folgt insoweit unmittelbar aus dem Wortlaut. Aber auch der Hinweis
auf den Ansparbetrag und die Art der Leistungsgewährung durch Darlehen, das zudem nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB II zwingend zu
tilgen ist, belegen die Beschränkung auf einmalige oder kurzfristige Spitzen im Bedarf. Eine monatliche Darlehensgewährung
(s zur Verteilung der Zuzahlung zu Leistungen der GKV bis zur Belastungsgrenze nach §
62 SGB V über ein Jahr BSG vom 22.4.2008 - B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6) würde die Tilgungssumme bei monatlicher Darlehensgewährung Monat für Monat erhöhen und bei längerem
Leistungsbezug eine kaum überschaubare Dimension annehmen. Zur Deckung eines dauerhaften besonderen Bedarfs ist die Gewährung
eines Darlehens ungeeignet (BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09).
Eine andere Anspruchsgrundlage auf einfachgesetzlicher Ebene des SGB II findet sich nicht. Das Leistungssystem des SGB II
ist ein in sich abgeschlossenes, das über die nach diesem Gesetz vorgesehenen Leistungen hinaus keine weiteren auf Grundlage
des SGB II vorsieht. Diesen Grundsatz hat der Gesetzgeber durch die Einfügung des Satzes 4 in § 23 Abs 1 SGB II sowie Ergänzung
des Satzes 1 und Anfügung eines Satzes 2 in § 3 Abs 3 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) nochmals ausdrücklich unterstrichen. Danach sind weitere Leistungen - über die Darlehensleistung
hinaus - bzw eine abweichende Festlegung der Bedarfe ausgeschlossen.
6. Eine Ausnahme hiervon kann sich zwar aus § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II iVm Vorschriften des SGB XII ergeben (zum Umgangsrecht
BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R, BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; zu Pflegeleistungen BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R, SozR 4-3500 § 18 Nr 1; s auch Knickrehm
NZS 2007, 128). Voraussetzung insoweit ist jedoch nach § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II, dass es sich bei der begehrten Leistung nicht um eine solche
nach dem 3. Kapitel des SGB XII, also keine Leistung aus dem Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt handelt. Soweit die Klägerin
mithin ihren Anspruch aus § 30 Abs 1 Nr 2 SGB XII ableitet, ist ihr auch dieser Weg verschlossen, denn ebenso wie im SGB II
(s oben unter 1.) sind auch im SGB XII die Mehrbedarfsleistungen Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
(3. Kapitel des SGB XII).
Ebenso scheidet der trotz § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II zwar grundsätzlich mögliche Rückgriff auf § 73 SGB XII als Anspruchsgrundlage
aus. Zwar kann, wenn eine atypische Bedarfslage gegeben ist, Hilfe in dieser besonderen Lebenslage nach § 73 SGB XII neben
der Regelleistung des § 20 SGB II auch erwerbsfähigen Hilfebedürftigen gewährt werden (so bereits BSG vom 7.11.2006 - B 7b
AS 14/06 R, BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; vgl auch Knickrehm, Sozialrecht aktuell 2006, 159, 162; aA Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB
XII/Asylbewerberleistungsgesetz, § 73 SGB XII RdNr 11, Stand Februar 2006; vgl auch O'Sullivan, SGb 2005, 369, 371 f). Allerdings darf die Norm nicht zur allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutieren. Erforderlich
ist daher nicht nur das Vorliegen einer besonderen Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74
SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist (vgl hierzu BSG vom 25.6.2008 - B 11b AS 19/07 R, BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1 RdNr 22) und dadurch eine Aufgabe von besonderem Gewicht darstellt. Eine derartige Bedarfslage darf
ferner nach dem Regelkonzept von SGB II und SGB XII nicht ausschließlich durch eine Erhöhung der Hilfe zum Lebensunterhalt
nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII oder eine ausdrücklich im 3. Kapitel des SGB XII vorgesehene Hilfe zu decken sein. Anderenfalls
würde § 73 SGB XII nicht nur zur Auffangregelung werden, sondern auch zur Umgehung sowohl des § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II, als
auch der Regelungen des SGB XII eingesetzt werden können. So liegt der Fall hier.
