Vermögensverwertung beim Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, Beweislast bei der Rücknahme der Arbeitslosenhilfebewilligung für
die Vergangenheit
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten wegen der Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) nebst Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträgen jetzt noch für die Zeit vom 27. April 1998 bis 13. Februar 2000.
Die am 12. März 1940 geborene, seit 2001 verwitwete Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit lebt nach eigenen Angaben seit
35 Jahren in Deutschland. Im Anschluss an eine Tätigkeit als Küchenhilfe beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in der Zeit von
1982 bis 1994 bezog sie Krankengeld und Arbeitslosengeld (Alg) und nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs vom 27. April 1998 bis
zum 31. März 2000 Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt in Höhe von 730,00 DM bzw seit dem 27. April 1999 von 720,00
DM (Bescheide vom 28. April 1998, 7. Januar 1999, 26. März 1999 und 5. Januar 2000). Seit dem 1. April 2000 bezieht die Klägerin
Altersrente.
Im April 2003 wurde der Beklagten bekannt, dass die Klägerin in den Jahren 1994 und 1995 insgesamt 101.000,00 DM unter ihrem
Namen auf Konten bei der T.C. M. B. (TCMB) hochverzinslich angelegt hatte. In den der Alhi-Gewährung zu Grunde liegenden Leistungs-
bzw Fortzahlungsanträgen hatte die Klägerin die Frage nach vorhandenem Vermögen jeweils verneint.
Im Anhörungsverfahren räumte die Klägerin den Transfer ein, gab aber an, es handele sich durchweg um Gelder ihres Schwiegersohnes,
die dieser auf Grund der ihm erteilten Vollmacht nunmehr am 4. Juli 2003 persönlich abgehoben habe. Nach der zu den Akten
gereichten Kontoübersicht belief sich das Anlagevermögen bei der TCMB zum 7. September 1997 auf 72.447,00 DM und zum 25. Oktober
1999 auf 101.215,25 DM.
Nachdem die zusätzlich angeforderte Bescheinigung über den Kreis der Verfügungsberechtigten nicht vorgelegt wurde, hob die
Beklagte durch Bescheid vom 25. Februar 2004 die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab 27. April 1998
auf und forderte die überzahlte Alhi in Höhe von 15.361,15 EUR einschließlich der Beiträge zur Krankenversicherung (4173,71
EUR) und Pflegeversicherung (507,85 EUR) zurück. Den Widerspruch, mit dem sich die Klägerin auf ihre fehlenden Sprachkenntnisse,
das für türkische Mitbürger gemeinsame Wirtschaften und ihre Stellung als Frau in der türkischen Gesellschaft berief, wies
die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 12. März 2004 zurück.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 28. April 2005). Nach Teilanerkenntnis und Beschränkung der Aufhebung und Rückforderung auf einen
Zeitraum von 94 Wochen hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 10. Februar 2006).
In den Gründen hat das LSG ua ausgeführt, die für diesen Zeitraum erfolgte Bewilligung von Alhi sei von Anfang an wegen fehlender
Bedürftigkeit rechtswidrig gewesen, da die Klägerin über entsprechendes Vermögen verfügt habe. Die behauptete fremdnützige
Verwaltungstreuhand zugunsten des Schwiegersohnes sei nicht offen gelegt worden. Ein verdecktes Treuhandkonto sei arbeitsförderungsrechtlich
als reines Privatkonto des gegenüber der Bank auftretenden Kontoinhabers zu behandeln. Entscheidend sei nicht die zivilgerichtliche
Rechtsprechung zum insolvenzrechtlichen Aussonderungsrecht oder zur Drittwiderspruchsklage, ebenso wenig die finanzgerichtliche
Rechtsprechung zur Frage, ob eine (steuerrechtliche) Anerkennung von Darlehensvereinbarungen unter nahen Angehörigen jedenfalls
dann in Betracht zu ziehen sei, wenn die Vereinbarung als solche in allen wesentlichen Punkten dem zwischen fremden Dritten
Üblichen entspreche. Maßgeblich sei vielmehr der Umstand, dass der Klägerin mit Rücksicht auf die von gegenseitigem Vertrauen
geprägten sozialrechtlichen Beziehungen der Beteiligten die Berufung auf ein angeblich verdecktes Treuhandverhältnis im Rahmen
der Bedürftigkeitsprüfung verwehrt sei. In dem mit der Beklagten bestehenden Sozialrechtsverhältnis müsse sie sich im Anschluss
an die insoweit einhellige Rechtsprechung anderer Landessozialgerichte an dem von ihr gesetzten Rechtsschein festhalten lassen.
