Anspruch auf Insolvenzgeld bei variablen Entgeltbestandteilen
Gründe:
I. Der Kläger begehrt die Zahlung von Insolvenzgeld (Insg) für einen so genannten Varioanteil in Höhe von 7.914,78 Euro.
Der Kläger war als Vertriebsleiter im Außendienst (Abteilungsleiter) der S. E. AG in T. beschäftigt, über deren Vermögen am
27. März 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Der Kläger beantragte am 24. April 2002 die Gewährung von Insg unter
Berücksichtigung eines Varioanteils in Höhe von 7.914,78 Euro sowie bestimmter Spesen.
Zwischen dem Vorstand der S. R. AG (das Berufungsurteil enthält keine Feststellung, ob diese mit dem Arbeitgeber des Klägers
identisch ist) und dem Betriebsrat war unter dem 22. Februar 1999 eine Betriebsvereinbarung "variables Vergütungssystem" geschlossen
worden. In der Vereinbarung heißt es ua:
1) Ziele des variablen Vergütungssystems
Mit der durchgeführten Kapitalerhöhung wurde eine wichtige Voraussetzung für die Neuausrichtung der S. R. AG erreicht. Wichtige
Ziele der nächsten Jahre sind die Stabilisierung des bisherigen Kerngeschäfts in der klassischen Unterhaltungselektronik sowie
die zügige Kommerzialisierung des Lasers.
Zur Erreichung dieser ehrgeizigen Ziele ist der besondere Einsatz aller Mitarbeiter erforderlich. Um diesen Einsatz zu fördern,
wird ein variables Vergütungssystem eingeführt. Damit sollen die Mitarbeiter einerseits einen zusätzlichen monetären Anreiz
erhalten; andererseits soll durch die konkrete Definition individueller Ziele und deren Verfolgung und Aktualisierung sichergestellt
werden, dass die betreffenden Mitarbeiter optimal in den zur Stabilisierung der Unterhaltselektronik erforderlichen Gesamtprozess
eingebunden werden.
2) Struktur der Zieleinkommen
a) Fixum
b) Variable Vergütung, die entsprechend der Zielerfüllung gewährt wird. Der Erfolg wird gemessen an
- Gesamterfolg des Unternehmens
- Individuellen Zielen
...
4) Festlegung des quantitativen Zieles "Unternehmenserfolg"
...
d) Feststellung der Zielerreichung
Die Zielerreichung wird auf Basis der Inanspruchnahme der Kreditlinien per 31.12. eines Jahres sowie ggf. der im Zuge des
Jahresabschlusses festgelegten Zuordnung der Mittelverwendung auf Geschäftsbereiche (d.h. insbes. auf die Laseraktivitäten)
festgestellt.
5) Festlegung/Revision der individuellen Ziele mit Erreichungsgrad
a) Modus der Zieldefinition
Die jeweils vorgesetzte Instanz definiert gemeinsam mit den einzelnen Mitarbeitern individuelle Ziele, die sich an Qualifikation
und Aufgabeninhalten des Mitarbeiters orientieren:
- Aufsichtsrat für den Vorstand
- Vorstand für die Bereichsleiter
- Bereichsleiter für die Abteilungsleiter/Sonstige - in Abstimmung mit dem Vorstand
Diese Ziele können sowohl quantitativer als auch qualitativer Natur sein. Sie können unterjährig im Rahmen der Überprüfung
der Zielerreichung angepasst werden.
b) Überprüfung der Zielerreichung
Ziel muss sein, eine größtmögliche Objektivität und Gerechtigkeit zu erreichen. Daher sollen zwei Mal jährlich Beurteilungsgespräche
mit den Mitarbeitern geführt werden, in denen der Status der Zielerreichung festgestellt und eventuell neue Ziele für das
Restjahr definiert werden sollen.
Basis der Bewertung ist ein standardisiertes Beurteilungssystem, das in den nächsten Monaten entwickelt und eingeführt wird.
...
6) Höhe des variablen Entgelts
a) Mitarbeiter Gruppe I und II (siehe Punkt 3)
Die individuellen Vereinbarungen werden nur mit beiderseitiger Zustimmung getroffen. Bei Ablehnung werden dem Mitarbeiter
keine Nachteile entstehen.
- Für die Mitarbeiter wird ab 01.02.99 ein Zieleinkommen definiert. Dieses kann und wird vom aktuellen (Fix-)einkommen abweichen.