7. Der Senat konnte jedoch nicht abschließend darüber entscheiden, ob der Klägerin im streitigen Zeitraum ggf ein Anspruch
aus Art
1 Abs
1 iVm Art
20 Abs
1 GG iS der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) zusteht. Es mangelt an hinreichenden Tatsachenfeststellungen des LSG, um das Vorliegen der Voraussetzungen eines
derartigen Leistungsanspruchs beurteilen zu können.
Das BVerfG hat entschieden, dass ua § 20 Abs 2 1. Halbsatz und Abs 3 Satz 1 SGB II iVm § 20 Abs 1 SGB II in den unterschiedlichen
Fassungen seit dem Inkrafttreten des SGB II am 1.1.2005 mit Art
1 Abs
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art
20 Abs
1 GG unvereinbar sind. Bis zur Neuregelung, die der Gesetzgeber bis spätestens zum 31.12.2010 zu treffen hat, sind diese Vorschriften
jedoch weiter anwendbar. Die dem Gesetzgeber aufgegebene Neuregelung muss darüber hinaus einen Anspruch auf Leistungen zur
Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten
vorsehen, der bisher nicht von den Leistungen nach §§ 20 ff SGB II erfasst wird, jedoch zur Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums zwingend zu decken ist. Bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber hat das BVerfG im Tenor der Entscheidung
ausdrücklich angeordnet, dass dieser Anspruch nach Maßgabe seiner Urteilsgründe unmittelbar aus Art
1 Abs
1 GG in Verbindung mit Art
20 Abs
1 GG zu Lasten des Bundes geltend gemacht werden kann.
In den Urteilsgründen hat das BVerfG ausgeführt, eine Leistung, die geeignet sei, einen unabweisbaren, laufenden und nur einmaligen,
besonderen Bedarf zu decken, sei deswegen zwingend in das SGB II aufzunehmen und bis zur Neuregelung direkt aus der Verfassung
abzuleiten, weil die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, auf der die Regelleistung beruhe, allein den Durchschnittsbedarf
in üblichen Bedarfssituationen widerspiegele, nicht aber einen darüber hinausgehenden, besonderen Bedarf aufgrund atypischer
Bedarfslagen (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Umdruck S 71). Grundsätzlich sei die Gewährung der Regelleistung als feste Pauschale iS einer typisierenden
Regelung auch im Bereich der Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zulässig. Es sei dem Hilfebedürftigen zuzumuten,
über die Verwendung des Festbetrags im Einzelnen selbst zu bestimmen und dabei sein individuelles Verbrauchsverhalten so zu
gestalten, dass er mit dem Festbetrag auskomme. Vor allem habe er bei besonderem Bedarf zuerst auf das Ansparpotential zurückzugreifen,
das in der Regelleistung enthalten sei. Die pauschalierte Regelleistung, festgelegt nach dem Statistikmodell, decke jedoch
bereits von ihrer Konzeption her nur durchschnittliche Bedarfe ab. Ein in Sonderfällen auftretender Bedarf nicht erfasster
Art oder atypischen Umfangs werde von der Statistik nicht aussagekräftig ausgewiesen (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, S 72).
Allerdings verlange Art
1 Abs
1 GG, der die Menschenwürde jedes einzelnen Individuums ohne Ausnahme schütze, dass das Existenzminimum in jedem Einzelfall sichergestellt
werde. Art
1 Abs
1 GG in Verbindung mit Art
20 Abs
1 GG gebiete, auch einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf zu decken, wenn dies im Einzelfall
für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich sei, was das bisherige Regelungskonzept des SGB II nicht gewährleiste.
