Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der im Februar 1971 geborene Kläger ist gelernter Fleischer und war in diesem Beruf bis 2011 erwerbstätig (seit November 2010
arbeitsunfähig). Nach einer Umschulung arbeitete er von 2013 bis 2016 als Oberflächenbeschichter. Im September 2017 beantragte
er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte ein Sachverständigengutachten auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet ein (Gutachten Dr. M vom 22.1.2018) und lehnte den Rentenantrag mit der Begründung ab, der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Leistungseinschränkungen
mindestens sechs Stunden täglich ausüben (Bescheid vom 7.2.2018; Widerspruchsbescheid vom 12.7.2018).
Das SG Chemnitz hat nach Einholung zahlreicher Befundberichte der behandelnden Ärzte und eines neurologisch-psychiatrischen
Sachverständigengutachtens (Gutachten Dr. H vom 4.5.2020) die Klage mit Urteil vom 24.7.2020 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das LSG mit Schreiben vom 8.10.2020 dem Kläger mitgeteilt,
nach den vor dem SG und im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten könne er noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen
mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Die Berufung habe deshalb keine Aussicht auf Erfolg. Weitere Ermittlungen seien
nicht beabsichtigt. Das LSG hat eine Frist zur Stellungnahme bis zum 11.11.2020 gesetzt. Mit Schreiben vom 4.11.2020 und vom
23.12.2020 hat sich der Kläger zur Sache geäußert und ua geltend gemacht, er sei bislang nur auf neurologisch-psychiatrischem
Fachgebiet begutachtet worden, obwohl infolge von Arbeitsunfällen auch Beeinträchtigungen an Wirbelsäule und Fuß vorlägen.
Eine Beschäftigungsdauer von über sechs Stunden täglich könne von ihm nicht erbracht werden. Mit Schreiben vom 5.1.2021 hat
das LSG daraufhin mitgeteilt, es bleibe bei seiner Einschätzung vom 8.10.2020. Mit Schriftsatz vom 26.1.2021 hat der Kläger
die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet nach §
109 SGG beantragt. Das LSG hat daraufhin mitgeteilt, es sei nicht beabsichtigt, dem grob nachlässig verspätet gestellten Antrag zu
entsprechen (Schreiben vom 27.1.2021). Mit Schriftsatz vom 3.2.2021 hat der Kläger darauf erwidert. Nach mündlicher Verhandlung am 9.3.2021 hat das LSG die Berufung
zurückgewiesen und sich den Ausführungen des SG angeschlossen (Urteil vom 9.3.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er rügt einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensmangel
geltend (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
1. Nach Schließung des 13. Senats zum 1.7.2021 durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021 (vgl §
202 Satz 1
SGG iVm §
130 Abs
1 Satz 2
GVG) ist die Zuständigkeit für die Streitsache gemäß Geschäftsverteilungsplan (Stand 1.7.2021) auf den 5. Senat übergegangen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte
Grund für die Zulassung einer Revision wurde nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger trägt vor, Schriftsätze mit substantiellem Inhalt seien nicht berücksichtigt und die sich daraus ergebende weitere
Sachaufklärung unterlassen worden. Er habe sich bereits mit Schriftsatz vom 4.11.2020 fristgerecht geäußert und darin ausgeführt,
aus welchen Gründen das Ergebnis der Begutachtung vom 4.5.2020 nicht überzeugend sei. Darauf sei keine Reaktion des LSG erfolgt.
Mit Schreiben vom 23.12.2020 habe er erneut zu seinen Leistungseinschränkungen vorgetragen, auf eine Verschlechterung seiner
körperlichen Beschwerden hingewiesen und einen Bescheid über die Neufeststellung seines GdB aus dem Jahr 2019 übermittelt.
Ohne nähere Begründung habe das LSG daraufhin nur mitgeteilt, es bleibe bei seiner bisherigen Einschätzung (Schreiben vom 5.1.2021). Zudem habe es in seinen Entscheidungsgründen auf die Schriftsätze des Klägers vom 4.11.2020, vom 23.12.2020 und vom 3.2.2021
nicht Bezug genommen.
Soweit der Kläger vorträgt, das LSG habe die fehlenden Erfolgsaussichten der Berufung nicht begründet und auf seine Schriftsätze
nicht weiter reagiert, ergibt sich daraus nicht, inwiefern dadurch der aus Art
2 Abs
1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt sein könnte. Zwar mag im Rahmen eines
professionellen Umgangs zwischen Gericht und Beteiligten die äußerst knappe Reaktion des LSG auf zwei Schriftsätze mit detailliertem
Vortrag ("wird mitgeteilt, dass es bei der Einschätzung vom 08.10.2020 verbleibt") als unangemessen empfunden werden. Im einfachrechtlichen Prozessrecht gibt es jedoch keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz,
der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für
die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit ihnen zu erörtern (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 9.10.2014 - B 13 R 157/14 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 2.3.2021 - B 5 RE 18/20 B - juris RdNr 22 - jeweils mwN). Der Kläger legt auch nicht dar, dass sich das LSG ihm gegenüber widersprüchlich verhalten habe (vgl BSG Beschluss vom 28.4.2021 - B 14 AS 313/20 B - juris RdNr 8). Aus der Beschwerdebegründung geht hervor, dass das LSG zu den Ausführungen im Schriftsatz vom 23.12.2020 Stellung genommen
und mit Schreiben an den Kläger vom 5.1.2021 "seine frühere Einschätzung bestätigt" hat. Auch auf den mit Schreiben vom 26.1.2021
gestellten Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach §
109 SGG hat das LSG - wie der Kläger selbst vorträgt - mit Schreiben vom 27.1.2021 reagiert und bereits im Vorfeld der mündlichen
Verhandlung mitgeteilt, dass der Antrag verspätet sei. Dem Vorbringen des Klägers kann nicht entnommen werden, dass es ihm
nicht möglich war, bereits in seiner ersten, das vorinstanzliche Gutachten kritisierenden Stellungnahme konkret eine weitere