...
7) Form der Vergütung
Für die Jahre 1999 und 2000 soll das variable Entgelt grundsätzlich in Form von Aktien gezahlt werden, welche die LfA aus
ihrem Bestand zur Verfügung stellen wird. Ab dem Jahr 2001 wird die S. AG das variable Vergütungssystem aus eigener Kraft
finanzieren.
...
8) Zeitpunkt der Vergütung
Der Zeitpunkt der Vergütung ist grundsätzlich schnellstmöglich, spätestens jedoch dann vorgesehen, wenn die für die Errechnung
der Unternehmensziele notwendigen Daten (Jahresabschluss) vorliegen.
...
In der mit dem Kläger geschlossenen "Vereinbarung über die variable Vergütung 1999" war ein Fixanteil am Jahreseinkommen (in
Höhe von 216.000 DM brutto) von 70 % und ein Varioanteil von 30 % (= 64.800 DM) festgelegt. Der Varioanteil war abhängig von
der Erfüllung der Unternehmensziele (40 %) und der individuellen Ziele (60 %). Er sollte grundsätzlich in Form von Aktien
ausgezahlt werden. Für die weiteren Modalitäten sowie die Konkretisierung der Unternehmensziele wurde auf die Betriebsvereinbarung
verwiesen. Ferner findet sich in den Prozessakten eine Niederschrift über ein Jahresmitarbeitergespräch vom 6. März 2001,
dessen Gegenstand die Feststellung der Zielerreichung 2000 und eine Zielvereinbarung 2001 war. Eine derartige Vereinbarung
wurde für das Jahr 2002 nicht mehr geschlossen.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 23. Juli 2002 Insg in Höhe von 4.352,18 Euro. Der Kläger wandte sich mit
seinem Widerspruch ua gegen die Nichtberücksichtigung der variablen Entgeltbestandteile. Die ihm innerhalb des Insg-Zeitraums
ab 1. Januar 2002 nicht ausbezahlte Variovergütung bezifferte er mit 7.914,78 Euro brutto (= Januar und Februar 2002 jeweils
2.760,97 Euro; 1. bis 26. März 2002 2.392,84 Euro). Insoweit wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
17. Januar 2003 zurück. Im Widerspruchsbescheid hieß es, die Berücksichtigung der Variovergütung sei ausgeschlossen. Für das
Jahr 2002 liege weder eine Vereinbarung über die variable Vergütung noch über den Auszahlungszeitpunkt vor. Außerdem stellten
Aktien kein Arbeitsentgelt dar.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Juli 2004).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 14. März 2005). Es hat zur Begründung
ausgeführt, dass Varioanteile ihrer Art nach insolvenzfähige Bestandteile des Arbeitsentgelts seien. Entscheidend sei jedoch,
ob für den maßgeblichen Insg-Zeitraum ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf die Varioanteile bestanden habe. Kennzeichnend für
die verschiedenen Modelle von Zielvereinbarungen sei, dass Erfolgsbeteiligungen als Entgeltbestandteile auch Risiken für den
Arbeitnehmer enthielten, wenn sich die unternehmerischen Ziele am Ende eines Wirtschaftsjahres nicht verwirklichen ließen,
im Falle günstiger Geschäftsentwicklung aber auch Chancen beinhalteten, zu dem fest vereinbarten Entgelt weitere variable
Leistungen zu erhalten. Um im Insolvenzzeitraum berücksichtigt werden zu können, müsse aus der Möglichkeit, zu dem fest vereinbarten
Arbeitsentgelt ein zusätzliches Varioentgelt beanspruchen zu können, schon eine gesicherte Anwartschaft darauf geworden sein.
Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch auf einen Varioanteil für die Monate Januar bis März 2002 erlangt, da für
das Jahr 2002 keine entsprechende Vereinbarung zu Stande gekommen sei. Ungeachtet dessen sei in den Monaten Januar bis März
2002 auf Grund des angewandten Modells ohnehin nicht feststellbar, ob die für das betreffende Wirtschaftsjahr festgelegten
Ziele erreicht und der Kläger mit einem Varioanteil zusätzlich entlohnt werden würde. Bis zum Eintritt des Insolvenzfalls
sei der variable Gehaltsanteil nicht fällig geworden, weil er ausschließlich von der nicht mehr verwirklichten Erfüllung der
Unternehmensziele abhängig gewesen sei. Der Kläger könne seine Auffassung auch nicht auf arbeitsgerichtliche Entscheidungen
stützen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LArbG) Düsseldorf vom 29. Oktober 2003 - 12 Sa 900/03 - betreffe den hier nicht vorliegenden Fall, dass der Arbeitgeber die Zielvorgaben sehr wohl, nur verspätet festgelegt habe.