Deshalb bedürfe es neben den in §§ 20 ff SGB II vorgegebenen Leistungen noch eines zusätzlichen Anspruchs auf Leistungen bei
unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf, der zwingend zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums
erforderlich sei (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Umdruck S 71).
Ob ein derartiger Bedarf im konkreten Fall vorliegt, wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu ermitteln haben.
Eine Ermittlungspflicht dieser Art besteht grundsätzlich nur unter zwei Bedingungen. Zum Einen müssen in dem betreffenden
Verfahren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer atypischen Bedarfslage gegeben sein. Das folgt bereits daraus, dass das BVerfG
den "Härtefall" sehr stark begrenzt hat. Es weist darauf hin, dass angesichts der Beschränkung des Anspruchs auf Fälle, in
denen das Existenzminimum gefährdet sei, der zusätzliche Anspruch angesichts seiner engen und strikten Voraussetzungen nur
in seltenen Fällen entstehen dürfte. Vor diesem Hintergrund muss aber die Bedarfslage klar hervortreten und sind Ermittlungen
ins Blaue hinein nicht erforderlich. Zum zweiten muss es sich um ein laufendes, noch nicht abgeschlossenes Verfahren handeln.
Im vorliegenden Fall sind Anhaltspunkte dafür gegeben, dass eine atypische Bedarfslage vorliegen könnte. Die Klägerin hat
hier einen besonderen Bedarf behauptet, ihn allerdings aus Rechtsgründen nicht konkretisiert. Das musste sie bisher auch nicht,
denn außer über die beiden hier aus anderen Gründen nicht in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen des § 23 Abs 1 Satz 1
SGB II und § 73 SGB XII ist der Mehrbedarf wegen Schwer- und erheblicher Gehbehinderung nach dem Konzept des SGB II durch
eine Pauschale abzugelten. Insoweit bedarf es auch im Falle des erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen keines Nachweises eines
konkreten Bedarfs, sondern nur des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II. Andererseits
ist in der Situation der Klägerin nicht auszuschließen, dass wegen der Schwer- und erheblichen Gehbehinderung ein besonderer
Bedarf gegeben ist - dieser ist gleichsam als Minus in dem auf die Gewährung der Pauschale gerichteten Begehren der Klägerin
enthalten - der hier aus einfachgesetzlichen Gründen nicht durch die Pauschale gedeckt werden kann, sodass es sich nicht um
Ermittlungen "ins Blaue" hinein handelt.
Das LSG wird, wenn es seine Feststellungen zum Vorliegen eines konkreten Bedarfs wegen der Schwer- und erheblichen Gehbehinderung
abgeschlossen hat, diesen ggf nach Maßgabe der Entscheidung des BVerfG daraufhin zu bewerten haben, ob es sich um einen unabweisbaren,
laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf handelt, dessen Deckung zur Sicherung des Existenzminimums zwingend erforderlich
ist. Es wird dabei zu beachten haben, dass nach der Entscheidung des BVerfG ein solcher Bedarf nur dann vorliegt, wenn er
so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter
und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr
gewährleistet (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Umdruck S 73).
Der Prüfung des aus dem Verfassungsrecht herzuleitenden Anspruchs steht nicht entgegen, dass die Beteiligten über Leistungen
für den Zeitraum 1.1.2005 bis 31.5.2006 streiten. Das BVerfG hat zur Anwendung des Anspruchs im Tenor der Entscheidung angeordnet,
"dass dieser Anspruch nach Maßgabe der Urteilsgründe unmittelbar aus Art
1 Abs
1 GG in Verbindung mit Art
20 Abs
1 GG zu Lasten des Bundes geltend gemacht werden kann". In den Gründen hat das BVerfG hierzu ausgeführt, dass Leistungsberechtigte,
bei denen ein besonderer Bedarf vorliege, auch vor der Neuregelung die erforderliche Sach- und Geldleistung erhalten müssten.