Offen bleiben könne deshalb, ob die von der Klägerin behaupteten Vereinbarungen mit ihrem Schwiegersohn tatsächlich getroffen
worden seien.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Das Bundessozialgericht (BSG)
habe inzwischen entschieden, dass es für den vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsgrundsatz der Verbindlichkeit
des erzeugten Rechtsscheins keine tragfähige Grundlage gebe.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. Februar 2006 und des Sozialgerichts Kiel vom 28. April
2005 sowie den Bescheid vom 25. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des LSG für zutreffend. Im Ergebnis entspreche es dem Urteil des erkennenden Senats vom 24. Mai
2006 (B 11a AL 7/05 R), demzufolge es keinen Rechtsgrundsatz gebe, dass sich der Arbeitslose am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft
festhalten lassen müsse, es stattdessen auf die getroffenen Vereinbarungen im Einzelfall ankomme. Der Sachverhalt sei ausermittelt
gewesen und habe sich danach so dargestellt, dass der von der Klägerin gesetzte Rechtsschein für ihre Vermögensinhaberschaft
gesprochen habe. Dies müsse ausreichen, wenn nicht der Gefahr einer "Optimierung" des Sozialleistungsbezugs durch willkürliche
Nichtoffenbarung verdeckten Treuhandvermögens Vorschub geleistet werden solle.
II. Die Revision ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung (§
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]) begründet.
Das Urteil des LSG kann keinen Bestand haben. Die Aufhebung der Bescheide über die Bewilligung von Alhi (nach Annahme des
Teilanerkenntnisses vom 10. Februar 2006 jetzt noch) für die Zeit vom 27. April 1998 bis zum 13. Februar 2000 konnte nicht
allein mit Hilfe des Rechtsgrundsatzes bestätigt werden, wonach sich der Arbeitslose, der als verdeckter Treuhänder den Rechtsschein
der Vermögensinhaberschaft erzeugt, sich daran im Rahmen der Alhi-Bedürftigkeitsprüfung festhalten lassen muss. Denn einen
solchen Rechtsgrundsatz gibt es nicht. Stattdessen ist im Einzelfall festzustellen, welche Vereinbarungen mit welchem Inhalt
getroffen sind. Mangels ausreichender Feststellungen kann eine abschließende Entscheidung nicht ergehen.
Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Rücknahme der Alhi-Bewilligung vom 25. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12. März 2004 ist § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm §
330 Abs
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III), Rechtsgrundlage der daran anknüpfenden Rückforderung der überzahlten Alhi ist § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X und der erbrachten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge §
335 Abs
1 Satz 1 und Abs
5 SGB III idF des 3. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848). Die danach vorgreifliche
Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung ist ua davon abhängig, dass die Bescheide über die Bewilligung der Alhi als begünstigende
Verwaltungsakte (VAe) von Anfang an rechtswidrig waren und die begünstigte Klägerin sich auf ein Vertrauen in den Bestand
der Entscheidungen nicht berufen kann, weil diese auf Angaben beruhten, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Die anfängliche Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide wiederum beurteilt sich danach, ob im Zeitpunkt des jeweiligen
Erlasses die Voraussetzungen eines Alhi-Anspruchs gegeben waren, die Klägerin also nach § 190 Abs 1 Nr 5
SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I 594) ua bedürftig war. Nicht als bedürftig angesehen wird der Arbeitslose hiernach, solange mit
Rücksicht auf sein Vermögen und ua das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Gewährung von Alhi nicht
gerechtfertigt ist (§ 193 Abs 2
SGB III idF des Ersten
SGB III-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2970). Inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist, bestimmt die auf der Grundlage
des § 137 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ergangene und nach Art 81 AFRG auch im Geltungsbereich des
SGB III zunächst fortgeltende Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) idF des Arbeitslosenhilfe-Reformgesetzes (AlhiRG) vom 24. Juni 1996 (BGBl I 878) mit ihren späteren Aktualisierungen. Danach
ist Vermögen zu berücksichtigen, soweit es verwertbar und die Verwertung zumutbar ist und der Wert dieses Vermögens jeweils
8000,-- DM übersteigt (§ 6 Abs 1 AlhiV). Vorausgesetzt ist in jedem Fall ein dem Arbeitslosen zuzuordnendes Vermögen.