Das Hessische LArbG (Urteil vom 29. Januar 2002 - 7 SA 836/01 -) bestätige den Grundsatz, dass ein variabler Gehaltsanteil
erst mit der Zielerreichung fällig werde.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor, das LSG habe zu Unrecht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) zu gesicherten Provisionsanwartschaften auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen. Vielmehr sei die Rechtsprechung
des BSG zu Gewinnbeteiligungen heranzuziehen. Der Arbeitnehmer sei so zu stellen, als wäre er zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung
aus dem Unternehmen ausgeschieden. Es treffe zu, dass für das Jahr 2002 keine individuelle Vereinbarung getroffen worden sei.
Komme eine Vereinbarung nicht zu Stande, so sei auf §
315 Abs
3 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) zurückzugreifen. Die Argumentation des LSG, auf Grund des Modells sei nicht feststellbar gewesen, ob die für das betreffende
Wirtschaftsjahr festgelegten Ziele erreicht worden seien, überzeuge nur, wenn der Varioentgeltanteil ausschließlich an die
Unternehmensziele gekoppelt gewesen wäre. Im Rahmen der im Jahre 1999 getroffenen Vereinbarung hätten jedoch die individuellen
Ziele mit einem Anteil von 60 % Berücksichtigung finden müssen. Er, der Kläger, sei seinen individuellen Zielen vollständig
nachgekommen. Während für das Jahr 2000 die variable Vergütung in Höhe von 64.800 DM im Juni 2001 - in Form von Aktien - gezahlt
worden sei (Schreiben des Arbeitgebers vom 31. Mai 2001), sei für das Jahr 2001 keine Vergütung mehr erfolgt. Die ihm für
das Jahr 2001 zustehenden Varioanteile seien aber in ungekürzter Höhe nachträglich vom Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt
worden (Schreiben des Insolvenzverwalters vom 3. Dezember 2004).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. März 2005, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.
Juli 2004 sowie die Bescheide vom 23. Juli 2002 und vom 3. Januar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar
2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Insolvenzgeld in Höhe von 7.914,78 Euro brutto zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das LSG habe unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend entschieden.
II. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache
an das LSG begründet. Ob der Kläger innerhalb des - von seinem Antrag umfassten - Insg-Zeitraums vom 27. Dezember 2001 bis
26. März 2002 einen Anspruch auf eine variable Vergütung in Höhe von 7.914,78 Euro erworben hat, kann der Senat anhand der
tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht beurteilen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 23. Juli 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar
2003. Im Revisionsverfahren ist nur noch über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf höheres Insg unter Berücksichtigung
eines so genannten Varioanteils zu entscheiden.
Anspruch auf Insg haben nach § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch ([SGB III] idF des Gesetzes zur Reform
der arbeitsmarktpolitischen Instrumente [Job-AQTIV-Gesetz] vom 10. Dezember 2001, BGBl I 3443) Arbeitnehmer, wenn sie im Inland
beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei
Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach §
183 Abs
1 Satz 3
SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den von Arbeitnehmern auf Grund von Zielvereinbarungen zu beanspruchenden
variablen Entgeltanteilen um Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis handelt. Denn Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis sind alle Leistungen
des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellen (BSG SozR 4100 § 141b Nr 26;
BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 1). An dem Arbeitsentgeltcharakter der mit Zielvereinbarungen verknüpften Leistungsanreize besteht
hiernach kein Zweifel, denn diese sollen der Erreichung eines bestimmten Leistungsziels durch den Arbeitnehmer dienen (vgl
Preis in Erfurter Kommentar, 6. Aufl 2006, §
611 BGB RdNr 626a). Dementsprechend wird die variable Vergütung auch im Recht der Entgeltfortzahlung als Arbeitsentgelt behandelt,
das vom Arbeitgeber während auf Arbeitsunfähigkeit beruhenden Fehlzeiten grundsätzlich fortzuzahlen ist (Linck in Schaub,
Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl 2005, § 69 RdNr 28d; Lindemann/Simon, BB 2002, 1807, 1812 f; Mauer, NZA 2002, 540, 544; vgl zur Treueprämie auch Bundesarbeitsgericht [BAG] AP Nr 77 zu §