gerichtliche Sachaufklärung nach §
106 SGG zu beantragen und gegebenenfalls hilfsweise einen Antrag nach §
109 SGG anzukündigen.
Dass das LSG gegen eine besondere Fürsorgepflicht verstoßen hätte, hat der vor dem LSG durch einen Prozessbevollmächtigten
vertretene Kläger ebenfalls nicht hinreichend dargelegt (vgl zur Fürsorgepflicht des Gerichts Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, vor §
60 RdNr 1b mwN). Aus welchen Gründen die Verfahrensführung des LSG "unfair" gewesen sei, weil der Kläger nicht damit habe rechnen können,
dass das LSG an der im Schreiben vom 8.10.2020 gesetzten "Frist vom 11.11.2020 […] festhalten würde", ergibt sich aus der
Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger selbst trägt vor, das LSG habe bereits mit Schreiben vom 8.10.2020 mitgeteilt, weitere
Ermittlungen seien nicht beabsichtigt. Besondere Umstände, die ein Vertrauen darauf hätten begründen können, dass die Frist
gegenstandslos geworden sei, legt der Kläger nicht dar. Die subjektive Erwartung, das LSG werde im Hinblick auf seine Stellungnahmen
seine Auffassung ändern, ist insofern nicht ausreichend. Im Übrigen kann die gesetzliche Regelung des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG nicht dadurch umgangen werden, dass vermeintliche Fehler bei der Behandlung eines Antrags nach §
109 SGG als Fehler des sonstigen Verfahrens gerügt werden.
Mit seiner weiteren Rüge, das LSG habe "im Hinblick auf das Leistungsvermögen des Klägers keinerlei Bezug auf seinen schriftsätzlichen
Vortrag vom 04.11.2020 und 23.12.2020 genommen" und es fehlten in "Missachtung des klägerischen Vortrages" zu seinem Antrag
nach §
109 SGG "die Bezüge zum schriftsätzlichen Vortrag vom 03.02.2021", macht der Kläger eine unzureichende Begründung des Urteils geltend.
Zur Begründung seiner Entscheidung (§
128 Abs
1 Satz 2, §
136 Abs
1 Nr
6 SGG) muss das Gericht alle wesentlichen Fragen abhandeln, dabei aber nicht notwendig auf alle Einzelheiten eingehen, sondern nur
die Leitgedanken wiedergeben (vgl zB BSG Beschluss vom 17.2.2016 - B 6 KA 50/15 B - RdNr 9 mwN). Vor diesem Hintergrund lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, dass die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung
völlig fehlte oder dass einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel überhaupt nicht behandelt wurden (vgl zu den Anforderungen im Einzelnen Keller aaO, § 136 RdNr 7f mwN). Der Kläger trägt vor, das LSG gehe "weder auf die tatsächlichen Hinweise, die an der medizinischen Einschätzung geäußerten
Zweifel noch auf die aktuelle medizinische Situation des Klägers ein". Da die Begründungspflicht nicht schon dann verletzt
ist, wenn die Entscheidungsgründe oberflächlich oder wenig überzeugend sind (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 27.6.2018 - B 13 R 273/16 B - juris RdNr 39), hätte der Kläger darlegen müssen, dass es überhaupt an Ausführungen zu den für die Entscheidung des LSG maßgeblichen Gesichtspunkten
fehlt.
Indem der Kläger weitere, aus seiner Sicht zu Unrecht nicht berücksichtigte Beeinträchtigungen seines Leistungsvermögens geltend
macht, greift er in der Sache die Beweiswürdigung des LSG an. Eine solche Rüge ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
schon aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 2
SGG ausgeschlossen (vgl BSG Beschluss vom 15.6.2021 - B 5 R 52/21 B - juris RdNr 12 mwN).
Mit seinem Vorbringen, das LSG habe von sich aus keine aktuellen Befund- oder Behandlungsberichte der behandelnden Ärzte angefordert
und das LSG hätte aufgrund seines Vortrags zu Nebenwirkungen seiner Medikamente zumindest bei der Sachverständigen Dr. H ergänzend
nachfragen müssen, macht der Kläger eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht geltend. Für eine hinreichende Bezeichnung
eines solchen Verfahrensmangels fehlt es jedoch an der Wiedergabe eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, den er bis zum
Schluss des Berufungsverfahrens aufrechterhalten hat (vgl dazu im Einzelnen ua BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.