Ansonsten läge eine Verletzung von Art
1 Abs
1 GG vor, die auch nicht vorübergehend hingenommen werden könne. Vor diesem Hintergrund versteht der Senat die weiteren Ausführungen,
wonach die verfassungswidrige Lücke für die Zeit ab Verkündung des Urteils durch eine entsprechende Anordnung des BVerfG zu
schließen sei, dahin, dass in laufenden und noch nicht abgeschlossenen Verfahren - wie vorliegend - eine "Härteleistung" auf
Grund von Art
1 Abs
1 iVm Art
20 Abs
1 GG zu gewähren sein kann. Hierfür spricht zudem, dass das BVerfG im Übrigen eine "rückwirkende Neufestsetzung" von Leistungen
ausschließen wollte. Wäre der verfassungsrechtliche Anspruch hingegen erst für Leistungszeiträume ab dem 9.2.2010 zu berücksichtigen,
stellte sich die Frage nach einer verfassungskonformen Auslegung des § 23 SGB II und des § 73 SGB XII.
8. Sollte das LSG zu dem Ergebnis gelangen, die Klägerin habe keinen Anspruch aus Art
1 Abs
1 iVm Art
20 Abs
1 GG, wird es ferner zu beachten haben, dass die Ungleichbehandlung von erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen,
die dazu führt, dass - wie oben dargelegt - die Klägerin auch keinen Anspruch auf eine pauschalierte Leistung für Mehrbedarf
hat, nicht gegen Art
3 Abs
1 GG verstößt.
Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, verschiedene Gruppen von Normadressaten ungleich zu behandeln, wenn zwischen
ihnen nicht Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen
können (BVerfG vom 7.10.1980 - 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG vom 11.5.2005 - 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2300/98, 1 BvR 2144/00, BVerfGE 112, 368, 401; BVerfG vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05, BVerfGE 116, 229, 238). Soweit die Gewährung von Sozialleistungen bedürftigkeitsabhängig ist, hat der Gesetzgeber dabei grundsätzlich einen
weiten Gestaltungsspielraum (BVerfG vom 2.2.1999 - 1 BvL 8/97, BVerfGE 100, 195, 205; BSG vom 3.12.2002 - B 2 U 12/02 R, BSGE 90, 172, 178 = SozR 3-5910 § 76 Nr 4). Der Gestaltungsspielraum wird jedoch um so enger, je mehr sich die Ungleichbehandlung von
Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (BVerfG vom 26.1.1993
- 1 BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92, BVerfGE 88, 87, 96) oder je mehr es sich um ein personenbezogenes Merkmal handelt, an dem die Differenzierung ansetzt. Insoweit kommt es
auf die Verhältnismäßigkeit zwischen Ungleichbehandlung und rechtfertigendem Grund an (BVerfG vom 6.7.2004 - 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160, 171), wobei eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist, wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind, durch
ihr eigenes Verhalten die Verwirklichung des Merkmals zu beeinflussen, nach dem unterschieden wird (vgl auch Spellbrink in
Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 39 RdNr 135). Ob die zur Prüfung gestellte Regelung
mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist, hängt dann davon ab, ob für die getroffene Differenzierung Gründe von solchem
Gewicht bestanden, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen konnten (BVerfG vom 6.7.2004 - 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160).
Gemessen an diesem Maßstab hat der Gesetzgeber hier seine Gestaltungsgrenze nicht überschritten. Zwar kann das Differenzierungsmerkmal
der "Erwerbsunfähigkeit" bzw "Erwerbsfähigkeit" kaum durch die betroffene Person selbst beeinflusst werden. Die getroffene
Differenzierung zwischen den maßgeblichen Vergleichsgruppen der erwerbsfähigen Arbeitslosengeld II-Berechtigten und den nicht
erwerbsfähigen Sozialgeldberechtigten/Leistungsempfängern nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII im Hinblick auf die Gewährung
des Mehrbedarfs wegen Schwer- und erheblicher Gehbehinderung wird jedoch durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt.