611 BGB Gratifikation).
Allerdings begründen nur solche Ansprüche auf Arbeitsentgelt einen Anspruch auf Insg, die für den Insg-Zeitraum zu erbringen
sind. Maßgebend ist hier - entsprechend dem Antrag des Klägers - der Zeitraum vom 1. Januar bis 26. März 2002. Es entspricht
ständiger Rechtsprechung des BSG, offene Ansprüche auf Zahlung des laufenden Arbeitslohns grundsätzlich dem Zeitraum zuzuordnen,
in dem die Arbeit als Gegenleistung für den Entgeltanspruch erbracht worden ist (BSGE 43, 49, 50 = SozR 4100 § 141b Nr 2; BSG SozR 4100 § 141b Nr 8; BSGE 89, 289, 291 = SozR 3-4100 § 141b Nr 24), - mit anderen Worten - dem Zeitraum, für den der Lohn- und Gehaltsanspruch erarbeitet worden
ist (BSG SozR 4100 § 141b Nr 29; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 23). Das steht im Übrigen im Einklang mit der insolvenzrechtlichen
Zuordnung von Lohn- und Gehaltsansprüchen (vgl BAG AP Nr 9 zu § 59 KO; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 23). Hingegen kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch im Insg-Zeitraum fällig oder bezifferbar geworden ist (BSGE 43,
49, 51 = SozR 4100 § 141b Nr 2; BSG SozR 4100 § 141b Nr 29; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 11). Ansprüche, die über einen längeren
Zeitraum erworben, jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt geschuldet werden, sind der jeweiligen Arbeitsleistung anteilig zuzuordnen.
Die - hilfsweise - Argumentation des LSG, der auf das jeweilige Wirtschaftsjahr bezogene variable Gehaltsanteil werde ungeachtet
der Frage des Bestehens eines (zeitanteiligen) Anspruchs nicht durch Insg geschützt, steht mit der Rechtsprechung des BSG
nicht in Einklang. Denn die Fälligkeit des Anspruchs bis zum Eintritt des Insolvenzfalls und seine Abhängigkeit von der Erreichung
der (nicht mehr verwirklichten) Unternehmensziele ist danach ohne Bedeutung.
Hinsichtlich der vom Kläger zusätzlich beanspruchten variablen Vergütung sind keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, vom
Erarbeitungsprinzip abzusehen. Denn es handelt sich bei den auf Grund einer Zielvereinbarung zu leistenden Zahlungen, deren
Höhe vom Erreichen persönlicher und unternehmensbezogener Ziele abhängt, nicht um eine Sondervergütung, sondern um laufendes
Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer für ein bestimmtes Jahr erhält (Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl 2005,
§ 69 RdNr 28d). Dem Erarbeitungsprinzip ist das BSG im Übrigen auch bei der zeitlichen Zuordnung von Provisionsansprüchen
zum Insg-Zeitraum gefolgt, indem es darauf abgestellt hat, zu welchem Zeitpunkt "der Auftrag hereingebracht" worden ist (vgl
das auch vom LSG zitierte Urteil BSG SozR 4100 § 141b Nr 26). Die Verknüpfung der hier zu beurteilenden variablen Vergütung
mit der Arbeitsleistung wird durch die Ziele des variablen Vergütungssystems bestätigt, das den Mitarbeitern nach Punkt 1
der Betriebsvereinbarung vom 22. Februar 1999 insbesondere einen monetären Anreiz zur Förderung ihres Einsatzes bieten sollte.
