Kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die Überprüfung der Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde bei der Geltendmachung von Verfahrensmängeln
und haltlosem Klagebegehren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen Bescheide der beklagten
Krankenkasse, die sein Versicherungsverhältnis betreffen und mittlerweile aufgehoben sind.
Der Kläger war als hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie hatte
zunächst festgestellt, dass er über den 1.7.2016 hinaus hauptberuflich selbstständig erwerbstätig gewesen sei. Es sei unerheblich,
dass er nach eigenen Angaben wegen Krankheit nicht arbeiten könne, weil das Gewerbe auf ihn angemeldet sei und er Aufgaben
delegiert habe (Bescheid vom 22.12.2016). Auf seinen Widerspruch nahm die Beklagte diesen Bescheid zurück (Bescheid vom 6.3.2017) und führte aus, dass er ab 1.7.2016 als Rentner versichert sei (weiterer Bescheid vom 6.3.2017). Beiträge auf das durch eine nebenberufliche selbstständige Tätigkeit erzielte Einkommen seien wegen dessen geringer Höhe
nicht zu entrichten (Bescheid vom 10.3.2017). Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 24.7.2017). Die dagegen am 5.9.2019 erhobene Klage hat das SG abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig. Es sei eine weitere Klage zum selben Gegenstand anhängig. Zudem sei der Kläger
nicht beschwert, weil er auf sein Einkommen keine Beiträge zu entrichten habe. Die Ausführungen zur nebenberuflich selbstständig
ausgeübten Tätigkeit seien nur Begründungselement. Schließlich sei die Klage auch verfristet (Gerichtsbescheid vom 5.2.2021). Im Berufungsverfahren hat die Beklagte am 17.5.2021 erklärt, "Von der Beklagten wird der Bescheid vom 06.03.2017 i.G.d.
Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 sowie der Bescheid vom 22.12.2016 aufgehoben. Der Rechtsstreit dürfte damit seine Erledigung
gefunden haben". Auf Nachfrage ergänzte sie am 25.6.2021, ein gesonderter förmlicher Aufhebungsbescheid sei nicht ergangen.
Vielmehr solle die Prozesserklärung vom 17.5.2021 einen solchen darstellen. Der Kläger hat einer Erledigung des Rechtsstreits
nicht zugestimmt. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Nach der Aufhebung der Bescheide sei das Rechtsschutzbedürfnis
entfallen und Erledigung im prozessualen Sinn eingetreten (Urteil vom 15.12.2021).
Der Kläger beantragt mit einem von ihm selbst verfassten Schreiben vom 20.1.2022 Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren
der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil des LSG und die Beiordnung eines Fachanwalts.
II
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen.
Nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, denn auch eine formgerechte Beschwerde würde
voraussichtlich nicht zur Zulassung der Revision nach §
160 Abs
2 SGG führen. Die Durchsicht der Akten und die Würdigung des Vorbringens des Klägers haben bei der gebotenen summarischen Prüfung
keinen Hinweis auf das Vorliegen eines Revisionszulassungsgrundes ergeben, den ein Rechtsanwalt im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde
darlegen oder bezeichnen könnte.
1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG ist nicht ersichtlich. Dies gilt schon deshalb, weil der vom Kläger im vorliegenden Verfahren angefochtene Bescheid vom 6.3.2017
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.7.2017 von der Beklagten aufgehoben worden ist. Unabhängig davon ist bei versicherungspflichtigen
Rentnern das Arbeitseinkommen grundsätzlich beitragspflichtig (§
237 Satz 1 Nr 3
SGB V, §
15 SGB IV). Inwieweit Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen (Neben-)Tätigkeit erzielt wird, ist in erster Linie eine tatrichterliche
Frage.
2. Hinweise darauf, dass das Berufungsurteil iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweichen würde, sind ebenfalls nicht erkennbar.
3. Dem Kläger ist PKH auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zu bewilligen. Es kann hier dahinstehen, ob ein solcher vorliegt.
Nach der - verfassungsrechtlich gebilligten - ständigen Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 ff mwN) ist im Verfahren der PKH-Bewilligung ein über die unmittelbare Erfolgsaussicht des konkret angestrebten Rechtsmittels hinaus
erweiterter Beurteilungsspielraum eröffnet, der es erlaubt, eine öffentlich-rechtliche Unterstützung bei der Beschreitung
des Rechtsweges auch dann zu verweigern, wenn der Antragsteller in der Sache letztlich ohne Erfolg bleiben muss. Die soziale
Vergünstigung der PKH soll nämlich - jedenfalls primär - dazu dienen, den mittellosen Prozessbeteiligten die Möglichkeit zu
geben, materielle Ansprüche durchzusetzen. Zumindest bei Verfahrensfehlern ist daher grundsätzlich nicht nur auf die unmittelbare
Erfolgsaussicht der beabsichtigten Beschwerde abzustellen, sondern auch darauf, ob die Rechtsverfolgung insgesamt Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl etwa BSG Beschluss vom 23.1.1998 - B 13 RJ 261/97 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 9.5.2007 - B 12 KR 1/07 B - juris RdNr 3 mwN). Daher ziehen selbst schwere Verfahrensfehler, die nach der Rechtsordnung grundsätzlich eine Möglichkeit zur Korrektur eröffnen
können, weil ihr Vorliegen bereits vermuten lässt, dass die Entscheidung darauf beruhen könnte, nicht zwingend die Bewilligung
von PKH nach sich, wenn das Klagebegehren offensichtlich haltlos ist und ohne jeden Rückhalt im Gesetz verfolgt wird. Dementsprechend
findet auch Art 6 Abs 1 EMRK, der grundsätzlich auch bei der Entscheidung über die Gewährung von PKH in den Blick zu nehmen ist, nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte <EGMR> keine Anwendung, wenn sich für das geltend gemachte Recht keinerlei
vertretbare Grundlage im zugrunde liegenden nationalen Recht anführen lässt (BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 5 f unter Hinweis auf EGMR, L.B../. Österreich, Urteil vom 18.4.2002, Nr 39802/98 mwN).
So liegt es hier. Mangels Beschwer des Klägers erscheint seine Rechtsverfolgung mutwillig. Nach der Aufhebung der angefochtenen
Bescheide durch die Beklagte im Berufungsverfahren ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers entfallen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.