Entgegen den Ausführungen des LSG kann nicht offen bleiben, ob und ggf mit welchem Inhalt danach im hier noch streitigen Bewilligungs-
bzw Aufhebungszeitraum vom 27. April 1998 bis zum 13. Februar 2000 Treuhandvereinbarungen der Klägerin mit ihrem Schwiegersohn
hinsichtlich der auf ihren Namen laufenden Kapitalanlagen bei der TCMB getroffen worden sind. Denn für den von der Vorinstanz
angewendeten Rechtsgrundsatz, dass die Vermögensinhaberschaft im Rahmen des bestehenden Sozialrechtsverhältnisses von dem
vom Arbeitslosen gesetzten Rechtsschein abhängt, gibt es keine Rechtsgrundlage. Dies hat der Senat bereits in seiner Entscheidung
vom 24. Mai 2006 (B 11a AL 7/05 R, zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR) anhand einer - behaupteten - stillen
Zession des Anspruchs auf ein Sparguthaben verdeutlicht, diese Rechtsprechung in einer Parallelentscheidung vom 24. Mai 2006
(B 11a AL 49/05 R) im Falle eines - ebenfalls behaupteten - verdeckten Treuhandverhältnisses hinsichtlich eines Sparguthabens
fortgeschrieben und nunmehr durch zwei weitere Entscheidungen zur verdeckten Treuhand vom 13. September 2006 (B 11a AL 13/06
R und B 11a AL 19/06 R) bestätigt. Hieran hält der Senat weiterhin fest.
Das LSG wird deshalb anhand aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln haben (§
103 SGG), ob und ggf mit welchem Inhalt die von der Klägerin behaupteten Treuhandvereinbarungen mit ihrem Schwiegersohn überhaupt
getätigt worden sind oder ob es sich um bloße Schutzbehauptungen handelt. Des Weiteren wird dann zu prüfen sein, ob es sich
hierbei um Scheingeschäfte iS des §
117 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) handelte mit dem Ziel, nur den äußeren Schein eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, nicht aber die damit verbundenen Rechtsfolgen
eintreten lassen zu wollen (BGH NJW 1980, 1572). Da es sich um Angelegenheiten in der Sphäre der Klägerin handelt, ist es nahe liegend, sie zur Vorlage der näheren Unterlagen
heranzuziehen (ua Kontoauszüge, Nachweise über Kontobewegungen und Herkunft der Geldbeträge). Nachdem eine Kontoübersicht
der Konten der Klägerin bei der TCMB (zumindest in türk. Sprache) bereits vorgelegt wurde, betrifft dies insbesondere sonstige
Konten der Klägerin (zB bei der D. Bank, mit deren Hilfe offenbar der Transfer erfolgte) und ihres 2001 verstorbenen Ehemanns.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Einkünfte des Schwiegersohns ausweislich der bei den Akten befindlichen
Kindergeldunterlagen deutlich geringer waren als das der Klägerin (zuletzt) gezahlte Arbeitsentgelt, und dieser in der Zeit
des Geldtransfers zudem eine Abfindung wegen Verlusts des Arbeitsplatzes gezahlt wurde.
Sollten sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien, aus dem
Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnenden Überzeugung (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) entscheidungserhebliche Tatsachen nicht feststellen lassen, kommt es auf die objektive Beweislast an, die im Rahmen des
§ 45 SGB X grundsätzlich die Beklagte für das Vorliegen der Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bewilligungsbescheide trägt (vgl BSG
SozR 4100 § 132 Nr 1, S 11). Allerdings hat der Senat in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2006 (B 11a AL 7/05 R) im Einzelnen
dargelegt und begründet, dass eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt sein kann, wenn in der Sphäre des Arbeitslosen wurzelnde
Vorgänge nicht aufklärbar sind. Hiervon ausgehend kann sich eine der Klägerin anzulastende Beweisnähe zB daraus ergeben, dass
sie durch ihre (unterbliebenen) Angaben im Zusammenhang mit den Antragstellungen eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts
unmöglich gemacht hat (vgl auch Senatsurteil vom 24. Mai 2006 - B 11a AL 49/05 R).
Soweit die Revision das Urteil des LSG auch unter dem Gesichtspunkt angreift, der Klägerin sei mit Rücksicht auf ihre persönlichen
und ethnischen Besonderheiten keine mindestens grobe Fahrlässigkeit iS des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X vorzuhalten, wird das LSG auf der Grundlage der noch zu treffenden Feststellungen erneut zu entscheiden haben. Der Senat
teilt in diesem Zusammenhang grundsätzlich die Rechtsansicht des LSG, wonach die Klägerin schon bei den Angaben im Antragsformular
auf das Vorhandensein der auf ihren Namen geführten Konten hinweisen bzw ggf bei der Beklagten nachfragen musste.
Das LSG hat eine abschließende Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu treffen.