Die Verknüpfung von Arbeitseinsatz und variabler Vergütung gehört geradezu zu den Wesensmerkmalen eines durch Zielvereinbarungen
gesteuerten Vergütungssystems. Die Verknüpfung betrifft insbesondere die "individuellen Ziele" iS des Punkt 5 der Betriebsvereinbarung
(s auch Zielveränderung 2001), jedoch ist auch eine Zuordnung des allgemeinen Ziels Unternehmenserfolg zu bestimmten Zeiträumen
nicht ausgeschlossen. Ob allerdings angesichts der Insolvenz des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers hinsichtlich der Unternehmensziele
eine Vergütung in Betracht kommt, kann zweifelhaft sein (vgl aber zum Provisionsanspruch bei Betriebsstilllegung und zur so
genannten Betriebsrisikolehre, BAG Urteil vom 11. August 1998 - 9 AZR 410/97 - veröffentlicht in juris). Denn dieser Teil der variablen Vergütung - der in unterschiedlicher prozentualer Höhe für alle
Mitarbeiter vorgesehen war - ist nach näherer Maßgabe der Betriebsvereinbarung von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens
abhängig gewesen (vgl Punkte 3, 4, 6 der Vereinbarung). Jedoch machen die Unternehmensziele nach der mit dem Kläger für das
Jahr 1999 geschlossenen Vereinbarung ohnehin lediglich 40 % des Varioanteils aus, während die individuellen Ziele mit 60 %
in Ansatz gebracht worden sind. Jedenfalls die Erfüllung der individuellen Ziele wird durch die Insolvenz des Arbeitgebers
nicht ausgeschlossen.
Dem Anspruch auf die variable Vergütung steht ferner auch nicht entgegen, dass der Kläger nicht während des gesamten Bezugszeitraums
(Kalenderjahr 2002) beim ehemaligen Arbeitgeber beschäftigt war. Vielmehr entspricht es der im arbeitsrechtlichen Schrifttum
einhelligen Meinung, dass der Zielbonus als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung auch bei einem Ausscheiden vor dem Fälligkeitstermin
anteilig entsprechend der Beschäftigungszeit ausgezahlt werden muss (Lindemann/Simon, BB 2002, 1807, 1813; Mauer, NZA 2002, 540, 545; Deich, Arbeitsvertragliche Gestaltung von Zielvereinbarungen, 2005, S 104 ff; vgl zu Treueprämien auch BAG AP Nr 77
zu §
611 BGB Gratifikation). Der Bestand des Arbeitsverhältnisses am Ende des Jahres wird bei derartigen arbeitsbezogenen Sonderzahlungen
nicht vorausgesetzt, und eine Stichtagsregelung kann auch nicht rechtswirksam vereinbart werden. Insoweit unterscheidet sich
die variable Vergütung von Gratifikationen mit Stichtagsklauseln (vgl Lindemann/Simon aaO).
Das LSG hat zur Verneinung des Anspruchs auf Insg entscheidend darauf abgestellt, dass mit dem Kläger für das Jahr 2002 keine
konkrete Zielvereinbarung als Vorbedingung für einen Varioanteil der Vergütung zu Stande gekommen sei. Die Frage des Bestehens
eines durch Insg auszugleichenden Arbeitsentgeltanspruchs trotz fehlender Zielvereinbarung betrifft revisibles Recht (§
162 Sozialgerichtsgesetz). Denn es geht nicht um die Auslegung der Betriebsvereinbarung, sondern um die Überprüfung der Rechtsanwendung (vgl BSG SozR
3-4100 § 141b Nr 21 mwN). Ob die Argumentation des LSG zutrifft, lässt sich indes auf der Grundlage der vom LSG getroffenen
Feststellungen nicht beurteilen.
Allein der Umstand, dass eine Zielvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht vorliegt, führt nämlich nicht dazu,
dass der Arbeitnehmer diesen Vergütungsanteil nicht beanspruchen kann. Ansonsten hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch
eine Verweigerung einer entsprechenden Vereinbarung über die Zielerreichung den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers zu beseitigen.
Eine derartige Möglichkeit widerspräche dem Grundsatz, dass vorbehaltlos vereinbarte Ansprüche auf eine leistungsorientierte
Vergütung vom Arbeitgeber nicht einseitig geändert oder widerrufen werden können (Mauer, NZA 2002, 540, 543; Preis in Erfurter Kommentar, 6. Aufl 2006, §
611 BGB RdNr 626a). Ein Freiwilligkeitsvorbehalt, ein Widerrufsrecht oder eine Befristung der Vergütungsregelung ist der dem Arbeitsentgeltanspruch
zu Grunde liegenden Betriebsvereinbarung nicht zu entnehmen (vgl zu den arbeitsrechtlichen Möglichkeiten der Begrenzung der
Bindungswirkung von Bonusregelungen Lindemann/Simon, BB 2002, 1807, 1809 ff; Mauer, NZA 2002, 540, 543). Entsprechendes folgt auch nicht aus den weiteren Ausführungen des LSG, auf Grund des beim ehemaligen Arbeitgeber des
Klägers eingeführten Modells sei ohnehin nicht feststellbar, "ob die für das betreffende Wirtschaftsjahr festgelegten Ziele
am Ende des Wirtschaftsjahres erreicht und der Kläger mit einem Varioanteil zusätzlich entlohnt werden würde". Denn ein Vergütungsanspruch
muss zwar in seinem Bestand feststellbar sein, doch dies ist nicht mit dem Zeitpunkt der Feststellung der Zielerreichung bzw
der Fälligkeit des Anspruchs gleichzusetzen. Damit kann der Arbeitgeber sich seiner Verpflichtung zur Zahlung der variablen
Vergütung nur durch Vertrag oder (Änderungs-) Kündigung entziehen (vgl zur Inhalts- und Ausübungskontrolle eines formularvertraglich
vorbehaltenen Widerrufsrechts des Arbeitgebers, Urteil vom 12. Januar 2005 - 5 AZR 364/04 - NZA 2005, 465, 468 f). Ein derartiges Vorgehen des Arbeitgebers ist vom LSG nicht festgestellt.