Zutreffend hat das LSG darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber einen Lebenssachverhalt, der zu einer unterschiedlichen Behandlung
von erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen führen kann, soweit es die Gewährung einer Leistung für Mehrbedarf
wegen Schwer- und erheblicher Gehbehinderung betrifft, bereits selbst beseitigt hat. Behinderte Sozialgeldempfänger/SGB XII-Leistungsempfänger
nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII (erwerbsunfähige Hilfebedürftige) und erwerbsfähige Hilfsbedürftige erhalten beide,
sofern sie Leistungen zur Eingliederung nach § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB XII beziehen, eine Mehrbedarfsleistung in Höhe
von 35 % der für sie maßgeblichen Regelleistung (§ 21 Abs 3 SGB II bzw § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 2/§ 30 Abs 4 SGB XII). In diesem
Fall ist die Gewährung einer zusätzlichen Leistung für Mehrbedarf wegen Schwer- und erheblicher Gehbehinderung, auf die der
erwerbsfähige Hilfebedürftige ohnehin keinen Anspruch hat, auch für erwerbsunfähige Leistungsbezieher ausgeschlossen (§ 28
Abs 1 Satz 3 Nr 4 Satz 2 SGB II und § 30 Abs 4 Satz 3 SGB XII). Diese zuvor beschriebene Angleichungsregelung macht deutlich,
dass die für erwerbsfähige Hilfebedürftige gegebene Möglichkeit der Integration in den Arbeitsmarkt, also die Chance auf eine
Erwerbstätigkeit und damit die Beseitigung der Hilfebedürftigkeit durch Erzielung von Erwerbseinkommen, ein tragender Grund
für die Differenzierung ist. Wenn erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen über Eingliederungsleistungen (§ 54 SGB XII) die Möglichkeit
der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eröffnet werden kann, so sind auch sie von der Leistung für Mehrbedarf bei Schwer- und
erheblicher Gehbehinderung ausgeschlossen.
Die Anknüpfung der Differenzierung an die Möglichkeit der Arbeitsmarktintegration ist auch folgerichtig - soweit es das System
des SGB II betrifft. Das SGB II ist von seiner Grundkonzeption her ein erwerbszentriertes Grundsicherungssystems. Es ist darauf
ausgerichtet, den erwerbsfähigen (iS des § 8 SGB II) Hilfebedürftigen in den Arbeitsmarkt einzugliedern, ihn von den Leistungen
des SGB II unabhängig zu machen oder zumindest den Leistungsanteil an seiner Lebensunterhaltssicherung zu verringern (§ 1
Abs 1 SGB II). Um dieses Ziel zu erreichen, werden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jedoch im Rahmen des Grundsatzes des Forderns
gegenüber erwerbsunfähigen Personen auch größere Selbsthilfeverpflichtungen auferlegt, weil sie noch in der Lage sind, ihre
Arbeitskraft zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen (vgl § 2 Abs 1, Abs 2 Satz 2 SGB II). Andererseits erfahren
sie Förderung mit Zielrichtung auf ihre Eingliederung in Arbeit (§ 14 Abs 1 Satz 1 SGB II). Sie können anders als erwerbsunfähige
Sozialgeldempfänger Eingliederungsleistungen nach §§ 16 ff SGB II erhalten, die zu eben dieser Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung
oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit beitragen sollen (§ 3 Abs 1 Satz 1 SGB II). Soweit die Schwer- und/oder Gehbehinderung
sie mithin in ihrer beruflichen Integrationschance beeinträchtigt, besteht ein Ausgleichsanspruch hierfür durch Eingliederungsleistungen
(zB Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben gemäß §
16 Abs
1 SGB II iVm §§
97 ff
SGB III). Erwerbsunfähige Hilfebedürftige erhalten hingegen nur unter den engen Bedingungen des §
7 Abs 2 Satz 2 SGB II Eingliederungsleistungen nach dem SGB II (vgl Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar
zum Sozialrecht, 2009, § 7 RdNr 13, § 16 RdNr 3; die Gewährung von Eingliederungsleistungen nach § 16 SGB II an Sozialgeldempfänger
offen lassend, BSG vom 25.6.2008 - B 11b AS 19/07 R, BSGE 101, 79, 81 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1) und nur dann, wenn die Leistungen auf die Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit
der Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft oder die Beseitigung oder Verminderung der Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen ausgerichtet sind. Zwar können erwerbsunfähige und gehbehinderte Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft unter
Umständen Eingliederungsleistungen nach § 54 ff SGB XII erhalten. Zumindest soweit ihr Bedarf wegen der Schwer- und Gehbehinderung
bereits durch die Leistung für Mehrbedarf nach § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 4 SGB II gedeckt ist, kommen daneben Eingliederungsleistungen
jedoch nicht mehr in Betracht (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 5/08 R SozR 4-3500 § 30 Nr 1). Fahrtkosten als Hauptkostenfaktor
eines erheblich gehbehinderten Hilfebedürftigen fallen für beide Personengruppen nicht an, jedenfalls soweit sie durch die
Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs entstehen. §
145 Abs
1 Satz 5 Nr
2 SGB IX sieht eine Befreiung von der Beteiligung an den Kosten einer Wertmarke für Leistungsempfänger nach dem SGB II und dem 3.
sowie 4. Kapitel des SGB XII vor, wenn sie anerkannt erheblich gehbehindert sind (vgl hierzu ausführlich BSG vom 17.7.2008
- B 9/9a SB 11/06 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 1). Somit verbleibt allenfalls ein "schmaler Grat" eines Leistungsausschlusses für
erwerbsfähige Hilfebedürftige gegenüber erwerbsunfähigen Hilfebedürftigen, der sich auf einen nicht näher definierbaren "privaten
Bereich" bezieht. Diese Differenzierung ist jedoch durch die oben benannte "Erwerbszentriertheit" und den Grundsatz des Forderns
des SGB II zu rechtfertigen.
Soweit die Klägerin geltend macht, sie als schwer- und erheblich gehbehinderte Hilfebedürftige habe wegen ihrer gesundheitlichen
Einschränkungen keine Chance auf einen Hinzuverdienst gehabt, so vermag sie damit die obige Argumentation nicht zu entkräften.
Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der erwerbsfähige Hilfebedürftige durch einen "Hinzuverdienst" in die Lage versetzt
werden kann, die behinderungsbedingte Einschränkung auszugleichen, sondern darauf, dass es nach dem Grundkonzept des SGB II
Aufgabe des Trägers ist, für eine Integration des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu sorgen und ggf bestehende Hindernisse
auszugleichen.
9. Andere Gründe, die zu einer Erhöhung der Regelleistung um den von der Klägerin geforderten Betrag führen könnten, sind
nicht ersichtlich.
Soweit die Klägerin eine geschlechtsspezifisch höhere Leistung begehrt, schließt sich der erkennende Senat der Rechtsauffassung
des 14. Senats in der Entscheidung vom 27.2.2008 (B 14/7b AS 32/06 R, BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6) an. Dort hat der 14. Senat ausgeführt, dass nicht zu erkennen sei, dass die für Frauen und Männer
in gleicher Höhe festgesetzte Regelleistung von 345 Euro eine mittelbare Diskriminierung von Frauen beinhalte.
Der Senat hat im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BSG auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Abschaffung
der Arbeitslosenhilfe und deren Ersetzung durch Leistungen nach dem SGB II (vgl nur BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R, SozR 4-4300 § 428 Nr 3).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.