Ob die fehlende Zielvereinbarung für das Jahr 2002 zum Entfallen des Anspruchs auf den variablen Vergütungsanteil führt, kann
ohne Berücksichtigung der Gründe, auf denen das Fehlen einer derartigen Vereinbarung beruht, nicht entschieden werden. Hierbei
wird vom LSG zunächst zu klären sein, welcher Vertragspartei es oblag, die Initiative zur Führung eines Gesprächs über eine
Zielvereinbarung zu ergreifen. Der Wortlaut der vorliegenden Betriebsvereinbarung (s Punkt 5a: Die jeweils vorgesetzte Instanz
definiert gemeinsam mit dem einzelnen Mitarbeiter individuelle Ziele. Sie können unterjährig im Rahmen der Überprüfung der
Zielerreichung angepasst werden.) spricht dafür, dass es Aufgabe des Arbeitgebers war, ein Gespräch über die Zielvereinbarung
anzuberaumen. Eine abweichende Beurteilung könnte sich hier allerdings aus einer späteren modifizierenden Vereinbarung oder
einer anderen betrieblichen Übung ergeben. Oblag die Initiative hiernach dem Arbeitgeber und erfüllte er diese vertragliche
Nebenpflicht nicht, so kann dem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers die fehlende Zielvereinbarung nicht entgegengehalten
werden. Auch bei Initiativpflicht des Arbeitnehmers entsteht der Anspruch auf die variable Vergütung aus dem Rechtsgedanken
der Bedingungsvereitelung (§
162 BGB), wenn der Arbeitnehmer das Gespräch über den Abschluss einer Zielvereinbarung fordert, ihm jedoch ein derartiges Gespräch
verweigert wird (LArbG Köln, Urteil vom 23. Mai 2002 - 7 Sa 71/02 = NZA-RR 2003, 305; Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882, 883; Berwanger, BB 2003, 1499, 1502, der regelmäßig eine Obliegenheit des Arbeitnehmers annimmt, den Abschluss der jährlichen Zielvereinbarung beim Arbeitgeber
einzufordern).
Ist eine Zielvereinbarung für das Jahr 2002 aus vom Kläger nicht zu vertretenden Umständen nicht zu Stande gekommen, so ist
- unabhängig vom materiell-rechtlich zu Grunde liegenden dogmatischen Ansatz (vorrangig Leistungsbestimmung nach §
315 BGB bzw gegebenenfalls Bedingungsvereitelung nach §
162 BGB, Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882, 884; vgl auch Mauer, NZA 2002, 540, 547 f) - die durch Insg auszugleichende variable Vergütung vom LSG festzustellen. Hierbei liegt es nahe, sich an der für
das Jahr 2001 getroffenen Vereinbarung zu orientieren (vgl LArbG Hamm, 26. November 2004 - 10 Sa 2236/03, veröffentlicht in juris; Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882, 883), wenn der Kläger seine Ziele erfüllt hat. Ausgehend von der Vergütung gemäß der Zielvereinbarung für das Jahr 2001
ist der Leistungsumfang im Wege der Schätzung (§
287 Zivilprozessordnung) festzustellen und gegebenenfalls zu reduzieren. Im Hinblick auf die Insolvenz des Arbeitgebers könnte der 40%-Anteil der
Vario-Vergütung, der additiv zu leisten und an die Unternehmensziele geknüpft ist, in Abzug zu bringen sein.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.